• Keine Ergebnisse gefunden

II. Entwicklungspolitik im Kontext der Globalisierung

II.2. Global Governance

Diese mit dem Globalisierungsprozess verbundenen Änderungen der Rahmenbe-dingungen politischer Steuerung greift die Debatte um global governance auf, die Ro-senau (1992) in der Disziplin der IB einleitet. In der von RoRo-senau verwendeten Form einer deskriptiven und analytischen Kategorie weist global governance auf Neuerungen

in den internationalen Beziehungen hin, wie z. B. die zunehmende Bedeutung der inter-nationalen Ebene, die wachsende Relevanz privater Akteure und entsprechende Steue-rungsprobleme des Nationalstaates. Untersucht werden hierbei insbesondere die Ur-sprünge, Funktionsweisen und Wirkungen neuer Formen politischer Regulierung (vgl.

Hummel 2005:131f.). Global governance ist jedoch nicht nur als ein deskriptives oder analytisches Konzept zu sehen, gerade die normative Verwendung als wünschenswertes Programm zur Gestaltung der Weltpolitik ist von praktischer politischer Relevanz und daher auch für das Verständnis der deutschen Entwicklungspolitik von Bedeutung. In den folgenden Ausführungen wird daher das Konzept der global governance vor allem in seiner normativen Ausprägung vorgestellt.

Nach dem Ende des Kalten Krieges sahen reformorientierte Politiker aus dem Umfeld der großen Weltkommissionen4 in den neuen weltpolitischen Rahmenbedin-gungen eine Chance für die friedliche und kooperative Gestaltung der Weltpolitik und gründeten zu diesem Zweck die Kommission für Weltordnungspolitik (CGG).5 Der Ab-schlussbericht dieser Kommission orientiert sich zwar an den Argumenten und Begriff-lichkeiten Rosenaus, etabliert global governance jedoch in der internationalen politi-schen Diskussion als ein normatives Konzept (vgl. Brand & Scherrer 2005:115f.; En-quete-Kommission "Globalisierung der Weltwirtschaft" 2002:45ff.; Hummel 2005:131f.).

Nach der Kommission für Weltordnungspolitik umfasst der Begriff global go-vernance folgende Inhalte:

„Governance ist die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen so-wie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten re-geln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den kontroverse und unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Handeln initiiert werden kann. Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme als auch informelle Regelun-gen, die von Menschen und Institutionen vereinbart und als im eigenen Interesse angesehen werden. (...) Auf globaler Ebene hat man unter Ordnungspolitik bisher vorwiegend das System der zwischenstaatlichen Beziehungen verstanden, doch

4 Die Gründung der Kommission für Weltordnungspolitik ist auf die Initiative Brandts zurückzuführen, der für diesen Zweck neben Vertretern seiner Nord-Süd-Kommission Vertreter der Kommission für Ab-rüstung und Sicherheit, der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung sowie der Kommission des Südens um sich versammelte (vgl. CGG 1995:xv).

5 Die Stiftung Entwicklung und Frieden übersetzte den Begriff global governance mit Weltordnungspoli-tik. Da governance jedoch ein vielschichtiger Begriff ist, für den es keine direkte Entsprechung im Deut-schen gibt, wird in dieser Arbeit außer zur Bezeichnung der Kommission der engliDeut-schen Begriff beibehal-ten.

heute müssen auch Nichtregierungsorganisationen (...), Bürgerbewegungen, mul-tinationale Konzerne und der globale Finanzmarkt mit einbezogen werden. (...) Es gibt weder ein einziges Modell oder eine einzige Form der Weltordnungspolitik, noch existiert eine einzige Ordnungsstruktur oder eine Gruppe solcher Strukturen.

Es handelt sich um einen breit angelegten, dynamischen und komplexen Prozess interaktiver Entscheidungsfindung, der sich ständig weiterentwickelt und sich än-dernden Gegebenheiten anpasst“ (Stiftung Entwicklung und Frieden 1995:4f.).

