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Frauen, Geschlechterverhältnis

2.1.4 »Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung«

2.2 Ausgewählte Gruppen

2.2.3 Frauen, Geschlechterverhältnis

Ursula Schröter

Vorbemerkungen

Für das Projekt »Sozialberichterstattung« gerade noch zur rechten Zeit, erschien in der zweiten Hälfte 2005 erstmalig der so genannte Gender-Datenreport, ein

»Kommentierter Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland«, erarbeitet vom Deutschen Jugendinstitut München in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt Wiesbaden. Dieses Doku-ment ist die aktuellste offizielle Standortbestimmung zum Geschlechterthema in Deutschland und erlaubt gleichzeitig den Blick auf Europa. Vermutlich ist es auch die in der Europäischen Union vereinbarte Verpflichtung zu gender mainstream-ing, die das zuständige Bundesministerium bewog, den Auftrag für dieses Werk auszulösen. Der Report steht offiziell allen Interessierten zur Verfügung, obwohl die regierungsamtliche Stellungnahme und damit die Öffentlichkeitsarbeit der Sachverständigenkommission erst für Anfang 2007 erwartet werden. Warum zwi-schen Fertigstellung des Textes und Regierungskommentar ein so großer Zeitraum vorgesehen ist (in dem die Daten altern), warum der ebenfalls 2005 fertig gestellte Siebte Familienbericht sehr viel früher und medienwirksamer in die Öffentlichkeit kam, ist (mir) nicht bekannt. Ich kann nur vermuten, dass der Regierung gegen-wärtig eine Debatte zum Familienthema, genauer zum Geburtenthema, wichtiger erscheint als eine Debatte zum Geschlechterverhältnis. Wie dem auch sei, wir nut-zen das Dokument als Ausgangspunkt für diesen Abschnitt und setnut-zen es in Be-ziehung zu anderen von uns recherchierten Sozialberichten.

Die Regierung ist – im Unterschied zum Kinder- und Jugendthema – gesetzlich nicht verpflichtet, in jeder Legislaturperiode nationale Berichte über die Situation der Frauen vorzulegen. Es gibt in Deutschland auch keine langjährige Gepflogen-heit – wie beim Familienthema – Berichte zum Geschlechterverhältnis erarbeiten zu lassen. In den regelmäßig veröffentlichten Datenreporten des Statistischen Bundesamtes (in Zusammenarbeit mit dem WZB und ZUMA) erscheinen Frauen bzw. »Die Einstellung zur Rolle der Frau« in dem Maße, wie die deutsche Sta-tistik und die allgemeinen Bevölkerungsbefragungen (ALLBUS) routinemäßig geschlechtsspezifische Daten zur Verfügung stellen. Da mit dem Gender-Daten-report nun ein vergleichsweise komfortablerer Sozialbericht vorliegt, wird hier auf den jüngsten allgemeinen Datenreport 2006 nur gelegentlich verwiesen.

Aber:Deutschland hat die UNO-Frauenkonvention ratifiziert (DDR 1980, Alt-BRD 1985), weshalb es über deren Erfüllung regelmäßig vor der UNO Bericht er-statten muss. Und Deutschland hat sich an den Weltfrauenkonferenzen der UNO beteiligt, für die ebenfalls nationale Berichte vorzulegen und Aktionsprogramme anzuerkennen waren. Die Berichterstattungspraxis »unter UNO-Druck« verdient

