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2. Konzeptionelle Grundlagen einer Gesundheitsberichterstattung an

2.3 Gesundheitsverhalten

Dass Risikoverhaltensweisen mit gesundheitsbeeinträchtigenden Konsequenzen verbunden sind, ist durch epidemiologische Studien vielfach belegt. Erste überzeugende Ergebnisse stammen aus der Alameda County Studie, in der über 7.000 Personen 10 Jahre lang beobachtet wurden. Ge-sundheitsgerechtes Verhalten wurde dort operationalisiert durch Nichtrauchen, mäßigen Alko-holkonsum, Schlafdauer von 7 bis 8 Stunden pro Nacht, kein Übergewicht, regelmäßige Bewe-gung und Mahlzeiten (3 pro Tag). Der aus diesen Faktoren gebildete Index korrelierte signifikant mit dem subjektiv gemessenen Gesundheitszustand, auch die Mortalitätsraten in verschiedenen Altersklassen variieren mit der Indexhöhe. Viele weitere Belege für diesen Zusammenhang

wur-Ressourcen

Belastungen

Gesundheit +

--

Zeitachse

den seitdem erbracht und haben Präventionsziele und –programme stimuliert. Derzeit werden in nationalen (BZgA) und internationalen Kontexten (WHO) die Verhaltensbereiche Ernährung und Bewegung priorisiert. Die nachfolgende Tabelle enthält gesundheitsriskante Verhaltensweisen und mögliche Krankheitsfolgen. Neben riskanten Verhaltensweisen, die zu verschiedenen gesundheitlichen Konsequenzen beitragen, wie z.B. Rauchen, welches mit koronaren Herz-krankheiten, Bronchitis oder Infektionskrankheiten assoziiert ist, gibt es auch solche Verhal-tensweisen, die mit einer bestimmten Erkrankung verknüpft sind (z.B. Sonnenbaden mit

Hautkrebs). Mit Blick auf die vorab referierte Diskussion zum Risikofaktorenmodell lassen sich diese Faktoren nicht als Krankheitsursachen sondern als beitragende Faktoren (contributory cau-ses) verstehen, deren spezifischer Anteil an der Entstehung bzw. Aufrechterhaltung einer Er-krankung weitgehend ungeklärt ist.

Tabelle 5: Überblick über verbreitete Gesundheitsverhaltensweisen und ihre möglichen Konsequenzen (in Anlehnung an Faltermaier, 2005, S. 137, erweitert durch den Verfasser)

Risikoverhaltensweisen Krankheitsfolgen Rauchen Tabakkonsum koronare Herz-Kreislauferkrankungen, chronische

Bronchitis, Infektionskrankheiten illegaler Substanzmittelgebrauch Abhängigkeit / Suchterkrankung

übermäßiger Alkoholkonsum koronare Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Leber-zirrhose, Unfälle/Gewalt; Abhängigkeit

ungesunde Ernährung

(reich an Kalorien, gesättigten Fettsäuren, tierischem

Cholesterin, Salz) Krebs, koronare Herz-Kreislauferkrankungen Übergewicht

(Fehlernährung / Bewegungsangel) koronare Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Be-wegungsapparat (Rücken, Gelenke)

exzessives Sonnenbaden Hautkrebs

riskantes Sexualverhalten Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS) oder andere sexuell übertragbare Krankheiten

mangelnde Zahnhygiene Karies / Parodontose

riskantes Autofahren / keine Verwendung des

Sicher-heitsgurtes Unfälle / Schwere der Unfallfolgen

geringes Vorsorgeverhalten

(Früherkennungsuntersuchungen / Impfverhalten) verspätete Behandlung von Krankheiten

Ziel der Verhaltensprävention ist es, einen Beitrag zur Senkung der Inzidenzraten dieser Erkran-kungen zu leisten. Aus epidemiologischer Forschung resultieren vielfach die Zielvorgaben für die Prävention und ebenso auch mögliche Evaluationskriterien (Senkung der Inzidenzraten um xx %). Im Falle riskanter (z.B. Rauchen) oder unterlassener (z.B. Impfschutz) Verhaltensweisen bedarf es verhaltensmodifzierender Interventionen. Dies ist ein Arbeitsgebiet, dem sich die Ge-sundheitspsychologie widmet. Kenntnisse verhaltensauslösender oder –stabiliserender

Kompo-nenten werden gewonnen, um Präventionsangebote besser auf die Zielgruppe abstimmen zu können. Die Erträge für die Gesundheitsberichterstattung sollen nachfolgend skizziert werden.

