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§ 9 Begriff der formellen Enteignung230und Träger des Enteignungsrechts

I. Begriff

1. Begriffsbestimmung a) Inhalt

Expropriation oder Enteignung ist nach § 1 ExprG die «zwangsweise Ein ziehung des Eigentums» gegen angemessene Schadloshaltung, wobei sie nur in Fällen zulässig ist, in denen es das «allgemeine Beste er heischt».

In der Gesetzgebung231 und dementsprechend auch in der Recht spre -chung und Literatur werden beide Begriffe verwendet. Art. 35 Abs. 1 LV spricht in diesem Zusammenhang von der «Abtretung» jeder Art von Ver mögen. Ivo Beck232definiert die formelle Enteignung als die nach den Bestim mungen des Expropriationsgesetzes und in dem dort vorge -schriebenen Verfahren aus Gründen des öffentlichen Interesses gegen an-gemessene Entschädigung verfügte Entziehung oder Beschrän kung sub-jektiver Rechte. Nach den Worten des Staatsgerichtshofes233kann man begrifflich von einer formellen Enteignung nur dann spre chen, wenn ein vermögenswertes Recht durch behördlichen Zwang zu gunsten eines an-deren Rechtsträgers übertragen oder belastet wird. Keine Ent eignung

230 In Österreich spricht man auch von «klassischer Enteignung»; siehe Rill, S. 203;

Kori nek, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 178 unter Hinweis auf VfSlg 2572/1953; 2680/1954; 6884/1972 und 7234/1973.

231 Vgl. z.B. Art. 31 WRG und Art. 25 Elektrizitätsgesetz.

232 Beck, S. 20.

233 StGH 1977/6, Entscheidung vom 24. Oktober 1977, LES 1981, S. 45 (47); vgl. auch Höfling, Grundrechtsordnung, S. 181.

liegt vor, wenn ein Recht durch Gesetz für erloschen erklärt wird, ohne dass dieses Recht auf eine andere Person übertragen wird.

Der Staatsgerichtshof erblickt demnach das Wesen der formellen Ent eignung in der behördlichen Rechtsübertragung des enteigneten Ver mö genswertes auf einen anderen Rechtsträger gegen angemessene Ent -schädigung.234Wenn die behördliche Rechtsübertragung ohne ange mes -sene Entschädigung oder für einen Zweck verfügt würde, der nicht dem öffentlichen Wohl235diente, wäre nach seiner Ansicht der Eingriff in das Privatvermögen im Sinn des Art. 35 LV verfassungswidrig.

b) Unterschied zur materiellen Enteignung

Der Entschädigungsanspruch hat seine Grundlage in Verfassung und Ge setz. Aus diesem Grund stellt sich für Ivo Beck236die Frage nicht, ob die Entschädigung als «Begriffsmerkmal» oder Rechtsfolge der Enteig nung zu verstehen ist. Rechtsprechung und Lehre greifen diese Frage stel lung auf und benutzen sie, um den Unterschied zur materiellen Ent -eignung deutlich zu machen, die eine Entschädigungspflicht zur Folge hat. Demnach soll die Leistung einer Entschädigung bei der formellen Enteignung Voraussetzung und bei der materiellen Enteignung die Folge des Eigentumseingriffs sein.237Es wird argumentiert, dass das Recht bei der formellen Enteignung erst mit der Bezahlung der Entschädigung auf den Enteigner übergehe, die Entschädigung also Voraussetzung des Eingriffs in das Eigentum sei. Die enteignungsähnlichen Eigentumsbe -schrän kungen würden dagegen mit dem Inkrafttreten des betreffenden Erlasses oder Planes wirksam und hätten die Entschädigungspflicht des Gemeinwesens zur Folge.238

234 Siehe zum Vergleich BGE 106 Ia 67 und 104 Ib 80, in denen auch von der Über tra -gung eines Rechts (auf den Enteigner) gegen Entschädi-gung die Rede ist.

