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4.6 »Das Referat hat mein Rechner geschrieben« – Cognitive Computing in

4.6.3 Google in der Hosentasche

Es hieß einmal »Wissen ist Macht.« und unser Bild vom Gelehrten als einem Vielwissenden, als einer Art lebendi-ger Bibliothek geistert unbeirrt und unverändert durch unser Denken. Er kennt die Jahreszahl und die Parteien des Westfälischen Friedens, er kann uns das Gravitations-gesetz aufschreiben, er kennt die Tonarten von Beetho-vens Klavierkonzerten und er kann alle Fälle des Russi-schen auflisten. Uns dämmert allmählich, dass das bloße Wissen von Fakten immer wertloser wird. Diese Erkennt-nis dringt erst schleichend in unser Bewusstsein. Je mehr wir den Umgang mit unserem »externen Wissensspei-cher« namens »mobile device« pflegen, desto schneller.

Denn was wir nicht in unseren Köpfen haben, lässt sich sicher im Internet finden und darauf haben wir von fast überall Zugriff.

153 Vgl. (BMZ 2012)

Zugegeben, die damit verbundene Problematik des Wis- sensbegriffes ist nicht neu. Auch ohne kognitive Sys- teme haben wir bereits mit unseren Smartphones das Wissen der Menschheit sozusagen in der Hosentasche – jedenfalls insofern es bereits digitalisiert und verfügbar gemacht wurde. Zwar ist das Auffinden von Wissen über die klassische Suchmaschine nicht unbedingt intuitiv.

Das wird sich mit der Einführung von kognitiven Syste-men aber ändern.154 Die grundsätzliche Frage, was Menschen heute noch explizit – das heißt: auswendig – wissen müssen, ist aber bereits gestellt. Und die Antwort lautet: Verzeichnis- anstatt Faktenwissen.155

Dennoch, die Frage nach der Relevanz von Wissen muss noch einmal, und neu gestellt werden. Denn der Effekt verschärft sich mit Cognitive Computing. Die Erfahrung mit dem Bedeutungsverlust von Faktenwissen kann uns dabei helfen. So wie wir mit dem Google-Effekt156 das Speichern und Wiederfinden von Faktenwissen verlernen, weil wir es nicht mehr brauchen, und wie wir statt dessen

»Orte« von Wissen speichern, Verbindungen zwischen Wissensträgern und Wissen, wie wir lernen, die syntheti-schen Bibliothekare namens Google oder Yahoo geeignet zu fragen: so werden wir mit der Verbreitung von Kognitiven Systemen auch das Entwickeln von Hypothe-sen verlernen. Und werden stattdesHypothe-sen lernen (müsHypothe-sen), die Fragen richtig zu stellen und die Antworten richtig zu deuten.

Es ist heute noch nicht wirklich klar, was dieser Verlust einerseits und der Gewinn andererseits bedeuten werden.

Und auch das Ausmaß und das Tempo der Veränderung sind längst nicht klar. Umso dringender ist ein behut-samer Umgang mit dieser Entwicklung nötig. Denn unabhängig davon, ob wir das schlimm finden oder nicht:

um diese Entwicklung kommen wir nicht herum, ihr müssen wir uns stellen.

Für die Entwicklung eines neuen Curriculums bedeu- tet das:

1. Technologie- und Medienkompetenz muss als Fach etabliert werden, das einmal gleichrangig neben Mathematik und Deutsch stehen wird. Das ist ohnehin längst überfällig. Die Wirtschaftssysteme überall auf der Welt ruhen heute auf technologischen Füßen. Ein reifer Umgang mit Technologie ist heute die Schlüsselkompetenz einer erfolgreichen Wirtschaft.

2. Weil sich die konkreten Werkzeuge in so schnellem Tempo verändern, in immer kürzeren Zyklen neue Geräte mit jeweils neuer Nutzerführung herauskom-men, muss der Unterricht des Faches Technologie- und Medienkompetenz möglichst agnostisch angelegt werden. Das heißt: Fragen der genauen Ausprägung von Wirkungsweisen und deren Bedien-weisen müssen nur exemplarisch gelernt werden, um die dahinter liegenden Prinzipien zu vermitteln.

Dazu mag zum Beispiel das Instrument der Entwurfs-muster157 geeignet erscheinen.

3. Zu den Inhalten des Faches Technologie- und Medien-kompetenz gehören u. a.:

„ Grundverständnis von Programmierung (exempla-risch anhand einer aktuellen Programmiersprache)

„

„ für die reine Informationsverarbeitung

„

„ im Rahmen von Robotik

„ Grundarchitektur des World Wide Web:

„

„ Statisch: Strukturen, Verweisarten und Formate von Information

„

„ Dynamisch: zugreifen auf, abrufen und verändern von Informationen.

