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Forschungsdesiderate: Soziale Bedeutung und realer Stellenwert von SOA

2 Stand der Technik, Stand der Forschung, Motivation und Vorgehen

2.3 Forschungsdesiderate: Soziale Bedeutung und realer Stellenwert von SOA

Teil lediglich aus einer Kombination solcher Einzel-Services bestehen und damit flexi-bel konkreten Arbeitstätigkeiten und Prozessschritten zur Verfügung gestellt werden.

Eine derartige Architektur, in der die einzelnen Systemkomponenten lediglich über eindeutig definierte, standardbasierte Schnittstellen von anderen Systemkomponenten der Architektur abhängen, soll eine hohe Anpassungsflexibilität der Systemlandschaft gewährleisten. Auf diese Weise können einzelne Teile des Gesamtsystems verändert werden, ohne dass die übrigen Systembestandteile von dieser Veränderung betroffen sind. Weitere Modifikationsoptionen ergeben sich durch die Re-Kombination vorhande-ner Systemkomponenten, durch die Hinzufügung zusätzlicher Teile sowie durch den Austausch einzelner Systemkomponenten, um neue Aufgaben lösen zu können.

Resümiert man diese kurze Diskussion der organisatorischen Bedeutungen von SOA-Initiativen, so werden die Vielfältigkeit und die breite Anschlussfähigkeit des Konzeptes an die unterschiedlichsten betrieblichen Problemstellungen deutlich. In einem der Exper-teninterviews (vgl. Abschnitt 2.6 zur empirischen Grundlage dieser Arbeit) brachte es ein Gesprächspartner auf den Punkt:

„Wenn wir zu einem Kunden gerufen werden und der will mit uns über Service Orientierung reden, dann passiert es natürlich auch mal, dass wir komplett unterschiedliche Vorstellun-gen von diesem Thema haben. […] Wenn Sie vier Leute an einem Tisch haben, die über SOA reden, dann haben Sie fünf unterschiedliche Meinungen“ (IT-Berater).

Für die vorliegende Arbeit stellt die hier skizzierte Interpretationsoffenheit kein größeres Problem dar. Anstelle einer allgemeingültigen, validen Definition des SOA-Konzeptes orientiert sie sich an den skizzierten Kernideen, also an einer Abkehr von monolithisch geschlossenen Systemstrukturen hin zu kleineren Systemkomponenten, die enger an fachliche Bedürfnisse ausgerichtet werden und organisatorischen Wandel auf unter-schiedlichen Ebenen erleichtern sollen.

2.3 FORSCHUNGSDESIDERATE: SOZIALE BEDEUTUNG UND REALER

Diskussion häufig außen vor. Es bleibt unklar ob und welche soziale Bedeutung das Thema einnimmt. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist etwa die Feststellung von Schwarz und Schreiber in einem Beitrag aus dem „Entwickler Magazin“, ein Großteil der Publikationen zu SOA beziehe sich schwerpunktmäßig auf die technische Realisie-rung der Kommunikationsschnittstellen zwischen den Softwarekomponenten und damit auf Fragen der Standardisierung von Kommunikationsprotokollen, Schnittstellenbe-schreibungen und Datenformaten: „Dieser Aspekt ist der mit Abstand am weitesten entwickelte und am besten verstandene. Bücher und Aufsätze zu SOA beißen sich gerne an diesem Aspekt fest und beschreiben ihn mit detailverliebter Hingabe“ (Schwarz und Schreiber 2006b, S.115). Die Selbsteinschätzung der IT Berater Marks und Bell, dem Autorenteam von „Service-Oriented Architecture. A Planning and Implementation Guide for Business and Technology“, einem Managementleitfaden, bringt dieses Auf-merksamkeitsdefizit ebenfalls auf den Punkt: „While we spend only a few pages on the cultural and behavioral challenges of SOA, in reality the effort will be the opposite. The organizational dynamics and behavioural aspects of SOA will require far more effort than the technology” (Marks und Bell 2006, S. 283).

Und wird in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen der organisatorische und soziale Kontext mit einbezogen, dann beschränkt man sich meist allein auf die normati-ve Beschreibungen eines idealen Soll-Zustands (vgl. u.a. Mulholland et al. 2006). Die reale Bedeutung der Technologie steht eindeutig nicht im Mittelpunkt der Aufmerksam-keit oder wird nur punktuell diskutiert.

Was für allgemeine, populärwissenschaftliche Veröffentlichungen gilt, trifft ebenso für die akademische Forschung zu. Auch diese widmet sich – hier kann man wirklich sagen nahezu ausschließlich – den technisch formalisierbaren Fragen. Der soziale Systemkon-text wird weitestgehend ausgeblendet.