235 § 1 ExprG – wie erwähnt – verwendet dafür den Ausdruck «allgemeine Beste».

Siehe dazu auch hinten S. 107 f.

236 Beck klammert sie in seiner Dissertation, S. 89, aus. Ähnlich für Österreich Rill, S. 203.

237 Müller, Grundrechte, S. 612; siehe in diesem Sinn zur materiellen Enteignung StGH 1972/6, Entscheidung vom 26. März 1973, ELG 1973 bis 1978, S. 352 (356).

238 BGE 93 I 142 f.; zur Wirkung der Entschädigung bei der formellen Enteignung nach

§ 9 ExprG siehe Beck, S. 108, wonach die Rechtsänderung des Expropriations objek -tes im Moment der Barzahlung oder Hinterlegung der Entschädigungssumme voll-zogen ist. Näheres dazu hinten S. 126 und 155.

Eine formelle Enteignung kann auch nachträglich einen enteig -nungs ähnlichen Eingriff ergänzen. Sie tritt aber nicht an die Stelle der materiellen Enteignung. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Eigentümer von einem ihm offen stehenden Heimschlagsrecht Ge -brauch macht. So kann nach Art. 21 DSchG der Eigentümer eines unter Schutz gestellten Denkmals jederzeit verlangen, dass es vom Staat er -wor ben wird, wenn ihn die Unterschutzstellung wie eine Enteignung trifft.

c) Expropriationsgesetz und Sachenrecht

Das Expropriationsgesetz datiert vom 23. August 1887. Es entstammt einer Zeitepoche vor der geltenden Verfassung von 1921, in der öster rei -chisches Recht für die liechtensteinische Gesetzgebung bestimmend war.

1923 trat das neue Sachenrecht in Kraft, das nach dem schweizeri schen Vorbild konzipiert ist. Die Bestimmungen des schweizerischen Sachen rechts werden übernommen. Diese rechtspolitische Neuausrichtung be -deutet, dass die Verwandtschaft zum österreichischen Recht auf diesem Gebiete ein Ende findet.239 Diese Rechtsänderung ist jedoch für das Institut der Enteignung ohne grössere Auswirkungen geblieben. Die begriffliche Umschreibung der Enteignung, wie sie § 1 ExprG vorge nom -men hat, hat jedenfalls unter inhaltlichen Gesichtspunkten durch die spätere, nachfolgende liechtensteinische Judikatur und Literatur, die un-verkennbar schweizerischer Rechtsanschauung folgen, keine andere Deutung erfahren.

2. Bedeutung

Das Institut der formellen Enteignung ermöglicht es dem Gemeinwesen, für die Verwirklichung bestimmter Zwecke die benötigten Güter von Privaten in einem förmlichen, d. h. gesetzlich festgelegten Verfahren und unter angemessener240Entschädigung zwangsweise in Anspruch zu nehmen. Sie dient insbesondere dem Landbedarf für die Erstellung öffent licher Werke, so etwa für den Strassenbau oder für elektrische An

-239 Zum Hintergrund dieses Vorgangs siehe Wille, Neukodifikation, S. 613 ff.

240 Dazu ausführlich hinten S. 112 f.

lagen.241Eine formelle Enteignung darf aber nur dann angeordnet wer -den, wenn es das «allgemeine Beste» erheischt. Wenn der Gesetzgeber nicht ausdrücklich auf das Expropriationsgesetz Bezug nimmt und auf es verweist, wie dies beispielsweise im Gesetz über den Bau von Hoch -leis tungsstrassen und Hauptverkehrsstrassen der Fall ist, legt er die dem Gesetz entsprechenden strengen Anforderungen selber fest. So heisst es in Art. 16, dass das für den Bau von Hochleistungs und Hauptverkehrs stras sen erforderliche Land, sofern ein freihändiger Erwerb ausser Be tracht falle, im Landumlegungs oder Enteignungsverfahren zu erwer ben sei. Dabei komme das Enteignungsverfahren erst dann zur Anwen -dung, wenn die Bemühungen für einen freihändigen Erwerb oder für eine Landumlegung nicht zum Ziel führen.242

