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DIE ENTSPANNUNGSREAKTION

Im Dokument HEILUNG DURCH GLAUBEN (Seite 67-70)

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ie werden sich erinnern, daß ich mich zunächst deshalb näher mit erinnertem Wohlbefi nden befaßt habe, weil ich aufgefordert wurde, es von jener körperlichen Ruhe abzugrenzen, die ich »Ent-spannungsreaktion« genannt habe. In guter reduktionistischer Manier gelang mir der Nachweis, daß die Entspannungsreaktion unabhängig von erinnertem Wohlbefi nden funktioniert, also ohne den Glau-ben als Antrieb. Dann fand ich aber heraus, wie Entspannungsreaktion und erinnertes Wohlbefi nden sich auf sehr wirksame und sinnvolle Weise ergänzen können.

In diesem Kapitel möchte ich Sie mit der Entspannungsreaktion und Ihrer Bedeutung für die mich zunehmend faszinierenden gesundheitlichen Wirkungen des Glaubens bekannt machen. Zwar kann die Wissenschaft Glauben und Entspannungsreaktion leicht voneinander abgrenzen, wenn es darum geht, meßbare, wiederholbare Ergebnisse zu erzielen. Dennoch versehen Patienten, wie wir sehen werden, geistige Konzentrationstechniken bereitwillig mit Sinn und Bedeutung, wodurch sich sehr dynamische Heilungseffekte erzielen lassen.

Vor einigen Jahren holte mich an einem Sonntagmorgen um sechs Uhr ein Nachbar zur Hilfe. Paul war ein landesweit bekannter Designer für Herrenanzüge; seine Frau Marie bildete das Rückgrat sei-ner sehr eng verbundenen italienischen Familie. Wir waren seit 15 Jahren Nachbarn, aber unsere Be-kanntschaft hatte sich bislang auf ein freundliches »Wie geht‘s?« am Straßenrand oder gelegentliche fl üchtige Begegnungen auf Parties beschränkt.

An diesem Tag war es eine schwere Krise, die uns zusammenführte. Bei Marie war vor Monaten Nierenkrebs diagnostiziert worden, und die Arzte konnten nichts dagegen tun. Sie war nach Hause gekommen, um die Zeit, die ihr noch blieb, umgeben von glücklichen Erinnerungen und liebevoll umsorgt von ihrem Mann und ihren Töchtern zu verbringen. An diesem Morgen rief Paul mich an, weil Marie vor Schmerzen schrie; nichts von dem, was man ihm für solche Situationen geraten hatte, half dagegen.

Als ich eintraf, fand ich Marie auf einem Krankenhausbett im Eßzimmer liegend. Die Familie hatte alle Möbel aus dem Zimmer geräumt, damit die Ehefrau und Mutter im »Zentrum« des Hauses liegen konnte, keine Treppen steigen mußte und es nicht weit bis in die Küche und ins Bad hatte.

Marie war erschöpft und tränenüberströmt, gequält von den Unterleibsschmerzen, die dieser Krebs im Endstadium ihr bereitete; sie konnte keinen Schlaf mehr fi nden. Paul schob mich in die Küche, wo eine Unmenge von Tablettenröhrchen auf der Anrichte stand. Alle diese Medikamente sollten Maries Schmerzen lindern, aber keines schien mehr zu helfen. Paul schaute mich an und sagte: »Bitte helfen Sie uns.«

Ich wußte, daß die Familie katholisch war. Daher bat ich Paul, ein Kruzifi x aus dem Schlafzimmer zu holen, und wir hängten es im Eßzimmer über Maries Bett. Ich erklärte Marie, daß sie ihre Schmzen vielleicht lindern konnte, indem sie die Entspannungsreaktion bei sich aktivierte. Als ich ihr er-läuterte, daß sie sich zu diesem Zweck auf ein für sie tröstliches Wort oder einen Satz konzentrieren müsse, wählte sie den Rosenkranz. So lag Marie dort, hielt meine Hand, atmete tief durch und kon-zentrierte sich darauf, still den Rosenkranz zu beten. Allmählich glätteten sich die tiefen Furchen um ihren Mund und die Augen, und ihre Atmung wurde langsamer und gleichmäßiger. Nach etwa zehn Minuten schlief Marie ein. Paul war erleichtert, daß er sich nun ebenfalls ein wenig ausruhen konn-te, nachdem er stundenlang die Qualen seiner Frau hilfl os mitangesehen hatte. Ein paar Tage später rief Paul mich an, um mir zu sagen, daß sich Maries Zustand bemerkenswert gebessert hätte. Marie

vertraute nun fast ausschließlich auf die Kraft des Gebetes und nahm kaum noch Schmerzmittel ein.

