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Fragestellungen sensibilisieren und technische Lösungen zu Alltagsproblemen entwickeln. Schulen von Teamfähigkeit,

problemlösendem Denken und Frustrationstoleranz. Einblick in zahlreiche technische Berufsfelder bekommen.

Autorinnen und Autoren Dr. Daniel Muschiol Sarah Ulrich

Verlauf des Projektes

Ausgangslage

Am Engelbert-Kaempfer-Gymnasium Lemgo (EKG) werden aktuell (Schuljahr 2016/2017) 15 Flüchtlingskinder beschult. Die Jugendlichen stammen aus den verschiedensten arabischen und afrikanischen Ländern, wie Syrien, Afghanistan, dem Irak und teilweise aus den Balkanstaaten.

Die verschiedenen Muttersprachen, ein sehr heterogener Bildungsstand und teilweise Traumata aus den Erfahrungen von Krieg und Flucht machen die Beschulung der jungen Geflüchteten und ihre erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt zu einer besonderen Herausforderung.

Seit einem Jahr ist am EKG eine Flüchtlingsklasse eingerichtet, in der die Jugendlichen

schwerpunktmäßig in der deutschen Sprache gefördert werden. Insgesamt werden in jeder Woche zwölf Stunden Deutsch unterrichtet, in der übrigen Unterrichtszeit nehmen die Jugendlichen am Regelunterricht teil.

Um die Weiterentwicklung der kommunikativen Fähigkeiten und die Integration in den Schulalltag voranzutreiben, entstand die Idee, Geflüchtete an der mit Beginn des Schuljahres eingerichteten Roboter-AG teilnehmen zu lassen.

Die Roboter-Bausätze (Lego Mindstorms EV3) erschienen uns als ideales Werkzeug, Flüchtlinge mit MINT-Begabung erfolgreich zu integrieren, da sprachliche Barrieren weitestgehend in den

Hintergrund treten:

§ Exemplarische Bauanleitungen sind in Form von leicht verständlichen Piktogrammen erhältlich und ermöglichen schnelle Erfolgserlebnisse, die zur weiteren Arbeit motivieren können.

§ Der spielerische Zugang zu komplexen Problemstellungen baut bestehende Hemmungen ab.

§ Das Erstellen komplexer Programme gelingt bereits mit rudimentären Sprachkenntnissen, da die Programmieroberfläche ebenfalls auf Basis von Piktogrammen arbeitet.

Hintergrund und Beschreibung der Arbeitsgemeinschaft Roboter

Als MINT-EC-Schule legt das EKG Lemgo besonderen Wert auf die Förderung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Nachwuchses. So existiert am EKG ein spezielles MINT-Profil, in dem naturwissenschaftlich begabte Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 7 wöchentlich zwei Stunden Zusatzunterricht in MINT-Fächern belegen können. Dieses Profil wird sehr gut nachgefragt, so dass in den letzten Jahren kontinuierlich ein oder sogar zwei reine MINT-Klassen in der

Jahrgangsstufe 5 eingerichtet werden konnten.

Speziell für diesen MINT-Unterricht wurden bereits 2013 insgesamt 13 Roboter-Bausätze

angeschafft, die seitdem fester Bestandteil und klarer Höhepunkt des Unterrichtes sind. Inzwischen sind die Bausätze praktisch dauerhaft im Einsatz, da sie nicht nur im Informatikunterricht der Klasse 5, sondern auch im Technikunterricht der Klasse 7 sowie in den Differenzierungskursen der

Mittelstufe eingesetzt werden. Auch bei Wettbewerben (Jugend forscht, First Lego League) fanden die Bausätze bereits Verwendung.

Aufgrund der Begeisterung, die viele Kinder beiderlei Geschlechtes für die Arbeit mit den Robotern aufbringen und der vielfältigen Möglichkeiten, die das flexible Bausatzsystem bietet, bemühte sich die Schule, eine solche AG zu ermöglichen.

