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Wir haben genauer nachgeschaut!

Im Dokument OPUS 4 | Kinder in Bewegung (Seite 97-102)

AUS DER PRAXIS – FÜR DIE PRAXIS 96

Erfahrungen in drei Kitas der Gemeinde Petershagen/Eggersdorf / Anja Gräbert und Verena Schwarz

Wir sind 17 Erzieherinnen aus 3 Kitas der Gemeinde Petershagen/Eggersdorf. Die Ge-meinde liegt 30 Kilometer östlich von Berlin im Landkreis Märkisch-Oderland. In unserem Ort haben wir eine bunte Kita-Vielfalt. Es gibt eine christliche Kita, eine Kita des DRK, zwei Horte, eine Waldkitagruppe und unsere kom-munalen Kitas.

Wir arbeiten nach dem Situationsansatz.

Wenn man nach diesem Ansatz arbeitet, soll-te man auch die Qualifikation dafür haben!

Wir redeten zwar von unserer Arbeit nach dem Situationsansatz, aber was steckt wirk-lich dahinter? Der Besuch einer Fachtagung zu diesem Thema regte uns an, darüber nachzudenken, eine Weiterbildung zur Fach-kraft für den Situationsansatz zu absolvieren.

Wir begeisterten unseren Träger und den Bil-dungsausschuss der Gemeindevertretung.

Unser Träger beauftragte das Institut für den Situationsansatz in der internationalen Aka-demie GmbH mit der Durchführung der Wei-terbildung unter Leitung der Dozenten Petra Rost und Ludger Pesch.

Die Weiterbildung ist in 2 Kurse mit einem Umfang von je 25 Tagen (immer freitags und samstags) gegliedert.

17 Erzieherinnen machten sich auf den Weg!Anfang Februar 2005 begannen wir mit dem 1.Kurs der berufsbegleitenden Weiterbildung

„Fachkraft für den Situationsansatz“.

Nach einer Vorstellungsrunde aller Teilneh-mer und der Dozenten erhielten wir einen Überblick zur Orientierung für das vor uns lie-gende Jahr.

Ziel war es, Grundkenntnisse in der Arbeit nach dem Situationsansatz zu erfahren, be-wusst zu machen und Bildungsprozesse zu gestalten, ausgewählte konzeptionelle Grundsätze anzuwenden, die Qualität zu überprüfen und weiterzuentwickeln.

Die Praxisaufgabe bestand für jeden einzel-nen Teilnehmer darin, eine Abschlussarbeit auf der Grundlage der Themen der Weiterbil-dung zu erarbeiten.

Unseren Einstieg in den Situationsansatz gestalteten wir anhand eines „lebenden Soziogramms“ und durch die Darstellung unseres beruflichen Werdegangs. Das schaff-te Bewegung und lösschaff-te die Anspannung.

In einer Zeit, wo der frühkindlichen Bildung besondere Aufmerksamkeit zukommt, erhal-ten die Leitziele des Situationsansatzes Autonomie, Solidarität und Kompetenz einen besonderen Stellenwert.

Diese Leitziele standen bereits seit Jahren in unseren Konzeptionen! Heute wissen wir,

AUS DER PRAXIS – FÜR DIE PRAXIS 97 dass uns deren tiefgründige Bedeutung bis zu

unserer Weiterbildung so noch gar nicht bewusst war.

In mehreren Arbeitsgruppen definierten wir die Begriffe „Autonomie“, „Solidarität“ und

„Kompetenz“ neu und traten im Plenum in einen regen Austausch. Wir waren erstaunt, welche Vielfalt der Begriff Autonomie bietet.

Viele praktische Beispiele vereinfachten uns, die Bedeutung der Autonomie zu verstehen.

Autonomie bedeutet für uns zum Beispiel Selbstbestimmung, Eigeninitiative und Selbstständigkeit. Dabei wurde uns auch klar, dass wir unser Selbstverständnis (Rolle der Erzieherin) als Erzieherinnen immer wieder neu überdenken müssen, wenn wir bei den Kindern mehr Eigenverantwortung, Selbst-und Mitbestimmung, aber vor allem Selbstbil-dung zulassen wollen.