Das Konzept der global governance umfasst demnach Prozesse kollektiver Ent-scheidungsfindung sowie kollektiven Handelns staatlicher und nicht-staatlicher Akteure und plädiert für eine kooperative und anpassungsfähige Form der Problembearbeitung.

Global governance ist dabei als ein Mittel zum Zweck anzusehen, das der effektiven Umsetzung politischer und gesellschaftlicher Ziele dient (vgl. Enquete-Kommission

"Globalisierung der Weltwirtschaft" 2002:417). Es ist nicht mit global government, d.h.

Weltregierung oder Weltstaat, gleichzusetzen, sondern integriert all diejenigen Akteure, die über die Fähigkeit verfügen, Ergebnisse zu erzielen (vgl. CGG 1995:xvi, 4). Da Re-gierungen und staatliche Zusammenschlüsse nicht allein über das Wissen um Wir-kungszusammenhänge und die erforderlichen Fähigkeiten zur Rahmensetzung und Durchsetzung von Ordnungen verfügen, sind sie auf Know-how und Kooperation mit privaten Akteuren angewiesen (vgl. Messner 2005:40).

Nichtsdestotrotz gelten Staaten als primäre Akteure der global governance, da al-lein sie autoritative Entscheidungen treffen können. Sie werden durch private Akteure nicht ersetzt, sondern ergänzt (vgl. CGG 1995:4; Enquete-Kommission "Globalisierung der Weltwirtschaft" 2002:420f.; Keohane & Nye 2002:202–204; Nuscheler 2000:478).

Des Weiteren erfüllen auch internationale Organisationen und internationale Regime im Rahmen von global governance wichtige Funktionen (vgl. Enquete-Kommission "Glo-balisierung der Weltwirtschaft" 2002:425f.; Messner 2005:38f.; Nuscheler 2000:476).

Das auf Territorialität, Unabhängigkeit und Nichtintervention beruhende Souveränitäts-konzept verliert mit zunehmender Interdependenz an Bedeutung und wird durch ein System geteilter Souveränitäten abgelöst, in dem Souveränität kollektiv gesichert wird, um staatliche Handlungsfähigkeit zu stabilisieren bzw. bereits verloren gegangene Ge-staltungsräume zurückzugewinnen. Das Einfügen der Nationalstaaten in dieses System geteilter Souveränitäten wird also nicht als eine Einschränkung gesehen, sondern als eine Bedingung zur Ausweitung politischer Steuerungsfähigkeit in einer immer

interde-pendenteren Welt (vgl. CGG 1995:337; Messner 2001:35, Messner 2005:27f.; Reinicke 1998:62–74).

Global governance zeichnet sich durch netzwerkartiges Zusammenwirken von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren aus. Ziel ist nicht die hierarchische Steuerung und die Zentralisierung von Politik auf der Weltebene, sondern die vernetzte Mehrebe-nenpolitik, die lokale, nationale, regionale und globale Ebenen miteinander verbindet.

Staaten geben hierbei Kompetenzen nach oben und unten ab, um nach dem Prinzip der Subsidiarität Problemlösungen auf derjenigen Ebene anzusiedeln, die sachlich und or-ganisatorisch angemessen ist und auf der Probleme möglichst effizient und partizipativ behoben werden können (vgl. CGG 1995:4f.; Enquete-Kommission "Globalisierung der Weltwirtschaft" 2002:419ff., 450f.; Messner 2005:37ff.).

Die Herstellung einer effektiven global governance -Architektur ist mit einer Rei-he von Schwierigkeiten und Herausforderungen verbunden. Neben der Lösung von Ko-ordinationsproblemen im Rahmen der Mehrebenenpolitik ist hierbei insbesondere die inklusive und partizipative Gestaltung von Strukturen hervorzuheben, um Blockaden aufgrund von asymmetrischen Verhandlungsstrukturen verhindern sowie Entscheidun-gen innerhalb des Systems der global governance legitimieren zu können (vgl. CGG 1995:4ff.; Messner 1999:56). Diese angestrebte inklusive und partizipative Gestaltung von global governance bietet einen wichtigen Anknüpfungspunkt für eine Entwick-lungspolitik im Sinne globaler Strukturpolitik.