So konnte mit Beginn des Schuljahres 2016/2017 die Arbeitsgemeinschaft erstmalig eingerichtet werden. Die AG besteht aus 14 Schülerinnen und Schülern der Unter- und Mittelstufe und findet jeden zweiten Mittwoch in der Zeit von 14.00 bis 17.00 Uhr sowie gelegentlich samstags in den Unterrichtsräumen des EKG und den Werkräumen des Lüttfeld Berufskollegs statt. Das EKG

kooperiert seit mehreren Jahren erfolgreich mit dem Berufskolleg, was unseren Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit verschafft, im Rahmen von AGs und Projekten in den Werkräumen des Berufskollegs praktisch zu arbeiten.

Ziel der Roboter-AG ist es, Schülerinnen und Schüler für technische Fragestellungen zu sensibilisieren und technische Lösungen zu Alltagsproblemen zu entwickeln. Dabei werden Teamfähigkeit, problemlösendes Denken sowie Frustrationstoleranz geschult. Außerdem ermöglicht die Arbeit in der AG einen Einblick in zahlreiche technische Berufsfelder.

Die Themen und Fragestellungen werden zusammen mit den Schülerinnen und Schülern entwickelt.

Als erstes Projekt zum Thema Nachhaltigkeit und Kunststoffrecycling ist geplant, eine Sortieranlage für Hausmüll zu entwickeln: Da jeder Kunststoff Licht auf unterschiedliche Weise reflektiert, kann der zu entwickelnde Sortierroboter mithilfe eines sogenannten Nahinfrarot-Scanners

unterscheiden, ob ihm gerade eine PET-Flasche, ein Joghurtbecher aus Polystyrol oder ein

Shampoobehälter aus Polyethylen entgegenkommt. Großtechnische Anlagen dieser Art existieren bereits am Markt und mit einer Firma für Anlagen- und Maschinenbau haben wir einen regionalen Kooperationspartner gefunden. Ein dort beschäftigter Umweltingenieur begleitet das Projekt mit entsprechendem Knowhow.

Erfahrungen und Perspektiven

Mithilfe der Mittel der Siemens Stiftung konnte die Ausstattung der Roboter-AG um zwei weitere Grundbausätze sowie zwei Ergänzungssets erweitert werden, so dass im November 2016 drei Flüchtlinge in die AG aufgenommen werden konnten. Einer der Jugendlichen musste leider nach wenigen Terminen wieder aus der AG ausgeschlossen werden, da er nicht über ausreichende Motivation verfügte, die Termine regelmäßig wahrzunehmen, und sich nicht in die Gruppe integrieren konnte.

Der 14-jährige irakische Kurde Harem und die 15-jährige Ranim aus Syrien haben jedoch an der AG mit viel Begeisterung und Engagement erfolgreich teilgenommen. Unsere Erwartungen haben sich dabei weitestgehend erfüllt.

Abbildung 06.01 Harem aus dem Irak Abbildung 06.02 Ranim aus Syrien

Harem entwickelte große Freude daran, eine existierende Bauanleitung aus Piktogrammen umzusetzen und montierte im Laufe des Schuljahres einen Roboter, der mithilfe eines

Beschleunigungssensors auf zwei Rädern balancierend fahren konnte. Bemerkenswert war, dass Harem weitestgehend selbstständig arbeitete und nur ganz selten Unterstützung durch die Lehrkraft benötigte. Harem war deutlich anzumerken, dass er in der AG starke Erfolgserlebnisse hatte, die seinem Selbstwertgefühl zuträglich waren. Gegen Ende des Schuljahres fragte er mit nicht zu übersehendem Stolz, ob wir ihm gestatten würden, den (sehr teuren) Roboter einmal mit nach Hause zu nehmen, um ihn seiner Familie vorzuführen.

Da am nächsten Tag die Batteriekapazität des Roboters völlig erschöpft war, gehen wir davon aus, dass der Roboter in Harems Familie viele Stunden im Einsatz war. Ranim hingegen arbeitete völlig anders: Nachdem sie in den ersten Wochen einen Kran montiert hatte, der mithilfe eines

Farbsensors und eines motorbetriebenen Greifarmes verschiedenfarbige Plastikbecher erkennen und bewegen konnte, vertiefte sie sich intensiv in die Erstellung hochkomplexer Steuerprogramme.

Hierbei zeigte Ranim eine hohe Auffassungsgabe und ein Talent für abstraktes Denken, das im Regelunterricht aufgrund sprachlicher Barrieren nur selten erkennbar war.