Paul berichtete, daß Marie zwar beträchtliche Schmerzen spürte, aber nicht mehr von dieser schreck-lichen Unruhe befallen war, unter der sie zuvor so gelitten hatte. Ohne die vielen Medikamente war sie geistig klarer, und ihr Stimmung hatte sich gebessert. Dank dieses inneren psychologischen Bei-standes und der Kraft ihres Glaubens fand Marie während ihrer letzten Wochen seelischen Frieden und hatte einen leichten Tod.

Ein anderer meiner Patienten, der sieben Jahre alt war, als ich ihn kennenlernte, erlebte durch die Entspannungsreaktion eine wunderbare Befreiung. Bei Andy war eine angeborene Migräne diagnos-tiziert worden. Von Geburt an hatte er unter Kopfschmerzen gelitten und als Baby beinahe ständig geweint. Sobald er sprechen konnte, sagte er seinen Eltern, daß ihm der Kopf wehtat.

Als Andy zu mir gebracht wurde, ging er in die dritte Klasse, war aber in seinen Leistungen zu-rückgeblieben, und es fi el ihm schwer, Freunde zu fi nden. Das lag vor allem daran, daß Andy oft den ganzen Tag in einem abgedunkelten Zimmer verbringen mußte, weil seine Migräne sich bei hellem Licht verschlimmerte. Andys Eltern wußten keinen Rat mehr. Sie hatten sämtliche Medikamente und Therapien ausprobiert, doch keine davon hatte geholfen.

Auch Andy und seine Familie waren katholisch, und wir wählten ein Gebet aus, mit dem er die Entspannungsreaktion aktivieren sollte. Andy und ich trafen eine Abmachung, daß er sich zweimal täglich 10 bis 20 Minuten still auf dieses Gebet konzentrieren sollte. Außerdem sollte er sich auch beim ersten Anzeichen eines Migräneanfalls für einen kurzen Moment auf sein Gebet konzentrieren.

Schon nach wenigen Wochen ließen Dauer und Häufi gkeit der Anfälle nach. Nach einigen weiteren Wochen reduzierte sich auch die Heftigkeit der Schmerzen. Ein paar Monate später waren Andys Kopfschmerzen völlig verschwunden. Mit seinen Noten und seiner Beliebtheit bei den Mitschülern ging es von nun an aufwärts, und schon bald spielte er im Hockeyteam der Schule. Als ich zuletzt mit der Familie sprach, nahm Andy keine Medikamente mehr ein und seine Migräne gehörte offenbar endgültig der Vergangenheit an.

Obwohl bei Andy und Marie sehr unterschiedliche Leiden gelindert wurden, erlebten sie doch beide den gleichen körperlichen Vorgang – die Entspannungsreaktion. Es spielt keine Rolle, welche Me-thode benutzt wird, um diese Reaktion zu aktivieren, die physiologischen Veränderungen sind immer die gleichen. Der menschliche Körper ist von der Natur dafür ausgerüstet, sich in diesen entspannten Zustand zu versetzen – das Gegenteil zur Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Dazu ist es lediglich erfor-derlich, sich für eine Weile geistig zu konzentrieren und dabei störenden Alltagsgedanken keine Be-achtung zu schenken. Mit anderen Worten, wenn der Geist zur Ruhe kommt, wird auch der Körper ruhig.

Die Entspannungsreaktion ist so tief in uns verankert, daß der Glaube, also erinnertes Wohlbefi n-den, gar nicht nötig ist, um sie zu aktivieren. Man muß kein Gebet aufsagen oder andere, den Glauben ansprechende Worte. Es genügt, sich auf irgendein Wort, einen Satz, einen Ton oder eine sich wie-derholende Handlung zu konzentrieren. So wie eine Penicillinspritze Streptokokken-Infektionen heilt oder ein Laserstrahl eine gerissene Netzhaut am Auge repariert, wird jede Konzentration auf eine sich wiederholende Aktivität die Entspannungsreaktion aktivieren, ob Sie nun daran glauben oder nicht.

Affengeist

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tellen Sie es sich folgendermaßen vor: Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion, die Reaktion Ihres Kör-pers auf Streß, ist, wie wenn die Feuerwache auf einen Notruf reagiert. Alle Mitspieler müs-sen Schutzkleidung tragen und für die Feuerbekämpfung ausgerüstet und ausgebildet sein. Ihr Geist und Ihr Körper stellen sich in dramatischer Weise auf einen vermeintlich drohenden Notfall ein.

