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Teil II: Digitale Unterstützung im Selbststudium

8.3 Geometrie

Zunächst sollen die Gründe für eine Fokussierung auf das „Messen und Berech-nen“ ausgeführt werden, um dann eine Präzisierung des hier gefassten Verständ-nisses des Messens vorzunehmen. Anschließend erfolgt eine ausführliche Be-schreibung des Modells für grundlegendes Wissen und Können im Bereich des

„Messen und Berechnen“ der Sekundarstufe I mit den bereichsspezifischen Aus-führungen.

Warum Fokussierung auf Messen und Berechnen?

Die Studien TIMSS (Neubrand, Neubrand und Sibberns 1998) und PISA (Neu-brand et al. 2004) lassen darauf schließen, dass „im deutschen Mathematikunter-richt oft Technik vor Bedeutung, Kalkül vor Argument zu gehen scheinen“ (Neu-brand und Neu(Neu-brand 2007). Im Laufe der Schulzeit rücken die Rechenkünste immer mehr in den Kernunterricht (Führer 2002). Eine starke Schwerpunktsetzung auf das Kalkül zeigt sich auch in der hohen Zahl von Berechnungsaufgaben zu geometrischen Objekten in den zentralen Abschlussprüfungen am Ende der allge-meinen Schulpflicht (Gaab 2015). Das Berechnen von Flächen- und Rauminhalten aber ist letztlich eine Methode des Messens (Kuntze 2009, S.157). Diesem Um-stand möchte das vorliegende Modell Rechnung tragen und hat daher das Messen und Berechnen in den Fokus gerückt.

Wie verstehen wir „Messen“ im Schulkontext der Sekundarstufe I?

Das Modell basiert auf der Auswertung fachdidaktischer Literatur zum schulrele-vanten Wissen und Können bis zum Ende der Sekundarstufe I aus dem Themen-bereich Messen und Berechnen. Entsprechend der Leitidee „Messen“ der Bil-dungsstandards der Kultusministerkonferenz (Kultusministerkonferenz 2004) wird unter „Messen“ nicht nur das Grundprinzip des Messens, sondern auch der Umgang mit Größen und das Berechnen geometrischer Größen gefasst. Die Kernideen des Messens lassen sich dabei in 4 Stufen unterteilen:

(1) Maßeinheit finden / nutzen, (2) Mit Maßeinheit auslegen, (3) Maßeinheiten zählen,

(4) Maßeinheit gegebenenfalls verfeinern (Weigand et al. 2009).

Vorstellung des Modells zum grundlegenden Wissen und Können im Messen und Berechnen

Die Grundstrukturierung aus Kapitel 8 stellt auch für das geometrische Messen einen adäquaten Rahmen zur Bildung einer strukturierten Zusammenfassung mög-lichst aller in den fachdidaktischen Publikationen der letzten 20 Jahre identifizier-ten und diskutieridentifizier-ten Aspekte des Messens und Berechnens dar. Dabei ergeben sich nicht nur für die inhaltsorientierten Facetten des Wissens und Könnens bereichs-spezifische Ausdifferenzierungen.

Der verständige Umgang mit den Denkgegenständen

Wissen

Wissen umfasst sowohl deklaratives „Wissen, dass ...“ nach Anderson (1996) als auch prototypisches Wissen (vgl. „discursive apprehension“ in Duval 1998;

Roth und Wittmann 2009, S.129ff). Unter einem Prototyp verstehen wir übli-cherweise einen typischen Vertreter, der Vorstellungen über eine gesamte Be-griffsklasse prägt und als Vergleichsobjekt für neue Objekte dient. Im Bereich des Messens fallen darunter unter anderem Stützvorstellungen zu den Größen wie zum Beispiel eine Milchpackung als Repräsentant für das Volumen von 1 Liter.

Strukturieren

Beim Strukturieren steht auch hier sinnentnehmendes Lesen im Vordergrund.

Das wahrnehmende Erfassen bezieht sich dabei nach Duval (1995) insbeson-dere auf das Erkennen einer Form in einer Ebene oder Tiefe. Was die Figur zeigt, ist dabei bestimmt durch figurale Organisationsgesetze und bildliche Hinweise.

Strukturieren bezeichnet die Fähigkeit, Figuren von ihrem Hintergrund und den Teil vom Ganzen zu unterscheiden, Figuren und Unterfiguren bildlich zu erkennen und unter Verwendung ihrer konventionellen Namen zu benennen (vgl. „perceptual apprehension“ in Duval 1995). Bei einer solchen Transfor-mation oder Interpretation eines geometrischen Ausdrucks bleibt die ursprüng-liche Strukturierung erhalten. Eine illustrierende Aufgabe könnte in diesem Zu-sammenhang Aufgabe 19 darstellen. Diese Aufgabe entstammt dem auf der optes-Plattform verwendeten Eingangstest A und führte zu Lösungsproblemen bei den Testpersonen (Studierende der Mechatronik 1. Semester), da diese die Pyramide nicht erkannten.

