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Gehirn-Plastizität

Im Dokument HEILUNG DURCH GLAUBEN (Seite 49-53)

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issenschaftler nennen diese Fähigkeit zur Veränderung »Plastizität«. Eine vor kurzem veröf-fentlichte Studie ergab, daß Ratten, die in Käfi gen mit Spielzeugen und Labyrinthen aufwach-sen, mehr neuronale Verbindungen entwickeln als Ratten in leeren Käfi gen. Dank der Gehirn-Plasti-zität gilt Ähnliches auch für den Menschen. Avi Karni und Leslie Underleider vom National Institute of Mental Health führten ein Experiment durch, bei dem die Teilnehmer gebeten wurden, täglich für

10 Minuten eine einfache Übung auszuführen, die darin bestand, nacheinander mit den Fingern – vom Zeigefi nger bis zum kleinen Finger – gegen den Daumen zu klopfen. Die Teilnehmer wurden darin immer besser, so daß sie am Ende der vierwöchigen Studie ihre Geschwindigkeit und Präzision ver-doppelt hatten. In regelmäßigen Abständen wurden, während sie die Übung ausführten, ihre Gehirne abgetastet – in diesem Fall mit Hilfe funktionaler magnetischer Resonanzbilder, die es den Forschern ermöglichten, die während der Übung von den Teilnehmern benutzte Gehirnregion zu identifi zieren.

Während ihre Gehirne abgetastet wurden, bat man die Teilnehmer, die Übung auch umgekehrt zu ma-chen – vom kleinen Finger bis zum Zeigefi nger –, was sie zwisma-chendurch nicht trainiert hatten.

Bei den zu Beginn der Studie aufgezeichneten Resonanzbildern stellten Karm und Underleider fest, daß die eigentliche Übung und ihre Umkehrung gleich große Aktivitätszonen im sogenannten Motor-Kortex des Gehirns erzeugten. Doch nach dem vierwöchigen Training zeigte die Aufnahme während der trainierten Bewegungsfolge eine größere Aktivitätszone im Motor-Kortex als bei der umgekehrten, nicht trainierten Bewegungsfolge. Die Wissenschaftler schlossen daraus, daß durch die regelmäßige Wiederholung der Übung, die häufi ge Aktivierung gleich ausgerichteter Nervenzellen, weitere Nervenzellen im Motor-Kortex angeregt wurden und sich die anfangs beteiligten neuralen Verbindungen dadurch erweiterten und veränderten.

Ahnlich wie wir bei unseren Computern von Hardware und Software sprechen, besitzen unsere Gehirne fest installierte, angeborene Programme und solche, die im Laufe unseres Lebens zusätzlich gespeichert werden. Angeborene Programme sind unsere Angst vor der Höhe, vermutlich auch vor Schlangen und allen anderen Dingen, die das Überleben unserer Vorfahren bedrohten. Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion und die Fähigkeit, uns durch die Entspannungsreaktion zu regenerieren, sind ebenfalls angeborene Programme. Doch wir können uns auch neue Programme aneignen, was uns befähigt, dazuzulernen und neue Denkweisen zu praktizieren, die allmählich die gewohnten Muster ersetzen, auf deren Grundlage das Gehirn bislang Informationen auswertete und handelte.

Wir alle besitzen unterschiedliche Neurosignaturen – für Wohlbefi nden, für Krankheit, Stärke und Ausdauer, für Kopfschmerzen und Übelkeit, für Bewegung und Vergnügen, für Schmerz und Behin-derung, für jene Symptome, die Sie mit Arthritis oder Angina pectoris assoziieren, und für alle an-deren Aktivitäten und Situationen, die Sie in Ihrem Leben bisher kennengelernt haben. Vergleichbar einer guten oder schlechten Angewohnheit aktivieren immer wiederkehrende Von-oben-nach-unten-Gedanken mit ihren entsprechenden emotionalen Wertungen im Gehirn immer wieder die gleichen, zuvor benutzten Nervenzellen-Aktivitätsmuster zur Steuerung des Körpers. Auf diese Weise werden unsere Gedanken zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, und so können unsere Überzeugungen unserem Körper das großartige Potential erinnerten Wohlbefi ndens erschließen.

Wenn wir unser Bewußtsein verändern, buchstäblich und im übertragenen Sinne, können wir damit unsere Gesundheit entscheidend verbessern. Unser Körper und unser Geist stellen ganz eindeutig eine Komposition aus genetischen Veranlagungen und Anpassungen an unsere Lebenserfahrungen dar.

Natur und Erziehung sind untrennbar und voneinander abhängig, Vorherbestimmung und freier Wille mischen sich in unserem Leben auf natürliche Weise. Unsere Neurosignaturen – die Schaltkreise un-seres Gehirns, die es uns ermöglichen, über unseren Körper und unser Dasein nachzudenken – werden von beiden Elementen gestaltet. Die Debatte, ob nun der Geist über den Körper herrscht oder umge-kehrt, ist daher lächerlich, die Argumente beider Seiten bleiben strittig.

Phantomgliedmaßen

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s gibt wohl kaum ein faszinierenderes Beispiel für das Zusammenspiel zwischen genetischer Programmierung und der Plastizität des Gehirns als die Erfahrungen von Menschen, denen Glied-maßen amputiert werden mußten. Eine wissenschaftliche Studie belegt, daß bei Menschen, denen

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eine Hand amputiert wurde, jene Region im Gehirn verschwindet, die zuvor die Empfi ndungen dieser Hand registrierte. Und doch schreibt Dr. Ronald Melzack, ein Psychologe von der McGill Univer-sity in Montreal, im Scientifi c American, daß 70 Prozent der Menschen mit Amputationen über ein Phänomen berichten, daß man »Phantomschmerz« nennt – brennende, krampfartige und stechende Schmerzen in dem fehlenden Körperteil. Andere Empfi ndungen an dem fehlenden Glied sind Druck, Wärme oder Kälte, Nässe, Schwitzen, Juckreiz, Empfi ndlichkeit und Prickeln. Diese Empfi ndungen erscheinen den Patienten so real, schreibt Melzack, daß sie sie nicht nur lebhaft beschreiben und prä-zise lokalisieren können; es geht sogar so weit, daß Patienten versuchen, mit einer nicht existierenden Hand eine Tasse hochzuheben, oder daß sie mit einem Fuß aus dem Bett steigen wollen, der gar nicht mehr da ist.

