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Finanzierungsrechnung und bankenstatistische Erhebungen

3 Private Verschuldung und Überschuldung in Deutschland

3.1 Daten zur privaten Verschuldung in Deutschland

3.1.1 Finanzierungsrechnung und bankenstatistische Erhebungen

Bei der Suche nach Daten über die Höhe der privaten Verschuldung in Deutschland denkt man zunächst an statistische Rechenwerke wie die Finanzierungsrechnung. Diese Sekundärstatistik, welche die realwirtschaftlich orientierte Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung um die finanziellen Vorgänge ergänzt, ermittelt u.a. die finanziellen Verbindlichkeiten für die Volkswirtschaft als Ganzes und für die einzelnen institutionellen Sektoren. Methodische Grundlagen liefert dabei das Europäische System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG) 2010.34F40 Die Finanzie-rungsrechnung beinhaltet mit den Bilanzpositionen „Verbindlichkeiten insgesamt“ sowie deren Unterkategorien „Sonstige Verbindlichkeiten (F8)“ und „Kredite (F4)“ wichtige Informationen über die Verschuldung des Sektors der privaten Haushalte (S14). So betrugen die Verbindlich-keiten insgesamt der privaten Haushalte am Ende des vierten Quartals 2015 1622 Milliarden

40 Durch das seit September 2014 für alle Länder der Europäischen Union verbindlich geltende ESVG 2010 wird eine einheitliche Definition der volkswirtschaftlichen Vermögen und Vermögensbestandteile gesichert und die Vergleichbarkeit der Daten auf europäischer Ebene gewährleistet (Statistisches Bundesamt und Deutsche Bun-desbank 2015, S. 4). Durch die Einführung des ESVG 2010 wird der Sektor der privaten Haushalte (S14) sepa-rat ausgewiesen; nach dem alten System, ESVG 95, wurde dieser mit dem Sektor der privaten Organisationen ohne Erwerbszweck (S15) noch zusammen erfasst (Deutsche Bundesbank 2014b, S. 15).

Euro. Den größten Anteil (99 Prozent) machten dabei mit 1606 Milliarden Euro Kredite aus, während nur 17 Milliarden Euro an sonstigen Verbindlichkeiten anfielen.35F41

Tiefergegliederte Informationen liefert hingegen die Primärstatistik der bankenstatistischen Er-hebungen, welche zusammen mit anderen Primärstatistiken in die Finanzierungsrechnung ein-geht. In den bankenstatistischen Erhebungen veröffentlicht die Deutsche Bundesbank Angaben über die Geschäftstätigkeit der monetären Finanzinstitute (Kreditinstitute, Kapitalverwaltungs-gesellschaften und extern verwaltete InvestmentKapitalverwaltungs-gesellschaften) in Deutschland. Grundlage bildet hierfür § 18 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank. Diese Erhebungen gliedern sich weiter in verschiedene Einzelstatistiken wie die monatliche Bilanzstatistik und die Kreditnehmerstatistik, welche Informationen über die von dem privaten Sektor aufgenommenen Kredite liefern.