Am Ende des Schuljahres zu ihren Eindrücken bei der Arbeit in der AG befragt, äußerte Ranim, das selbstständige Arbeiten hätte ihr besonders gefallen („wir machen die Aufgaben“). Das Bauen der Roboter empfand sie als eher langweilig, das Programmieren hingegen spannend, auch wenn es manchmal „nervig war“. Außerdem äußerte sie, sie hätte sich ein konkretes Ziel gewünscht, z.B.

eine Aufgabe, die in Form eines Wettkampfes unter den Schülerinnen und Schülern zu erfüllen gewesen sei. Hierzu ist anzumerken, dass in dieser ersten Projektphase die Aufgabenstellungen bewusst offen gestaltet waren, damit die Kinder sich nach eigenem Ermessen und Interesse mit der Funktion von Bauteilen, Sensoren und Programmieroberflächen vertraut machen konnten.

Nicht gänzlich zufrieden waren die Betreuer damit, dass es nur eingeschränkt gelang, die beiden Jugendlichen langfristig in Gruppenarbeiten zu integrieren. In Harems Fall lag dies sicherlich daran, dass die sprachlichen Barrieren noch zu groß waren, um eine produktive Zusammenarbeit mit deutschen Mitschülerinnen und Mitschülern zu ermöglichen. Ranim hingegen, die nach eineinhalb Jahren in Deutschland schon hervorragend Deutsch sprach, äußerte auf die Frage, warum sie lieber allein arbeite: „Der Weg zum Ziel sei mit mehreren schwieriger zu erreichen, weil jeder anders denkt“.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Idee einer integrativen Roboter-AG sich grundsätzlich bewährt hat. Befreit von sprachlichen Barrieren konnten die beiden Jugendlichen ihre Potentiale voll ausschöpfen und bestärkende Erfolgserlebnisse verbuchen. Die offensichtliche Anerkennung durch die deutschen Mitschülerinnen und Mitschüler für ihre Arbeitsergebnisse erleichterte eine Kontaktaufnahme auf Augenhöhe.

Insgesamt handelt es sich aus Sicht aller Beteiligten um ein gelungenes Projekt, welches wir im nächsten Jahr fortsetzen möchten. So ist geplant, eine größere Anzahl von Flüchtlingskindern in die AG zu integrieren. Konkrete Arbeitsaufträge sollen dazu beitragen, dass intensivere

Gruppenarbeit mit deutschen Mitschülerinnen und Mitschülern und/oder anderen Flüchtlingskindern zustande kommt.

Für die Umsetzung ähnlicher Projekte an anderen Schulen ist die Schaffung der notwendigen finanziellen und personellen Rahmenbedingungen Voraussetzung. Das personelle Problem konnte an unserer Schule wie folgt gelöst werden: Ein Vater zweier technikbegeisterter Kinder erklärte sich bereit, die Betreuung der AG zu übernehmen. Für die Anschaffung der Bausätze ist (je nach Anzahl der Teilnehmenden) eine Summe von mindestens 4.000 Euro zu veranschlagen. Da viele Schulen – so auch unsere – eine solche Summe nicht ohne weiteres aus eigenen Mitteln bestreiten können, müssen ggf. externe Förderer gewonnen werden.

In unserem Fall waren das der Förderverein der Schule, Sparkasse, Volksbank, LIFT-Stiftung – Stiftung für berufliche Bildung in Lippe, Lions Club Lemgo, zdi-Zentrum Lippe.MINT und Siemens Stiftung. Darüber hinaus sind laufende Kosten zu berücksichtigen, um z.B. verlorene oder defekte Bauteile oder Ersatzakkus zu beschaffen. Je nach Zielsetzung der Projekte müssen ggf. auch Kosten für Exkursionen (Besuche von Wirtschaftsunternehmen, Hochschulen, Wettbewerben), Gastvorträge externer Dozenten, Verbrauchsmaterial, spezielle Sensoren, Lötkolben usw. eingeplant werden.

Abbildung 06.03

7. Europaschule Schulzentrum SII Utbremen, Bremen

Berufsorientierungsklassen in Naturwissenschaften und Informationsverarbeitung für junge Geflüchtete

Autorinnen und Autoren Yvonne Matzick

Verlauf des Projektes