3. Abgrenzung gegenüber enteignungsähnlichen Massnahmen a) Allgemeines

Von der formellen Enteignung zu unterscheiden sind die Konfiskation oder Einziehung, die Requisition und die Baulandumlegung und die Bo denv erbesserung. Diese Massnahmen greifen zwar ebenfalls in das Eigen -tum ein, können den Eigentümer ähnlich treffen wie eine Ent eig nung und eine Entschädigungspflicht des Staates oder der Gemeinde aus lö sen, die-nen aber anderen Zwecken und folgen anderen Regeln.243 Aus diesem Grunde sind formelle Enteignung und enteignungsähnliche Massnahmen auseinanderzuhalten. Denn je nachdem kann bei einem Ein griff in das Privateigentum das Expropriationsverfahren nach dem Expropriations -gesetz oder ein spezielles Verfahren zur Anwendung gelangen.244

241 Zur Erstellung eines Radweges siehe StGH 1992/8, Urteil vom 23. März 1993 , LES 3/1993, S. 77 f.; vgl. auch Art. 16 ff. Gesetz über den Bau von Hochleistungsstrassen und Hauptverkehrsstrassen; Art. 25 ff. Elektrizitätsgesetz; vgl. im Weiteren die Bei -spiele für die im öffentlichen Interesse gelegenen Enteignungsfälle bei Beck, S. 43 f.

242 Vgl. auch Art. 31 WRG, wo es heisst: «Wenn zur zweckmässigen Nutzung eines Gewässers Eigentum an Grund und Boden in Anspruch genommen werden muss, ohne dass dabei eine gütliche Einigung zustande kommt, steht dem Land, der Ge meinde und dem Unternehmen, das dem öffentlichen Wohl dient, das Expropria -tions recht zu».

243 Müller, Kommentar, Rdnr. 46.

244 Zur Abgrenzung des Begriffes der formellen Enteignung gegenüber ähnlichen Erscheinungen siehe Beck, S. 20 ff.

b) Konfiskation oder Einziehung

Konfiskation ist der entschädigungslose Entzug oder die Einschränkung vermögenswerter Rechte zugunsten der öffentlichen Hand.245Sie stellt eine Massnahme dar, um Gegenstände aus dem Verkehr zu ziehen, die der Täter zur Begehung der mit Strafe bedrohten Handlung verwendet hat, die von ihm dazu bestimmt worden waren, bei Begehung dieser Handlung verwendet zu werden, oder die durch diese Handlung hervor -ge bracht worden sind, wenn dies nach der besonderen Beschaffenheit der Gegenstände geboten erscheint,246um deren Begehung mit Strafe be-drohter Handlungen entgegenzuwirken.247 Es kann sich auch um Ge gen stände handeln, die für die Abklärung von Straftaten als Beweis -mittel248 sichergestellt werden müssen. Die Einziehung erfolgt zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und ohne Entschädi -gung. Die Rechtsentziehung tritt hier als Repression eines schuldhaften Verhaltens in Erscheinung, so dass in diesem Zweck der Unterschied zur Enteignung deutlich wird. Zudem werden Konfiskationen naturgemäss nicht entschädigt.249

c) Requisition

Nicht als formelle Enteignung gilt die Requisition zur «Bekämpfung von Gemeingefahren».250Der Unterschied zur Enteignung besteht vor -nehm lich darin, dass bei der Requisition nur die tatsächliche Verfügung dem Eigentümer oder anderen Berechtigten entzogen wird. So haben die Eigentümer, Besitzer und Halter von Fahrzeugen aller Art, Zugtieren, Maschinen, Werkzeugen, Anlagen, Einrichtungen, Geräten und sonsti -gen geeigneten Hilfsmitteln zu dulden, dass diese sowie deren Zubehör auf Anordnung der Katastrophenschutzbehörden für die Katastrophen be kämpfung und für die unmittelbar anschliessende vorläufige Besei ti gung erheblicher Katastrophenschäden in Anspruch genommen wer

-245 StGH 1977/6, Entscheidung vom 24. Oktober 1977, LES 1981, S. 45 (47).

