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Sie ist eines der am gründlichsten er- er-forschten Bauwerke des Altertums: die

Cheopspyramide. Dennoch ist ihr Aufbau noch nicht vollständig geklärt. Mithilfe zerstörungsfreier Prüfmethoden hat Doktorand Johannes Scherr einen Blick ins Innere der Pyramide geworfen.

TEXT JOHANNES SCHERR

Auf dem Frühstückstisch im Garten unseres Hotels stehen Ful, ein Mus aus gekochten Sau­

bohnen, frisch frittierte Falafeln und knusp­

riges Pitabrot. Ich esse und lasse den Blick schweifen. Die Cheops, die größte und älteste der drei Pyramiden von Gizeh, liegt einen halben Kilometer entfernt im morgendlichen Dunst. Es ist kurz vor neun Uhr, ich muss los.

Wie jeden Morgen treffen wir unsere ägyp­

tischen Kollegen am Fuß der Pyramide, um gemeinsam die schweren Koffer voller Mess­

geräte zum Chevron hinaufzutragen. Diese Formation aus vier schräg gegeneinander gestellten Gesteinsblöcke, ähnlich einem Giebeldach, ist wahrscheinlich der ursprüng­

liche Eingang zur Cheopspyramide. Die Blöcke tragen Lasten zur Seite ab und stützen so vermutlich einen darunterliegenden Tunnel.

Myonentomografische Messungen des Pro­

jekts ScanPyramids aus dem Jahr 2016 legen

nahe, dass sich hinter diesen Steinwinkeln ein größerer Hohlraum befindet. Diesen Fund will unser ägyptisch­deutsches Forschungs­

team durch weitere Messmethoden verifi­

zieren. Dafür nutzen wir Georadar, Ultra­

schall und elektrische Widerstandstomo­

grafie – zerstörungs freie Prüftechniken, mit denen wir die innere Struktur der Pyramide analysieren können.

Am kleinen Plateau in etwa 20 Metern Höhe angekommen, besprechen wir mit den For­

schungsleitern Prof. Christian Große und Prof. Hany Helal von der Cairo University den Ablauf der heutigen Messungen. Gemeinsam mit meinen Kollegen Johannes Rupfle und Mohamed Elkarmoty will ich Messungen vom sogenannten „Absteigenden Korridor“ aus durchführen, einem Gang der unterhalb des Chevrons ins Innere der Pyramide führt. Es ist windig, Sand fliegt durch die Luft.

Morgendlicher Blick vom Frühstückstisch auf die Cheopspyramide und die Pyramide des Chephren (rechts). BILD Johannes Scherr

54 TUMcampus 2 | 21 nichts mehr mit. Der Gang fällt steil ab und ist nur etwa einen Meter hoch. Johannes, Mohamed und ich montieren kopfüber und mit vereinten Kräften die 300/800­Megahertz­

Radarantenne auf unseren selbstgebauten Messwagen. Ich halte Antenne und Wagen von unten, während Johannes beides an einem Seil herablässt. Mohamed verfolgt die Messungen über den Kontrollbildschirm. Die von der Antenne ausgesendeten elektromag­

netischen Wellen durchdringen den Teil der Pyramide über uns und breiten sich in Kalk­

stein, Granit oder Luft unterschiedlich schnell aus. Von den Grenzflächen zwischen den verschiedenen Medien werden die Radar­

wellen reflektiert. Wie lange sie dann für ihren Rückweg bis zur Antenne benötigen, gibt Auf­

schluss über den Aufbau der Pyramide. Meine Kollegin Polina Pugacheva klebt inzwischen Elektroden an die Außenwände der Pyramide und leitet einen schwachen Strom ein. Mithilfe der elektrischen Widerstandstomografie kann sie bestimmen, ob der Strom durch Gestein fließt oder ob und an welchen Stellen er auf luftgefüllte Hohlräume trifft. Ihre und unsere Messergebnisse zusammen sollen am Ende ein umfassendes Bild von der inneren Struktur der Pyramide ergeben.