154 Vgl. dazu das Kriterium »Interaktivität« im Abschnitt 3.3

155 Vgl. (Sparrow et al. 2011)

156 Vgl. (Bohannon 2011, p. 277)

157 Vgl. (Kohls 2007)

„ Schnittstellen zwischen Daten, Menschen und Maschine

„

„ Ein- und Ausgabemedien

„

„ Wahrnehmungspsychologie und Benutzerführung

„

„ Protokolle, Antwortverhalten und Nachrichtenchoreografien

„

„ Grundlagen von Verschlüsselung und Datensicherheit

„ Gesellschaftliche Auswirkungen von Technik

„

„ Technische und nicht-technische Gesellschaften

„

„ Abhängigkeiten zwischen Menschheit und Maschinenpark

„

„ Wandel des Selbstverständnisses des Menschen im Angesicht zukünftiger Technologien

„

„ »Hygiene«-Richtlinien im Umgang mit den technischen Medien: Suchtpotenzial, Mobbing, Selbstentmündigung, Intimität im Netz, etc.

„ Wirtschaftliche Zusammenhänge, z. B.:

„

„ Wert von Information. Geld verdienen mit Datenverarbeitung

„

„ Roboter als die besseren Arbeiter, das »Internet der Dinge«

„ Künstliche Intelligenz und kognitive Systeme, z. B.:

„

„ Grundverständnis der verschiedenen Ansätze

„

„ Statistisches Grundwissen im Rahmen seiner Bedeutung für die Auswertung von Massen- daten (heute versammelt unter dem Schlagwort

»Big Data« und »Analytics«)

„

„ Grundlagen der natürlich-sprachlichen Analyse und Synthese (Natural Language Processing) 4. Das Fach Technologie- und Medienkompetenz darf

nicht erst in der Sekundarstufe II unterrichtet werden. Die konkreten Ausprägungen in den ver-schiedenen Schulformen und auch entlang der unterschiedlichen Phasen innerhalb einer Schullauf-bahn mögen ausdifferenziert werden. Der Beginn

der Auseinandersatzung mit dem Thema Technik und Medien muss früh beginnen. Idealerweise mit Eintritt in die Grundschule

Ein derart umfangreiches Programm kann nur in Zusam-menarbeit von Bildungs- oder Kultusministerium und Pädagogen entstehen.

Prüfung und Benotung

Wie soll in Zukunft Wissen und kognitive Kompetenz geprüft werden?

Sollen in Zukunft kognitive Systeme zu Prüfungen zugelassen werden wie heute Taschenrechner? Ehrlich:

wieso nicht? Eine Klausur, in der heute ein Taschenrechner zugelassen ist, wird das kleine Einmaleins auch nicht mehr als Gedächtnisleistung abfragen. Sie wird ganz im Gegensatz, zumindest in Teilen, die Fähigkeit einen Taschenrechner schnell und kompetent zu bedienen abfragen.

Außer der Analogie mit dem Taschenrechner sind wir in Deutschland leider noch nicht sehr weit. Ministerien, die Lehrergewerkschaft und auch die Eltern sind sich höchst uneinig darüber, wie sehr schon allein die Nutzung des Internets als Kulturtechnik begriffen und also als Lehrstoff eingefordert werden soll. Erst recht also in der Frage der Nutzung des Internets in Klausuren stehen wir gerade mal am Anfang einer Entwicklung. Europaweit gibt es kaum Beispiele für Prüfungen unter den Bedingungen von zeitgemäßen und in der Arbeitswelt längst etablierten Methoden heutiger Wissensarbeit. Und wo sie versucht werden158, ist die Diskussion noch sehr emotional und das Ergebnis völlig offen.

Warum aber nicht schon einmal vordenken, wenn es um den Einsatz von kognitiven Systemen in der Schule geht?

In Analogie zur Nutzung des Taschenrechners kann schon heute ein Prüfungs- und Benotungssystem zumindest

158 Vgl. (Frei 2015)

vorbereitet werden. Die Auflistung der Inhalte des Faches Technologie- und Medienkompetenz159 kann hier gute Dienste leisten. Denn daraus lassen sich leicht Kompeten-zen ableiten, die in einer Prüfung des Faches abgefragt und benotet werden können. Eine klassische Recher-cheaufgabe mag dabei am Anfang stehen und der Schüler seine Mediennutzungskompetenz daran vorführen.

Benotet wird dann natürlich nicht die vom System ge- gebenen konkreten Antworten sondern die Weise ihrer Hervorbringung durch den Schüler, als auch deren Nutzung bzw. Deutung.