Fast unbemerkt stärkten wir unsere eigene Selbstsicherheit und somit unsere Autonomie durch die angewandte Methodenvielfalt unse-rer Dozenten. So waren einzelne Kolleginnen verantwortlich für die morgendliche Entspan-nungsübung. Dort gingen wir auf die Reise ins Traumland, ein anderes Mal genossen wir eine Handmassage und selbst die Power Meditation „Kundalini-Yoga“ stimmte uns gut auf den Tag ein.

Trotz anfänglichen Herzklopfens haben uns diese Aufgaben und das Vortragen der Ergeb-nisse aus Kleingruppenarbeiten im Plenum darin bestärkt, jetzt ruhiger, professioneller und fachkompetenter in der Öffentlichkeit oder auch in Elternveranstaltungen auftreten zu können.

Sogar die Vorstellung der persönlichen Bil-dungsvorhaben jeder einzelnen Kollegin bekam aus den genannten Gründen immer einen besonderen Platz. Gespannt lauschten wir den Berichten von Tauchgängen, dem Start des Nordic Walking, wurden beteiligt an der Hundeerziehung und lernten das Phäno-men Fogging kennen....

Wir entwickelten Umfeld- und Gruppenanaly-sen, die uns dabei halfen, ungenutzte Res-sourcen (Einbeziehung eines Gartenbaube-triebes, der Bäckerei usw.) der Kinder zu erkennen und gemeinsam mit ihnen zu besprechen. Wir schafften somit eine beson-dere Voraussetzung für ein kindgemäßes Erleben von Demokratie.

Mehr und mehr stellen die Kinder fest, dass sie Dinge selbst in Bewegung bringen und deren Verlauf beeinflussen können. Verant-wortungsbereiche, die sich die Kinder er-schlossen haben, sind z.B. die Post aus dem Rathaus holen oder Filme in den Fotoladen bringen und abholen.

Was wäre jedoch die neu gewonnene Auto-nomie ohne Solidarität?

Solidarität ist der Partnerbegriff zur Autono-mie. Bei vielen war die Solidarität noch mit einer ganz anderen Bedeutung im Kopf – sicher auch durch die historische Situation.

Bei der Bearbeitung dieses Begriffes erhielt so manch einer einen Aha-Effekt.

Solidarität verweist darauf, dass wir nicht allein auf der Welt sind, sondern gemeinsam mit anderen leben. Eigensinn und Gemein-sinn gehören für uns untrennbar zusammen.

98 AUS DER PRAXIS – FÜR DIE PRAXIS In der Gruppenarbeit überprüften wir alle 16 pädagogischen Grundsätze darauf, in wel-chen dieser Grundsätze den Leitzielen Auto-nomie und Solidarität ein besonderer Stellen-wert zukommt und wie sie in der Praxis Beachtung finden.

Der Grundsatz 6 beinhaltet: Erzieherinnen ermöglichen, dass jüngere und ältere Kinder im gemeinsamen Tun vielseitige Erfahrungen sammeln. Sie lernen so auch, ohne Zutun der Erwachsenen von- und miteinander. Unser Standpunkt zur Altersmischung veränderte sich positiv und selbst die 2- bis 3-Jährigen erobern nun für sich interessante Betäti-gungsfelder (mit und auch ohne Hilfe von Älteren). Weitere Grundsätze beinhalten die Beachtung verschiedener Kulturen, wenden sich gegen die Ausgrenzung von Kindern mit Behinderungen und wegen unterschiedlicher Entwicklungsvoraussetzungen, bieten Unter-stützung in der geschlechtsspezifischen Iden-titätsentwicklung von Mädchen und Jungen und fordern die Partnerschaft von Eltern und Erzieherinnen in der Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder.

Der Grundsatz 1 bot uns eine nicht alltägliche Chance. Darin geht die pädagogische Arbeit von den sozialen und kulturellen Lebensbe-dingungen der Kinder und ihrer Familien aus.

