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5. Etablierung von strategischen Partnerschaften

5.3. Russland–Ecuador

5.3.3. Nationale Potenziale Ecuadors

Im leztzen Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts während der Präsidentschaft des Konservativen Sixto Durán Ballén (1992–1996) zeichnete sich Ecuador durch eine relative innenpolitische Stabilität aus. Mit der Amtszeit von Ab-dalá Bucarám (1996–1997) setzte eine zehn Jahre andauernde innenpolitische

Krise im Andenland ein – mit aufeinanderfolgenden Regierungswechseln sowie mit militärischen und zivilen Umstürzen, die durch einen Generalstreik und Anfang Februar 1997 durch massive Straßendemonstrationen, auf denen der Rücktritt des Amtsinhabers gefordert wurde, ausgelöst wurden. Zwischen 1996 und 2007 hatte das Land acht verschiedene Präsidenten. Höhepunkt der Krise war der 7. Februar 1997, an dem gleichzeitig drei Präsidenten die poli-tische Macht in Ecuador für sich beanspruchten.142 Nach einem internen Dis-put übernahm der Präsident des Nationalkongresses Fabián Alarcón die Inte-rimspräsidentschaft bis zu den Neuwahlen im Sommer 1998, aus denen Jamil Mahuad als neuer Staatchef hervorging. Doch auch er hat es nicht geschafft, sich eine komplette Amtszeit an der Macht zu halten und wurde am 21. Ja-nuar 2000 von einer Volksbewegung gestürzt, die von der Konföderation der Indigenen Völkern Ecuadors angeführt wurde (Ordóñez Iturralde/Hinojosa de Aguilar 2015: 45). Anschließend hatte Ecuador zwischen 2000 und 2007 fünf Regierungen143, bis der Ökonom Rafael Correa Ende November 2006 die Präsidentschaftswahlen gewann und am 15. Januar 2007 das Präsidentenamt übernahm.

Der neue Präsident hatte zum ersten Mal in der Geschichte Ecuadors kei-ne eigekei-ne politische Partei und auch keikei-ne Repräsentation im Kongress, son-dern stützte sich auf eine Reihe von linken Bürgerbewegungen, welche alle zusammen die Alianza PAIS – Patria Altiva i Soberana („Aufrechtes und souveränes Vaterland“) bildeten. Der Name der politischen Sammelbewe-gung reflektierte ihr Hauptanliegen – die Transformation Ecuadors hin zu mehr Souveränität und Selbstbewusstsein. Dies sollte mittels einer Bürgerre-volution (Revolución Ciudadana) geschehen, deren erstes Ziel die Verfas-sungsrevolution war: „Das Mandat der Staatsbürgerschaft war klar: Wir wol-len eine tiefgreifende Transformation, unsere herrschenden Klassen sind gescheitert, wir wollen eine Demokratie, in der unsere Stimme gehört wird, in der unsere Vertreter verstehen, dass sie unsere Beauftragten und die Bür-ger ihre Auftraggeber sind.“ (Presidencia República del Ecuador 2007: 2).

Das Ziel war somit die Umgestaltung und Erneuerung der politischen und institutionellen Grundlagen des Landes – ein Vorhaben, das von 78 % der stimmberechtigten Bevölkerung (Dawydow et. al. 2009: 18) unterstützt wur-de.144Die neue Verfassung wurde im September 2008 verabschiedet und

142 Abdalá Bucarám, der vom Kongress abgesetzt wurde, weigerte sich, diese Entscheidung zu akzeptieren, während der Präsident des Kongresses, Fabián Alarcón, als Interimspräsident vereidigt wurde und die Vizepräsidentin Rosalía Arteaga sich selbst zur Präsidentin erklärt hatte (El Tiempo 1997).

143 Regierung der Junta de Salvación Nacional (2000), Regierung des Staatsrates (2000), Gustavo Noboa (2000–2002), Lucio Gutérrez (2003–2005) und Alfredo Palacio (2005–

2007).