Die Psychologie des Gesundheitsverhaltens – als Teilgebiet der Gesundheitspsychologie – ist einer biopsychosozialen Perspektive verpflichtet. Gesundheitsverhalten ist eine „präventive Le-bensweise, die Schäden fernhält, die Fitness fördert und somit auch die Lebenserwartung verlän-gern kann“ (Schwarzer, 2004, S. 3; 2006). Um Verhaltensänderungen erklären oder vorhersagen zu können, bedarf es entsprechender theoretischer Modelle. Ausgangspunkt der meisten Modelle ist, dass Verhalten zweckrational und durch persönliche Dispositionen (Einstellungen, Überzeu-gungen, Persönlichkeitsmerkmale) gesteuert wird26. Aus diesem Grunde kapriziert sich der größte Teil der Gesundheitsverhaltensforschung auf überlegtes, geplantes Verhalten. Zurück ge-griffen wird hierbei auf die von Icek Ajzen und Martin Fishbein formulierte Theorie des durch-dachten bzw. überlegten Verhaltens (theory of reasoned action), die von den Autoren zur Theorie des geplanten Verhaltens (theory of planned behavior) weiter entwickelt wurde. Als verhaltens-steuernde Dimensionen enthält diese Konzeption Einstellungen gegenüber spezifischen Verhal-tensweisen, subjektive Normen und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle (vgl. Abbildung 14). Die Bewertung der Durchführung eines bestimmten Verhaltens durch die handelnde Person als positiv oder negativ ist Ausdruck der Einstellungskomponente gegenüber diesem spezifi-schen Verhalten. Die subjektive Norm beschreibt die Überzeugung, wie andere wichtige Perso-nen das betreffende Verhalten beurteilen und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle beinhal-tet die Einschätzung, ob und inwieweit das vorherzusagende Verhalten überhaupt von der han-delnden Person kontrolliert werden kann (perceived behavioral control). Alle drei Dimensionen zusammen sind zur Prädiktion einer Verhaltensintention wichtig, die wahrgenommene Verhal-tenskontrolle wirkt aber darüber hinaus auch direkt auf das tatsächliche Verhalten.

Verhaltenskonsequenzen gelten in diesem Modell als Determinanten der Einstellung gegenüber dem Verhalten. Normative Überzeugungen und Ressourcen, Fertigkeiten und Verhaltensopti-onen gehen neben vorausgehenden eigenen oder fremden Erfahrungen bezüglich dieses Verhal-tens in die wahrgenommenen VerhalVerhal-tenskontrolle mit ein. Das Modell hat sich empirisch be-währt, vor allem die Hinzunahme der Verhaltenskontrolle27 hat die Prädiktion der Verhaltensin-tention und noch stärker des Verhaltens verbessert. Aufgrund des hohen Allgemeinheitsgrades des Modells wurde es vielfach angewendet. Auch Autoren, die mit anderen

26 Aus der sozialpsychologischen Forschung ist bekannt, dass sog. „spontanes Verhalten“ stärker von situativen Kontextmerkmalen beeinflusst wird denn von persönlichen Dispositionen. Personen handeln nur dann ihren eigenen Einstellungen entsprechend, wenn ihnen diese im Handlungsvollzug bewusst sind (Aronson, Wilson & Akert, 2004).

logischen Modellen arbeiteten, konnten zeigen, dass der Verhaltenskontrolle ähnliche Dimen-sionen, wie z.B. Selbstwirksamkeitserwartungen (self efficacy expectancies), Ergebniserwar-tungen und –bewerErgebniserwar-tungen unterliegen, die die Prädiktion einer Intention zur Verhaltensänderung sowie des gezeigten Verhaltens verbessern ließ (Boer & Seydel, 1996; Maddux & Rogers, 1983;

Schwarzer & Fuchs, 1996).