Blutdruck, Atemfrequenz und Stoffwechselrate erhöhen sich; auch die Muskelspannung steigt an, 68

und Ihre Gehirnwellen werden schneller und intensiver. Der Blutfl uß in Ihren Arme und Beinen nimmt durchschnittlich um 300 bis 400 Prozent zu, damit Sie effektiv kämpfen oder fl iehen können.

Aber bei den meisten Streßsituationen, in die wir täglich oder sogar mehrmals am Tag geraten, handelt es sich um falschen Alarm. Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion ist jedoch seit Jahrmillionen fester Bestandteil der menschlichen Physiologie und wird automatisch aktiviert, so daß wir gegen ihre unnötige Mobilisierung häufi g machtlos sind.

Daß wir die Energie, die bei der Kampf-oder-Flucht-Reaktion in uns mobilisiert wird, nicht kör-perlich abreagieren und verbrauchen können, hat eine Fülle negativer Auswirkungen. Sich ständig wiederholende, unnötige Befehle zur Steigerung des Blutfl usses führen schließlich zu einem ständig erhöhten Blutdruck. Hoher Blutdruck verursacht Herzerweiterung und Herzschwäche, ist Mitauslöser von verstopften Arterien — Arteriosklerose – und geplatzten Blutgefäßen, die zu Schlaganfällen und anderen inneren Blutungen führen. Ebenso können Adrenalin und Noradrenalin Herzrhythmusstörun-gen auslösen, die Schmerzschwelle senken und Ängstlichkeit, Depression, Wut und Feindseligkeit fördern.

Buddhisten besitzen ein wunderbares Wort für unseren brodelnden, chaotischen Geisteszustand.

»Papanca« bedeutet, wörtlich übersetzt, »Affengeist«. Wenn Sie einen »Affengeist« haben, behin-dert übermäßige Gehirnaktivität Ihre Konzentration und Lernfähigkeit, und Sie können schlecht ein-schlafen. Außerdem werden Ihre Muskeln sich, weil sie so oft den Befehl dazu erhalten, schließlich gewohnheitsmäßig anspannen. Diese Muskelanspannung löst im Gehirn laufend Streßsignale aus, wodurch ein Teufelskreis ständiger sinnloser körperlicher Mobilisierung entsteht, ohne Aussicht auf Erleichterung.

Janet Frank war in diesem Teufelskreis gefangen, als sie vor zwei Jahren zum erstenmal unser Ins-titut für Geist/Körper-Medizin aufsuchte. Mrs. Frank litt unter schwerer Schlafl osigkeit. Auch wenn sie am Abend gegen elf Uhr zu Bett ging, fand sie bis um vier oder fünf Uhr morgens keinen Schlaf.

Dabei hatte Mrs. Frank früher nie solche Probleme gekannt. Ja, sie war eine so gute Schläferin gewe-sen, daß sie sogar in der hektischen, überfüllten Praxis ihres Gynäkologen einnicken konnte.

Doch 1980 fi el ihr achtzehn Monate alter Enkel in einen Swimmingpool und wäre fast ertrunken. Als Folge dieses tragischen Unfalls blieb der Junge geistig und körperlich behindert. Mrs. Frank brachte zusammen mit ihrem Sohn und ihrer Schwiegertocher Wochen in einem Ronald-McDonald-Kinder-heim zu, betend und darauf hoffend, daß der Zustand des kleinen Jungen sich bessern möge. Damals begannen ihre Schlafprobleme. »Ich machte mir andauernd Gedanken wegen meines Enkelkindes«, erinnert sie sich, »und wegen meines schwierigen Verhältnisses zu meiner Schwiegertochter. Es war, als hörte ich ständig ihre Stimmen in meinem Kopf. Ich konnte einfach nicht mehr abschalten.«

Zuerst hatte Mrs. Frank nur an ungewohnten Orten Einschlafschwierigkeiten, etwa zu Besuch bei Freunden oder in Hotels. Also blieb sie aus Angst, anderswo nicht schlafen zu können, immer öfter zu Hause. Doch das Problem verschlimmerte sich, so daß sie schließlich auch in ihrem eigenen Haus keinen Schlaf mehr fand. Mrs. Frank blieb die ganze Nacht auf, hörte Radio-Talkshows, buk Plätz-chen, bügelte oder lief stundenlang im Haus auf und ab. Da ihr Mann vor Jahren gestorben war und ihre inzwischen erwachsenen Kinder nicht mehr bei ihr lebten, brauchte sie keine Angst zu haben, mit ihrer nächtlichen Aktivität jemanden zu stören. Aber das Problem belastete sie nervlich und begann, sich nachteilig auf ihre Gesundheit auszuwirken.