144 Am 24. April 2007 stimmten 78 % der stimmberechtigten Bevölkerung für die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung und die Erarbeitung einer neuen Verfassung (Dawydow et. al. 2009: 18).

zeichnet sich einerseits durch die Stärkung des Staates und seiner Kontrolle über „strategische Sektoren“ aus, die entscheidende ökonomische, soziale, politische oder umweltpolitische Bedeutung besitzen (Art. 313), sowie ande-rerseits durch die Rolle der Exekutive, verkörpert durch den Präsidenten, der gemäß der neuen Verfassung einmal wiedergewählt werden darf (Art. 144).

Gleichzeitig weist sie inklusive und dezentralisierende Elemente auf. Ecuador bleibt formal ein einheitlicher Staat, aber seine Verwaltungseinheiten be-kommen eine große politische, administrative und finanzielle Autonomie.

Die Oberhäupter von territorialen Verwaltungseinheiten werden in einer Volksabstimmung für vier Jahre gewählt (Art. 251). Jegliche Art der Diskri-minierung wird in der Verfassung ausdrücklich ausgeschlossen und „der Staat wird positive Maßnahmen ergreifen, die eine wirkliche Gleichstellung zugunsten der Rechteinhaber fördern, die sich in einer Situation der Un-gleichheit befinden.“ (Art. 11).

Die ecuadorianische Innenpolitik zeichnete sich nach 2007 durch Stabili-sierung und Erneuerung aus, wobei zugleich Anzeichen eines „kompetitiven Autoritarismus“145 (Basabe-Serrano/Martínez 2014: 146) sichtbar wurden.

Bereits 2008 bekam das staatliche Fernsehen 15 Mio. US-Dollar von der Regierung, um deren Ideen der Bürgerrevolution zu propagieren. Ende 2008 wurden täglich rund 900 Meldungen über die Arbeit des Präsidenten gesendet (Dawydow et. al. 2009: 25). Das 2013 verabschiedete organische Kommuni-kationsgesetz räumt der Regierung weitgehende Befugnisse zur Einschrän-kung der freien Meinungsäußerung ein (Vivanco 2016), und die vom Parla-ment 2015 bewilligte Verfassungsänderung führte, unter anderem, die unbeg-renzte Wiederwahl des Präsidenten ein (RTVE 2015). Die Gesetzesinitiativen der Regierung wurden von der ecuadorianischen Gesellschaft nicht wider-spruchslos akzeptiert. Sowohl 2015 als auch 2010 kam es nach der Ankündi-gung der Streichung von Bonuszahlungen für die Sicherheitskräfte zu Protes-ten und Ausschreitungen. Dass es in Ecuador trotz immer wieder aufkom-mender Proteste und eines versuchten Staatstreichs146 nicht, wie in den Jahren zuvor, zum Regierungssturz und einer nachhaltigen Destabilisierung gekom-men ist, sondern die politische und institutionelle Ordnung aufrechterhalten werden konnte, zeigt, dass die seit 2007 durchgeführten

Umgestaltungspro-145 Ein System, in dem regelmäßige Wahlen, aber auch ein dauerhafter Machtmissbrauch durch den Präsidenten stattfinden, wie die Verfolgung von politischen Gegnern, Journalis-ten und allen, die sich öffentlich gegen die Regierung positionieren (Vgl. Basabe-Serrano/Martínez 2014: 146).

146 Die Nachhaltigkeit der reformierten politischen Institutionen wurde im Oktober 2010 auf die Probe gestellt, als der Versuch eines Staatstreichs unternommen wurde, hervorgegangen aus Protesten der Sicherheitskräfte gegen ein Gesetz, nach dem ihnen die Bonuszahlungen gestrichen und der Abstand zwischen den Beförderungen erhöht werden sollten (Zeit Onli-ne 2010).

zesse ein stabiles innenpolitisches System geschaffen haben, was für ein selbstbewusstes außenpolitisches Agieren die nötige Voraussetzung darstellt.

