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Frühe Verständnisse menschlicher Verantwortung

Im Dokument Die Balance der Verantwortung (Seite 20-24)

3. Geistesgeschichtliche Analyse des Verantwortungsbegriffs

3.1 Frühe Verständnisse menschlicher Verantwortung

3.1.1 Verantwortung in der Antike

In der Antike wurden die Grundlagen für das moderne abendländische Verständnis von Moral und Ethik gelegt. Die antike Ethik ist geprägt durch die Vorstellung, dass die Welt im Ganzen eine Ordnung darstellt, in die der Mensch eingebunden ist. Diese Weltordnung war zugleich geltende Rechtsordnung. Natur und Mensch strebten einer Wesensvollendung zu.53 Dies konnte aber nur innerhalb der bestehenden Ordnung geschehen. Entsprechend galt es diese zu erhalten und vor Störungen zu bewahren. Zu Störungen konnte es dann kommen, wenn der Mensch durch sein Handeln dem Geringeren vor dem Besseren Vorschub leistete. Dann wurde es notwendig, dass der für die Störung Verantwortliche durch die Übernahme seiner Schuld die Ordnung wiederherstellte, wobei Schuld als rechtliches und nicht als ethisches Problem verstanden wurde. Das Verständnis von Verantwortung war nur bezogen auf den Sachverhalt eines Fehlverhaltens gegenüber der Ordnung. Verantwortung als Thema war für die Menschen zeitlich und thematisch begrenzt. Es entstand mit der Störung und löste sich auf sobald durch einen entsprechenden Ausgleich die Ordnung wieder hergestellt war.

Die Möglichkeit sich für das Geringere zu entscheiden behaftete den Menschen mit einer immanenten Irrationalität und war eine permanente Gefahr für die Ordnung. Der menschli-che Drang nach Freiheit stellte sein Eingebundensein in die Ordnung grundlegend in Frage.

Mehr noch: er gefährdete die Ordnung selbst. Unverantwortlichkeit im damaligen Verständnis ist das „Resultat der Freiheit, d.h. der Befreiung von allen Bindungen“.54 Entsprechend wurden ganz im Gegensatz zu modernen Vorstellungen die menschliche Freiheit und der freie Wille als Bedrohung angesehen. Mit seinem Drang nach Freiheit verkörperte der Mensch selbst das Unrecht. Für PLATON galt die Freiheit „gerade als Prinzip der Willkür und Unverantwortlich-keit.“55 Nur die Einsicht in das kosmische Prinzip56 konnte die Weltordnung garantieren.

Eine Weiterentwicklung dieser Haltung vollzog SOLON um 600 v.Chr. Für ihn war die göttli-che Ordnung nicht einfach vorhanden, sondern musste im Staat verwirklicht werden. 57 Der Mensch war gefordert, einen gewissen aktiven Beitrag zur Herstellung der Ordnung zu leisten.

Grundlegend blieb aber auch bei ihm die Haltung, dass der Mensch die Pflicht besitzt, sich in

53 Vgl. SCHULZ21993, 54f.

54 HOLL 1980, 54.

55 HOLL 1980, 102.

die Ordnung einzufügen. Der Staat galt als Garant der Ordnung. Entsprechend wurde in der antiken Welt alles daran gesetzt, diesen zu erhalten. Wer durch sein Handeln zur Bewahrung des Staates und damit auch der Ordnung beitrug; bei wem das Wollen mit dem Sollen übereinstimmte, der galt als verantwortlich.

Die Bewahrung der Weltordnung steht in einem engen Zusammenhang mit der Vollendung menschlichen Lebens. Für PLATO ging es um die Gesundheit der menschlichen Seele.58 Der Mensch hat die Aufgabe seine Seele zum Besseren zu entwickeln. Hier nimmt er die Vorstel-lungen von SOKRATES auf, der in Bezug auf die Seele eindeutig auf die Selbstverantwortung des Einzelnen setzte. Nur jeder Mensch kann für sich allein die Sorge um die Seele tragen.

Für diese Aufgabe ist der Einzelne verantwortlich. Damit entdeckte er nach SCHULZ „die Subjektivität als konstitutives Moment [...] ethischen Handelns“ und wurde dadurch zu einem wesentlichen Begründer der abendländischen Ethik.59

Es ist bemerkenswert, dass SOKRATES neben der Sorge um den Staat und die gegebene Ordnung die Verantwortung des Menschen für die Entwicklung der eigenen Seele betont.

Jedoch zeigt das antike Verständnis menschlicher Verantwortung fundamentale Unterschiede zur modernen Auffassung. Zwar trat das Thema inhaltlich in Erscheinung, der Begriff fand jedoch keine Verwendung. Letztlich verbarg er sich in der dem Menschen zugeschriebenen Pflicht, bei Verfehlungen vor der Gemeinschaft Rechenschaft abzulegen. Will man in der Antike von Verantwortlichkeit sprechen, so tritt sie immer nur „im Zusammenhang mit Schuld auf und erlischt, wenn die Schuld getilgt ist.“60 Im damaligen Verständnis war die menschliche Verantwortung eingegrenzt auf den Vorgang der Störung der gegebenen Ordnung. In der antiken Vorstellung stand die Freiheit der Verantwortung widersprüchlich gegenüber. Der Mensch war im antiken Sinne für den Erhalt der gegebenen Ordnung verantwortlich. Hierzu galt es die individuelle Freiheit einzudämmen. Durch die Unterordnung gegenüber dem Staat, der die Ordnung garantierte, erfüllte der antike Mensch die in ihn gesetzten Erwartungen.

