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II. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers

2. Gesetzliche Grenzen

Die Weisungsmacht des Arbeitgebers ist gesetzlich begrenzt. Gemäß §§ 106 S. 1, 2 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung sowie Ordnung und Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb nach billigem Ermessen näher bestim-men, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeits-, Kollektivvertrag oder Gesetz festgelegt sind.

a) Sachzusammenhang

Daraus folgt zunächst, dass der Arbeitgeber Weisungen allein betreffend Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung (§ 106 S. 1 GewO) sowie Ordnung und Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb (§ 106 S. 2 GewO) erteilen darf. Die Weisung, Steuererklä-rungen durch eine bestimmte Steuerberatungsgesellschaft erstellen zu lassen, legi-timiert § 106 GewO deshalb nicht.22

aa) Arbeitsinhalt

Welche Tätigkeit der Arbeitnehmer schuldet, dokumentiert die Tätigkeitsbeschrei-bung als unentbehrliche Hauptabrede des Arbeitsvertrages.

Erschöpft sich diese im Wesentlichen darin, dass der Arbeitnehmer das Tätigwer-den für Tätigwer-den Arbeitgeber schulde, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gleichwohl nicht jedwede Tätigkeit im Betrieb zuweisen.23 Die Tätigkeitsbeschreibung ist viel-mehr über ihren Wortlaut dahingehend auszulegen, dass sie es – auch bei gleich-bleibender Vergütung – grundsätzlich verwehrt, dem Arbeitnehmer eine niedrigere als die vertraglich geschuldete Tätigkeit zuzuweisen.24 Ausnahmen sind in Notfällen

21 Eingehend Preis/Genenger, NZA 2008, 969.

22 BAG, Urt. v. 23.8.2012 – 8 AZR 804/11, AP BGB § 307 Nr. 67.

23 A.A. noch BAG, Urt. v. 11.6.1958 – 4 AZR 514/55, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Direktionsrecht; vgl. auch BAG, Urt. v. 16.10.1965 –5 AZR 55/65, AP Nr. 20 zu § 611 BGB Direktionsrecht.

24 Eingehend Preis, Der Arbeitsvertrag, II D 30 Rn. 45 ff.

8 oder bei entsprechender einzel- respektive kollektivvertraglicher Regelung denkbar.25 Ob die einseitig zugewiesene Tätigkeit "niedriger" im vorbezeichneten Sinne ist, misst das BAG anhand der "auf den Betrieb abzustellenden Verkehrsauffassung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild"26. Griffiger und vorzugswürdig ist es, bei Fehlen vertraglicher Anhaltspunkte die erstzugewiesene Tätigkeit als vertraglich ver-einbarte anzusehen, an der sich folgende Inhaltsweisungen orientieren müssen.27

Grundsätzlich zulässig ist dagegen die Zuweisung einer höherwertigen Tätigkeit.

Maßgebend ist hier der Einzelfall. Zu beachten ist, dass das BAG die entsprechende Weisung auf eine sog. "doppelte Billigkeit"28 hin überprüft [zu Billigkeitskontrolle nä-her II. 2. e)]: Billig muss einerseits die Tätigkeitsübertragung als solche und anderer-seits die fehlende Dauerhaftigkeit der Übertragung sein.29

bb) Arbeitsort

Für Weisungen, die sich auf den Ort der Arbeitsleistung beziehen, eröffnet § 106 S. 1 GewO die Möglichkeit, den Arbeitnehmer unternehmensweit und nach jüngster Rechtsprechung des BAG wohl nicht nur innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch über deren Grenzen hinaus30 unbeschränkt örtlich zu versetzen.31 § 106 GewO ist keine Beschränkung des Weisungsrechts auf den Betrieb zu entneh-men.32 Die örtliche Versetzung des Arbeitnehmers in ein anderes konzernangehöri-ges Unternehmen33 legitimiert § 106 GewO demgegenüber grundsätzlich nicht.

25 St. Rspr. seit BAG, Urt. v. 11.6.1958 – 4 AZR 514/55, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Direktionsrecht; s.

auch Urt. 19.11.2002 – 3 AZR 591/01, juris; Staudinger/Rieble, § 315 BGB Rn. 191. Zur arbeitsver-traglichen Ausgestaltung näher Preis, Der Arbeitsvertrag, II D 30 Rn. 47 ff.

26 BAG, Urt. v. 30.8.1995 – 1 AZR 47/95, NZA 1996, 440, 441. S. LAG Schleswig-Holstein, Urt. v.

2.6.2015 – 1 Sa 452 c/14, BeckRS 2015, 71971; LAG Hessen, Urt. v. 24.6.2014 – 8 Sa 1216/13, BeckRS 2015, 67867.