Es ist zu vermuten, dass die Stabilität des politischen Systems und des Transformationsprozesses trotz der Unzufriedenheit mit bestimmten politi-schen Regierungsinitiativen vor allem durch anhaltende positive sozioöko-nomische Veränderungen gewährleitet werden konnte.

Sozioökonomische Situation

Mit dem Sieg des konservativen Sixto Durán-Ballén bei der Präsident-schaftswahl 1992 schlug Ecuador die neoliberale ökonomische Richtung ein, die, wie auch in anderen Staaten Südamerikas, mit einem Privatisierungs-programm gemäß IWF-Richtlinien und der Abnahme der Kontrolle des Staa-tes über strategische Wirtschaftssektoren einherging. Diese Maßnahmen sollten den Einfluss des Staates reduzieren, den Markt deregulieren und für den internationalen Handel öffnen – mit schweren ökonomischen und sozia-len Folgen. Der ehemalige ecuadorianische Energieminister Fernando Santos Alvite beschreibt die 1990er Jahre als „ein noch verloreneres Jahrzehnt als das der 1980 Jahre, mit 1999 als dem katastrophalsten Jahr des Jahrhunderts, das nur von 1941/42 übertroffen wurde, mit einem BIP von weniger als 7,3

%, einer dreistelligen Inflation und einer Abwertung, die uns die Landeswäh-rung – den Sucre – kostete.“ (Santos Alvite 2004: 23). Groß waren die Ge-fahr der Pauperisierung und die Migrationsströme aus dem Land, überwie-gend nach Europa und die USA. 2000 hatte die Emigration ihren Höhepunkt erreicht, als insgesamt über 500.000 Personen Ecuador verließen (Bonil-la/Borrero 2008: 17). Die Migrationsbilanz betrug in diesem Jahr ca. 175.000 Personen. Einen geringeren, aber dennoch auffälligen Emigrationsschub gab es auch 2002 und 2006. Der zweite und dritte Emigrationsschub fallen in die Zeit innenpolitischer Turbulenzen mit andauernder Umsturzgefahr, während die erste große Emigrationswelle überwiegend auf sozioökonomische Fakto-ren zurückzufühFakto-ren ist, wie dem Fall der Reallöhne um 40 %, der Kapital-flucht in Höhe von 20 % des BIP, dem Einfrieren von Privateinlagen und der insgesamt angestiegenen sozialen Ungleichheit und Armut (Santos Alvite 2004: 24; Ortiz Crespo 2012: 40). Was nicht heißen soll, dass die sozialen und ökonomischen Probleme um 2006 abgenommen hätten. Der Krisenhöhe-punkt war überwunden, aber 2006 lebten laut Dawydow et. al. (2009: 9) immer noch zwischen 40 % und 50 % der Menschen in Ecuador in Armut, wobei die indigene Bevölkerung mit 80 % besonders betroffen war. Die poli-tische Demokratisierung seit den 1980er Jahren wurde nicht von ökonomi-schen und sozialen Demokratisierungsprozessen begleitet, was in eine anhal-tende Unzufriedenheit mit dem gesamten System mündete. Nicht verwunder-lich ist, dass vor diesem Hintergrund soziale (Frauen, Umweltschützer, Ge-werkschafter) und indigene Protestbewegungen entstanden sind (Ortiz

Cres-po 2012: 40), die die Struktur der ecuadorianischen Gesellschaft in den nach-folgenden Jahren signifikant verändern sollten.

Vorher sozial, ökonomisch und politisch ausgegrenzte Gesellschaftsgrup-pen, verwandelten sich Anfang des 21. Jahrhunderts nach und nach in aktive Mitgestalter, deren Anliegen und Forderungen auf Regierungsseite schritt-weise Beachtung fanden. Insbesondere die indigene Bewegung profilierte sich seit ihren großen Aufständen 1990, 1994, 1997 und 2001, in denen sie gegen die neoliberale Politik der Privatisierung von staatlichen Unternehmen und für die Anerkennung der indigenen Territorien und des plurinationalen Charakters Ecuadors protestierten. Seit 2003 waren die Mitglieder der CO-NAIE und ihrer politischen Partei Pachakutik in der Regierung vertreten (Tello 2012; 75, 78-79). Unter Rafael Correa haben mehrere Vertreter der indigenen Gruppen zum ersten Mal einen Ministerposten bekommen (León Trujillo 2010: 17).147Die sozioökonomischen Veränderungen in Ecuador nach 2007 betrafen aber nicht nur die Indigenen sondern die gesamte Gesell-schaft und hatten damit zu tun, dass sich der Staat mit dem Aufkommen der Bürgerrevolution als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung und der sozia-len Umverteilung etablierte.