Wir luden uns Interviewpartner anderer Berufsfelder ein, verabredeten, wer von uns Interviewer und wer Protokollant ist, und wählten Interviewfragen, um an themenrele-vante Informationen zu gelangen.

Zusagen erhielten wir von einem Pfarrer unserer Gemeinde, der Bibliothekarin, einem Abgeordneten und der Schulleiterin der

ka-tholischen Grundschule in Petershagen, die während des Interviews darüber berichtete, wie sie sich dem Thema „Tod“ stellen und wel-che Erfahrungen und Rituale sie nutzen, um betroffene Kinder zu begleiten.

Die Teilnehmerinnen, die in die Funktion der Interviewer schlüpften, wuchsen förmlich über sich hinaus. Für alle war es das erste Mal, ein Interview zu führen. Im Feed-back nachge-fragt, fühlten sich alle super und gestärkt in ihrer Persönlichkeit. Auch die Protokollanten hatten alle Hände voll zu tun. Sie schrieben, dass die Stifte glühten, damit ihnen auch kein wichtiges Detail entgeht. Protokollanten gab es immer vier, damit danach ein Zusammen-fassen der Beobachtungen und Mitschriften in Zusammenarbeit erfolgen konnte.

Durch die uns ermöglichten Erfahrungswelten und den daraus resultierenden Wissenszu-wachs wurde unsere Sachkompetenz enorm gesteigert. Kompetenz bedeutet Bildung, Wissen und Befähigung. Man braucht Kom-petenzen, um in Situationen sachangemes-sen handeln zu können.

Interessiert und neugierig wollten wir nun auch die Fortschritte bei den Kindern beo-bachten und Kompetenzen unter die Lupe nehmen, die Kinder fit fürs Leben machen.

Was wir fanden, war ganz erstaunlich! Die Kinder bewegen sich je nach Alter und Ent-wicklungsstand selbstständig in den 6 Bil-dungsbereichen im gesamten Haus. Wir konnten immer wieder Kinder beobachten, die beim Backen Freude hatten, selbst ihre Vesper zubereiteten, durch ihre Wünsche den Speiseplan mitbestimmten und auch Einkäufe erledigten.

AUS DER PRAXIS – FÜR DIE PRAXIS 99 Andere halfen bei der Montage von

Kleinmö-beln und dem Zusammenbau des neuen Regals für ihr Entdeckerland, nutzten die Computer mit ihren Lernprogrammen oder ließen ihren Bedürfnissen nach körperlicher Betätigung in der Bewegungsbaustelle freien Raum. Erstaunlich selbstbewusst fanden wir ihr Auftreten im Kirchenbüro, als sie für sich einen Termin zur Kirchenbesichtigung verab-redeten.

Wundern Sie sich nicht, wenn Sie an unserem Telefon eine Kinderstimme hören - denn auch diese Kompetenz haben einige Kinder schon erworben!

Gleichzeitig werden dabei die individuellen Zugangsbereiche der Kinder gefördert – in diesem Fall ist es der Bildungsbereich der Sprache.

Um die Leitziele des Situationsansatzes gut umsetzen zu können, bedarf es einer tief-gründigen, ausführlichen Planung, die wir während der Fortbildung erlernten und immer wieder trainierten.

Auch vor dieser Weiterbildung haben wir geplant!

Nun mal ehrlich – haben wir nicht immer gleich mit dem Handeln begonnen?

Wir lernten jetzt alle Planungsschritte kennen und begriffen die Notwendigkeit der Einhal-tung des

• Erkundens

• Entscheidens

• Handelns

• Reflektierens und

• Dokumentierens.

Der Prozess des Erkundens mit Beobach-tung, Befragung, Teamgespräch, Elternge-spräch und Dokumentation ließ uns positive Erfahrungen sammeln. Er erleichterte somit das Finden von Schlüsselsituationen von Kin-dern, deren Interessenbereichen und ihren derzeitigen Themen. Im Nachhinein haben wir bemerkt, dass wir Eltern- und Teamge-spräche ausgeklammert hatten. Im Tätigsein reifte die Erkenntnis – je tiefgründiger wir erkunden, umso mehr Helfer können wir haben.