27 Preis, Der Arbeitsvertrag, II D 30 Rn. 44.

28 Krit. zu diesem Begriff Staudinger/Rieble, § 315 BGB Rn. 192.

29 BAG, Urt. v. 18.4.2012 – 10 AZR 134/11, NZA 2012, 927, 928.

30 BAG, Urt. v. 28.8.2013 – 10 AZR 537/12, BeckRS 2013, 74858.

31 Fliss, NZA-RR 2008, 225; Preis/Genenger, NZA 2008, 969, 971.

32 Dagg. Hromadka NZA 2012, 233, 237, 238, der es ablehnt, den weiten Wortlaut des § 106 wörtlich zu nehmen. Abl. auch Wank RdA 2012, 139, 140. Wie hier Hunold DB 2013, 636. Offen gelassen von BAG, Urt. v. 18.10.2012 – 6 AZR 86/11, AP Nr. 23 zu GewO § 106.

33 Vgl. von Hoyningen-Huene/Boemke, Die Versetzung, S. 216; Maschmann, RdA 1996, 24, 30.

9 fern bestehen aber großzügige Möglichkeiten einer direktionsrechtserweiternden Ver-tragsgestaltung [s. hierzu III. 1. a) aa) (2)].

cc) Arbeitszeit

Spricht § 106 S. 1 GewO davon, der Arbeitgeber könne die Zeit der Arbeitsleistung einseitig näher bestimmen, meint er die Lage der Arbeitszeit wie sie bei Abschluss des Arbeitsvertrages im Betrieb üblich ist [s. hierzu auch III. 1. a) aa) (3)].34 Möglich ist hiernach, einen Wechsel von Nacht- zu Tagarbeit35 oder sogar Sonn- und Feier-tagsarbeit in den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Grenzen36 anzuordnen.

Der Umfang der Arbeitszeit entzieht sich demgegenüber als Kernbestand des Austauschverhältnisses grundsätzlich der arbeitgeberseitigen Weisungsmacht.37 Ei-ne vertragliche Änderung der Arbeitszeitdauer kann der Arbeitgeber deshalb regel-mäßig nur im Wege der Änderungskündigung erreichen [s. hierzu näher III. 1 a) bb);

b)].

b) Widersprechende gesetzliche Regelung

Die einseitige Leistungsbestimmung ist ferner nur soweit zulässig, als sie einem Ge-setz nicht widerspricht. Einschlägige GeGe-setze sind etwa §§ 3 S. 1, 5 Abs. 1 ArbZG, § 4 MuSchG, §§ 22-24 JArbSchG, § 81 SGB IX, § 7 Abs. 1 AGG, §§ 134, 138 BGB oder arbeitsrechtlichen Unfallverhütungsvorschriften. Die Weisung, gegen Strafvor-schriften zu verstoßen, ist ebenso unzulässig38 wie diejenige, eine Ordnungswidrig-keit zu begehen (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 4 BeamStG, § 63 Abs. 2 Satz 4 BBG). Ent-sprechendes gilt für Weisungen, die ein betriebsverfassungsrechtlich verankertes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wie diejenigen aus §§ 87 I Nrn. 1, 2, 95, 99 BetrVG ignorieren.39

34 BAG, Urt. v. 23.6.1992 – 1 AZR 57/92, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Arbeitszeit.

35 LAG Berlin, Urt. v. 29.4.1991 – 9 Sa 9/91, LAGE Nr. 9 zu § 611 BGB Direktionsrecht.

36 BAG, Urt. v. 15.9.2009 – 9 AZR 757/08, NZA 2009, 1333.

37 LAG Düsseldorf, Urt. v. 30.8.2002 – 9 Sa 709/02, NZA-RR 2003, 407, 408; HWK/Thüsing, § 611 BGB Rn. 307.

38 Vgl. LAG Nürnberg, Urt. v. 30.1.1996 – 6 Sa 467/95, LAGE Nr. 53 zu § 1 KSchG Verhaltensbeding-te Kündigung.

39 BT-Drucks. 14/8796, S. 24; BAG, Urt. v. 10.3.1998 – 1 AZR 658/97, NZA 1998, 1242.

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c) Widersprechende kollektivvertragliche Regelung

Gemäß § 106 S. 1 GewO begrenzen auch einschlägige tarifvertragliche Regelungen oder solche in Betriebsvereinbarungen das Weisungsrecht des Arbeitgebers. Dies gilt nicht, wenn die einzelne Weisung für den Arbeitnehmer günstigere Rechtsfolgen zeitigt als die Kollektivnorm, vgl. § 4 Abs. 3 TVG.40

d) Widersprechende arbeitsvertragliche Regelung

§ 106 S. 1 GewO ordnet weiterhin an, dass der Weisung des Arbeitgebers eine ar-beitsvertragliche Regelung nicht entgegenstehen darf [s. hierzu III. 1 a)]. Einer aus-drücklichen Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien bedarf es nicht zwingend.41 Die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers kann sich vielmehr auch in arbeitsvertragsän-dernder Weise durch Vollzug des Arbeitsverhältnisses konkretisieren.42 Bloßer Zeit-ablauf genügt hier freilich nicht: dass der Arbeitnehmer auf einer bestimmten Stelle mit bestimmten Aufgaben über einen längeren Zeitraum beschäftigt war, konkretisie-re die Arbeitspflicht allein weder inhaltlich43, örtlich44 noch zeitlich45, so das BAG. Er-forderlich sei das Hinzutreten weiterer Umstände46 [s. hierzu III. 1 c)]. Als relevanter Umstand kann etwa die ausdrückliche Erklärung des Arbeitgebers verwertet werden, der Arbeitnehmer solle hinfort nur noch die höherwertige oder andersartige Tätigkeit ausüben.47

40 Tettinger/Wank/Ennuschat/Wank, § 106 GewO Rn. 18. Unklar BAG, Urt. v. 19.11.2002 – 3 AZR 591/01, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Tarifverträge: Papierindustrie.