– gerade für Frauen – einen genaueren Blick: Die UNO-Gremien verabschieden (verabschiedeten bisher?) zwei Typen von Dokumenten, zum einen die Konven-tionen, die in den nationalen Parlamenten zu ratifizieren sind und damit einklag-bares Grundrecht werden; zum zweiten die Aktionsprogramme oder Agenden, die von den nationalen Regierungen zu unterzeichnen sind und »nur« empfehlenden Charakter haben. Über ihre Erfüllung müssen die Regierungen dennoch, ebenso wie über die Realisierung von Konventionen, in bestimmten Abständen vor den Ver-einten Nationen berichten, also Sozialberichte abliefern. Dabei heben die Kon-trollausschüsse der UNO immer wieder ihr Interesse an ergänzenden so genannten Nicht-Regierungs-Berichten (NGO-Berichte, mitunter auch als Schattenberichte bezeichnet) hervor. Wahrscheinlich weil die UNO um das Bedürfnis der Regie-rungen weiß, die eigene Politik möglichst makellos darzustellen. Gleichzeitig ist die UNO sehr daran interessiert, dass sowohl die Regierungs- als auch die Schat-tenberichte öffentlich gemacht und in dem jeweiligen Land unter möglichst vielen Gesichtspunkten diskutiert werden. Was die Publizierung und öffentliche Diskus-sion dieser Sozialberichte, aber auch der Konventionen und Agenden selbst be-trifft, steht die deutsche Regierung immer wieder in UNO-Kritik, nachzulesen in den jeweiligen Prüfprotokollen und »abschließenden Bemerkungen«. Insofern trifft sich das Projekt »Sozialberichterstattung«, das auf Öffentlichmachung und Wer-tung von Sozialberichten aus ist, direkt mit UNO-Intentionen.

Bezogen auf das Geschlechterthema bezieht sich die Berichterstattung an die UNO, wie erwähnt, auf zwei verschiedene Ausgangspunkte. Zum ersten gibt es seit 1979 die so genannte Frauenkonvention, das »Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW1)«, das in Deutschland ratifiziert wurde. Seit 1999 liegt ein ergänzendes so genanntes Fakultativprotokoll vor, das es den Frauen eines Landes gestattet, bei UNO-Gre-mien gegen die eigene Regierung zu klagen. Dieses Protokoll wurde in Deutsch-land – nach erheblichen Vorbehalten – im Jahr 2002 ratifiziert.

Zum zweiten gibt es die Aktionsplattformen von UNO-Weltfrauenkonferenzen.

Solche Konferenzen wurden bekanntlich 1975 – dem Internationalen Jahr der Frau – ins Leben gerufen. Wie gesagt, keine zu ratifizierenden, aber dennoch ernst zu nehmende Dokumente. Dass am Ende der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 eine Aktionsplattform verabschiedet werden konnte, war zweifellos ein In-diz für diplomatische Schwerstarbeit. Zu unterschiedlich waren und sind die Auf-fassungen (der Vatikan genießt in dieser Hinsicht Staatenrecht) darüber, was Frauen der Welt zusteht. Zu radikal waren auch die gesellschaftlichen Brüche, die zwischen der 3. Konferenz 1985 in Nairobi und der 4. Konferenz stattgefunden hatten. So gesehen handelt es sich bei dieser Aktionsplattform von Peking um ein hoffnungsvolles Dokument, das zwar kaum die Ursachen für Geschlechterungleich-heit benennt, aber recht genau die Folgen. Weibliche Armut, Massenflucht, Krieg

1 Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women.

und Gewalt werden ebenso angesprochen wie Ungleichheiten in der Machtaus-übung, im Erwerbsleben, in der Wissenschaft, in den Medien oder in der Wirtschaft.

Bemerkenswert, dass in der Pekinger Aktionsplattform an zwei verschiedenen Stellen (S. 110, 156) ein politisches Konzept gefordert wird, das später – in Europa vor allem seit dem Amsterdamer Vertrag 1997 – »gender mainstreaming«

genannt wurde.

Mit Blick auf das Projekt »Sozialberichterstattung« ist hervorhebenswert, dass die Aktionsplattform von Peking (und zwar in den Ziffern 68, 120, 188 und 206) die Forderung nach geschlechtsspezifischer und öffentlich zugänglicher Statistik, nach entsprechenden »Statistikinstituten« und nach angemessener Forschung und ihrer Publikation erhebt. Nur auf der Grundlage solider sozialwissenschaftlicher Daten könnten die richtigen politischen Entscheidungen getroffen werden.