Beim Entscheiden selektieren wir aus allen beobachteten Situationen jene heraus, die wir als Schlüsselsituation aufgreifen und mit den Kindern bearbeiten wollen. Wir müssen uns entscheiden, welche Kompetenzen wir fördern wollen in den Bereichen der Ich-, Sozial-, Sach- und lernmethodischen Kompetenz. Wir überdenken, was wir darüber wissen, welche Erfahrungen wir mit dem Thema haben und wer unser Partner sein kann.

Das Handeln bereitet den Kindern und uns immer besondere Freude. Eine gute Vorberei-tung lässt das Handeln besonders lebendig werden. Wir prüfen, wie „SPAR“ zur Zielerrei-chung beiträgt.

Die Reflexion lässt uns darüber nachdenken, was gut gelungen ist, was wir beim nächsten Mal anders machen würden, und lässt uns prüfen, ob wir Kinder, Team und Eltern aus-reichend einbezogen haben.

Die Arbeit im Situationsansatz kommt ohne Dokumentation nicht aus. Dokumentation

100 AUS DER PRAXIS – FÜR DIE PRAXIS schafft durch Transparenz der pädagogi-schen Arbeit Voraussetzungen, dass Eltern sich informieren, mitdenken und mitmachen können. Den Kindern wird die Rückbesinnung an gemeinsame Erlebnisse und Aktionen ermöglicht.

Der Situationsansatz folgt einer prozesshaf-ten Planung. Wie lange ein Thema bearbeitet oder ob es abgebrochen wird, entscheidet das Interesse der Kinder.

Um diesen wichtigen theoretischen Bestand-teil unserer Weiterbildung anzuwenden, wurde oft geübt und durch etliche Hausaufga-ben während der Praxiszeit gefestigt. Bei der Anwendung in der Praxis fanden die Erziehe-rinnen ihre Themen für die Abschlussarbeit, die jede im Kolloquium am Ende des 1.Kur-ses präsentieren durfte. Diese Arbeit sollte die Leitziele, die pädagogischen Grundsätze und die Planungsschritte des Situationsansatzes beinhalten und praxisnah in Form von durch-geführten Projekten beschrieben werden.

Zeitgleich beschäftigten uns viele Fragen zum Kolloquium. Keiner konnte sich darunter anfangs etwas Greifbares vorstellen. Deshalb haben wir mit unseren Dozenten Ablauf und Inhalte besprochen. In der Generalprobe testeten wir den „Ernstfall“. Wir gaben uns wertvolle Tipps, um im Abschlusskolloquium all unsere Gast-Dozenten des Institutes für den Situationsansatz, Trägervertreter, Per-sönlichkeiten des Ortes, Praxisberaterin, Eltern, Mitarbeiter – für den Situationsansatz begeistern zu können.

Nach knapp einem Jahr Weiterbildung war es dann endlich soweit und der Tag des

fachöf-fentlichen Kolloquiums rückte immer näher.

Ein Wechselbad der Gefühle begleitete uns an diesem Tag. Wir waren fürchterlich aufge-regt und doch gespannt, welche Wirkung unsere Präsentationen auf die Gäste errei-chen werden.

Nach einem aufregenden und anstrengenden Vormittag konnten alle Teilnehmerinnen ihr Zertifikat aus den Händen des Bürgermeis-ters und unserer Dozenten in Empfang neh-men.

Wir schauen auch weiterhin nach vorn und sind Lehrende und Lernende zugleich! Jeder Einzelne wendet das erworbene Wissen in der Praxis an.

Wir haben genauer nachgeschaut und wis-sen, dass Situationen nicht vom Himmel fal-len. Sie verlangen professionelle Arbeit jeder Erzieherin. Um mit noch mehr Qualität im Situationsansatz arbeiten zu können, werden wir im Herbst mit dem zweiten Kurs der Wei-terbildung beginnen.

Kontakt:

Kita „Burattino“

Am Markt 20 15345 Eggersdorf Telefon: 03341/422010

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