41 Busemann, NZA 2015, 705.

42 Eingehend Busemann, NZA 2015, 705; vgl. auch Schaub/Linck, § 45 Rn. 16.

43 BAG, Urt. v. 11.4.2006 – 9 AZR 557/05, NZA 2006, 1149; LAG Hamm, Urt. v. 27.3.1992 – 18 Sa 1165/91, LAGE BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 12; LAG Rheinland Pfalz, Urt. v. 13.10.1987 – 3 Sa 457/87, NZA 1988, 471 f.

44 BAG, Urt. v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265, 266.

45 BAG, Urt. v. 15.9.2009 – 9 AZR 757/08, NZA 2009, 1333.

46 S. nur BAG, Urt. v. 26.9.2012 – 10 AZR 336/11, AP Nr. 25 zu § 611 BGB Fleischbeschauer-Dienstverhältnis.

47 Etwa BAG, Urt. v. 24.11.1993 – 5 AZR 206/93, BeckRS 1993, 30746924; Urt. v. 26.9.2012 – 10 AZR 412/11, AP Nr. 22 zu § 106 GewO.

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e) Billigkeit

Die Ausübung des Weisungsrechts muss endlich billigem Ermessen entsprechen.

Was „billig“ i.S.d. § 106 GewO definieren die Senate des BAG in changierender Brei-te.

In einer Entscheidung vom 13.4.201048 führen die Richter des 9. Senats aus:

„Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechsel-seitigen Interessen nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidun-gen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessen-heit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Das gebietet eine Berücksichtigung und Bewertung der Interessen unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls."

Der 10. Senat des BAG erklärt in einer Entscheidung vom 9.4.201449 knapper:

„Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Um-stände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksich-tigt worden sind.“

Der 5. Senat unterschlägt in seiner Aufsehen erregenden Entscheidung vom 22.2.2012 [s. hierzu III. 2 b)] vollständig, dass die einseitige Leistungsbestimmung des Arbeitgebers nach § 106 S. 1 GewO billig sein muss. Die Richter eröffnen schlicht, es obliege dem Arbeitgeber, „den Inhalt der zu leistenden Arbeit näher zu bestimmen.“50

Gemäß § 106 S. 3 GewO muss der Arbeitgeber Behinderung des betroffenen Ar-beitnehmers bedenken. In die Gesamtabwägung sind insgesamt nur solche Interes-sen einzustellen, die sich in der Außenwelt nachvollziehbar manifestiert haben, so-dass sie der Interessengegner erkennen kann.51

"Hierzu gehören im Arbeitsrecht die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwi-schen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen.“52

48 BAG, Urt. v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, AP Nr. 45 zu § 307 BGB.

49 BAG, Urt. v. 9.4.2014 – 10 AZR 637/13, NZA 2014, 719.

50 BAG, Urt. v. 22. 2. 2012 − 5 AZR 249/11, NZA 2013, 858, 860.

51 Preis, Der Arbeitsvertrag, II D 30 Rn. 24.

52 BAG, Urt. v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, AP Nr. 45 zu § 307 BGB.

12 Dieser abstrakte Maßstab verdichtet sich im Einzelfall entsprechend des Bezugs-punkts der Weisung. Steht etwa die einseitige Ortsversetzung des Arbeitnehmers im Streit, ist die Berufstätigkeit des Ehepartners oder eine Ortsbindung durch Grundei-gentum abwägungsrelevant.53 Auch kann zu berücksichtigen sein, ob und gegenenfalls wie lange die Vertragsparteien zuvor arbeitsvertragliche Gegebenheiten be-treffend den Arbeitsort ignoriert haben.54 Gewichtig ist Erreichbarkeit des angewiese-nen Arbeitsortes55 – und damit verbunden – das Interesse des Arbeitnehmers an kurzen Pendelzeiten [s. hierzu IV. 1. b) aa)].56 Unerheblich ist demgegenüber eine etwaige Zustimmung von Betriebs- (§ 111 Satz 2 Nr. 2 BetrVG) oder Personalrat (§ 78 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG), wenn die örtliche Versetzung infolge einer Verlegung des gesamten Betriebs angeordnet wird.57

Die Grundrechte des Arbeitnehmers erhalten als objektive Wertentscheidungen Einzug in die Billigkeitsabwägung. Bedeutsam sind regelmäßig das Allgemeine Per-sönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, des-sen Glaubens- und Gewisdes-sensfreiheit nach Art. 4 GG und der Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG.58

Dass sich die einzelne Weisung im Rahmen billigen Ermessens hält, hat der Ar-beitgeber darzulegen und zu beweisen.59 Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der-jenige, in dem der Arbeitgeber die Weisung erteilt.60