Die Theorie des geplanten Verhaltens gilt als empirisch gut bestätigt und liefert präzise Messvor-schriften für die Modellkomponenten (Sniehotta & Schwarzer, 2004). Die Prädiktion des Verhal-tens über die Intention erwies sich nicht nur empirisch nicht als zufriedenstellend. Korrelationen zwischen .20 bis zu .40 werden in unterschiedlichen Studien berichtet. In den letzten Jahren wurde genau diesem Bereich, der sog. „Intentions–Verhaltenslücke“ größere Aufmerksamkeit gewidmet (Keller, S., 1999; Prochaska, Johnson & Lee, 1998; Sniehotta & Schwarzer, 2004;

Weinstein, Neil. D., Rothman & Sutton, 1998). Verschiedene Konzeptionen wurden vorgelegt, die den konkreten Änderungsprozess modellieren (s.u.).

Verhaltensänderungen werden in der Gesundheitspsychologie häufig auf der Grundlage der sozi-alen Lerntheorie von Bandura (1997) konzipiert. Als zentrale Komponenten gelten dort die Selbstwirksamkeitserwartung (self–efficacy) und die Handlungs–Ergebniserwartung (outcome–

expectancy). Erstere bezeichnet die subjektive Gewissheit, mit der neue oder schwierige Anfor-derungen, deren Lösung Ausdauer oder Anstrengung erfordern, aufgrund eigener Kompetenzen bewältigt werden können28. Die Handlungs–Ergebniserwartung kennzeichnet hingegen den zur Anforderungsbewältigung geschätzten notwendigen Handlungsaufwand. Während die Selbst-wirksamkeitserwartung damit den stärker personalen Anteil umreißt mit Antworten auf die Frage: Welche Kompetenzen stehen mir zur Bewältigung der Anforderung zur Verfügung bzw.

welche Fertigkeiten muss ich mir ggf. noch aneignen, thematisiert die Handlungs–Ergebnis–Er-wartung den stärker situationalen Anteil: Was ist zur Bewältigung dieser Anforderung erforder-lich? In diese Einschätzung fließen spezifische (z.B. wenn ich die Veranstaltungsinhalte beherr-sche, bin ich für die Prüfung gut vorbereitet) und universelle Zusammenhänge (z.B. eine gute Note in dieser Prüfung ist für meinen Studienabschluss bzw. eine später angestrebte berufliche Tätigkeit von besonderer Wichtigkeit) zwischen Handlung und Ergebnis ein. Beide Dimensionen (Selbstwirksamkeitswahrnehmung, Handlungs–Ergebnis–Erwartung) haben in kognitiv orien-tierten Verhaltensmodellen ihren festen Platz.

27

Einstellung gegenüber dem Verhalten:

die spezifische Einstellung dem Verhalten gegenüber, nicht die allgemeine

Einstellung

Subjektive Normen: Überzeugung, wie andere, wichtige Menschen das betreffende Verhalten sehen

Verhaltensintention Verhalten

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle:

die Leichtigkeit, mit der das Verhalten nach Überzeugung des Betreffenden durchführbar ist

Abbildung 14: Die Theorie des geplanten Verhaltens (Quelle: Aronson et al., 2004, S. 255)29

Eine weitere Dimension ist aus dem Vorläufer „moderner“ Gesundheitsverhaltensmodelle be-kannt, dem health–belief–model, und mit Risikowahrnehmung bezeichnet (Rosenstock, I. M., 1974; Sheeran & Abraham, 1995). Diese bildet ab, ob eine Person das eigene Verhalten für gesundheitsrelevant hält (z.B. Rauchen) und dieses mit gesundheitlichen Konsequenzen ver-knüpft (z.B. Lungenkrebs). Hier zeigt sich z.B. bei Rauchern, dass diese ihr eigenes Rauchver-halten als risikoärmer bewerten als das anderer Raucher. Sie trauen sich häufig zu, ihr VerRauchver-halten von einem auf den anderen Tag ändern zu können (optimistischer Fehlschluss; s.u.). Manchmal findet sich auch, dass das wahrgenommene Risiko durch das Rauchverhalten mit Verweis auf andere gesundheitsbezogene Verhaltensweisen (viel Bewegung, gesunde Ernährung o.ä) abge-wertet wird. Hierzu postulieren die Autoren des Modells gesundheitsbezogener Überzeugungen (health belief model), dass neben der eigenen Verwundbarkeit der wahrgenommene Schwere-grad einer Erkrankung für das Vorsorgeverhalten bzw. des Aufsuchens medizinischer Beratung und Behandlung prädiktiv ist. Das mit dem Verhalten verbundene gesundheitliche Risiko wird vielfach unterschätzt, Gleiches gilt auch für die Bewertung von Krankheiten. Die objektiven Ri-siken einer Erkrankung werden verkannt, Symptome nicht ernstgenommen, gesundheitliche Fol-gen bagatellisiert. Dieses Verhalten korrespondiert mit einer dysfunktionalen Variante des Opti-mismus, die zu „optimistischen Fehlschlüssen“ verleitet. Verzerrte Wahrnehmungs– und Bewertungsprozesse führen zu der Überzeugung, dass ein handlungsstimulierendes Gefühl der Bedrohung nicht entsteht und das risikobehaftete Verhalten beibehalten wird.