Hier soll der jüngste (der fünfte) Regierungsbericht an die UNO zur Erfüllung der Frauenkonvention genauer betrachtet und kommentiert werden, während In-teressierte an den Dokumenten der jüngsten (und vermutlich letzten) Weltfrauen-konferenz auf spezielle ISDA-Studien zurückgreifen sollten.

Gender-Datenreport. Kommentierter Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland 2005

Dem eigenen Anspruch nach soll dieser Bericht (Gender… 2005) »eine Grundlage für eine an aktuellen Zahlen orientierte politische Debatte bieten« (11). Dabei werden – ganz bestimmt zu Recht – die Ost-West-Unterschiede und die Unter-schiede zwischen angestammter und zugewanderter Bevölkerung als die beiden großen Differenzierungslinien bezeichnet, die immer wieder sichtbar würden. Für uns wurde darüber hinaus sichtbar, dass in der Einleitung, in der auf die Geschichte und auf die gesetzlichen Grundlagen zur Geschlechterpolitik hingewiesen wird, die DDR-Vergangenheit und DDR-Gesetzgebung mit keinem Wort vorkommt.

Der Report ist 765 Seiten dick und gut nachvollziehbar gegliedert. Die zu jedem Kapitel formulierte Zusammenfassung der Ergebnisse erleichtert das Lesen.

Das erste Kapitel, das mit »Bildung, Ausbildung und Weiterbildung« über-schrieben ist, definiert Bildung als »Vermittlung von Werthaltungen, Einstellungen, Wissensbeständen und Fertigkeiten« (19). Bildung also ein Prozess. Die Analyse-ergebnisse lassen sich grob wie folgt zusammenfassen: Frauen in Deutschland, ob Ost oder West, ob angestammt oder zugewandert, erreichen bei diesem Vermitt-lungsprozess bessere Ergebnisse als Männer, was ihnen für die berufliche Entwick-lung und damit für die soziale Sicherheit wenig nützt.

Die Fakten im Einzelnen:

– Wird das schulische Bildungsniveau am Zeitpunkt der Einschulung, am Klassen wiederholen und am Besuch des Gymnasiums gemessen, so haben in Deutschland die Frauen die Männer überholt. Ostdeutsche Frauen haben diesbe-züglich die besten Ausgangsbedingungen (38).

– Auch hinsichtlich der oft zitierten PISA-Studien, die bekanntlich drei Basis-kompetenzen (Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften) messen und international vergleichen, schneiden Frauen besser ab als Männer. Der Vorsprung der Frauen in der Lesekompetenz ist zwischen 2000 und 2003 deutlich größer, der Vorsprung der Männer in der Mathematik-Kompetenz deutlich kleiner geworden. Die Unter-schiede in den naturwissenschaftlichen Kompetenzen sind gering geblieben.

– Lehrkräfte an den Schulen sind überdurchschnittlich weiblich mit dem deut-lichen Trend: Je höher das Schulniveau, desto weniger Frauen. Dass die Femini-sierung der Lehrkräfte mit den vergleichsweise schlechten Schulleistungen der Jungen zusammenhängt, würde oft behauptet, könne aber nicht nachgewiesen werden. Was die Leitung von Schulen betrifft, gibt es bis heute deutliche Ost-West-Unterschiede, die allerdings statistisch nicht regelmäßig erfasst werden. Ein-zelfalluntersuchungen belegen, dass beispielsweise in Bayern weniger als 20 Pro-zent und in Sachsen-Anhalt mehr als 60 ProPro-zent der Schulen von Frauen geleitet werden.