246 Z. B. weil von ihnen eine besondere Gefährdung ausgeht, wie dies bei Betäubungs mitteln der Fall ist. Siehe Art. 28 BMG; danach sind Betäubungsmittel, die Gegen -stand einer nach den Art. 20 bis 26 mit Strafe bedrohten Handlung bilden, nach Massgabe von § 26 StGB einzuziehen.

247 § 26 Abs. 1 StGB.

248 Vgl. z. B. Art. 155 Abs. 1 und 6 LVG.

249 Beck, S. 33.

250 Art. 137 Abs. 1 und 2 LVG; vgl. Beck, S. 35 ff.

den.251Nach Art. 32 Feuerwehrgesetz kann jedermann durch das Feuer -wehr kommando verpflichtet werden, bei Einsatzfällen der Feuer-wehr persönliche und sachliche Leistungen zu erbringen. Wie bei der Enteig -nung schuldet aber das Gemeinwesen volle Entschädigung bei Verlust, Zerstörung oder Beschädigung der requirierten Sachen.252

d) Baulandumlegung und Bodenverbesserungen253

Mit der Baulandumlegung soll insbesondere eine zweckmässige Über bau ung von teilweise bereits überbauten Bereichen einer Bauzone er -reicht werden, wobei der Boden grundsätzlich so zugeteilt wird,dass jeder Grundeigentümer ein annähernd gleichwertiges Grundstück er hält, das flächen oder wertmässig seinem eingebrachten Anteil ent -spricht.254 Der wertmässige Realersatz als Zuteilungsgrundsatz gilt auch bei Bodenverbesserungen, die den Zweck haben, die Ertrags fähig keit des Bodens zu erhalten oder wiederherzustellen und seine Bewirt -schaf tung zu erleichtern.255 Eine Bodenverbesserung wird durch ge führt, wenn sie sich infolge Zerstückelung der Grundstücke, unge eig -neter Grund stücksformen, unzweckmässiger Wege und Gräben oder ähn licher Verhältnisse, welche die Bewirtschaftung erschweren, auf -drängt.

II. Träger des Enteignungsrechts

1. Begriff

Expropriant oder Enteigner ist, wer die Expropriation oder Enteignung durchführt und durch sie berechtigt und verpflichtet wird. Dies kann der Staat oder ein anderes Gemeinwesen, wie eine öffentlichrechtliche Kör

-251 Art. 26 Abs. 1 Katastrophenschutzgesetz; siehe auch Art. 32 Feuerwehrgesetz.

252 So Art. 29 Abs. 2 Katastrophenschutzgesetz und Art. 34 Abs. 2 Feuerwehrgesetz.

253 Vgl. auch hinten S. 143 f.

254 Art. 2 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 1 BUG; vgl. auch Art. 21 Abs. 2 Gesetz über den Bau von Hochleistungsstrassen und Hauptverkehrsstrassen und Art. 27 Bst. a Verord -nung über das Landumlegungsverfahren für den Bau von Hauptverkehrsstrassen.

Danach ist jedem Grundeigentümer für die abgetretenen Grundstücke nach Mög -lichkeit Ersatz in Land von ähnlicher Beschaffenheit und Lage zuzuweisen.