Empirisch gibt es für die Wirksamkeit beider Dimensionen (Schweregrad, Verwundbarkeit) zur Vorhersage des Gesundheitsverhaltens nur schwache Befunde, dies wird aber auf mangelnde

29 die im Original bei Ajzen & Madden (1985) enthaltene Wirkung von der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle auf das Verhalten wurde vom Verfasser hinzugefügt

Präzision bei der Formulierung der Konzepte und daraus folgenden Operationalisierungspro-blemen zurückgeführt. Die Autoren haben ihr Modell zwischenzeitlich revidiert in dem Sinne, dass analog zu den Wirkannahmen in der sozialen Lerntheorie von Bandura vorbeugende oder schützende Maßnahmen dann ergriffen werden, wenn gesundheitliche Dinge als bedeutsam be-wertet, die Anfälligkeit für Erkrankungen bejaht wird und das zukünftige Verhalten unter Kos-ten–Nutzen Aspekten als günstig bewertet wird (Rosenstock, Irwin M, Strecher & Becker, 1988).

Die vorab genannten Modelle (health–belief–model; theory of planned behavior) gehören zur Klasse sog. „statischer“ Prädiktionsmodelle gesundheitlichen Verhaltens, deren Gewinn darin besteht, dass sozial–kognitive Merkmale wie z.B. die Risikowahrnehmung oder die Verhaltens-kontrolle zur Vorhersage gesundheitsbezogener Verhaltensintentionen sowie des Verhaltens theoretisch begründet und empirisch bestätigt werden konnten. Die Modelle fokussieren den Ausschnitt der Zielbildung (intentionalen Prozess). Bereits in den Analysen zur Theorie des geplanten Verhaltens wurde deutlich, dass die Prädiktion zukünftigen Verhaltens aus der Inten-tion unbefriedigend ist (IntenInten-tions–Verhaltenslücke). Dies hat dazu geführt, dass sich das Inte-resse von Gesundheitspsychologen /–wissenschaftlern stärker darauf richtet, den postinten-tionalen Prozess der Verhaltensänderung zu modellieren.

Das sozial–kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns vereinigt die aus erprobten Mo-dellen bekannten Komponenten Risikowahrnehmung, Selbstwirksamkeitserwartung und Hand-lungs–Ergebniserwartung zur Vorhersage der Intention zur Verhaltensänderung (intentionale Phase) und strukturiert darüber hinaus den Prozess der Verhaltensänderung (aktionale Phase).

Diesen formulieren die Autoren als Handlungsfolgen, die zunächst geplant werden, danach um-gesetzt und hinsichtlich ihrer erwünschten Wirkung bewertet werden. Erst wenn das erwünschte Ziel erreicht ist und eine Verhaltensänderung stabil ist, ist der Prozess abgeschlossen (Disenga-gement). Eine den Verlauf überdauernde Motivation sowie die Überwindung von Barrieren sind hierzu erforderlich. Der Selbstwirksamkeitserwartung kommt in diesem Modell in jeder Phase eine Bedeutung zu: Ihre Wirkung ist nicht nur auf die Zielsetzung beschränkt und über diese hin-aus (indirekt) auf späteres Verhalten, sondern ist auch in allen Phasen des Veränderungsprozes-ses evident (Planung, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung).

Selbstwirksam-keitserwartung

Handlungs-Ergebnis- Erwartung

Risikowahr-nehmung

Zielsetzung Planung

intentionale Phase

Wiederherstellung Initiative

Aufrecht-erhaltung

Handlung aktionale Phase

Disen-gagement

Abbildung 15: Das sozial–kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns (Schwarzer, 2004, S. 91)

Dass es sich bei Verhaltensänderungen selten um singuläre Handlungen sondern meist um Handlungsgefüge in unterschiedlichen Settings handelt, bei denen einzelne Handlungen bereits ausgeführt und evaluiert, andere aber erst geplant und noch nicht realisiert wurden, verdeutlicht die Komplexität von Änderungsprozessen.

