ob
inunserem Glaubensbekenntnis recht viele Artikel stehen: auf unsern Wandel kommt
esan;
darauf
kommt
es an,ob
jeder, der uns handeln sieht, denkenmuß:
welch eine vortreffliche,liebenswürdigeLehre
muß
es sein, die diese Leutebekommmen
[bekennen?]; welch eine Kraftmuß
sie haben, dieHerzen
zu reinigenund
zu bessern; möchten wir doch mit keinenandernMenschen
alsmit solchen zu tunhaben; möchten wir doch alle selbst solche guteMenschen
sein!— Oder
ob wir durch unsere Härte, durch dieRoheit unserer Sitten, durch Ausgelassen-heit den anders Denkenden, unter denen wir leben, Veranlassung geben, ein Vorurteil gegen unser Glaubensbekenntnis sowohl, alsgegen die Nation, aus der wir größtenteils
herstammen und
nach derenNamen
wir uns nennen, zu fassen.Predigten. 53
Wir
haben uns zu gegenseitiger inniger Freundschaft mit-einander verpflichtet, uns verpflichtet, uns als Glieder eines Leibes zu betrachten.—
Schauet rundum
euch, schauet über euch, schauet unter euch. Allen, die ihr erblickt, habt ihr so oft ewige Freundschaft zugeschworen, so oft ihr euch zu diesem Altar genahthabt. Fühltihr beidem
Anblicke keines unter ihnen allen eineEmpfindung
des Widerwillens, des Neides, des Hassesin eurer Seele? Erinnert euch derAnblick keines unter allen einer ungerechten lieblosen Handlung, einer bittern Verleumdung, eines harten bösen
Wortes
gegen ihn? Fühlt ihr euch in diesemAugen-blicke fähig, für jeden, denihr erblickt,
wenn
er in diesemAugen-blicke zu euch
käme und
eurer Dienste, oder euresVermögens
bedürfte,
—
fühlt ihr euch fähig, es für jeden gernund
mit Freuden aufzuopfern?Wir
haben unszum
Absterben derWelt und zum
steten Trachten nachdem Himmel
verpflichtet. Fragt euch, meine Teuren, ob dies wirklich die erste, die einzige Triebfeder aller eurerHandlungen
ist, oderwenn
es mir erlaubt ist, zu fragen, so möchte ich viele unter euch fragen: Ist es derHimmel,
den ihr sucht,wenn
ihrTag und Nacht
euchbemühet und
anstrengetund
arbeitet,um
Schätze dieserErde
zusammeln?
Sind es die Freuden des ewigen Lebens, zu deren Genüsse ihr euch vor-bereitet,wenn
ihr euchTag
fürTag
in die Lüste der Sinne stürzet, euch darin berauschtund
euch in einen unaufhörlichenTaumel
einwiegt?Wenn
in dieserMinute
sich derTod
euch an-kündigte,um
euch in diese andereWelt
zu bringen; in diesem Augenblicke eure Glieder anfingen zu erschlaffenund
euerAuge
zu brechen, würdet ihr—
aber besinnt euch wohl, ehe ihr ant-wortet, die irdischen Güter, die ihr besitzt, müßtet ihr dann frei-lich verlassen, die Freuden der Erde, die ihr so wohl kennt, würdet ihr dann freilich nichtmehr
genießen;—
würdet ihr froh eure Häupter aufheben, weil eure Erlösung sich naht, oderwürde
euch banges Entsetzenund
der ohnmächtigeWunsch,
länger zu leben, ergreifen?Habt
ihr diesePrüfung
jetzt mit mir angestellt, Teure?Und
wie habt ihr euch in derselben gefunden?— Wohl und
aber-54 J. G. Fichte.
mals wohl
dem Manne,
der sich in diesem Augenblicke sagen kann: Ich bin mir der bestmöglichsten Erfüllung dieser Ver-pflichtungen, ich bin mir des reinsten Wunsches, der angestreng-testen Bestrebung bewußt, sieimmer vollkommen
zu erfüllen!
Welche
Freudenmüssen
in diesem Augenblicke dasHerz
des-selben überströmen! Sollten aber andere sich in dieserPrüfung
nicht bewährt gefunden haben, sollten sie nach Erforschung des Herzens entdeckt haben, daß es leer an Liebe zu Jesu
und
zu Gottund
zu ihren Mit-Christen,und
voll von Liebe zurWelt
sei, dann
—
verzeiht mir, Brüder, aber ichmuß
euch dieWahr-heit sagen,
wenn
ich nicht die Stelle, an der ich hier vor Gottstehe, entehren will
—
ichmüßte
euch sagen, daß ihr vor der ganzen christlichen Gemeinde, vor denAugen
aller Engelund
Gottes, vor Erde
und Himmel
feierlich eineLüge
beteuert habt, so oft ihr an diesem Altäre erschienen seid; daß ihr,wenn
ihr gesonnen seid,morgen
oder je ohne den festen Vorsatz euerHerz
zu reinigen, wieder an dieser Tafel zu erscheinen, gesonnen seid, wissentlichund
gewarnt,und
mit völliger Überlegungund
Be-wußtsein euren Meineid förmlich zu wiederholen:—
ichmüßte
euch sagen, daß ihr es seid, von denen geschrieben steht:Es
werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr, in dasHimmel-reich
kommen,
sondern die den Willen tun meines Vatersim Himmel;
daß ihr es seid, denen einst dieStimme
erschallen wird: Ich habe euch nie gekannt, weichet von mir. Ichmüßte
euch endlich, soweh
es mir tun würde, sagen, daß,wenn
ihr nur noch heute ohne ernsthafteGedanken und
ohne Besorglichkeitum
euren Seelenzustand aus
dem Hause
gehen könnt, für eureBesse-rung
überhauptwenig
zu hoffen ist.Und
du, o Jesu, der du jetzt wahrlich in unserer Mitte bist, wahrlich siehst,was
in diesem Augenblicke in eines jedenHerzen
vorgeht, der hier sitzt—
wir sind ja alle dein; für das Heil eines jeden unter uns hast du ja deinLeben
auch aufgeopfert,und
nach einem so großen Opfer sollteeine
Seele aus dieserGemeinde
verloren sein? Oh, unser aller Herzen, die du kennst, ergießen sich gegen dich. Reinige du selbst sie, Allmächtiger,und
wir wollen dir nicht widerstreben!Amen!
No. IV.
Im Dokument
Johann Gottlieb Fichte
(Seite 58-61)