Das Team um Johannes Scherr und Prof. Christian Große vom Lehrstuhl für Zerstörungsfreie Prüfung war vom 12. bis 22. November 2020 in Ägypten.

Die Messungen an der Cheopspyramide wurden gemeinsam mit Forschenden um Prof. Hany Helal von der Cairo University im Rahmen des Projekts ScanPyramids durchgeführt. Auf deutscher Seite werden die Messungen gefördert durch die International Graduate School of Science and Engineering (IGSSE) der TUM und den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).

Johannes Rupfle (vorne) und Johannes Scherr bereiten auf einem Gerüst am Chevron die Radarmessungen vor.

BILD Khaled Helal

In etwa 20 Metern Höhe befindet sich der sogenannte Chevron, der vermutlich ursprüngliche Eingang zur Cheopspyramide. Von dieser Stelle aus untersucht das Projekt ScanPyramids die Struktur des Bauwerks.

BILD Johannes Scherr

Global

Zurück im „Absteigenden Korridor“. Bis auf unsere Stirnlampen ist es dunkel. Die feucht­

modrige Luft steht im Gang und lässt uns schnell schwitzen. Immer tiefer arbeiten wir uns gebückt durch den engen Gang vor. Nach etwa hundert Metern, tief unter der Pyramide im anstehenden Gestein, führt ein kleiner, horizontaler Gang in die Felsenkammer, eine von drei Kammern der Cheops. Wir kriechen auf allen Vieren hinein. Endlich können wir uns aufrichten. Ein erhabenes Gefühl, hier unten zu stehen.

Während einer Messung fällt am Kontrollbild­

schirm auf, dass das Messrad der Antenne weiter Distanz aufzeichnet, obwohl der Wagen stillsteht. Wo liegt der Fehler? Wir bauen ab und gehen ins Freie. Es stellt sich heraus, dass der Anschluss des Kabels zur Wegmessung gebrochen ist. Ein Anruf beim Hersteller in den USA liefert Gewissheit: Für heute ist Schluss.

Um die Messkampagne zu retten, brauchen wir zwei neue elektrische Widerstände und eine Lötstation. Unsere ägyptischen Kol­

legen besorgen das Material, Johannes lötet Stecker, Kabel und Widerstände zusammen, wobei der erste Lötkolben die Sicherungen im

Hotelzimmer durchbrennen lässt. Aber unser interdisziplinär aufgestelltes Team meistert alle Herausforderungen. Ein Test am darauf­

folgenden Tag ergibt volle Funktionsfähigkeit.

Es kann weitergehen.

Die Teamarbeit mit unseren ägyptischen Kollegen wird abends bei geschmorter Taube und Minzlimonade vertieft. Nachts im Bett frage ich mich nach den anstrengenden Tagen von Zeit zu Zeit, warum gerade ich die Chance habe, hier zu arbeiten – am einzigen bis heute erhaltenen Weltwunder der Antike, wo schon in der Hochzeit des alten Ägypten vor Tau­

senden Jahren die Menschen erstaunliche zivilisatorische Leistungen erbracht haben.

Zurück in München fällt es mir bisweilen schwer zu begreifen, was wir geleistet haben. Vor Ort haben wir von einem Tag zum anderen geplant, immer die nächste Aufgabe im Blick. Ich hatte kaum Zeit, nachzudenken. Jetzt geht es daran, die gewonnenen Daten zu sortieren, zu prozes­

sieren und zu interpretieren. Mit neuen Erkennt­

nissen fliegen wir vielleicht bald wieder nach Kairo. Ägyptisch essen kann ich in der Zwi­

schenzeit aber glücklicherweise auch hier.

Johannes Scherr bei der Kalibrierung der Permit-tivität des Granits in der Königsgrabkammer. Bei bekannter Dicke des Materials kann durch die Reflektion an der Rück-wand die Permittivität und somit die Geschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen genau bestimmt werden.

BILD Johannes Rupfle

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Der Krebsforscher Jürgen Ruland wurde mit der