Der Vorteil des sozial–kognitiven Prozessmodells gesundheitlichen Handelns ist, dass der Ver-haltensänderungsprozess in seiner Gesamtheit ausgearbeitet ist und die bislang vielfach ver-nachlässigte aktionale Phase deutlich stärker konturiert wird. Das Modell wurde in verschiede-nen Bereichen angewendet und in Ausschnitten bestätigt. Uverschiede-nentschieden zeigen sich die Autoren allerdings hinsichtlich der Zielsetzung ihrer Modelle, ob es nämlich darum geht, gesundheitsför-derliche bzw. –schädigende Verhaltensweisen vorherzusagen (Sniehotta & Schwarzer, 2004, S.

683) oder den Prozess der Verhaltensänderung zu modellieren. Die Konzeption des aktionalen Modellausschnitts legt letztgenannte Intention nahe. Konsequent wäre es dann, das ‚geänderte Verhalten’ als Zielzustand zu konzipieren und als Diskrepanz zwischen aktuellem und früherem (der Intervention vorausgehendem) Verhalten zu operationalisieren. In vielen Anwendungen des sozial–kognitiven Prozessmodells gesundheitlichen Handelns wird das aktuelle Verhalten jedoch als Zielverhalten operationalisiert, und als Verhaltensänderung im Sinne einer prä und post Mes-sung gewertet.

„When will people act to protect themsevles from harm?“ formuliert Weinstein (1988, S. 355) als zentrale Frage nicht nur für Prävention und Gesundheitsförderung. Wenn z.B. gesundheitli-che Risiken mangelnden Bewegungsverhaltens bereits antizipiert sind und ein Entschluss zur Verhaltensänderung gefasst, nur noch nicht umgesetzt wurde, kann ein anderer Ansatzpunkt für

Interventionen gewählt werden als bei Personen, die sich mit diesem Thema bislang überhaupt nicht befasst haben. Hier stellt sich nicht nur die Frage nach Verfahren zur Verortung von Perso-nen/Gruppen im Veränderungsprozess, bezogen auf spezifische gesundheitsbezogene Verhal-tensweisen, sondern auch nach Interventionsprogrammen, die den jeweiligen Voraussetzungen Rechnung tragen. In den letzten Jahren wurden einige Interventionskonzepte publiziert, die die-sem Anspruch Rechnung tragen. Will Gesundheitsberichterstattung auch Hinweise zur Gestal-tung von Interventionsprogrammen geben, wäre eine Diagnostik des individuellen „Standortes“

im Änderungsprozess hilfreich.

Zwei verschiedene Zugänge sind zu erkennen. In sog „kontinuierlichen“ Modellen wird davon ausgegangen, dass eine Änderung einer oder mehrerer Ausgangsbedingungen die Wahrschein-lichkeit der Verhaltensänderung beeinflusst. Beispielhaft sei hier die Theorie des geplanten Ver-haltens von Fishbein & Ajzen angeführt (s.o.). Eine Einstellungsänderung gegenüber einem spe-zifischen Verhalten führt – so die Modellannahme – zu einem Wandel der Veränderungsinten-tion und des Verhaltens. Wenn sich also ein Raucher mit dem Thema Nichtrauchen befasst, wird idealtypisch mit zunehmender Beschäftigung mit diesem Thema die Bereitschaft, das Rauchen aufzugeben, größer. Diese Theorien konkurrieren mit dynamischen Stadienmodellen, die quali-tativ unterschiedliche Phasen für Verhaltensänderungsprozesse annehmen. Zu diesen gehören z.B. das transtheoretische Modell (Kurzform TTM; Prochaska et al., 1998) und das precaution adoption process model (Kurzform PAPM; Weinstein, Neil D., 1988). Auch für das sozial kogni-tive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns (health action process approach: Kurzform HAPA; Schwarzer, 2004; Schwarzer & Knäuper, 2001) werden Stadien benannt.

Während Prochaska und Weinstein eine Stadienfolge bestimmen, die die intentionale und die volitionale Phase des Änderungsprozesses berücksichtigen, beschränkt sich Schwarzer auf den volitionalen Prozess.

