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2. LITERATURÜBERSICHT

2.2 R OLLE DER NEUTROPHILEN G RANULOZYTEN BEI DER P ATHOGENESE DES SIRS UND MODS

2.2.2 Granulozytär-endotheliale Interaktion

Lokalisationsbedingt ist das Endothel in der Lage, auf entzündliche und immunologische Prozesse als Mediator und Modulator zu reagieren.

Mittels zahlreicher endogen produzierter vasoaktiver Faktoren ist das Endothel wichtig bei der Autoregulation von Organen und ist in der Lage, auf metabolische Einflüsse des Gewebes im Bereich der Mikrozirkulation zu reagieren

Die Prozesse Zelladhärenz-, aktivierung und –migration bedienen sich eines Zusammenspiels zwischen der Expression von Adhäsionsmolekülen der Endothelzellen, der Leukozytenaktivierung und der lokalen Zytokinaktivität.

Der entscheidende Schritt zur Migration der neutrophilen Granulozyten an den Ort der Inflammation ist die Adhäsion dieser Zellen an das kapilläre Endothel (FURIE et al.

1987,1989; HARLAN 1987). Der Weg der PMN an und durch das Endothel wird unterteilt in drei Schritte, die jeweils durch verschiedene Adhäsionsmolekülgruppen gesteuert werden:

Man kann differenzieren zwischen den Selektinen, den Integrinen und den Immunglobulinen.

Exprimiert werden sie sowohl von den neutrophilen Granulozyten als auch von den Endothelzellen auf der Zelloberfläche (KUROSE et al. 1994). Daraus kann es zu einer hochaffinen spezifischen Ligand-Rezeptor-Bindung kommen und einer selektiven Akkumulation neutrophiler Granulozyten in dem inflammatorischen bzw. reperfundierten Gebiet.

Aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften der Adhäsionsmoleküle verläuft der Migrationsprozess in drei unterschiedlichen Stadien: Rolling, Attachment und Diapedese.

Von Bedeutung ist auch das von den neutrophilen Granulozyten exprimierte L-Selektin, welches bei der initialen Adhäsion zwischen dem Gefäßendothel und den PMN eine große Rolle spielt (SPERTINI et al. 1991b; RICHTER u. ZETTERBERG 1994; WADDEL et al.

1994, 1995; SIMON et al. 1995).

So sind für das sogenannte „Tethering“ und „Rolling“ der PMN an den Endothelzellen die Selektine verantwortlich zu machen (BARGATZE et al. 1994). Hierbei wird die zunächst rein physikalische transiente Adhäsion der PMN an das Gefäßendothel durch eine herabgesetzte Flussgeschwindigkeit und eine konsekutiv erhöhte Scherkraft erreicht. Dieses „Rolling“ der Neutrophilen auf dem Gefäßendothel wird zum Teil durch das Neutrophilen-Adhäsions-Molekül L-Selektin und das endotheliale P- und E-Selektin verstärkt und gesteuert (ANDERSON u. SPRINGER1987; SPRINGER 1990; BUTCHER 1991). Bei Patienten, die an einem SIRS erkrankt sind, ist die Expression von L-Selektin einer Downregulation durch TNF-α unterworfen (AHMED u. CHRISTOU 1996). In einem Schweinemodell konnte gezeigt werden, dass durch einen monoklonalen Antikörper gegen E- und L-Selektin (EL246) die Konzentration der Neutrophilen und somit ein Gewebeschaden deutlich vermindert werden konnte (RIDINGS et al. 1995; SEEKAMP et al. 1997; VAN GRIENSVEN 1999a).

Als nächstes Stadium im Migrationsprozess folgt das „Attachment“. Das bedeutet, dass die neutrophilen Granulozyten auf den Endothelzellen mittels eines stabilen Zell-Zellkontaktes abgestoppt werden, der durch Integrine ausgelöst wird. Integrine bestehen aus einer - -Untereinheit. Letztere wird noch in β1, β2 und β3 unterteilt, wobei für die PMN-Bindung die β2-Untereinheit die wichtigste ist.

Bei der „Diapedese“ (Transmigration), dem letzten Stadium der Migration, spielen die Immunglobuline eine wichtige Rolle. Das bekannteste Molekül davon ist das ICAM-1 (Intercellular Adhesion Molecule-1) (SPRINGER 1990), es wird überwiegend von Endothelzellen exprimiert.

ICAM-1 konnte von SMITH et al. (1988, 1989) als endothelialer Ligand für die β2-Integrine identifiziert werden.

Bei Patienten, die an den Folgen einer Sepsis verstarben, wurde sowohl eine erhöhte Expression von ICAM am Gefäßendothel festgestellt, als auch eine vermehrte Expression von

2-Integrin auf den neutrophilen Granulozyten. Traumapatienten hingegen, die eine Sepsis überlebten, zeigten basale ICAM-Expressionswerte am Lungengefäßendothel (TSOKOS u.

FEHLHAUER 2001).

2.2.2.1 P-E- und L-Selektine

Das endotheliale Adhäsionsmolekül E-Selektin wird überwiegend von Endothelzellen exprimiert, ausschließlich nach Aktivierung der Zelle. Jede Expression entspricht einer Neusynthese, so dass ein Maximum der Expression erst nach etwa 6-8 Stunden erreicht ist (BEVILAQUA et al. 1987,1989).