255 Art. 1, 30 Abs. 1 und 31 Bst. a BVG.

per schaft oder Anstalt, oder eine Privatperson sein.256Die Über tra gung des Enteignungsrechts erfolgt mit Gesetz, wobei es selber das Enteig -nungs recht einräumt oder den Landtag ermächtigt, es zu gewäh ren. So steht etwa nach Art. 31 Abs. 1 WRG257dem Land, der Gemeinde und dem Unternehmen, das dem öffentlichen Wohl dient, das Expro pria tions recht zu, wenn zur zweckmässigen Nutzung eines Gewässers Eigen tum an Grund und Boden in Anspruch genommen werden muss, ohne dass dabei eine gütliche Einigung zustande kommt. Es kann auch der Landtag nach Art. 41 Abfallgesetz den Betreibern von Abfallentsor gungs anlagen oder nach Art. 25 Abs. 1 Elektrizitätsgesetz258den Eigen tü mern von elektri schen Schwach und Starkstromanlagen und den Be zü gern von elektri scher Energie das Recht der Expropriation für die Er richtung und den Be trieb von Abfallentsorgungsanlagen bzw. für die Ein richtungen zur Fort -leitung und Verteilung der elektrischen Energie so wie für die Erstellung der zu deren Betrieb notwendigen Schwach strom anlagen gewähren.

2. Mögliche Enteigner a) Land

Der Staat tritt für sich selber als Enteigner auf. Dies ist dann der Fall, wenn der Staat aus «Gründen des öffentlichen Wohls»259, wie beispiels -weise bei den unter Schutz gestellten Landschaftsteilen oder bei den un-ter Schutz gestellten Denkmälern von aussergewöhnlicher Bedeutung zum Enteignungsrecht greift, wenn die Ziele des Naturschutzgesetzes260 bzw. des Denkmalschutzgesetzes261nicht auf andere Weise zu erreichen

256 Vgl. Beck, S. 53 f. Als Beispiel für eine Privatperson kann auf Art. 94 SRV verwie-sen werden. Dort heisst es: «Wer das Recht der Zwangverwie-senteignung geltend machen will, hat der Regierung ein schriftliches Gesuch mit allen für die Beurteilung des Falles nötigen Unterlagen einzureichen».

257 Vgl. auch Art. 56 GSchG, wo dem Staat das Enteignungsrecht eingeräumt wird, um die für die Erstellung von Einrichtungen und Anlagen zur Abwasserbeseitigung so-wie um die für die Massnahmen zum Hochwasserschutz erforderlichen ding lichen Rechte zu erwerben.

258 Vgl. auch Art. 35 TelG; Art. 9 Rohrleitungsgesetz und Art. 41 Abfallgesetz.

259 So die Formulierung von Art. 11 Abs. 1 des inzwischen aufgehobenen Gesetzes vom 4. Juni 1957 über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (Gewässerschutz -gesetz), LGBl 1957 Nr. 14.

260 Art. 44 Abs. 1 NSchG.

261 Art. 20 DSchG.

sind. Den Antrag262 an den Landtag, der über die Notwendigkeit der Ent eignung zu entscheiden hat, stellt die Regierung.263

b) Gemeinden und andere öffentlichrechtliche Körperschaften und Anstalten

Das Gesetz kann auch anderen Gemeinwesen wie Gemeinden264 oder anderen öffentlichrechtlichen Körperschaften und Anstalten das Ent eig nungs recht übertragen. So sind im Zusammenhang mit der Wasser füh -rung des Saminabaches und dessen Zuflüsse oder der Auswertung der Wasserkräfte des Saminabaches und seiner Zuflüsse die «Liechten steini -schen Kraftwerke» als öffentlichrechtliche Anstalt berechtigt, für den Fall, dass es mit den bisherigen Konzessionären nicht zu einer Einigung kommt, an den Landtag einen Antrag auf Enteignung zu stellen.265 c) Privatpersonen

Es können auch Privatpersonen das Enteignungsrecht geltend machen.

Dies gilt z. B. für die im Sachenrecht vorgesehenen Fälle der Zwangsent -eig nung. Wer sich auf dieses Recht der Zwangsent-eignung berufen will, hat der Regierung ein schriftliches Gesuch mit allen für die Beurteilung des Falles nötigen Unterlagen einzureichen.266

§ 10 Gegenstand der formellen Enteignung I. Allgemeines

Gegenstand des formellen Enteignungsrechts können grundsätzlich alle von der Eigentumsgarantie geschützten vermögenswerten Rechte267sein.