Nach Prochaska ist eine Person zunächst absichtslos, das spezifische Verhalten stellt kein Prob-lem dar, wird einfach ausgeübt, eine Aufgabe des Verhaltens wird gar nicht in Betracht gezogen (Stufe 1). Wird die Aufmerksamkeit auf das Verhalten gelenkt, beginnt die Stufe des Bewusst-werdens. Argumente für oder gegen das Verhalten werden abgewogen, die Bilanzierung ist ent-scheidend für den weiteren Verlauf. Überwiegen die wahrgenommenen Nachteile, entsteht die Bereitschaft zur Änderung des spezifischen Verhaltens (Stufe 2). Strategien werden überlegt, wie das Verhalten geändert werden kann (Stufe 3), die nachfolgend umgesetzt (Stufe 4), aufrechter-halten (Stufe 5) und dann konsequent beibeaufrechter-halten werden (Stufe 6). Die Stadienfolge ist durch

keit eine Zeitspanne von sechs Monaten, ähnliche Zeitspannen werden auch für andere Stadien benannt (vgl. Tabelle 6).

Weinstein konzipiert den Prozess der Verhaltensänderung aus psychologischer Perspektive. Die ersten beiden Stadien unterscheiden sich durch die Wahrnehmung bzw. Nicht–Wahrnehmung des Gesundheitsverhaltens, beide Varianten ziehen aber keine Verhaltenskonsequenzen nach sich. In Phase drei wird eine Entscheidung über eine Verhaltensänderung angestrebt, die je nach Ergebnis (Verhaltensänderung wird abgelehnt [Phase 4] oder beschlossen [Phase 5]) zum Ab-bruch oder zur Fortsetzung des Verhaltensänderungsprozesses führt. Bei fortlaufendem Prozess wird die Verhaltensänderung umgesetzt (Phase 6) und beibehalten (Phase 7). Die Phasensequenz einer erfolgreichen Verhaltensänderung lautet 1-2-3-5-6-7. Im „precaution adoption process mo-del“ werden ausschließlich behaviorale und intentionale Aspekte zur Stufenbeschreibung be-rücksichtigt.

Schwarzer berücksichtigt in der Stadienfolge nur den aktionalen Prozess. In der präaktionalen Phase (Phase 1) ist die Entscheidung zugunsten einer Verhaltensmodifikation bereits erfolgt (Zielintention), konkrete Handlungspläne, die das Wann, Wie und Wo einer Handlung festlegen werden erarbeitet (Ausführungsintention). In der aktionalen Phase (Phase 2) werden die erarbei-teten Handlungspläne ausgeführt und aufrecht erhalten. Metakognitive Abschirm– und Durch-haltetendenzen sorgen dafür, dass die Handlungsziele beibehalten und zielführende Handlungen fortgesetzt werden. In der postaktionalen Phase (Phase 3) werden die Handlungssequenzen eva-luiert. Wird die Zielerreichung den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben, steigt die Selbstwirk-samkeitserwartung. Aber auch Fehlschläge sind hilfreich. Die Reflektion misslungener Ände-rungsprozesse kann zum Aufbau von Kompetenzen führen, wie diese Fehler zukünftig vermie-den wervermie-den können und wie man sich schneller von Rückschlägen erholt.

Die verschiedenen Autorengruppen haben einige Versuche unternommen, ihre Stadienmodelle sowie die Bedeutsamkeit der Stadiendiagnostik für die Interventionsplanung empirisch zu bestä-tigen. Deutlich wurde in der Forschung zum einen, dass Verhaltensänderungen komplexere Pro-zesse mit verschiedenen Handlungssträngen sind, die eine eindeutige Stadienzuordnung er-schweren. So kann z.B. ein Handlungsstrang bereits erprobt sein, ein anderer befindet sich noch in der Planungsphase. Am Beispiel der Änderung von Rauchgewohnheiten soll dieses verdeut-licht werden: Möglich ist, dass ein Raucher, der den Vorsatz hat, sich das Rauchen abzugewöh-nen bereits in Situatioabzugewöh-nen, in deabzugewöh-nen er allein zu Hause ist, vollständig auf das Rauchen verzichten kann, nicht aber in geselligen Situationen, in denen Alkohol und Tabak konsumiert werden. Der