Im ersten Amtsjahr Correas (2007) wurden 91.000 neue Arbeitsplätze ge-schaffen und der Mindestlohn um 30 US-Dollar erhöht (Dawydow et. Al.

2009: 16). Auch wenn die Armut in ländlichen Gebieten weiterhin bei etwa.

45 % lag, ist sie im Zeitraum 2006–2014 insgesamt von 38 % auf 26 % zu-rückgegangen, wodurch sich der Anteil der Mittelschicht von 24 % im Jahr 2006 auf 35,7 % 2014 erhöht hat (Barriga López 2014: 293; SENPLADES 2015). Zur Reduzierung der sozialen Ungleichheit initiierte die neue Regie-rung ein groß angelegtes Projekt, das den Menschen als zentrales Element der wirtschaftlichen Entwicklung definierte und besonders großen Wert auf die Förderung des Humankapitals legte.

Wissenschafts- und Humanpotenzial

Trotz seiner vergleichsweise geringen Größe und Bevölkerungszahl besitzt Ecuador aufgrund seiner Demografie ein beträchtliches Humanpotenzial.

Laut dem letzten Zensus von 2010 ist der größte Teil seiner Bevölkerung im Alter von 5-14 und 20-29 Jahren (Altersdurchschnitt 25 Jahre im Jahr

147 Pedro de la Cruz, aus Cotacachi stammender Kichwa-Indigener, war einer der Abgeordne-ten, der dem Präsidenten am nächsten stand. Für dieses und weitere Beispiele vgl. Lalan-der/Ospina Peralta (2012: 40). Doch die anfangs friedliche Beziehung zwischen Rafael Correa und der CONAIE verschlechterte sich im Laufe seiner Regierungszeit aufgrund von zunehmenden politischen Differenzen und extraktivistischen ökonomischen Praktiken wäh-rend seiner Regierung (vgl. Silva/Rossi 2018).

2010).148Somit befinden sich die meisten Personen im erwerbstätigen Alter (15 bis 59 Jahre). Auch wenn der Prozess der Bevölkerungsalterung auch in Ecuador bereits eingesetzt hat, gefährdet er aufgrund seiner geringen Dyna-mik, der sinkenden Sterblichkeit und der wachsenden Lebenserwartung (Bar-riga López 2014: 291) nicht die positive demografische Entwicklung. Laut dem Human Development Report, beispielsweise von 2009, 2010 und von 2015149, bleibt Ecuador unverändert in der Gruppe mit einem „hohen“ Index-stand. In allen drei Fällen befand sich das Land im letzten Drittel und somit nah an die Gruppe mit einem „mittleren“ Stand der menschlichen Entwick-lung. Während der Abstand sich zwischen 2010 und 2015 vergrößert hat, befand sich Ecuador 2009 noch an der Grenze zwischen den beiden Gruppen.

Demnach stellt die Entwicklung des Humanpotenzials eine Herausforderung für Ecuador dar, an deren Bewältigung in den letzten Jahren gearbeitet wur-de, die aber immer noch von Bedeutung ist. Aus diesem Grund hat der ecua-dorianische Staat die Erhöhung des Humanpotenzials zu einem strategischen Ziel erklärt.

Zwischen 1988 und 1996 wurden in Ecuador mehrere Initiativen umge-setzt, um die Qualität der Bildung zu verbessern (Araujo/Bramwell 2015: 1).