In der monatlichen Bilanzstatistik finden sich Informationen über die Höhe der vergebenen Kre-dite an die Sektoren der privaten Haushalte und der privaten Organisationen ohne Erwerbs-zweck36F42 (nach ESVG 95 konsolidiert zu dem Sektor S14_S15). Diese sind von 1253 Milliarden Euro im Januar 1999 auf 1546 Milliarden Euro im Juli 2016 angewachsen (vgl. Zeitreihen-Datenbank der Deutschen Bundesbank, Zeitreihe BBK01.OXA8A7). Des Weiteren werden in dieser Statistik die Kreditsummen unterteilt nach Verwendungszweck seit 2003 ausgegeben. Den größten Anteil an den insgesamt vergebenen Krediten an den Sektor S14_S15 machen die Kredi-te für den Wohnungsbau (im Folgenden: ImmobilienkrediKredi-te) aus. Wie Abbildung 3 (linke Ordi-nate) zeigt, sind diese von 815 Milliarden Euro im Januar 2003 auf über 1.185 Milliarden Euro im Juli 2016, jeweils in den Preisen von 2010, kontinuierlich angestiegen. Dies macht einen Ge-samtanstieg von ca. 46 Prozent aus. Auf einem geringeren Niveau dafür deutlich unbeständiger verlaufen hingegen die Konsumkredite sowie die sonstigen Kredite (rechte Ordinate von Abb-ildung 3). Sonstige Kredite werden definiert als „Kredite, die nicht unter die vorgenannten Kate-gorien fallen (z. B. Kredite für Geschäftszwecke, Schuldenkonsolidierung, Ausbildung)“ (Deut-sche Bundesbank 2015a, S. 22). Interessant ist die gegensätzliche Entwicklung der beiden Kredit-arten. Während die Höhe der Konsumkredite zunächst bis Anfang 2004 um bis zu 13 Prozent einbrach, stiegen die sonstigen Kredite in dieser Zeit um etwa 10 Prozent an. Danach sank die Höhe der sonstigen Kredite bis 2011, die Konsumkredite stiegen jedoch weiter bis zur Mitte des Jahres 2012. Auch anschließend kehrten sich die Entwicklungen der beiden Kreditarten um, wenn auch nicht so eindeutig wie zu Beginn des Beobachtungszeitraums. Im Juli 2016 betrugen die an den Sektor der privaten Haushalte und der privaten Organisationen ohne Erwerbszweck vergebenen Konsumkredite 194 Milliarden Euro und die sonstigen Kredite 284 Milliarden Euro, jeweils berechnet in den Preisen von 2010.

41 Die Angaben stammen aus der Finanzierungsrechnung nach ESVG 2010, Deutsche Bundesbank, Zeitreihen:

BBK01.CEF0J0, BBK01.CEF4J0 und BBK01.CEF7J0. In die Unterkategorie „Sonstige Verbindlichkeiten“ fal-len z. B. Handelskredite und Anzahlungen sowie übrige Forderungen/ Verbindlichkeiten ohne Handelskredite und Vorschüsse (Eurostat und Europäische Kommission 2014, S. 204).

42 Zu dem Sektor der privaten Organisationen ohne Erwerbszweck (S15) zählen Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit, welche Dienstleistungen vorwiegend für die privaten Haushalte bereitstellen und dabei nicht unter staatlicher Kontrolle stehen. Beispiele hierfür sind Religionsgemeinschaften, Vereine, Gewerkschaf-ten, politische Parteien und Entwicklungshilfeorganisationen (Eurostat und Europäische Kommission 2014, S.

55).

Abbildung 3: Kredite der privaten Haushalte und Organisationen ohne Erwerbszweck.Linke Ordinate: Immobili-enkredite; rechte Ordinate: Konsum- und sonstige Kredite; jeweils des Sektors S14_S15 in Preisen von 2010, unter Verwendung des Verbraucherpreisindex gemäß Statistischem Bundesamt. Für Deutschland im Zeitraum von Januar 2003 bis Juli 2016; Angaben in Mrd. Euro. Eigene Darstellung. Quellen: Monatliche Bilanzstatistik der Deutschen Bundesbank, Zeitreihen: BBK01.OXA8B2, BBK01.OXA8B3, BBK01.OXA8B4; Statistisches Bundesamt (2017, S.

19-23).

Eine genauere Betrachtung des Einzelsektors der privaten Haushalte bietet die monatliche Bilanz-statistik jedoch nicht. Hier setzt die vierteljährlich erscheinende KreditnehmerBilanz-statistik an. Diese stellt nicht nur längere Zeitreihen zur Verfügung, sondern erlaubt darüber hinaus eine weitere Aufgliederung des Sektors der privaten Haushalte (S14). Allerdings bezieht sich die Kredit-nehmerstatistik auf die einzelnen Privatpersonen, während Finanzierungsrechnung und ESVG von dem einzelnen privaten Haushalt ausgehen. Beide Untergliederungen entsprechen sich je-doch inhaltlich wie Abbildung 4 zeigt.