aktuelle Handlungsplan sieht vor, für einen mittelfristigen Zeitraum derartige Situationen zu meiden, um erst gar nicht in Versuchung geführt zu werden. Erst wenn das Nichtrauchen in allen anderen Bereichen habituiert ist, ist die Umsetzung des Nichtrauchens auch in geselligen Situa-tionen, in denen Alkohol und Tabak konsumiert werden, vorgesehen. Bislang wurden aber noch keine Initiativen zur Umsetzung dieses Plans ergriffen. Demzufolge ließe sich eine Person be-züglich eines Verhaltensänderungsprozesses gleich mehreren Stadien zuordnen (Handlungsvor-bereitung und –ausführung).

Tabelle 6: Übersicht über die Stadienfolgen verschiedener Autoren zur Änderung des Gesundheitsverhaltens Schwarzer (2004; 2006) Prochaska et al. (1998) Weinstein (1988)

das Gesundheitsverhalten aus-zuüben oder zu verändern wird nicht wahrgenommen

Absichtslosigkeit (precontemplation)

Eine Verhaltensänderung innerhalb der nächsten sechs Monate wird nicht in Betracht gezogen

das Gesundheitsverhalten wird wahrgenommen, es löst aber keinen Handlungsimpuls aus Absichtsbildung

(contemplation)

Eine Verhaltensänderung innerhalb der nächsten sechs Monate wird erwogen

eine Entscheidung über eine Verhaltensänderung wird ange-strebt

die Verhaltensänderung wird abgelehnt

intentionaler Prozess

eine Verhaltensänderung ist beschlossen aber noch nicht erfolgt

präaktionale Phase

Vorbereitung (preparation)

Eine Verhaltensänderung innerhalb der nächsten dreißig Tage wird vorbereitet; ein erster Versuch der Verhaltensänderung wurde bereits unternommen

aktionale Phase

Handlungsausführung (action)

Eine Verhaltensänderung ist bereits erfolgt; das neue Verhalten ist seit sechs Monaten stabil

die Verhaltensänderung wird umgesetzt

Aufrechterhaltung (maintenance)

Die Verhaltensänderung ist länger als sechs Monate stabil

die Verhaltensänderung wird aufrechterhalten

aktionaler Prozess

postaktionale Phase

Stabilisierung (termination)

Die Verhaltensänderung wird konse-quent umgesetzt, es gibt keine Rück-fälle

Eine weitere Forschungsfrage betrifft die Relevanz einzelner Stadien im Verhaltensänderungs-prozess. So monieren z.B. Adams & White (2005), dass ein Stadienwechsel im transtheoreti-schen Modell nicht immer mit Verhaltensänderungen verbunden ist, was die Frage der Relevanz des betreffenden Stadiums aufwirft.

Diskutiert werden derzeit die Validität und Reliabilität der Fragealgorithmen zur Stadiendia-gnostik. Diese erscheinen häufig recht willkürlich gewählt und werden vielfach modifiziert.

Möglich ist, dass die geringe Stadienstabilität auf die Erfassung zurückzuführen ist. Dies kann sowohl indikativ für eine mangelhafte Test–Retest–Reliabilität sein und somit auf Meßprobleme hinweisen oder aber auch einen Stadienwechsel und damit eine qualitative Veränderung in der Person anzeigen (Brug et al., 2005). Dieses ist häufig aufgrund geringer empirischer Erprobung der Messinstrumente nicht entscheidbar. Die Diagnostik gilt es insofern zu verbessern; erfolgver-sprechende Entwicklungen finden sich z.B. bei Godin et al. (2004) für Verhaltensänderungen im Bereich Bewegung.

Als vorläufiges Fazit lässt sich ziehen, dass es vielversprechende Forschungs– und Entwick-lungsaktivitäten bezüglich der personalen Voraussetzungen für Änderungsprozesse gibt, die mit dem Ziel entwickelt wurden, die Passung zwischen Präventionsangeboten und inanspruchneh-menden Personen zu verbessern. Kontinuierliche Erhebungen der Verortung von Personen im Änderungsprozess könnten darüber hinaus zur Evaluation von Präventionsmaßnahmen genutzt werden. Neben der noch zu leistenden konzeptionellen Entwicklungsarbeit, gilt es aber auch, Strategien zur Datenerhebung für eine Gesundheitsberichterstattung an Hochschulen zu entwi-ckeln.