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1 E INLEITUNG

1.1 G

EWEBEZÜCHTUNG

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ISSUE

E

NGINEERING

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Die Gewebezüchtung bzw. das Tissue Engineering wurde 1993 definiert als „ein interdisziplinärer Bereich, der die Prinzipien der Ingenieurs- und Biowissenschaften vereint, um biologische Substitute zu entwickeln, die biologische Gewebefunktionen und ganze Organe wiederherstellen, erhalten oder verbessern sollen“.1 In den vergangenen zwei Jahrzehnten kam es in der Gewebezüchtung zu beträchtlichen Fortschritten in den verschiedensten Bereichen, wie z. B. der Herstellung von alternativen Biomaterialien sowie der Entdeckung und Entwicklung neuer Medikamente und Biofabrikationsstrategien.2-8 Die derzeit in der Gewebezüchtung und regenerativen Medizin angewandten Therapien können in drei Hauptansätze unterteilt werden: A) Klassische Gewebezüchtung bzw.

Stammzelltherapie, B) Einsatz von Gerüsten (Scaffolds), die durch traditionelle oder additive Fertigungsverfahren hergestellt werden. Die Trägermatrices werden dabei entweder ohne oder mit Zellen implantiert und C) die Implantation von zellbeladenen dreidimensionalen (3D-) Konstrukten, die mit Hilfe der Biofabrikation hergestellt werden (Abb. 1).

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Abbildung 1. Ansätze der Gewebezüchtung und regenerativen Medizin. A) Klassische Gewebezüchtung bzw. Stammzelltherapie; B) Einsatz von Gerüsten (Scaffolds), die durch traditionelle Fabrikationstechniken oder additive Fertigungsverfahren hergestellt werden. Die Trägermatrices werden dabei entweder ohne Zellen (Strategie 1), nach dem Aussäen der Zellen (Strategie 2), oder nach der in vitro Kultivierung implantiert (Strategie 3); C) Biofabrikation für die Herstellung zellbeladener 3D-Konstrukte, die anschließend implantiert werden. SLA: Stereolithographie; SLS:

selektives Lasersintern; FDM: Fused Deposition Modeling (Schmelzschichtung); 3DP: 3D-Druck.

Modifiziert nach Pereira & Bártolo, Engineering 2015, 1(1): 90-112 mit freundlicher Genehmigung des Verlages Chinese Academy of Engineering & Higher Education Press.

In der klassischen Gewebezüchtung bzw. Stammzelltherapie werden die Zellen entweder vom Patienten selbst (autolog) oder von einem Donor (allogen, xenogen) gewonnen und verschiedenen Weiterverarbeitungsschritten unterzogen, bevor sie erneut in den Patienten

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3 injiziert werden.9 Bevor dies geschieht, werden die gewonnenen Zellen nach der Isolierung in vitro in einer 2D-Zellkultur gezüchtet. Dieser Therapieansatz ist relativ einfach durchführbar, allerdings haben in vielen Bereichen solche Verfahren trotz langjähriger Forschungen nicht zum Durchbruch geführt, weder für therapeutische Anwendungen noch für die Herstellung funktionaler humaner ex vivo Gewebeäquivalente. Die injizierten Zellen können oft nur schwer in einem klinisch relevanten Zeitraum ohne Abnahme der Zellvitalität in der gewünschten Position überleben. Eine Alternative wäre hingegen die Zellimmobilisierung in Vesikeln, so dass die Zellen länger im Zielgewebe verweilen können bevor eine neue natürliche extrazelluläre Matrix (EZM) aufgebaut ist.10

Für komplexe dreidimensionale Gewebe und schwerwiegendere Verletzungen werden vorgefertigte Trägermatrices mit Zellen besiedelt, die die Infiltration sowie Zelladhäsion, -migration, -proliferation und -differenzierung ermöglichen.2, 11 Bereits in den frühen 70er Jahren wurde vermutet, dass mit Hilfe von neuen biokompatiblen Materialien Zellen in ein synthetisches Stützgerüst eingelagert werden können, so dass anschließend nach Implantation in einen Organismus die Synthese neuer EZM gefördert wird und schließlich ein neues, funktionelles Gewebe entsteht.12 Nach der Herstellung der porösen 3D-Scaffolds werden diese über die gesamte Trägerstruktur mit Zellen besiedelt.

Anschließend erfolgt ein Reifungsprozess, vorzugsweise in einem Bioreaktor, bei dem ein Zell-Material-Verbund gezüchtet wird, der als Gewebeersatz in den Patienten implantiert wird. Traditionelle Fabrikationstechniken, wie z. B. Gefriertrocknung, das Auslagen von Salz (Salt leaching) oder das Aufschäumen (Gas foaming), werden immer noch zur Herstellung dieser porösen Strukturen verwendet (Abb. 1B).13-14 Der kontinuierliche Gebrauch ist vor allem auf die einfache Herstellungsweise und die geringen Kosten zurückzuführen.