– Die so genannte erste Schwelle, also der Übergang von der Schule zur Be-rufsausbildung, gestaltet sich nach wie vor für die Geschlechter unterschiedlich:

Junge Männer beginnen häufiger als Frauen eine Ausbildung im dualen System (Frauen Berufsfachschulen) und werden häufiger in gewerblich-technischen Be-rufen (Frauen Dienstleistungen) ausgebildet. Junge Männer profitieren mehr, nämlich zu 79 Prozent, von der Ausbildungsinitiative seit 2004 und erhalten eine deutlich höhere Ausbildungsvergütung als Frauen. Ost-West-Unterschiede zeigen sich vor allem beim Angebot an betrieblichen Ausbildungsstellen, bei der Ausbil-dungsvergütung (52) und bei der Nutzung der so genannten außerbetrieblichen Ausbildungsplätze, die eine Art Notlösung für das Ausbildungsproblem dar-stellen. Solche Plätze erhielten 2004 von den westdeutschen Azubis 4,4 Prozent und von den ostdeutschen 27,7 Prozent.

– Der Frauenanteil an den Studierenden in Deutschland beträgt »nur« 49,5 Pro-zent. Damit bildet Deutschland zusammen mit Zypern europäisches Schlusslicht.

Mit etwa 60 Prozent Frauenanteil an den Studierenden führen Lettland, Estland, Litauen und Schweden, also Länder mit anerkannter Vereinbarkeitspolitik, die Ta-belle an. Auch bezogen auf einzelne Wissenschaften liegt Deutschland deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. So beträgt der Frauenanteil in den Natur-wissenschaften in Europa 37 Prozent und in Deutschland 33,4 Prozent. In den Ingenieurwissenschaft sind in Europa 23 Prozent der Studierenden weiblich, in Deutschland gar nur 18,9 Prozent. Auch an der geschlechtsspezifischen Wahl der Studienfächer hat sich wenig geändert, weshalb im Gender-Datenreport resümiert wird: »Die langjährigen Prozesse der Berufsfindung und der Berufseinmündung sind bezüglich ihrer Geschlechtsspezifik noch immer unzureichend erforscht«

(91). Auf den dem Studium nachfolgenden Stufen der akademischen Laufbahn sind Frauen wie eh und je unterrepräsentiert. So betrug im Studienjahr 2003/04 der Anteil der Absolventinnen 48,4 Prozent, der weiblichen Promovierenden

37,9 Prozent, der weiblichen Habilitierenden 22 Prozent, der Professorinnen allg.

12,8 Prozent und der C4-Professorinnen 8,6 Prozent (74).

– An der so genannten zweiten Schwelle, dem Übergang von der Ausbildung zur beruflichen Praxis, werden die Geschlechterunterschiede noch deutlicher.

Frauen erhalten seltener als Männer eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung. Da sie aber »stärker, intensiver und vielfältiger suchen« (S. 58), arbeiten sie ein Jahr nach der Lehre häufiger als Männer als Fachkraft. Dieser letzte Fakt gilt allerdings überwiegend nur für westdeutsche Frauen. Ostdeutschen nützt auch die intensive und vielfältige Suche wenig.

– Weiterbildung ist erwartungsgemäß vor allem ein Thema für Vollbeschäftigte und für gut Qualifizierte. Insofern wird die Bildungsungleichheit durch Weiterbil-dung eher verstärkt. Damit hängt zusammen, dass in Westdeutschland erhebliche und in Ostdeutschland so gut wie keine Geschlechterunterschiede bezüglich Weiter-bildung nachweisbar sind. Wie in der DDR auch hängt die WeiterWeiter-bildungsbereit- Weiterbildungsbereit-schaft der Frauen vor allem von den »privaten« Bedingungen ab.

