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Cognitive Computing 2015–2020*

4.8 Von Fall zu Fall: Deklaratives oder exploratives Cognitive Computing?

4.8.4 Exploratives Cognitive Computing

Im Cognitive Computing werden aktuell auch Verfahren zum Finden von Neuem und Unbekanntem entwickelt, im Folgenden als exploratives Cognitive Computing bezeichnet. Ziel ist es, in einer umfänglichen Datenaggre-gation und Auswertung unternehmensinterner Daten-bestände Muster und Zusammenhänge jenseits von etablierten und elaborierten Routinen zu identifizieren.

»The trouble with search is that you need to know what you are searching for. If you don’t know everything about your data, you can’t by definition, search for it.«183 Ein exploratives Cognitive Computing versucht, diesen Konflikt durch z. B. selbstorganisierende Mustererken-nung aufzulösen. Explorativ sind diese Verfahren, da außer den Daten selbst keine die Mustererkennung beeinflussenden externen Erfahrungen wie z. B. Trainings-daten oder Wissenskorpora referenziert werden. Saffron 10 ist eine entsprechende B2C Cognitive-Computing- Plattform, die mittels maschinellen Lernens bis jetzt un- bekannte Muster und Zusammenhänge in großen Datenmengen aufspürt.184

Auf der Grundlage eines von Saffron patentierten asso- ziativen Speichers findet die Plattform Verbindungen zwischen Daten verschiedener Quellen, ohne dabei auf vorab deklarierte Regeln einer Domäne zurückzugreifen.

Die Zusammenhänge und Muster werden ausschließlich aus den Daten selbst und durch schrittweises Lernen erkannt.

Zu den täglichen Herausforderungen der Unternehmen gehören auch die Wettbewerbsbeobachtung und für den Marketingbereich das sich immer weiter etablierende Social Media Monitoring. In der Wettbewerbsbeobach - tung betreiben Unternehmen die kontinuierliche und legale Sammlung und Auswertung von Informationen

über Wettbewerber. Unternehmen betreiben Social Media Monitoring zur systematischen Beobachtung von Social-Media-Beiträgen, Diskussionsforen, Weblogs oder auch Social Communities. Gesucht ist hier Neues und Unbekanntes aus externen Quellen. Ziel ist, u. a.

mit Hilfe externer Akteure und externer Wissensbestände Ideen zu generieren, ggf. Problemlagen bzw. relevantes externes Wissen zu identifizieren. Dies stellt Abteilungen innerhalb der Unternehmen vor die Herausforderung, mit der Vielfalt und der damit einhergehenden Komplexität stetig neuer, unbekannter und tagesaktuell verfügbarer Textinformationen umzugehen.

Für die Unterscheidung von deklarativem und explorati-vem Cognitive Computing können die Aufgabe, die Datenstruktur und das Lernverfahren des jeweiligen Ansatzes herangezogen werden. Zum Vergleich mit deklarativen Ansätzen dient ein Vorgehensmodell zur Erschließung und grafisch-textlichen Aufbereitung unstrukturierter Quellen aus dem Internet, das explora-tives Cognitive Computing (Somtxt UG) und Big Data (Brandwatch GmbH) verbindet.

Die Somtxt-UG entwickelt mit Textrapic einen Algorith-mus zur Visualisierung von Textdaten. Die grafischen Karten bilden die wesentliche semantische Struktur eines analysierten Textdatenbestandes ab (vgl. Abbildung 9).

Das Verfahren unterstützt die Reduktion von textlicher Komplexität und das Finden von bislang unentdeckten Informationen und Zusammenhängen.

Brandwatch Analytics gehört zu den führenden Social Media Monitoring Tools. Brandwatch aggregiert Online-Gespräche und stattet Kunden mit grundlegenden Features aus, um diese zu analysieren. Der Brandwatch Crawler ruft mehrfach täglich über 70 Millionen Quellen in 27 Sprachen ab.

183 Vgl. (Jackson 2014)

184 Vgl. (Saffron 2014)

Abbildung 9: Darstellung aus der Dokumentation »Big Data trifft Cognitive Computing«185

Das Vorgehensmodell der Brandwatch GmbH und Somtxt-UG steht für ein exploratives Cognitive Computing:

1. Die wesentliche Aufgabe des Verfahrens ist es, Muster und Strukturen aus inhaltlich unbekannten Daten sichtbar werden zu lassen.

2. Im Bildgebungsprozess der Textdatenvisualisierung werden keine externen Ressourcen wie z. B. Taxo-nomien, Ontologien oder andere Wissensmodelle genutzt. Das Datenmaterial ist nicht kuratierter Plain- text und bis auf einige Metadaten unstrukturiert.