Allerdings ist ein entscheidender Nachteil, dass die innere Architektur (z. B. Porosität, Porengröße und Poreninterkonnektivität) nur schwer kontrolliert werden kann.15 Im Gegensatz dazu können mit Hilfe additiver Fertigungsverfahren, wie beispielsweise Stereolithographie (SLA), selektives Lasersintern (SLS), Schmelzschichtung (Fused Deposition Modeling; FDM) und 3D-Druck (3DP) Scaffolds mit erhöhter Genauigkeit, Auflösung und Reproduzierbarkeit hergestellt werden (Abb. 1B).2, 14

Additives Manufacturing (AM), auch als Rapid Prototyping oder einfach dreidimensionales (3D-) Drucken bezeichnet, zeichnet sich dadurch aus, dass die gewünschte Struktur durch einen automatisierten computergesteuerten Prozess direkt Schicht-für-Schicht ohne eine externe Form aufgebaut wird und somit komplexe, heterogene Scaffolds geschaffen werden.

Open-Source-Projekte wie RepRap und Fab@home haben additives Manufacturing für Privatanwender erschwinglich gemacht und führten somit zu einer hohen Akzeptanz des 3D-Druckens (Abb. 1B). Die entwickelten Desktopdrucker basieren auf der Fused Deposition

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Modeling-Methode und können 3D-Scaffolds aus thermoplastischen Materialien mit einer Auflösung von 200-400 µm herstellen.16 Andere Systeme wie selektives Lasersintern erlauben die Herstellung von sehr komplexen Strukturen mit einer Auflösung von 50-300 µm, werden allerdings hauptsächlich in der Industrie eingesetzt.17 Sowohl FDM als auch SLS werden verwendet, um thermoplastische Polymere zu verarbeiten. Mittels hoher Temperaturen wird zunächst das Material geschmolzen. Anschließend werden 3D-Strukturen durch kontrolliertes Aushärten des Thermoplasts hergestellt. Alternative Technologien zur Verarbeitung von beispielsweise Hydrogelen, um komplexe 3D-Scaffolds herzustellen, sind u. a. die Zwei-Photonen-Polymerisation und die Stereolithographie. Sie nutzen Licht, um meist radikale Polymerisation räumlich begrenzt zu induzieren und somit definierte Strukturen zu erstellen. Obwohl die Konstruktgröße begrenzt ist, können durch die 2PP-Methode Konstrukte mit einer Auflösung kleiner als 100 nm hergestellt werden. Dies ist vor allem für die Analyse von Zell-Matrix-Interaktionen interessant.18 Im Gegensatz zur Zwei-Photonen-Polymerisation können mit Hilfe der Stereolithographie Konstrukte im Zentimeter-Bereich hergestellt werden. Der größte Nachteil der licht-induzierten Prozesse ist die begrenzte Anzahl an prozesskompatiblen Materialien. Zudem ist beim Drucken von zellenthaltenen Hydrogelen entscheidend, dass der Photoinitiator nicht zytotoxisch ist (Abb. 1B).19 Die Wahl der Methode hängt sowohl von dem zu druckenden Material als auch von der daraus resultierenden Struktur (Größe, Architektur, Auflösung) ab. Der Vorteil aller additiven Technologien ist die verbesserte Kontrolle über die Eigenschaften der 3D-Scaffolds. Allerdings ist der entscheidende Nachteil, dass die Zellbesiedlung nicht homogen über das Gerüst verteilt ist, und somit die Neubildung von Blutgefäßen, also die Vaskularisierung, unzureichend ist, wodurch das Gewebewachstum ungleichmäßig erfolgt.20 Lebende Zellen und Signalmoleküle können nicht während des Herstellungsprozesses hinzugegeben werden, da die langwierige Produktion sowie die rauen Bedingungen und die schädlichen Lösungsmittel einen negativen Einfluss haben.15

Die Implantation von zellbeladenen Matrices, also die gleichzeitige Verarbeitung von Zellen und Biomaterialien, scheint eine vielversprechende Alternative darzustellen (Abb. 1C). In der Biomaterialforschung und Gewebezüchtung wird dieses Verfahren seit Beginn des Einsatzes additiver Fertigungsverfahren als Biofabrikation bzw. Biodrucken bezeichnet. Bei der Biofabrikation können Zellen, Signalmoleküle und Materialien direkt in gewebeartige Strukturen überführt werden. Dadurch kann bereits vor der biologischen Reifung in Kultur eine dem natürlichen Gewebe nachempfundene Struktur erzeugt werden und die notwendige Reifungszeit minimalisiert werden.

Um Zellen sowohl auf zwei- als auch auf dreidimensionalen Matrices züchten zu können, ist es wichtig, die Zell-Matrix-Interaktionen zu verstehen. Im folgenden Kapitel werden die

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5 unspezifischen und spezifischen Interaktionen zwischen Zellen und der jeweiligen Matrix (EZM oder das eingesetzte Material) näher erläutert.