Geometrische Größen und Figuren/Körper „lesen können“ bedeutet auch das Erkennen von Zerlegungen und Ergänzungen geometrischer Figuren und Körper mit dem Ziel einer quantifizierbaren Aussage.

Beispielaufgabe:

Transformieren

Unter Transformieren verstehen wir im Kontext des Messens u.a. die visuelle Bearbeitung geometrischer Figuren und Körper auf mentale oder physische Art und Weise, wie es zum Beispiel beim Zerlegen in Teilfiguren, Verschieben, Skalieren oder Rotieren geschieht. Der geometrische Ausdruck wird innerhalb derselben Repräsentationsform in einen äquivalenten Ausdruck unterschiedli-cher Struktur gebracht (vgl. „operative apprehension“ in Duval 1995; „treat-ment“ in Duval 2006). Dies beinhaltet die Anwendung von grundlegenden Sät-zen der Elementargeometrie und von grundlegenden Formeln zur Berechnung geometrischer Größen. Aber auch die Umwandlung von Einheiten und die Nut-zung des Grundprinzips des Messens werden dem Transformieren zugeordnet.

Interpretieren

In der Geometrie ist unter dem Interpretieren die Beschreibung einer nicht-ge-ometrischen Situation durch Geometrie und umgekehrt zu fassen. Dies bein-haltet zum Beispiel die Beschreibung von Realsituationen und die algebrai-schen Termumformungen.

Das literaturbasierte Modell in Abbildung 5 zeigt neben den handlungsbezogenen Facetten des Wissens und Könnens im Bereich des Messens und Berechnens auch die inhaltlichen Aspekte.

Wesentliche Denkgegenstände des Bereichs Messen und Berechnen

„Zum Messen braucht man Maßangaben – auch um Eigenschaften geometrischer Figu-ren oder Körper, wie etwa deFigu-ren Flächen- oder Rauminhalt, beschreiben zu können“

(Weigand et al. 2009).

Die Grundfläche der schiefen Pyramide ist halb so groß wie die Grundflä-che des Würfels. Um welGrundflä-chen Faktor ist das Volumen des Würfels größer als das Volumen der Pyramide?

Aufgabe 19: Illustrierende Aufgabe zum Strukturieren

Der Inhaltsbereich „Messen und Berechnen“ – als Teilgebiet der Elementargeo-metrie in der Sekundarstufe I – umfasst im Rahmen des Modells das Bestimmen von Längen, Flächeninhalten, Volumina und Winkeln. Daraus ergeben sich in der Inhaltsdimension die Denkgegenstände Größen sowie Formeln mit Figuren und Körpern.

Abbildung 5: Literaturbasiertes Modell zum Wissen und Können des Messens und Be-rechnens

Größen sind Eigenschaften von ebenen und räumlichen Figuren. Der Figur wird durch Messen oder Berechnen eine Größe aus einem Größenbereich zu-geordnet. Wir betrachten die vier Begriffe Länge, Flächeninhalt, Volumen und Winkelmaß (Holland 2007).

„Zu Größen gelangt man ausgehend von realen Gegenständen durch einen Abstrak-tionsvorgang. Man geht dazu über, „gleichwertige“ Gegenstände (je nach dem Ver-gleichsaspekt) nicht mehr zu unterscheiden, und spricht dann nur noch von „Grö-ßen“ der betreffenden Art (Längen, Gewichten, Volumina usw.). Der Abstraktions-vorgang wird oft als MessAbstraktions-vorgang realisiert. Das Ergebnis der Messung ist dann eine Größe, geschrieben mittels Maßzahl und Maßeinheit“ (Kirsch 2004).

Figuren und Körper (als Objekte des Messens) gehören zu der gemessenen Größe. Sie werden als Träger des Merkmals Größe verstanden (Griesel 2016).

Für das verständige Messen und Berechnen spielen Kenntnisse, Fertigkeiten

und Fähigkeiten über und im Umgang mit Figuren und Körpern eine wichtige Rolle. Hinweise von Kadunz und Strässer (2009, S. 205) auf Verwechslungen von Schüler*innen bezüglich der Begriffe Flächeninhalt, Volumen, Oberfläche und die entsprechenden Formeln und Einheiten bestärken diese Aussage. Auch Vollrath (1999b) betonte bereits die enge Verbundenheit von Formen- und In-haltslehre, die sich durch die Figuren und Körper als Objekte des Messens und Berechnens in dem vorliegenden Modell widerspiegelt.