Die ökonomische und der Ausbruch der politischen Krise 1996 waren insbe-sondere durch die Unterfinanzierung und erhebliche Rückschritte im Bil-dungssystem gekennzeichnet. Gemäß Daten aus dem Jahr 2000 besuchten 60

% der ecuadorianischen Bevölkerung die Sekundärschule, wobei es in ländli-chen Gebieten nur 40 % waren. Besonders niedrig sind diese Zahlen bei der indigenen und afro-ecuadorianischen Bevölkerung (ebd.: 5). Aus diesem Grund und wegen des hohen Jugendanteils in der Bevölkerung führte die Regierung von Lucio Gutérrez 2003 das Programm „Bonds der menschlichen Entwicklung“ („Bono de desarrollo humano“) ein150. Unter Rafael Correa wurde die Förderung des Humanpotenzials noch entschlossener in Angriff genommen. Gleich im ersten Amtsjahr rief der Präsident im März 2007 einen Ausnahmezustand für den Bildungssektor aus, was ihm ermöglicht hat, büro-kratische Hürden zu umgehen und per Dekret 125 Millionen US-Dollar für Infrastruktur, Textbücher und Lebensmittel in Bildungseinrichtungen freizus-tellen (El Universo 2007). Die Höhe der Zuwendungen im Rahmen der Ent-wicklungsbonds wurde angehoben. Im Gesundheitssektor setzte Correa die

148 Laut den Angaben des Nationalen Instituts für Statistik und Zählung (INEC), angesehen unter: http://www.ecuadorencifras.gob.ec/resultados/ (letzter Zugriff: 21.10.2018).

149 Ein Vergleich mit den UNDP-Berichten über die menschliche Entwicklung aus vorherigen Jahren ist schwierig, da die Kategorie „high development index“ erst ab 2009 eingeführt wurde. Vgl. www.hdr.undp.org (letzter Zugriff: 20.01.2019).

150 Es besteht aus einem monatlichen bedingten Geldtransfer in Höhe von gegenwärtig 50 US-Dollar, die arme Familien etwas entlasten sollen, und sind geknüpft an die Übernahme von Mitverantwortung durch die Familien in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohnen und Beseitigung der Kinderarbeit (Ministerio de Inclusión Económica y Social 2018).

Programme seines Vorgängers Alfredo Palacio fort und vergab 2008 dafür rund 2 Milliarden US-Dollar151(Dawydow et. al. 2009: 17).

Dass die Erhöhung der Bildungsqualität seit 2007 eine schwerpunktmäßi-ge Aufgabe des ecuadorianischen Staates darstellt, schwerpunktmäßi-geht aus der Verfassung von 2008 hervor. Der Artikel 27 gibt Auskunft darüber, dass die „Bildung […] für das Wissen, die Ausübung von Rechten und den Aufbau eines souve-ränen Landes unerlässlich [ist] und […] eine strategische Achse der nationa-len Entwicklung [bildet]“. Sie sei ferner „ein Recht der Menschen während ihres ganzen Lebens“ und stelle „einen vorrangigen Bereich der öffentlichen Politik und von staatlichen Investitionen dar, ist wichtig für die Gewährleis-tung von Gleichheit und sozialer Inklusion und eine wesentliche Vorausset-zung für ein gutes Leben“ (Art. 26). Dennoch zeigten die Ergebnisse der Volkszählung von 2010, dass 6,8 % der Bevölkerung Analphabeten waren (Instituto Nacional de Estadistica y Censos 2010) und eine zwischen 2004 und 2008 durchgeführte Studie demonstrierte, dass sowohl 2004 als auch 2008 lediglich 11 % der Männer und 12–13% der Frauen in Ecuador Hoch-schul- und rund 50 % Grundschulbildung hatten (Bernal/Reyes 2013: 25).