262 § 2 ExprG spricht von einer «Vorlage» der Regierung. Art. 11 Abs. 1 des inzwischen aufgehobenen Gewässerschutzgesetzes vom 4. Juni 1957, LGBl 1957 Nr. 14, laute-te: «Wenn Gründe des öffentlichen Wohles bestehen, kann der Landtag auf Antrag der Regierung die Enteignung aussprechen, um die für die Erstellung von Reinigungs an lagen mit ihren Zu- und Ableitungen erforderlichen dinglichen Rechte zu er werben».

263 Zur Besonderheit des Enteignungsverfahrens siehe StGH 1992/8, Urteil vom 23. März 1993, LES 3/1993, S. 77 (79 ff.); vgl. hinten S. 118 ff.

264 Siehe Art. 31 Abs. 1 WRG.

265 § 5 LKWG.

266 Art. 94 SRV.

267 Vgl. dazu vorne S. 58 ff.

Es ist im Folgenden davon die Rede, soweit das einschlägige Ver fah ren des Expropriationsgesetzes in Betracht kommt. In der Rechts praxis stel-len das Grundeigentum und die beschränkten dinglichen Rechte den Regelfall der formellen Enteignung dar.268

II. Grundeigentum und Eigentum an beweglichen Sachen

1. Grundeigentum

Das Eigentumsrecht an unbeweglichen Sachen (Grundstücke)269 wird am häufigsten expropriiert. Es erstreckt sich nach Art. 47 Abs. 1 SR

«nach oben und unten auf den Luftraum und das Erdreich, soweit für die Ausübung des Eigentums ein Interesse besteht». Das in diesem Sinn

«objektivierte» Interesse des Grundeigentümers bestimmt demnach die vertikale Abgrenzung des Grundeigentums.270

2. Eigentum an beweglichen Sachen

Eigentum an beweglichen Sachen kann auch Gegenstand einer Ent eig -nung sein. Ivo Beck271 spricht in diesem Zusammenhang von einer

«Mobiliarexpropriation». § 1 ExprG schliesst sie nicht aus. In der Praxis kommt sie jedoch nicht vor. Denkbar wäre eine solche Expropriation

«zum Zwecke der Erhaltung künstlerischer oder geschichtlich wert vol -ler Bauten oder Bauteile sowie von Naturdenkmä-lern», wie sie Art. 123 SR vorsieht.272Es könnten auch bewegliche Sachen, die unter den Denk

-268 Vgl. die ausführliche Darstellung der Objekte der Enteignung bei Beck, S. 61, die al-lerdings in einigen Bereichen durch in der Zwischenzeit erfolgte Änderungen der Rechtslage überholt ist.

269 Art. 34 und 522 SR.

270 Zur Ausdehnung des Grundeigentums in vertikaler Richtung siehe BGE 119 Ia 397 ff.

271 Beck, S. 64 f.

272 Unter «Naturdenkmälern» versteht heute das Gesetz zum Schutz von Natur und Landschaft nicht so sehr einzelne bewegliche schützenswerte Objekte als vielmehr schützenswerte Lebensräume, die von der Regierung mit Verordnung unter Schutz gestellt werden können (Art. 17 NSchG). Es fasst denn auch «Naturdenkmäler» als bestimmte, kleinflächig begrenzte Landschaftsteile auf (Art. 20 NSchG). Bei unter Schutz gestellten Landschaftsteilen steht dem Staat gemäss Art. 44 NSchG ein Ent -eignungsrecht zu.

mal begriff fallen und mit Verfügung der Regierung unter Schutz gestellt wurden, vom Staat enteignet werden. Es steht ihm nämlich bei unter Schutz gestellten Denkmälern von «aussergewöhnlicher Bedeutung» ein Ent eignungsrecht zu.273

III. Beschränkte dingliche Rechte

Beschränkte dingliche Rechte, z. B. Grunddienstbarkeiten (Art. 198 ff.