Diese Behauptung lässt sich anhand eines Überblicks zum Forschungsstand bezie-hungsweise anhand der „Service-Oriented Computing Research Roadmap“, die Papa-zoglou et al. skizzieren (vgl. Abbildung 5), recht einfach nachweisen.

Abbildung 5: Die Forschungsschwerpunkte des Service Oriented Computing

Quelle: Papazoglou et al. 2006, S. 7

Der abgebildete Überblick basiert auf den Ergebnissen einer Reihe von Workshops, die am „Internationalen Begegnungs- und Forschungszentrum für Informatik“ (IBFI) auf Schloss Dagstuhl zur Diskussion der offenen Probleme des Service Oriented Computing durchgeführt wurden. Entworfen mit dem Ziel, die heterogene europäische SOC-Forschungslandschaft zu konsolidieren, fasst die Abbildung den damaligen Forschungs-stand tabellarisch zusammen. Dabei werden mit den „Service Foundations“, mit der

„Service Composition“, mit dem „Service Management“ und dem „Service Design und Development“ vier Ebenen unterschieden.

Zwar wird in dem zugehörigen Aufsatz erkannt, dass sich mit der neuen prinzipiellen Einfachheit in der Systemverknüpfung ein „fundamental change to the socio-economic fabric of the software developer community“ (Papazoglou et al. 2006, S. 3) verbindet, dass mit der zunehmenden Verbreitung von SOA die Möglichkeit einer „cross-institutional cooperation“ (ebd., S. 3) zunehmen könnte und schließlich, dass „Services technologies are being shaped by, and increasingly will help shape, modern society as a whole, especially in vital areas such as dynamic business, health, education and govern-ment services“ (ebd., S. 4), den damit verbundenen sozialen Fragen wird jedoch nicht tiefergehend nachgegangen. Und dass der Bereich „Service Governance“ (in der Abbildung 5 als unterste Herausforderung aufgezählt) weniger auf organisations-soziologische Zusammenhänge zielt, wird allein schon aufgrund der Tatsache klar, dass sich die Forderung nach interdisziplinärer Forschung und einem ganzheitlichen

For-schungsansatz39 primär an einzelne Subdisziplinen der Informatik richtet – an „Experts representing many disciplines including distributing computing, database and informati-on systems, software engineering and design, computer architectures and middleware and knowledge representation“ (ebd., S. 4); die Sozial- und Humanwissenschaften tau-chen namentlich an keiner Stelle des Textes auf. Offensichtlich wird dem Grundver-ständnis, dass technologische Gestaltung immer auch eine Formierung von Sozialem ist, nicht konsequent gefolgt.

Stehen einmal nicht die technischen Standards beziehungsweise das Zusammenspiel der einzelnen technischen Systemkomponenten im Mittelpunkt, so sind es in der akademi-schen Forschung vor allem Betriebswirte und Wirtschaftsinformatiker, die sich des Themas annehmen. Dabei werden unter anderem Möglichkeiten zur monetären Messung und Bewertung von Services diskutiert, der Gesamtaufwand bei der Einbindung einer Service Oriented Architecture untersucht oder das betriebswirtschaftliche Potential von Service Oriented Architectures und Web Services bei Outsourcing oder Outtasking-Prozessen in der „Supply Chain“ modellhaft ermittelt. Behandelt werden demnach vor allem betriebswirtschaftliche Kernfragen: Zum Beispiel, was kostet der Architektur-wechsel? Welche monetären Potentiale verbinden sich damit? Wie verrechnet man einen Service, intern wie extern? Welche Preismodelle setzen sich dabei durch? In der Regel beschränkt man sich dabei abstrahierend auf die klassisch betriebswirtschaftliche Per-spektive – organisationssoziologische, soziale Probleme stehen auch hier nicht im Mit-telpunkt40.

Ein Beispiel ist die Arbeit von Silberberger (2006). Zwar untersucht Silberberger den Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Web Services und der Organisationsstruktur der Anwenderunternehmen, allerdings stützt er sich dabei konzeptionell auf die

39 „From the state of the art the major open problems and bottlenecks to progress are identified. Several of these obstacles arise due to the current lack of interdisciplinary research [Hervorhebung durch SR] in the field, which is considered to be a major impediment that limits added economic growth through deploy-ment and use of services technology” (Papazoglou et al. 2006, S. 1); „Only through adaptation of an holistic approach [Hervorhebung durch SR] to Service Oriented Computing research it is considered likely that new industries and economic growth factors can be provided. Thus to unleash the full potential of SOC research a broader vision and perspective [Hervorhebung durch SR] is required – one that perme-ates and transforms the fundamental requirements of complex applications that require the use of the Service-Oriented-Computing paradigm” (Papazoglou et al. 2006, S. 4).