3. Das Training des neuronalen Netzes ist nicht über-wacht, die synaptischen Gewichte ändern sich selbst- organisierend. Auf die Eingabe der operationalisierten Textdaten antwortet das künstlich neuronale Netz mit grafischen Karten.

Die Wissenserschließung aus offenen Quellen erfolgt in drei aufeinanderfolgenden Schritten:

1. Mit den umfassenden und flexiblen Query-Operato-ren der Brandwatch Analytics werden Themen-bereiche definiert Die webbasierte Social-Media-Monitoring-Plattform liefert relevante Daten aus Nachrichtenartikeln, Blogbeiträgen, Foren, Tweets, öffentlichen Facebook-Updates oder anderen sozialen Netzwerken.

2. Von der Somtxt-UG wird ein Textdatendump der Brandwatch-Plattform nach einer computerlinguis-tischen, textstatistischen Vorverarbeitung mittels künstlicher neuronaler Netze visualisiert. Aus den unstrukturierten Texten entstehen etwa 30 Karten, die einem Analysten als grafische Filter zur Verfügung stehen (vgl. Abbildung 10).

185 Vgl. (Pforte 2015)

Abbildung 10: Grafischer Filter im Textrapic Reader186

3. Zur Berichterstellung werden die Muster der Text-visualisierung mit der Textrapic-Reader-Software in lesbaren Text zusammengefasst, wahlweise im beauftragenden Unternehmen oder als Dienstleis-tung der Somtxt-UG. Die grafischen Filter unter-stützen den Analysten, Strukturen zu erkennen, ermöglichen eine fokussierte textliche Reduktion und das Finden von bislang unentdeckten Informa-tionen und Zusammenhängen.

Mit dem Weight-Shot-Operator, einer Funktion in der Textrapic-Reader-Software, die Termgewichte der Karten in einem Schnappschuss festhält, sind einzelne Muster als Szenario speicherbar. Im laufenden Monitoring informiert ein Alert für z. B. tagesaktuelle, in jedem Fall unbekannte Textdumps die Ähnlichkeit zu gespeicherten Szenarien.

Die Texte zur Erstellung eines Szenarios können dabei beliebigen Inhaltes sein. So kann ein Analyst die begriff-lichen Signaturen von Krisen oder Erfolgen Dritter in Relation zu den eigenen, relevanten Mustern bringen.

Ein Benchmark über Weight-Shot-Szenarios verfolgt ein mit konventionellen KPI’s vergleichbaren Zweck, wobei das Kennzahlensystem aus den einzigartigen Begriffs-mustern operationalisiert wird.

4.8.5 Ausblick

Mit Cognitive Computing kündigt sich ein Paradigmen-wechsel in der Wissensarbeit an. Es besteht jedoch kein Grund, Angst zu haben, von den Entwicklungen überrollt zu werden. Es wird viel Zeit und Change Management notwendig sein, um die Vertrauensvor-schüsse der Wahr-Falsch-Differenz Boolescher Algebra in Richtung der neuronal motivierten Abbildungsresultate umzulenken. Die Ausgaben eines Cognitive-Computing-Systems sind weder wahr noch falsch, sie sind für deklarative Cognitive-Computing-Systeme passend oder unpassend, für explorative Systeme relevant oder irrelevant.

Vielmehr besteht Anlass zu neugieriger Erwartung. Mit Truenorth oder vergleichbaren Chiparchitekturen werden Aufwand und Kosten von Ähnlichkeitsberechnungen oder besser -bestimmungen drastisch verringert.

In einer nächsten Entwicklungswelle des Cognitive Com- putings werden deklarative und explorative Netz-architekturen, vereint auf neuronalen Chips, die Anwen-der dazu einladen, umfänglich natürlichsprachlich

186 Vgl. (Pforte 2015)

mit sowohl kuratiertem, als auch unkuratiertem Material zu interagieren.

Die mitunter formulierte Sorge vor den eigenständig von Cognitive-Computing-Systemen getroffenen Entscheidun-gen bleibt bisweilen unbegründet. Die Systeme können das noch nicht. Deklarative Systeme finden lediglich Ähnliches, generieren Ausgaben auf der Grundlage von Trainingsdaten. Explorative Systeme erzeugen Muster, die Bedeutungszuschreibung obliegt exklusiv dem Analysten.

Erst wenn Cognitive-Computing-Systeme der übernächs-ten Generation mit limbischen Architekturmerkmalen verknüpft sind, dürfen wir uns über die Entscheidungen der Systeme wundern, ihnen vielleicht sogar glauben.

Wer es jetzt schon tut, versucht mit einem Stau-Assisten-ten den Großen Preis von Monaco zu gewinnen.