Trotz der Absicht, die Attraktivität der Bildung und die Qualität des Bil-dungssektors mit gezielten Investitionen zu steigern, ist das Niveau der ecua-dorianischen Bildungseinrichtungen im internationalen Vergleich niedrig geblieben. Nach dem Bildungsindex152 der UNO belegte Ecuador 2013 Platz 98 und lag hinter den meisten seiner südamerikanischen Nachbarn. Um die seit 2012 anvisierte Veränderung der Produktionsmatrix153zu erreichen, die auf der Förderung des Humankapitals basieren und eine Technisierung Ecua-dors herbeiführen soll, brauchte das Land eine internationale Zusammenar-beit im Bildungs- und Wissenschaftsbereich. Diese war außerdem nötig, um Ecuador nach der von Correa und seiner Regierung propagierten Idee des

‚Guten Lebens‘ zu einem entwickelten und international konkurrenzfähigen Land zu machen.

151 Kubanische Ärzte wurden eingeladen, um kostenlose augenärztliche Behandlungen für ärmere Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer anzubieten (Dawydow et. al. 2009: 17).

152 S. dazu die Statistik unter: http://hdr.undp.org/en/content/education-index (letzter Zugriff 25.02.2019).

153 Im Regierungsprogramm zur Veränderung der Produktionsmatrix von 2012 steht: „Die Transformation der Produktionsmatrix impliziert den Übergang von einem auf den primä-ren Sektor hin orientierten Produktionsmuster zu einem Muster, das eine diversifizierte, ökoeffiziente Produktion mit höherem Mehrwert sowie Dienstleistungen, die auf Wissens-ökonomie und Biodiversität basieren, fördert. Diese Veränderung wird es uns ermöglichen, unseren Wohlstand nicht nur auf Grundlage der Nutzung unserer natürlichen Ressourcen, sondern auch der Nutzung von Fähigkeiten und Wissen der Bevölkerung zu generieren.“

(SENPLADES 2012: 11).

Identitäten und Perzeptionen

Ähnlich wie in Russland, führte die ökonomische, soziale und politische Krise in Ecuador zum Verlust nicht nur des Vertrauens in die Fähigkeit des Staates, sondern auch des Selbstbewusstseins (Santos Alvite 2004: 23). Am Ende seiner dritten Amtszeit bezeichnete Rafael Correa das wiederbelebte Selbstbewusstsein Ecuadors als die größte Errungenschaft seiner Regierung:

„Heute ist der Stolz wiedererlangt, das Selbstwertgefühl der Ecuadorianer.

Dieser immaterielle, nicht mit ökonomischen Indikatoren zu messende Zu-stand, ist unsere größte Errungenschaft.“ (La Nación 2017). Die Gespräche mit Menschen in Ecuador, die während der Feldforschung für diese Untersu-chung in verschiedenen Kontexten geführt wurden, bestätigen die Behaup-tung Correas, auch wenn nicht alle mit den politischen und sozioökonomi-schen Folgen seiner Politik zufrieden waren.154 Obwohl die Wiederherstel-lung des nationalen Selbstbewusstseins kein explizites und fundamentales Ziel der Regierung der Alianza País war scheint die Ideologie des neuen, vorher nie da gewesenen Entwicklungsmodells, das den Menschen und die Umwelt ins Zentrum rückt, dieses positiv beeinflusst zu haben.

Ideologisch beruhte das Projekt von Correa auf der Kritik des Neolibera-lismus und den negativen Folgen seines Profitstrebens sowie auf der Idee einer gerechten und egalitären gesellschaftlichen Ordnung, dem Buen Vivir.

Die neuen Prinzipien sollten durch eine Bürgerrevolution, also einer Umge-staltung hin zu einem solidarischen und inklusiven Miteinander, etabliert werden (Plan de Desarrollo 2007-2010: 50). Entgegen der auf den ersten Blick suggerierten Einheitlichkeit des neuen Modells, findet man in den im ersten Entwicklungsplan 2007–2010 skizzierten Leitlinien die explizite Ab-lehnung einer homogenen Identität, die ein postkoloniales Element darstellt und Vielfalt nicht als Prinzip der staatlichen Organisation toleriert (ebd.: 51).