Das zweite Kapitelheißt »Erwerbstätigkeit – Arbeitsmarktintegration von Frauen und Männern« und vermittelt, was die historischen Aussagen betrifft, die erwar-tete Westsicht – als hätte es in Deutschland nie etwas anderes als das traditionelle Familienmodell gegeben und als würden auch im Osten »immer mehr Frauen« am Berufsleben resp. Erwerbsleben teilnehmen (94). Das Kapitel geht außerdem von der generellen Dominanz der Ökonomie gegenüber allen anderen gesellschaftli-chen Bereigesellschaftli-chen aus, eine Sicht, die mir auch nach 16-jähriger Lehrzeit fragwürdig erscheint. So wird die Ausweitung der weiblichen Erwerbstätigkeit weniger als soziales Gebot, als Voraussetzung für Emanzipation oder gar als Chance für Ge-schlechtergerechtigkeit gesehen, sondern »für das Funktionieren des Wirtschafts-kreislaufes« und für die »volle Nutzung der Humankapitalinvestitionen« (95) für wichtig erachtet.

Ausgangsdaten für dieses Kapitel bilden die geschlechtsspezifischen Erwerbs-tätigenquoten, also das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, für alle EU-Länder und solche, die es vermutlich bald werden. Die Länder wurden nach der Differenz zwischen männlichen und weib-lichen Erwerbstätigenquoten sortiert, weil davon ausgegangen wird, dass die Gleichstellungspolitik dort am weitesten gediehen ist, wo sich männliche und weibliche Quoten am wenigsten unterscheiden. Auf die Fallen einer solchen Analyse, nämlich die Nichtberücksichtigung des wirklichen Arbeitsvolumens (Teilzeit ...) wird ebenfalls verwiesen.

Deutschland liegt diesbezüglich im Mittelfeld. Die Frauenquote liegt leicht über dem europäischen Durchschnitt, die Männerquote leicht darunter. Die Länder Griechenland, die Türkei und Malta bilden das Schlusslicht, die Länder Schwe-den, Finnland und Litauen stehen an der Spitze (97). Zieht man in Betracht, dass nach der Europäischen Beschäftigungsstrategie bis 2010 die Frauenerwerbstätigen-quote 60 Prozent betragen soll, dann kann Deutschland gelassen in die Zukunft

schauen. »Allerdings relativiert sich der Eindruck der starken beruflichen Integra-tion von Frauen, wenn man die Arbeitszeit und das Arbeitsvolumen als Kriterium hinzuzieht« (99).

Der genauere Blick ist auch notwendig, um die Ost-West-Daten angemessen interpretieren zu können. Während sich die männlichen Erwerbstätigenquoten nach Ost und West – analog zur Arbeitslosigkeit – deutlich unterscheiden (Ost 62,9, West 71,7 Prozent), liegen die Quoten der Frauen in beiden Landesteilen fast gleich bei knapp 60 Prozent. Aber Erwerbstätigkeit bei Westfrauen heißt eben sehr viel häufiger als im Osten Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung. Und Nicht-Erwerbstätigkeit bei Westfrauen heißt nicht unbedingt Arbeitslosigkeit (101), sondern sehr viel häufiger als im Osten »Stille Reserve«.

Wird die Erwerbstätigenquote nach Herkunft (angestammt oder zugewandert), nach Qualifikationsgrad, nach Alter oder auch nach Familienstand differenziert, so bleiben in jedem Fall gravierende Geschlechterunterschiede zulasten der Frauen bestehen. Vor allem gering qualifizierte Frauen würden sich immer häufiger für die Familienrolle entscheiden. Vermutet wird, weil für sie das Erziehungsgeld und andere Vergünstigungen attraktiv und die Kosten für öffentliche Kinderbetreuung unangemessen hoch sind (109). Und weil die Chancen auf dem Arbeitsmarkt für sie fast aussichtslos sind. So unsere Ergänzung und die daran angeschlossene Frage: Wie müssen wir uns eine Gesellschaft vorstellen, in der die Kinder über-wiegend von solchen Frauen geboren und erzogen werden, die sich in scheinbar eherne Lebensmuster fügen, während die unfügsamen, die oft höher qualifizierten, die in der Öffentlichkeit aktiven Frauen auf Kinder verzichten und ihre Wertorien-tierungen nicht unmittelbar weitergeben können?