Sie hatte sich mein Buch The Relaxation Response aus der Bibliothek besorgt und auf eigene Faust zu meditieren versucht. Als sie dann im Mitteilungsblatt ihrer Krankenversicherung las, daß die Kos-ten für die Behandlung von Schlafl osigkeit am Mind/Body Medical Institute übernommen wurden, kam sie zu meinem Kollegen Dr. Gregg D. Jacobs, der sich auf diese Therapie spezialisiert hat.

Bevor Mrs. Frank lernte, die Entspannungsreaktion zu aktivieren, hatte sie das Radio laufen lassen, wenn sie zu Bett ging, damit die Stimmen im Radio die Stimmen in ihrem Kopf überlagerten. Wenn

sie sich aber ins Bett legte und »Der Herr ist mein Hirte« oder »Schenke mir Frieden« rezitierte, ver-schwand das Herzklopfen, das ihr sonst so zu schaffen gemacht hatte, und sie konnte einschlafen. Sie berichtet: »Ich visualisierte Gott und konnte förmlich sehen, wie Gott über mich wacht. Gott schenkte mir Ruhe. Ich hatte das Gefühl, die Hand ausstrecken und ihn berühren zu können, so real war Gottes Gegenwart für mich.«

Mrs. Frank nutzte die Gedankenkraft ihres Gehirns, um sich ihren Glauben zu vergegenwärtigen.

Dann verband sie ihren Glauben mit einer geistigen Konzentrationsmethode, durch die, wie schon beschrieben, die Entspannungsreaktion ausgelöst wird. Zum Glück ist unser Herz nicht nur darauf programmiert, schneller zu schlagen, wenn wir unter Streß stehen, es ist auch auf die gegenteilige Re-aktion programmiert, auf innere Ruhe, die den schädlichen Folgen des Streß entgegenwirken kann.

Die Entspannungsreaktion läßt sich nicht so schnell mobilisieren wie die in Notsituationen le-benswichtige Kampf-oder-Flucht-Reaktion. In der heutigen Zeit stellt sie sich nur selten von selbst ein, obgleich viele von uns sie vermutlich schon einmal unbewußt bei sich aktiviert haben. Unse-re VorfahUnse-ren aktivierten die EntspannungsUnse-reaktion unbewußt viel häufi ger, weil sie sich so oft den Sonnenuntergang anschauten oder den Blick in die Ferne schweifen ließen. Sie kannten kein Nintendo und keinen Videoverleih, um sich zu unterhalten und abzulenken, keine Pop-Kultur, die sie ständig an- und aufregte. Zwar mögen unsere Vorfahren häufi ger Gelegenheit zu tröstlicher Ruhe und Muße gefunden haben, doch auch wir besitzen die Fähigkeit, die Entspannungsreaktion in uns zu aktivieren und davon ebenso zu profi tieren.

Wenn Sie sich für eine Weile konzentrieren und sanft jeden störenden Gedanken beiseite schieben, werden Ihr Geist und Ihr Körper plötzlich zu einem Fünf-Sterne-Luxushotel, in dem das Personal nur Ihre Erholung und Gesundheit im Auge hat. Dabei bemüht es sich ganz besonders darum, die schäd-lichen Auswirkungen des Stresses zu lindern. Dieses Team aus hervorragenden Streßbeseitigern und Entspannungsspezialisten tritt sofort in Aktion, wenn Sie Ihren alltäglichen Gedanken und Sorgen einmal keine Beachtung schenken. Die folgende Tafel zeigt den starken Kontrast zwischen Kampf-oder-Flucht-Reaktion und Entspannungsreaktion im Vergleich.

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Vergleich der physiologischen Veränderungen bei Kampf-oder-Flucht-Reaktion und Entspannungsreaktion

Physiologischer Zustand Kampf-oder-Flucht-Reaktion Entspannungsreaktion

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Stoffwechsel erhöht reduziert Blutdruck erhöht reduziert Herzfrequenz erhöht reduziert Atemfrequenz erhöht reduziert Blutfl uß zu

Arm-und Beinmuskeln erhöht reduziert Muskelspannung erhöht reduziert Langsame Gehirnwellen erhöht reduziert

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Im Dokument HEILUNG DURCH GLAUBEN (Seite 67-70)