ESVG Kreditnehmerstatistik

S14 Private Haushalte Privatpersonen

S141+S142 Selbstständigenhaushalte Sonstige private Haushalte37F43 Sonstige Privatpersonen Abbildung 4: Private Haushalte und Privatpersonen. Gegenüberstellung des Sektors der privaten Haushalte gemäß ESVG 2010 und dessen Entsprechung in der Kreditnehmerstatistik. Eigene Darstellung. Quellen: Eurostat und Eu-ropäische Kommission (2014, S. 53 ff.); Deutsche Bundesbank (2015b, S. 7).

43 Der Sektor „Sonstige private Haushalte“ (S144) ist eine Hilfskonstruktion. Er umfasst die Untersektoren „Haus-halte von Vermögenseinkommensempfängern (S1441)“, „Haus„Haus-halte von Renten- und Pensionsempfängern (S1442)“ sowie „Sonstige Nichterwerbstätigenhaushalte (S1443)“.

0

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Sonstige Kredite

Konsumkredite Immobilienkredite

In der Kreditnehmerstatistik werden folglich auch die Kreditverbindlichkeiten der Untersektoren S141+S142, S143 und S144 ausgewiesen. Der Sektor der wirtschaftlich unselbstständigen Privat-personen (S143) umfasst zum einen Personen, die überwiegend Einkommen aus unselbstständ-iger Arbeit beziehen (z. B. Arbeiter, Angestellte, Beamte), zum anderen auch Arbeitslose, Rentner und Pensionäre. Dem Sektor der sonstigen Privatpersonen (S144) werden Personen zugeordnet, die kein eigenes Einkommen haben, oder von denen nicht bekannt ist, ob sie ein Einkommen besitzen. Darunter fallen u. a. Hausfrauen, Schüler, Studenten, in Ausbildung befindliche Perso-nen sowie PersoPerso-nen ohne Berufsangabe (Deutsche Bundesbank 2015b, S. 24). Der Sektor der wirtschaftlich selbstständigen Privatpersonen (S141+S142) umfasst Einzelkaufleute, Gewerbetrei-bende, freiberuflich Tätige, Landwirte und Handwerker (Deutsche Bundesbank 2015b, S. 23 f.).

Aufgrund der vielfältigen Überschneidungen zu dem volkswirtschaftlichen Sektor der Unterneh-men, welcher gemäß den Ausführungen von S. 37 nicht Gegenstand dieser Untersuchung ist, wird dieser Sektor nicht weiter berücksichtigt. Stattdessen konzentrieren sich die folgenden Aus-führungen auf die Untersektoren S143 und S144, die wirtschaftlich unselbstständigen sowie son-stigen Privatpersonen (konsolidiert zu dem Sektor S143_S144).

Abbildung 5: Kredite der Privatpersonen. Kredite der wirtschaftlich unselbstständigen und sonstigen Privatperso-nen, in Preisen von 1995, unter Verwendung des fortgeschriebenen Preisindex für die Lebenshaltung gemäß der langen Reihe des Statistischen Bundesamt. Für Deutschland im Zeitraum von 1968 bis 2015, jeweils Werte des 4.

Quartals; Angaben in Mrd. Euro. Eigene Darstellung. Quellen: Kreditnehmerstatistik der Deutschen Bundesbank, Zeitreihen: BBK01.PQ3002, BBK01.PQ3201, BBK01.PQ3150; Statistisches Bundesamt (2017, S. 2 f.).

Die zeitliche Entwicklung der laut Kreditnehmerstatistik an wirtschaftlich unselbstständige und sonstige Privatpersonen vergebenen Kredite stellt Abbildung 5 dar. Das Volumen der insgesamt vergebenen Kredite stieg von 11 Milliarden Euro zum Ende des Jahres 1968 um etwa das 130-Fache auf 1.474 Milliarden Euro Ende 2015, jeweils ausgedrückt in den Preisen von 1995.