40 Eine Beschreibungen der traditionellen betriebswirtschaftlichen Perspektive nach Erich Gutenberg und ihrem Verhältnis zu Organisation findet sich bei Dirk Baecker (vgl. Baecker 2003a, S. 9ff.; 2003b, S.

264ff.). Für die vorliegende Arbeit jedoch gilt: Der Betrieb hat eben nicht nur eine Organisation, der

tionskostentheorie41 und methodisch auf ein rein quantitatives Forschungsdesign (Con-joint- und Cluster Analyse). Damit greifen Silberbergers Erklärungen zur organisatori-schen Bedeutung der Technologie für die hier erforschte Fragestellung nicht tief genug.

Um nicht missverstanden zu werden, es geht an dieser Stelle nicht darum, die oben genannten Arbeiten und Forschungsperspektiven zu diskreditieren, sie haben in ihrer spezifischen Ausprägung immer ihre Berechtigung. Auffällig ist indes schon, dass die organisatorische und soziale Bedeutung der Technologie noch weitgehend unerforscht ist. In dieser Hinsicht steht man auf wissenschaftlicher Seite (zum Teil aber auch auf betrieblicher Seite) dem Thema noch recht ratlos gegenüber und entsprechend finden sich auch kaum Untersuchungen, in denen der reale Stellenwert des Konzepts systema-tisch untersucht wird.

Dieses Forschungsdefizit wird häufig mit dem noch recht jungen Alter der Technologie begründet. Einige Experten sehen eine breite Adaption von Service Oriented Architectu-res erst für 2010 voraus, beziehungsweise beziffern die Dauer einer Systemumstellung auf mindestens 10 Jahre (vgl. Bauer 2006). Dies ist sicherlich richtig und gerade in den letzten Monaten mehren sich Beiträge, die auch organisatorische Probleme thematisieren und auf die konkrete Einsatzform der Technologie stärker eingehen. Meines Erachtens erklärt man mit diesem Einwand jedoch nur einen Teil dieses Forschungsdefizits. Ein bedeutender weiterer Grund dafür liegt meiner Meinung nach in der technokratisch geführten öffentlichen Diskussion und in einer verzerrten Wahrnehmung des Themen-felds durch die Wissenschaft. Es mangelt an einer integrierten Sichtweise. Neben der einseitigen Forschungsperspektive der Ingenieursdisziplinen macht sich an dieser Stelle die Zurückhaltung der Organisations- und Sozialwissenschaften, was die konsequente Analyse technologischer und eben auch Informationstechnologischer Zusammenhänge betrifft, bemerkbar.

41 Die Schwächen dieses Theorieansatzes werden in den Sozialwissenschaften häufig diskutiert. So wird beispielsweise die zentrale Frage des Transaktionskostenansatzes, nämlich jene nach den optimalen Unternehmensgrenzen zwischen Markt und Hierarchie, ganz selbstverständlich aus der Sicht des fokalen Unternehmens geführt. Damit bleiben die Konsequenzen für den Zulieferbetrieb jedoch außen vor (vgl. zu dieser Kritik Bieber 1992, S. 277). Weitere Kritikpunkte sowohl aus wirtschaftswissenschaftlicher als auch aus soziologischer Sicht insbesondere an dem Netzwerkkonzept der Transaktionskostenökonomie finden sich unter anderem bei Castells (1996, S. 190), bei Monse (1992, S. 295) und bei Powell (1990).

Das Problem der Reserviertheit der Soziologie, speziell der Organisations- und der jüngeren Arbeitsoziologie, gegenüber der informationstechnischen Entwicklungen im Allgemeinen und derartigen Fragen im Besonderen halte ich für grundlegend. Ich werde daher zum Abschluss der Arbeit eigens darauf eingehen (Kapitel 6).

Vorweg werde ich dem skizzierten Forschungsdefizit nachgehen und damit die, in Wirt-schaft und WissenWirt-schaft vorwiegend technisch und betriebswirtWirt-schaftlich gehaltene, Forschung zu den Bedingungen und Chancen von Web Services und Service Oriented Architectures um eine sozialwissenschaftliche Perspektive erweitern.

2.4 FORSCHUNGSPERSPEKTIVE UND EMPIRISCHE GRUNDLAGE