Am Beispiel der verheirateten Frauen macht der Report besonders deutliche und stabile Ost-West-Unterschiede aus. Im Westen sind verheiratete Frauen im Vergleich zu ledigen und verwitweten bzw. geschiedenen in geringerem Maße er-werbstätig, im Osten in höherem Maße. »Erwerbstätigkeit war zu DDR-Zeiten auch für verheiratete Frauen und Mütter eine Selbstverständlichkeit. Für allein er-ziehende Mütter sicher auch eine Notwendigkeit ... Auch 14 Jahre nach dem Bei-tritt ... führte die teilweise Angleichung der Rahmenbedingungen ... nicht zu einer mehrheitlichen Übernahme westdeutscher Erwerbs- und Familienmuster« (112).

Solche Formulierungen zur östlich-weiblichen Widerständigkeit treffen sicherlich immer noch nicht ins Schwarze (weibliche Berufstätigkeit war mehr als Erwerbs-tätigkeit und konnte nur deshalb zur Selbstverständlichkeit werden), unterscheiden sich aber wohltuend von den Interpretationen, die Anfang der 90er Jahre in Sozial-berichten zu finden waren. Damals wurde die »Erwerbsneigung ostdeutscher Frauen« ausschließlich mit ökonomischer Notwendigkeit bzw. mit DDR-staatli-cher Verordnung in Zusammenhang gebracht (z. B. im Bericht der Bundesregie-rung für die 4. Weltfrauenkonferenz Peking).

Deutliche Ost-West-Unterschiede begleiten auch die Ausführungen zu den so genannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen. So ist Teilzeitbeschäftigung

generell ein zunehmendes Phänomen und eine Domäne der Frauen (42 im Ver-gleich zu 6 Prozent der Männer). Ostfrauen sind aber erstens seltener (28 Prozent), zweitens mit höherer Stundenzahl, drittens aus anderen Gründen teilzeitbeschäftigt.

Sie wählen diese Beschäftigungsform nicht nur wie die westdeutschen Schwestern, um ihre familialen Pflichten besser erfüllen zu können, sondern auch weil sie keine Vollzeitbeschäftigung finden. Was im Report so kommentiert wird: »Offensicht-lich werden in West- und Ostdeutschland unterschied»Offensicht-liche Muster familialer Ar-beitsteilung gelebt« (116).

Die Daten zur horizontalen bzw. vertikalen Segregation des Arbeitsmarktes (Unterschiede nach Berufen und Branchen, Unterschiede nach Machtebenen) ver-weisen ein weiteres Mal auf stabile Geschlechterunterschiede – besonders deut-lich im Westen. Im Osten sind die Unterschiede geringer – nicht weil Frauen bes-sere Rahmenbedingungen vorfinden, sondern weil auch Männer mit schlechteren leben müssen, weil beispielsweise eine gute berufliche Qualifikation auch Män-nern »in Ostdeutschland weniger Schutz vor Erwerbslosigkeit (bietet) als in Westdeutschland« (144). Der Report kommentiert diesen Sachverhalt so: »Zum ersten Mal scheint eine Arbeitsmarktkrise nicht einseitig zu Lasten erwerbstätiger Frauen zu verlaufen. In den letzten zehn Jahren sind auch die Erwerbsbiografien vieler Männer diskontinuierlich verlaufen. Dies gilt ganz besonders im Osten Deutschlands« (148).