Verantwortlichkeit existierte nicht „als abstraktes Verantwortlichsein, sondern nur vermittelt über das potentielle Tätersein“.61

57 Vgl. HOLL 1980, 73.

58 Vgl. SCHULZ21993, 58f.

59 SCHULZ21993, 78.

60

3.1.2 Das Verständnis über Verantwortung im Mittelalter

Die antike Auffassung, nach der es eine Ordnung gibt, gegenüber der der Mensch schuldig werden konnte, findet sich auch im christlichen Mittelalter. Das Mittelalter gilt als eine Zeit tiefer Gläubigkeit. In den Vorstellungen der Menschen gab es eine gottgegebene Ordnung.

Bei Verfehlungen drohten Strafen. Die Menschen glaubten an ein Gericht im Jenseits, vor dem jeder Mensch Rechenschaft für sein Leben abzulegen hatte. Am Ende aller Tage, so der Glaube, würde Gott die Menschen für alle Verfehlungen zur Rechenschaft ziehen. Nach THOMAS VON AQUIN wird der Mensch von Gott mit der ewigen Strafe der Verdammnis belegt, wenn er Schuld auf sich lädt.62 Für seine irdischen Sünden würde jeder vor Gott zur Verant-wortung gezogen werden.

Die Schuld des Menschen und die Angst vor göttlicher Strafe bestimmten das Denken des Mittelalters. Das irdische Leben war auf das Jenseits ausgerichtet. Es wurde als Vorbereitung und Prüfung für das Erlangen der ewigen Seeligkeit angesehen. Neben der Einhaltung der göttlichen Gebote, geht es im Gegensatz zur Antike vor allem um das „persönliche Zur-Verantwortung-Gezogenwerden vor Gott für das Böse.“63

Im Zentrum der damaligen philosophischen Auseinandersetzung stand die Frage nach der Entstehung des Bösen. Über die Beschäftigung mit dem Thema Schuld entwickelte sich die Lehre von der Wahlfreiheit des menschlichen Willens, dem liberum arbitrium. Ähnlich wie in der Antike wurde der freie Wille als grundlegende Ursache für die Schuld des Menschen angesehen. AUGUSTINUS war z.B. der Auffassung, dass im freien Willen des Menschen der Grund für das Böse und die Sünde in der Welt zu suchen sei. Auch für THOMAS VON AQUIN hatte die Schuld die Freiheit des menschlichen Willens zur Voraussetzung. Der Reformator LUTHER war in seiner Haltung gegenüber der menschlichen Willensfreiheit unklar. Letztendlich blieb bei ihm aber die Skepsis vorrangig, wenn er aussagt, dass der freie Wille „nichts als ein Knecht der Sünde, des Todes und des Teufels“64 sei.

Ein Wandel im Denken zeigt sich zum Ende dieser Epoche. So sah ERASMUS VON ROTTERDAM

den freien Willen des Menschen in einem erweiterten Zusammenhang. Ohne ihn, so seine Haltung, könnten dem Menschen seine Taten nicht zugerechnet werden.65 Der freie Wille sei dem Menschen von Gott gegeben und gebe ihm die Wahl, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Aber die Gefahr sei groß, dass der Mensch das Vertrauen, das Gott in ihn

62 PRECHTL/BURKHARD 1996, 296.

63 HOLL 1980, 127f.

64

gesetzt hat, missbraucht. Auch nach seiner Auffassung konnte nur ein gottgerechtes Leben den Menschen vor der ewigen Verdammnis retten. Nur der Weg des Glaubens führte im damaligen Verständnis zur Erlangung ewiger Seeligkeit. Die Sünde wurde darin gesehen, dass der Mensch sich durch seinen Willen zur Selbstsucht der Verantwortung vor Gott entziehen wolle.66

Allerdings durfte der sündige Mensch des Mittelalters durch den Bund mit Gott auf dessen Gnade hoffen. Während AUGUSTINUS die Haltung vertrat, dass der Mensch die Fähigkeit zur guten Tat ausschließlich durch die göttliche Gnade erhält, schreibt ERASMUS dem menschli-chen Individuum zumindest einen eigenen, wenn auch geringen Beitrag für das Gute zu.

Letztlich stellt aber auch für ihn die göttliche Gnade den entscheidenden Faktor für das Gute in der Welt dar.67 Das Denken des Mittelalters war von einem Misstrauen gegenüber der menschlichen Natur gekennzeichnet. Durch seine Willensfreiheit galt er als verantwortlich für das Böse und die Sünde in der Welt. Demgegenüber war Gott für das Gute verantwortlich.

Dem Menschen wurde nicht zugetraut, angemessen mit seiner Freiheit umgehen zu können.

Als Folge einer unbegrenzten Freiheit des Menschen befürchtete man ähnlich den antiken Vorstellungen willkürliches Handeln und Chaos. Mit der Freiheit schien der Gottlosigkeit Tür und Tor geöffnet. Dies, so glaubte man, musste zwangsläufig in die Verdammnis führen.

Es wird deutlich, dass das Thema der menschlichen Verantwortung auch im Mittelalter in einem anderen Zusammenhang gesehen wurde als heute. Vorherrschend war die Vorstellung einer Verantwortung des Menschen vor Gott. Die Verantwortung des Menschen wurde als ein persönliches Zur-Rechenschaft-gezogen-werden für begangene Sünden vor dem Schöpfergott verstanden. Im Gegensatz zur Antike war die Verantwortung aber nicht mehr nur begrenzt auf eine einzelne Tat. Der Mensch war verantwortlich für das Böse und die Sünde in der Welt.

Wie in der Antike wurde der freie Wille des Menschen als Gefahr angesehen. Verantwortung tritt damit zwar als Thema in Erscheinung, aber auch im Mittelalter ist das Verständnis be-grenzt und der Begriff kam nicht zur Anwendung.

Im Dokument Die Balance der Verantwortung (Seite 20-24)