Das P-Selektin wurde erstmals auf Thrombozyten entdeckt. Für dessen Expression ist keine De-novo-Synthese erforderlich, da dieses Selektin in intrazellulären Granula gespeichert wird (LARSEN et al. 1990). Exprimiert wird es ebenfalls nur durch Aktivierung der Zelle. Das P-Selektin befindet sich überwiegend auf Endothelzellen, aber auch auf Thrombozyten. Die Expression verläuft innerhalb weniger Minuten, da hierbei lediglich das Selektin aus den Granulae an die Zelloberfläche freigesetzt wird (PATEL 1991).

Das dritte Selektin ist das L-Selektin. Es kommt ausschließlich auf hämatopoetischen Zellen vor (GALLATIN et al. 1983; JUTILA et al. 1989; TEDDER et al. 1990). Als Lokalisation dienen bei den neutrophilen Granulozyten die Mikrovilli, was beim frühen Kontakt des L-Selektins mit den endothelialen Liganden von Vorteil sein kann (TEDDER et al. 1995b).

L-Selektin gehört zur Familie der Selektine, die von evolutionär konservierten Genen kodiert werden und verwandtschaftliche Strukturen aufweisen (TEDDER et al 1989; JOHNSTON et al. 1990; ORD et al. 1990; WATSON et al. 1990; COLLINS et al. 1991).

Strukturell gliedert es sich in vier extrazelluläre Domänen: aminoterminale kalziumabhängige Lektindomäne, epidermale Wachstumsfaktor-ähnliche Domäne sowie zwei short consensus repeat Einheiten. Diese sind homolog mit Domänen komplementbindender Proteine. Die Deletion jeder einzelnen Domäne schränkt die Bindungskapazität der PMN an Endothelzellen ein, was die Domänen bei der Zelladhäsion so wichtig macht (KANSAS et al. 1994;

TEDDER et al. 1995b).

Von dem L-Selektin der PMN können unterschiedliche Liganden benutzt werden. Vermutlich kommen neben P- und E-Selektin auf den Endothelzellen ebenso Kohlenhydrate wie das

sialysierte Lewisx -Antigen, CD34, fucosylatiertes Oligosaccharid und ein sulfatiertes 50 kD Glykoprotein als mögliche Liganden in Betracht (PHILLIPPS et al. 1990; HELFET et al.

1990; PICKER et al. 1991; LASKY et al. 1992; BAUMHUETER et al. 1993). Diese Kohlenhydrate werden in den verschiedenen Geweben differenziert exprimiert, so dass die Folge unterschiedliche Affinitäten für das L-Selektin und auch für die neutrophilen Ganulozyten sind.

Das L-Selektin übernimmt zwei Funktionen: Zum einen die Interaktion zwischen PMN und Endothel (SPERTINI et al. 1991b), zum anderen eine Signalfunktion in die Neutrophilen hinein (RICHTER u. ZETTERBERG 1994; WADDEL et al. 1994, 1995; SIMON et al.

1995).

Zu den bereits erwähnten vier Domänen des L-Selektins zählen noch zwei weitere: eine transmembranale und eine zytoplasmatische Domäne. Letztere verfügt über eine Tyrosinkinase-Aktivität, durch die die Signaltransduktoren Ras, Mitogen-activated-Protein-Kinase und Jun N-Terminal-Mitogen-activated-Protein-Kinase aktiviert werden können (WADDEL et al. 1995;

BRENNER et al. 1996, 1997).

Nach Aktivierung der PMN erfolgt das sogenannte „Shedding“ des L-Selektins. Es kommt zu einer Metalloproteinase vermittelten proteolytischen Spaltung des extrazellulären Anteils des L-Selektins, was man als Shedding bezeichnet (KISHIMOTO et al. 1989, 1990; Griffin et al.

1990; JUNG u. DAILEY 1990; JUTILA et al. 1990; TEDDER et al. 1990; SPERTINI et al.

1991a). Hierbei kann es bei den neutrophilen Granulozyten zur Abspaltung eines Fragmentes mit einem Molekulargewicht von 80 bis 105 kD kommen, bei Lymphozyten von 62 kD (KISHIMOTO 1989; JUNG u. DAILEY 1990; SPERTINI et al. 1991a; SCHLEIFENBAUM et al. 1992; MAEKAWA et al. 1998). Diese Fragmente können als lösliche L-Selektine quantitativ im Serum bestimmt werden. Das Aktivitätsniveau der neutrophilen Granulozyten korreliert mit dem löslichen L-Selektin.

Der Spiegel an löslichem L-Selektin ist sechs Stunden nach dem initialen Trauma am höchsten (MAEKAWA et al. 1998; VAN GRIENSVEN et al. 1999b). Dieses Shedding korreliert mit einer verminderten Exsudation von PMN bei an SIRS erkrankten Patienten (MCGILL et al. 1996). Das PMN-ständige L-Selektin ist bei am septischen Schock Versterbenden signifikant erniedrigt (THIEL et al. 1997). Eine Blockade des L-Selektins mittels eines monoklonalen Antikörpers wirkt schützend gegen einen

Ischämie/Reperfusionsschaden nach hämorrhagischem Schock (RAMAMOORTHY et al.

1996) und auch in der Leber (PALMA-VARGAS et al. 1997).Vermutlich gelangen die PMN nicht an den Ort der Inflammation, was in einem Versuch gezeigt wurde, in dem L-Selektin defiziente Mäuse eine auf 56 bis 62 % verringerte PMN Migration aufwiesen (TEDDER et al.

1995a).