Das dritte Kapitel enthält Daten und Kommentare zum »Erwerbseinkommen von Frauen und Männern« und diskutiert zunächst die Bedeutung eines eigen-ständigen Einkommens für den sozialen Status und das Selbstwertgefühl – auch in privaten Beziehungen (151). Der Trend der Analyse ist bei allen methodischen Un-terschieden eindeutig: Trotz solider gesetzlicher Regelungen in Deutschland und seit dem Amsterdamer Vertrag auch in Europa erhalten Frauen bei gleicher Ar-beitszeit geringere Einkommen als Männer. Lediglich unter den Teilzeitbeschäftig-ten – bekanntlich selTeilzeitbeschäftig-ten männlich – kehrt sich die Verdienstrelation teilweise um (168). Auch wenn die Analyse sich auf bestimmte Beschäftigungsgruppen oder Be-rufe, auf bestimmte Wirtschaftssektoren, auf bestimmte Betriebsgrößengruppen usw. konzentriert, sind Geschlechterunterschiede zu Gunsten der Männer nachweis-bar (171).

Vielleicht weil der Gender-Datenreport die politische Debatte nur vorbereiten und nicht führen soll, wird in diesem Zusammenhang nicht von strukturellen De-fekten der Gesellschaft gesprochen, sondern sehr vorsichtig und auch sehr wider-sprüchlich argumentiert. Es ginge um »generelle Benachteiligungen«, die keine unmittelbaren Diskriminierungen der Frauen darstellen. Die unmittelbare Diskri-minierung »findet heute wenn überhaupt, dann sehr versteckt statt. Heute ist ei-gentlich eindeutig, dass nicht die Geschlechtszugehörigkeit, sondern die mit dem Geschlecht verknüpften kulturell verankerten und institutionell unterstützten Ge-schlechterkonstruktionen ... die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern bedingen« (154). Ein ungleicher Lohn bei gleichwertiger Arbeit sei jedenfalls

nicht zu belegen, weil es ja »innerhalb jeder Berufsgruppe ... wiederum unterschied-liche Tätigkeitsfelder, Verantwortlichkeiten und Leistungsgruppen« (186) gäbe.

Gleichzeitig wird auf Analysen verwiesen, die belegen, dass »zwischen 8 und 80 Prozent der Einkommensunterschiede« (154) eben doch auf die Geschlechts-zugehörigkeit und nicht auf unterschiedliche Produktivität zurückzuführen sind, weshalb in der Zusammenfassung zu diesem Kapitel ganz vorsichtig von einer illegitimen Diskriminierung der weiblichen Beschäftigten die Rede ist, »die wo-möglich durch Tarifverträge gestützt wird« (213).

Aber mit Blick auf die Humankapitaltheorie seien die Einkommensunterschiede gerechtfertigt (155), denn Frauen wählten (meine etwas saloppe Formulierung!) die »falschen« Berufe, Branchen und Unternehmensgrößen, hätten die »falsche«

demografische Struktur, würden aus finanziellen Gründen zu selten den Arbeits-platz wechseln und wegen der Familienpausen zu wenig berufliche Erfahrungen ansammeln. »Viele Berufe, für die sich Frauen entscheiden, sind Sackgassenberufe, die kaum berufliche Zusatzqualifikation und beruflichen Aufstieg zulassen« (155).

Kein Wort von dem weltweit nachweisbaren Trend, dass Berufe und ganze Bran-chen erst dann zu schlecht bezahlten werden, wenn sich mehrheitlich Frauen dafür interessieren. Oder umgedreht und im Osten in jeder Sparkasse nachprüfbar: Dass Berufe und ganze Branchen zu gut bezahlten werden, wenn sich mehrheitlich Männer dafür interessieren.

Die europäischen Daten zu Einkommensunterschieden zwischen den Geschlech-tern zeigen Deutschland an blamabler Stelle und weit entfernt vom Mittelfeld (157).

Nur die Slowakei, Estland und Zypern leisten sich gleich große oder noch größere Abstände der durchschnittlichen Fraueneinkommen von den Männereinkommen.

Erstaunlicherweise liegen die nordischen Länder hier im Mittelfeld, während die

Erstaunlicherweise liegen die nordischen Länder hier im Mittelfeld, während die