daß wirmithin,
wenn
dieserSatznichtaufgehoben werdenund
unseren übrigen Pflichten nicht widersprechen soll, sie zurAus-übung
dieser Stellvertretung Gottes bei uns zugefügtem Unrechte auffordernmüssen
mitdem
Zutrauen, daß sie stets bereit sein werde, das unterdrückte Recht zu rächen; ein Zutrauen, das sieund
Gott, dessen Bild sie ist, ehrt.— Eben
daraus aber, daß wir unsere Sache ihr übertragen sollen, folgt, daß wir uns nicht selbst rächen dürfen; sondern es lediglich ihr, alsihre eigene Sache
überlassen müssen.Diese
Genugtuung
aber werde gesuchtmit und aus Liebe.
Nicht das sei unser Zweck,
dem
Feinde wieder Böses zuzufügen, sondern bloßund
einzig das, das Böse inihm und
durch das Bei-spiel seiner Bestrafung auch in anderen kräftigst zu hindern.Wer
irgendeiner anderen Absicht sichbewußt
ist,wer
in seinemHerzen
den geringstenZug
an Lieblosigkeit, die leiseste Freude62 J. G. Fichte.
über die gehoffte Bestrafung seines Beleidigers aufspürt,
wer
nicht sogarSchmerz
empfindet, daß seine Pflicht ihn nötigt,um
desselben Bestrafung anzusuchen, verliert jenes Recht gänzlich, weil er durch Bestrafung seines Widersachers die Obrigkeit nicht zur Dienerin des Rechts, sondern
zum Werkzeuge
seiner Rach-suchtund
seiner Feindseligkeit machen,und
in ihr Gott, dessen Bild sie ist, entweihenwürde
; durch welche Regel denn jene Erlaubnis,Genugtuung
zu suchen, wieder genau in ihre gehörigen Grenzen eingeschlossen wird.— Man
sei der Sache Feindund
der Person Freund.Man
arbeite, kämpfe, ringe, das Unrecht zu verhindern; aberman
sei in allen übrigen gerechtenDingen dem Gegner
zujedem
Diensteund
jederAufopferung
bereit.Man
ringe darnach,
ihm
zu dienen:— zwar
nicht ausgezeichnet vor allen anderenMenschen und
eben darum,weil
er der Feind ist;eine
Warnung,
die nur für wenige selteneMenschen
nottut.—
Es
gibt nämlich Menschen, die, mit einerAnlage
zur Erhaben-heitund
Stärke der Seele geboren, dieselbe durch harteSelbst-kämpfe
erhöht haben,und
aus diesem Kraftgefühl eben das Schwerste in ihren Pflichten begierig an sich reißen,und
die unter zweien ihrer Hilfe gleich bedürfenden Gegenständen eben den Feind,und
das ebenum
seiner Beleidigungen willen gegensievorziehen
würden;
bloßum
das erhabeneGefühl zu empfinden, die Bitterkeit ihrer Seele besiegt zu haben.So
edelund
erhaben diese Triebfeder auch ist, so verbietet doch eine reine Sittenlehre dieWahl
der Gegenstände unserer Wohltätigkeit dadurchbe-stimmen
zu lassen.—
Die einzige allgemeingeltende Regel der Sittenlehre hierüber ist die: der Feindwerde
in völlige Gleich-heit mit allen bedürftigen Gegenständen gesetzt; derFeind
werde im Bedürfnis
vergessen; unser hilfsbedürftiger, hungernder, unbekleideter Feind sei nichtmehr
Feind, sei bloß hilfsbedürftig, hungernd, unbekleidet. Alle jene Ausdrücke von Verzeihung, von Versöhnlichkeit gegen den Feind sagen viel zu wenig;wo
wir helfenund
dienen können,müssen
wir unserem Feinde nicht verzeihen: wirmüssen
keinen Feind haben, wirmüssen
nur den Hilfsbedürftigen sehen. Jeder Dienst, der sich auf etwas anderes gründet, hat kein Verdienst.Predigten. 63 Die Liebenswürdigkeit solcher Gesinnungen brauche ich nicht erst zu zeigen: aber den
Einwurf
befürchte ich von vielen,daß dies nur schöne
Gemälde
seien, die sichzwar
gut darstellenund
beschauen, aber nie ins menschlicheLeben
einführen ließen;und
daßman
dieWelt und
das menschlicheHerz
schlecht kenne,wenn man
ihnen im Ernste so etwasanmuten
wolle.Wenn
es hierbei bloß aufs Widerlegen ankäme, so dürfte ich nur das Bei-spiel Jesu, derim
Angesichte des ungerechtestenund
schmerz-haftesten Todes für seine Verfolger betete; oder,wenn
euch das zu erhaben dünkte, das Beispiel seiner Jünger anführen, die gewiß schwacheMenschen
waren wie wir,und
eben das taten. Zweck-mäßiger aberwürde
es sein, die Mittel zuentwickeln, durch deren Gebrauch es leicht, sehr leicht wird, so gegen seine Feinde zu handeln. Sie sind—
sorgfältige Selbstprüfungund
lebhafte Er-kenntnis seiner eigenen Schwachheiten, das daraus entstehende Gefühl der Gebrechlichkeit der menschlichen Njatur überhaupt,und
besonders die Überzeugung, daß das wenigste Böse, in derWelt
erweislich aus Bosheit,und
bei weitem das meiste ausUn-verstand geschehe: eine Betrachtung, die uns jetzt die
Kürze
der Zeit nur verbietet.Dies sind die allgemeinen Pflichten, die wir gegen unseren Feind, sowie gegen alle
Menschen
haben.Es
gibt aber noch eine besondere gegen den ersteren, die: sie zu bessernund
zu unserenFreunden
zumachen
; welche gleichsam die Probe enthält, ob wiralle unsere übrigen Pflichten gegen sie redlich erfüllt haben.