Dreizehn Aspekte des Messens und Berechnens am Ende der Sekundarstufe Im Folgenden werden die aus der Literatur klassifizierten Aspekte des Messens und Berechnens in der Sekundarstufe I beschrieben.

(1) Begriffe kennen und identifizieren

Begriffe wie Umfang, Fläche, Oberfläche, Volumen werden beschrieben, an-gegeben und identifiziert.

Beispielaufgabe:

(2) Prototypisches Wissen zu Größen angeben

Prototypisches Wissen geometrischer Größen wiedergeben oder identifizieren können.

Darunter fallen unter anderem Stützvorstellungen zu Größen oder Dimensio-nen einzelner Größen.

Beispielaufgabe:

(3) Grundformeln angeben und anwenden können

Einschlägige Formeln, wie aus Formelsammlungen, für Basisfiguren und -kör-per zur Berechnung von geometrischen Größen wie Flächeninhalt wiederge-ben und zur Berechnung der Größe nutzen können.

Färben Sie Umfang und Flächeninhalt einer gegebenen Figur in unter-schiedlichen Farben.

Aufgabe 20: Eine Aufgabe zu Aspekt (1) des Messens und Berechnens am Ende der Sekundarstufe

Aufgabe 21: Eine Aufgabe zu Aspekt (2) des Messens und Berechnens am Ende der Sekundarstufe

Nennen Sie einen Gegenstand, der 1m breit, dick oder lang ist.

(4) Formelbestandteile erkennen

Die zur Berechnung bzw. Bestimmung der Größen benötigten Elemente können angegeben, bestimmt und identifiziert werden.

Im Bereich der Flächeninhaltsbestimmung bei einem Dreieck könnte dies die korrekte Wahl der notwendigen Höhe bei vorgegebener Seite eines Dreiecks sein. Wird die vorgegebene Dreiecksseite als Grundseite bestimmt, so ist die dazugehörige Höhe zwischen den drei möglichen Höhen eines Dreiecks zu wählen (Ulfig 2014). Oder: „identifying the shape of a solid´s cross section is difficult for middle school and high school students. This finding is important because some volumes can be thought of as V=Bh where B is the area of the base of the solid and the base is, in fact, a cross-section“ (Dorko und Speer 2013, S. 50).

(5) Grundprinzip des Messens nutzen

Anwenden der vier Schritte des Messens sowohl mit standardisierten und nicht standardisierten Maßeinheiten (z. B. Kospentaris, Spyrou und Lappas 2011;

Tůmová 2017; Dorko und Speer 2013).

Darunter fallen auch Schätzaufgaben wie in Aufgabe 22.

Weiher und Ruwisch (2018, S. 3) verstehen „Schätzen als einen mentalen Pro-zess, in dem die quantitative Ausprägung einer Größe eines Objekts unter An-wendung mentaler Vergleichsprozesse mit anderen Objekten ermittelt wird, ohne dass konkrete Hilfsmittel verwendet werden.“

Beispielaufgabe:

(6) Einheiten umwandeln können

Einheiten und Umrechnungsfaktoren kennen und anwenden können (z. B.

Greefrath und Hußmann 2010; Tan-Sisman und Aksu 2012; Griesel 1996).

Welches Volumen hat die Schachtel ungefähr? Schätzen und begründen Sie.

Aufgabe 22: Eine Aufgabe zu Aspekt (5) des Messens und Berechnens am Ende der Sekundarstufe

(7) Umgang mit Formeln

Dieser Aspekt bezieht sich auf Grundformeln, wie sie in einschlägigen Formel-sammlungen zu finden sind. Diese werden passend zur Aufgabenstellung bei Aktivierung vorhandenen Wissens erkannt (vgl. Aspekt 3) und mit Hilfe algeb-raischer Regeln umgeformt.

Beispielaufgabe:

(8) Zerlegen/Ergänzen/Auslegen mit dem Ziel einer quantifizierbaren Aus-sage (Greefrath und Laakmann 2014)

Dieser Aspekt zielt auf die Nutzung der Invarianz und der Additivität von Maßfunktionen ab.

Lässt sich eine Figur in Teilfiguren zerlegen, so ist das Maß der Figur gleich der Summe der Maße der Teilfiguren. So liegt bei einem Maßbergriff ein in-haltliches Begriffsverständnis dann vor, wenn Schüler*innen in der Lage sind, zu einer vorgegebenen Figur die betreffende Größe durch Messen, Zerlegen, Ergänzen und/oder Berechnen zu bestimmen (Holland, 2007).