Stattdessen gehe ein „plurinationaler megadiverser Staat von der Idee einer Vielzahl von Identitäten aus, die in ständiger Interaktion miteinander eine Reihe komplexer Beziehungen zur Nation reproduzieren.“ (ebd.). Die identi-tätsbasierte Vielfalt gründet sich somit nicht auf der politischen, sondern auf der kulturellen Komponente. Politisch sieht das Modell hingegen wenig He-terogenität vor, zumal der Staat als zentrale Planungs- und Regulierungsin-stanz angesehen wird: „Dies [die neue Entwicklungsvision] impliziert zwangsläufig eine Änderung der Funktion des Staates, der seine Manage-ment-, Planungs-, Regulierungs- und Umverteilungskapazitäten wiederhers-tellt und die Prozesse der Entflechtung, Dezentralisierung und Bürgerbeteili-gung vertieft.“ (ebd.: 6). Ein starker und funktionsfähiger Staat bildet den Kern des Entwicklungsmodells des ‚Guten Lebens‘, das auf

gesellschaftli-154 Hierbei wird nicht auf die strukturierten und aufgezeichneten Experteninterviews Bezug genommen, sondern auf zahlreiche allgemeine Gespräche auf der Straße, in Bussen, im Freundeskreis, mit Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung und mit Unternehmern.

cher Solidarität, nationaler Souveränität sowie einer wirtschaftlichen Ent-wicklung durch die Vergrößerung des Humankapitals und der Achtung des Umweltschutzes und der Biodiversität (Constitución de Ecuador: Art. 276) basiert. Diese Prinzipien, die Ecuador auf der nationalen Ebene implemen-tierte, fanden auch in seiner Außenpolitik Anwendung. Ihre Auswirkungen sowie der Einfluss der innenpolitischen und sozioökonomischen Prozesse auf die Beziehungen zu Russland werden im nächsten Kapitel analysiert.

5.3.4 Implikationen für die strategische Partnerschaft Russland–

Ecuador

5.3.4.1 Rolle der Innenpolitik

Die Behauptung, dass die innenpolitische Situation die bilateralen Beziehun-gen bedingt hat, ist für das Länderpaar Russland–Ecuador Beziehun-genauso gerech-tfertigt, wie für das zuvor analysierte Länderpaar Russland–Brasilien. In den 1990er Jahren herrschten sowohl in dem Andenland als auch in Russland innenpolitische Instabilität und Unruhen. In Russland dauerte diese Phase bis zu den ersten demokratischen Wahlen 1996 an, die Boris Jelzin eine weitere Amtszeit ermöglichte. In Ecuador fing das politische Chaos erst Ende 1996/Anfang 1997 mit dem erzwungenen Rückstritt des Präsidenten Abdalá Bucarám an und dauerte bis 2007. Die Verzögerung bei der Implementierung des Abkommens über die Grundlagen der russisch-ecuadorianischen Zu-sammenarbeit, das 1997 unterschrieben, aber erst 2001 in Kraft getreten ist, ist auf die internen Missstände in Russland und, noch wesentlicher, in Ecua-dor zurückzuführen. Dass diese Annahme nicht unverhältnismäßig ist, lässt sich durch ein Zitat aus der Publikation des Moskauer Lateinamerika-Instituts über die innenpolitischen Veränderungen in Ecuador und die bilateralen russisch-ecuadorianischen Beziehungen belegen:

Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurden mit der makroökonomischen Stabilisierung in der Russischen Föderation und in Ecuador zahlreiche Handelshemmnisse und wirtschaftliche Störfaktoren beseitigt. Mit der innenpolitischen Instabilität des Andenlandes sind jedoch neue Hin-dernisse entstanden. (Dawydow et. al. 2009: 68)

Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurden mit der makroökonomischen Stabilisierung in der Russischen Föderation und in Ecuador zahlreiche Handelshemmnisse und wirtschaftliche Störfaktoren beseitigt. Mit der innenpolitischen Instabilität des Andenlandes sind jedoch neue Hin-dernisse entstanden. (Dawydow et. al. 2009: 68)