Viele verschiedene Funktionen des Nervensystems sind für dieses Phänomen verantwortlich. Es kommt übrigens auch bei Kindern vor, die mit fehlenden Gliedmaßen geboren werden. Laut Dr.

Melzack wird die Empfi ndung der Phantomgliedmaßen und der daran auftretenden Phantomschmer-zen mit der Zeit schwächer, verschwindet aber nie ganz und tritt manchmal sogar nach Jahrzehnten erneut auf. Selbst wenn jene Gehirnregion verschwindet, die ursprünglich die Empfi ndungen regis-trierte, ist es doch möglich, daß andere Nervenzellen und Schaltkreise des Gehirns eine Erinnerung an das amputierte Glied bewahren. Viele Gehirnforscher glauben, daß Menschen mit einem Gefühl für Gliedmaßen zur Welt kommen – als angeborenes Programm des Gehirns. Mit anderen Worten, unser Gehirn liefert uns das Bild unseres Körpers, sagt uns, daß wir einen Körper haben. Oder, wie Dr. Melzack es ausdrückt: »Wir brauchen keinen Körper, um einen Körper zu spüren.«

Diese Forschungsergebnisse legen eine radikal andere Sicht der Welt nahe, eine Abkehr von Des-cartes Idee vom wunderbaren maschinengleichen Körper und dem winzigen Geist, die von unserer Kultur so rückhaltlos aufgegriffen wurde. Das Gehirn bringt die Körpererfahrung hervor, nicht nur indem es Reize aus Körper und Umwelt interpretiert, sondern auch indem es eigene Wahrnehmungen erzeugt, unabhängig von Körper und Umwelt, und damit auch unabhängig von dem, was wir immer für die »Realität« gehalten haben. Dr. Damasio stimmt dann überein, wenn er schreibt: »Wir wissen nicht, was die >absolute< Realität ist, und es ist unwahrscheinlich, daß wir es je herausfi nden.« Er erklärt: »Alles, was Sie mit Sicherheit wissen können, ist, daß jene Bilder für Sie real sind und daß andere Geschöpfe vergleichbare Bilder erzeugen.«

Wahrscheinlich erkennen wir uns selbst also nur, weil das Gehirn existiert, das uns sagt, wer wir sind, das Signale aus der Umwelt, Signale aus unserem Körper und Signale aus unseren Gedanken und Phantasien interpretiert und selbst Signale übermittelt. Unser Gehirn betrachtet alle diese Kom-ponenten als »real« und wichtig. Unsere Emotionen und Phantasien sind für es nicht weniger bedeut-sam als unser Blutkreislauf und unser Tastsinn.

In uns gibt es ein System der Balance, bei dem die uns angeborenen Programme »klug«

genug sind, den anderen, später erworbenen Programmen zu erlauben, sich an unsere täglichen und lebenslangen Erfahrungen anzupassen. Gleichzeitig üben die angeborenen Programme aber, so wie es Eltern mit einem Kind tun würden, Einfl uß auf die anpassungsfähigen Schaltkreise des Gehirns aus und setzen grundlegende Richtlinien, die im Interesse des Überlebens befolgt werden müssen. Es ist eine unheimliche Vorstellung, daß diese blitzschnelle Kommunikation, bei der alle gleichzeitig reden, beständig in uns abläuft und dazu beiträgt, unser Schicksal zu formen. Und das gilt nicht nur, wie wir es bislang zu sehen gewohnt waren, auf der körperlichen Ebene, sondern auch, wie uns die neuen Ergebnisse der Gehirnforschung nahelegen, für den Menschen insgesamt.

Wir können mit Hilfe unserer Gedanken die Arbeitsweise unseres Gehirns beeinfl ussen und unseren Nervenzellen Erfahrungen und Ereignisse aufprägen, die emotional befriedigend und nicht bedrohlich sind. Wir können die neu entdeckte Kraft der von oben nach unten, also durch Gedanken, aktivierten Gehirnfunktionen in vollem Umfang zu unserem Vorteil nutzen. Das ist erinnertes Wohlbefi nden.

Seine Möglichkeiten erscheinen grenzenlos, wenn wir erkennen, daß wir nachweislich Kontrolle über Gehirnaktivitäten ausüben können, daß wir in Diagnose und Medizin Prioritäten setzen können und daß wir Affi rmationen, Visualisierungen und andere Übungen anwenden können, um die Zahl jener Nervenzellen zu erhöhen, die Signale an Herz, Lunge und Gliedmaßen senden.

Was steht dem im Wege? Nur die allgemein akzeptierte, schwerfällige wissenschaftliche Lehre von einer Zweiteilung zwischen Geist und Materie, die von dieser Fülle neuer Entdeckungen der Gehirn-forschung schließlich zu Fall gebracht werden wird. Wie wir im folgenden Kapitel sehen werden, befi ndet sich die heutige Medizin in einer Krise. Erinnertes Wohlbefi nden und die noch ungenutzten Ressourcen unseres brillanten Gehirns und unserer innersten Seele könnten sich als das beste Heilmit-tel gegen diese Krise erweisen.

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5. KAPITEL

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