Beispielaufgabe:

In einem Quader Q stehen die Seitenlängen zueinander im Verhältnis 1:2:3. Wie lang ist die kürzeste der Seiten a des Quaders in m, wenn sein Volumen 48 m³ beträgt?

Aufgabe 23: Eine Aufgabe zu Aspekt (7) des Messens und Berechnens am Ende der Sekundarstufe

Pyramide und Quader haben die gleiche Höhe und gleiche Grundfläche.

Wie oft muss die Sandfüllung der Pyramide in den Quader gekippt wer-den, damit der Quader randvoll gefüllt ist?

Aufgabe 24: Eine Aufgabe zu Aspekt (8) des Messens und Berechnens am Ende der Sekundarstufe

(9) Aufstellen von Formeln/Termen zur Berechnung von Maßfunktionen ab-weichend von Basisformeln (z. B. Vollrath 1999a, 1999b; Kliemann 2007;

Steele 2013)

Hier stehen die Zusammenhänge zwischen Formeln geometrischer Objekte im Fokus der Betrachtungen.

Gemeint ist, diese zu erkennen und zur Aufstellung von Formeln zu nutzen, für die keine „Rezepte“ vorliegen. Eine illustrierende Aufgabe zu diesem Aspekt könnte folgende sein:

Beispielaufgabe:

(10) Größenzuordnungen aus dem semiotischen System heraus (z. B. Sill et al. 2005)

Darunter ist hier alles zu fassen, was im Zusammenhang mit geometrischen Maßfunktionen Bedeutung in sich trägt.

Eine Zuordnung von Größen kann über die Grenzen des eigentlichen Systems heraus erfolgen. So können zum Beispiel einem Alltagsgegenstand mehrere Maßfunktionen zugeordnet werden: Eine Tür hat eine Höhe, eine Masse und einen Flächeninhalt.

Beispielaufgabe:

Die Länge eines Rechtecks beträgt 6 cm, sein Umfang ist 16 cm. Stellen Sie eine Formel zur Flächeninhaltsbestimmung auf.

Aufgabe 25: Eine Aufgabe zu Aspekt (9) des Messens und Berechnens am Ende der Sekundarstufe (Vollrath 1999a, S.27)

Unterstreichen Sie die Einheiten, die zur Angabe des jeweiligen Merkmals der Gegenstände sinnvoll sind.

Inhalt einer Tintenpatrone: cm² mg s Breite eines Schranks: m kg h

Aufgabe 26: Eine Aufgabe zu Aspekt (10) des Messens und Berechnens am Ende der Sekundarstufe

(11) Termumformungen geometrisch deuten und umgekehrt

Häufig wird die Geometrie zur Veranschaulichung mathematischer Zusam-menhänge herangezogen. Es ist nicht ausreichend Schüler*innen eine Formel zu geben, um ein tiefes Verständnis zu erlangen (Obara 2009).

Beispielaufgabe:

(12) Realsituationen mit Formeln geeigneter Figuren und Körper beschrei-ben

Anwenden von Formeln auf Realsituationen.

Dieser Aspekt zeigt sich zum Beispiel. in den klassischen Aufgaben zum Sach-rechnen der Sekundarstufe I.

(13) Größen gegebener Figuren und Körper effizient berechnen

Beziehungen zwischen Formeln auch aus unterschiedlichen Themengebieten (z. B. Trigonometrie) erkennen.

Zum effizienten Lösen von komplexen Problemstellungen ist eine Kombina-tion von Formeln und Termen notwendig. Effizient ist solches Umformen dann, wenn hierfür unter mehreren denkbaren Möglichkeiten eine gewählt wird, die nur wenige Berechnungen und Schritte zur Lösung benötigt.

Mit den beschriebenen Aspekten erhebt das Modell zum „Messen und Berechnen“

den Anspruch, alle wesentlichen Aspekte des Themenbereichs aus der etablierten Fachliteratur zusammenzufassen. Aktuell befindet sich das Modell in einem Vali-dierungsprozess zur inhaltlichen Überprüfung. Eine Verifizierung des Modells ba-sierend auf den Ergebnissen der Expertenbefragung und der vollständigen Aus-wertung der systematischen Literaturrecherche steht aus.

Bestimmen Sie den Flächeninhalt des Trapezes, wenn es wie folgt zerlegt ist:

Aufgabe 27: Eine Aufgabe zu Aspekt (11) des Messens und Berechnens am Ende der Sekundarstufe (Schelldorfer 2015)

Im Dokument Selbststudium im digitalen Wandel (Seite 130-139)