SR) oder persönliche Dienstbarkeiten wie Nutzniessung (Art. 216 ff.

SR) und Wohnrecht (Art. 248 ff. SR) können gleich wie Eigentum auf dem Wege der Enteignung entzogen werden, um dem Enteigner ein las -ten freies Eigentum zu verschaffen.274

IV. Nachbarrechte

1. Enteignung von Abwehransprüchen

Gegenstand einer formellen Enteignung können auch die gesetzlichen Nachbarrechte bzw. die nachbarrechtlichen Abwehransprüche sein.

Damit trägt das Enteignungsrecht den «beschwerlichen Auswirkungen der Nachbarschaft der im öffentlichen Interesse gelegenen Unternehmen weitgehend Rechnung».275 Art. 61 und 67 SR verbieten dem Grund -eigen tümer, sein Eigentumsrecht zu überschreiten bzw. übermässig auf das Eigentum des Nachbarn einzuwirken, der solche übermässigen bzw.

ungerechtfertigten Einwirkungen abwehren kann.276Dieses Recht kann ihm durch formelle Enteignung entzogen werden, was für ihn nichts an-deres als eine «zwangsweise Errichtung einer Dienstbarkeit»277auf sei-nem Grundstück bedeutet. So können zum Zwecke der Erstellung eines

273 Art. 20 i.V.m. Art. 2 und 9 DSchG.

274 Ausführlicher dazu Beck, S. 66 ff.

275 Beck, S. 68 f.

276 Zu Art. 67 SR vgl. OGH-Urteil vom 31. Juli 1984, 2 C 217/82-57, LES 1/1986, S. 12 (18 f.) und OGH-Urteil vom 1. März 1983, 5 C 325/80-18, LES 4/1985, S. 112 (116 f.).

277 BGE 123 II 564; 116 Ib 16; in diesem Sinn auch Beck, S. 69.

öffentlichen Werkes, z. B. eines Wasserwerkes, die gesetzlichen Nach -barrechte der an das Baugrundstück anstossenden Grundstücke in dem Sinn enteignet werden, dass diese verpflichtet werden, die aus dem Bau und dem Betrieb des Werkes entstehenden Immissionen (Geräusch und Erschütterungen) zu dulden, auch dann, wenn es sich um über mäs sige Einwirkungen im Sinn von Art. 67 SR handelt.278

In diesem Zusammenhang gilt es wohl auch die aus der schwei ze -rischen Lehre und Rechtsprechung bekannte Einschränkung zu machen, wonach Voraussetzung für die Enteignung von Nachbarrechten ist, dass die Immissionen aus der Erfüllung einer Verwaltungsaufgabe folgen, mit dem bestimmungsgemässen Betrieb des Werkes untrennbar verbunden sind und sich nicht oder nur mit einem unverhältnismässigen Aufwand ver meiden lassen. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, kann der Nach bar gestützt auf Art. 61 SR beim Landgericht auf Unterlassung der übermässigen Immissionen klagen und für erlittene Nachteile Scha den -ersatz verlangen.

2. Enteignung mit Anspruch auf Entschädigung

Eine Enteignung von Nachbarrechten, die einen Anspruch auf Ent schä -digung auslöst, liegt nach bundesgerichtlicher Praxis nur dann vor, wenn die Einwirkungen aus einem öffentlichen Werk unvermeidbar und für den Grundeigentümer nicht voraussehbar sind und ihn in einem Mass treffen, welches das Übliche und Zumutbare übersteigt, und ihm einen

Eine Enteignung von Nachbarrechten, die einen Anspruch auf Ent schä -digung auslöst, liegt nach bundesgerichtlicher Praxis nur dann vor, wenn die Einwirkungen aus einem öffentlichen Werk unvermeidbar und für den Grundeigentümer nicht voraussehbar sind und ihn in einem Mass treffen, welches das Übliche und Zumutbare übersteigt, und ihm einen