Quantitativ entfallen gut 70 Prozent der insgesamt an den Sektor S14_S15 vergebenen Kredite an den Sektor der wirtschaftlich unselbstständigen und sonstige Privatpersonen (S143_S144). Bei den Immobilienkrediten macht dieser Anteil sogar gut 80 Prozent aus. Allerdings wurden die Kredite für den Wohnungsbau erst ab Ende 1980 in der Kreditnehmerstatistik erfasst, wodurch

0 200 400 600 800 1.000 1.200 1.400 1.600

1968 1972 1976 1980 1984 1988 1992 1996 2000 2004 2008 2012 Nicht-Immobilienkredite

Immobilienkredit e

Kredite insgesamt

sich die Höhe der Kredite insgesamt mehr als verdoppelt hat. Die Einbeziehung der Kredite der ostdeutschen Finanzinstitute sowie der Treuhandkredite ab dem Jahr 1990 führte ebenso zu ei-nem starken Anstieg der Kreditverbindlichkeiten auf 1.515 Milliarden Euro Ende 1998. Durch die Ausgliederung der Treuhandkredite ab dem Jahr 1999 fiel dieser Wert jedoch wieder auf etwa 913 Milliarden Euro. Ähnliche Niveauverschiebungen finden sich auch in den beiden Unter-kategorien der Immobilienkredite sowie der Nicht-Immobilienkredite. Letztere werden in der Kreditnehmerstatistik als „sonstige Kredite“ ausgewiesen, ihre inhaltliche Abgrenzung entspricht jedoch nicht der oben betrachteten Abgrenzung der sonstigen Kredite des Sektors S14_S15.

Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Residualgröße der Kredite insgesamt und der Immo-bilienkredite.38 F44 Der Anteil der Immobilienkredite an den insgesamt vergebenen Krediten an den Sektor S143_S144 steigerte sich fast kontinuierlich von ca. 66 Prozent Ende 1980 auf ca. 80 Pro-zent Ende 2015. Dementsprechend verringerte sich der Anteil der Nicht-Immobilienkredite in dieser Zeit von 34 auf 20 Prozent.39F45

Neben den Werten für Deutschland insgesamt hält die Bankenstatistik diese Angaben auch für die einzelnen Bundesländer in den bankstatistischen Regionalergebnissen bereit. Allerdings erfolgt die Zuordnung nach Bundesland dabei nach Sitz der Kredit gebenden Bankenzweigstelle und nicht nach dem Sitz des Bankkunden. Dies gilt auch für die Direktbanken, also bundesweit täti-gen Banken ohne Filialnetz, deren Kreditforderuntäti-gen dem jeweilitäti-gen Bundesland des Firmen-sitzes zugeordnet werden. Folglich bilden die bankenstatistischen Regionalergebnisse die Kredit-verbindlichkeiten der Privatpersonen in den einzelnen Bundesländern nicht genau ab, sondern spiegeln eher die Verteilung des Bankennetzes wider. Ballungsräume wie Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen weisen demnach sehr hohe Kreditsummen auf, wäh-rend kleineren und strukturschwächeren Länder wie Bremen, das Saarland, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern eher geringe Kreditsummen zugeordnet sind. Für die Zwecke dieser Arbeit sind die Daten daher nicht dienlich. Eine bessere regionale Zuordnung ermöglichen Befra-gungsdaten wie die Einkommen- und Verbrauchsstichprobe sowie das sozio-ökonomische Panel, welche im Folgenden betrachtet werden. Diese auf die Ebene der privaten Haushalte bezogenen Daten geben Auskunft über den Anteil der verschuldeten Haushalte an allen Haushalten sowie über die Höhe der Schulden.

44 Nach obigem Tenor fassen die Nicht-Immobilienkredite folglich die Konsum- und sonstigen Kredite des Sektors S143_S144 zusammen. Ein expliziter Ausweis für diese Unterkategorien erfolgt erst seit Juni 2010 (vgl. Zeit-reihen-Datenbank der Deutschen Bundesbank, Zeitreihen BBK01.OXA7A8 und BBK01.OXA7B6). Danach entfallen etwa 85 Prozent der an den Sektor der privaten Haushalte und privaten Organisationen ohne Erwerbs-zweck (S14_S15) vergebenen Konsumkredite an wirtschaftlich unselbstständigen und sonstige Privatpersonen (S143_S144). Bei den sonstigen Krediten beträgt dieser Wert nur etwa ein Drittel.

45 Betrachtet man die Änderungsraten dieser Größen, so ist das Wachstum der Immobilienkredite in fast allen Jah-ren größer als das Wachstum der Nicht-Immobilienkredite. Nur zu Beginn der 1990er Jahre kehrt sich dieses Verhältnis um.