Haben
wir alles weggeräumt,was dem
Feinde Veranlassung geben könnte uns zu hassen; haben wir ihn stets mit Liebeund Edelmut
behandelt, so kann es nicht fehlen, er wird endlich—
sei es so spät als es wolle
—
er wird endlich gewiß unserFreund
werden.Und
welchVergnügen
wird unsdann
überströmen!
Ich habe, teure Freunde, durch Schilderung der
Ruhe und
Heiterkeitund
des wahrsten Selbstgenusses, den solche Ge-sinnungen unserer Seele geben, ebensowenig, als durch eine Dar-stellung der Bitterkeitund
derunangenehmen
Empfindungen, welcheHaß und
Unduldsamkeit über unserHerz
verbreiten, diese Betrachtung unterbrechen wollen,um
nicht durch Vorstellung64 J. G. Fichte.
eures eigenen Nutzens euch zur
Anerkennung
eurer Pflicht zu bestechen zu scheinen. Jetzt aber, nach vollendeter Unter-suchung, erlaubt mir einige Fragen an euerHerz
zu legen.Ich will euch nicht fragen, ob ihr persönliche Feinde,
—
solche Feinde habt, denen alles zuwider ist,
was
von euchkommt,
die alle eure
Unternehmungen
zu hintertreiben suchen, die euerUnglück und
eurenUntergang
geschworen zu haben scheinen?Solche Feinde sind überhaupt selten,
und
sind es besonders gegen eine stille, anspruchslose Lebensart.Aber
das laßt euch fragen, ob ihr nie beleidigtworden
seid?Und wer
unter uns möchte wohl diese Frage mit nein beantworten, da das menschlicheHerz
überhaupt nur zu leicht beleidigt wird? Ichmag
auch nicht unter-suchen, ob ihr euch nicht vielleicht durch eure eigene Schuld diese Beleidigung zuzoget—
ihr sollt völlig recht, euer Be-leidiger völlig unrecht haben.Denkt
euch jetzt einmal diese Be-leidigung mit allen ihrenUmständen
; denkt euch den Beleidiger gegenwärtig, oder vielleicht ist er es; vielleicht ist er mit euchin diesem Gotteshause
und
ihr könnt ihn erblicken.Wie
wird euch bei seinem Anblickzumute? Was
wünscht ihrihm? Wenn
ihrihm
in diesem Augenblicke einen beträcht-lichen Schaden zufügen könntet, würdet ihr’s tun?Wenn
ihr in diesem Augenblickeihm
einen sehr wesentlichen Dienst erzeigen könntet, würdet ihr eilen?Würdet
ihr’s willigund
mitFreuden
tun, oder
würde
es euch einen großenKämpf
kosten?Würdet
ihr vielleicht vorher eure Bitterkeit gegen ihn auslassenmüssen?
Wie?
Ihr hättet Feindschaft mit euch in diesesHaus
des Friedens gebracht, indem ihr eureStimmen
mit denStimmen
eurer übrigen Mitchristen zurAnbetung
Gottes vereinigtet?Hätte in einem der geheimsten
Winkel
eures Herzens sich Ab-neigung gegen diejenigen verborgen, die ihreStimmen
mit den eurigen vereinigten? Unter denWünschen,
die auseurem Herzen
zum
Vater aller emporwallten, hätte sein allsehendesAuge
Wünsche
für das Elend derer entdeckt, die seine Kinder sind wie ihr?Müßtet
ihr euch dann nicht vor Gott, dessenAuge
wahrlich in diesem Augenblicke das Innerste eurerHerzen
durchschaut, schämen?Predigtet!. 65 Seid ihr bei diesen Gesinnungen bisher glücklich gewesen?
Habt
ihr euch nie der Schwachheit geschämt, eureRuhe
von ge-wissen Anblicken, gewissen Erinnerungen abhängen lassen zumüssen? Eure
ganze Seele als einen Schauplatz der niedrigstenEmpfindungen
erblicken zu müssen, sobald eureGedanken
auf gewisse Begebenheiten eures Lebens fielen?Empfindet ihr diese
Scham —
fühlt ihr diese Unannehmlich-keit eures bisherigen Lebens—
oh, möchte es dann doch in dieser Stunde in allen Seelen, in denenes bisher trübe war, helle werden;
möchte doch allen Freude aufgehen! Ihr könnt in diesem
Augen-blicke nicht hingehen zu
eurem
Beleidiger,ihm
nicht dieHand
drückenund
ihn versichern, daß allerHaß
aus eurer Seele rein weggetilgt ist;—
dies ist nicht in eurer' Macht, aber euerHerz
ist in eurer Macht.
—
Oh, möchten sie doch, diese eure Herzen,in dieser
Minute
sich vereinigen, so wie ihr hier vereinigt vor Gott sitzt; möchten sie doch in dieser Minute, [—
] Gottund
alleseligen Geister, die uns hier umringen, zu Zeugen [
—
], denun-zertrennlichsten
Bund
des Friedens schließen!Du
aber, o Gott, der du wahrlich hier zugegen bistund
unser allerHerzen
siehst—
sei unser Zeuge—
wir wollen uns liebenund
nie hassen, wir wollen von nun an allenHaß und
Bitterkeit aus unserer Seele tilgen.Amen
!
Fichte, Predigten. 0
No. V.