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Bestehende Arbeiten zu Verschuldungspräferenzen

2 Ökonomische Erklärungen für Staatsverschuldung

2.3 Verschuldungsmentalität als Erklärung für Staatsverschuldung

2.3.1 Bestehende Arbeiten zu Verschuldungspräferenzen

Mit den Verschuldungspräferenzen von Wählern und Politikern beschäftigt sich ein noch relativ neuer Strang der politökonomischen und verhaltensökonomischen Literatur.25F29 Während die Mehrheit dieser Arbeiten ihren Blick auf die Wählerpräferenzen richtet (u. a. Dafflon und Pujol 2001, Pujol und Weber 2003, Krogstrup und Wälti 2008, Heinemann und Hennighausen 2012, Stix 2013), befassen sich vereinzelt auch Aufsätze mit den fiskalischen Präferenzen von Politikern (Pujol 2009; Eichenberger et al. 2012; Heinemann et al. 2014). Insgesamt verwenden nur wenige Papiere Verschuldungspräferenzen als Determinante staatlicher Verschuldung. Zwar wurde dieses Vorgehen bereits früh implizit vorgeschlagen in der Kritik einer möglichen Endogenität von Budgetinstitutionen (vgl. S. 26 f.). Jedoch verwundert diese Lücke in der ökonomischen Literatur wenig, da, wie im Folgenden gezeigt wird, nur bedingt Daten über Verschuldungspräferenzen verfügbar sind und die Wahl geeigneter Proxyvariablen keine leichte ist.

Eine erste Annäherung an die Messung fiskalischer Präferenzen stellt das Gleichsetzen politischer und fiskalischer Präferenzen dar. Eine politideologisch konservative Prägung gilt in diesem Zu-sammenhang als Stellvertreter für eine fiskalisch konservative Prägung. So werden sowohl der Anteil konservativer Parteien in Regierung oder Parlament (Holtz-Eakin 1988; Feld und Matsusaka 2003) als auch Meinungsumfragen, welche die Stärke der politisch konservativen An-hängerschaft ermitteln (Bohn und Inman 1996), verwendet. Jedoch zeigt sich auch hier der be-reits in Abschnitt 2.2.3 auf S. 17 beschriebene Widerspruch, dass die ideologische Prägung, und damit einhergehend die Wunschgröße des Wohlfahrtsstaats, a priori keine Aussagen über die Wunschhöhe der Staatsverschuldung zulässt. So finden Heinemann und Hennighausen (2012, Seite 424 ff.), dass sich die Verschuldungspräferenzen der Bürger nicht einfach gemäß der Parti-san-Theorie einordnen lassen, also linke Wähler Staatsverschuldung eher befürworten respektive in Kauf nehmen und konservative Wähler dagegen stimmen. Außerdem verweisen einige Studien darauf, dass sich die Verschuldungspräferenzen der Wähler von denen der Regierung unterschei-den (Pujol 2009, S. 84 f.; Krogstrup und Wälti 2008, S. 125 f.). Eichenberger et al. (2012) ver-gleichen sogar empirisch die Präferenzen von Schweizer Politikern mit denen ihrer Wählern in Bezug auf einen möglichen Schuldenabbau (oder weiteren –aufbau) in acht Finanzreferenden zwischen 2008 und 2011. Dabei stellen sie fest, dass die politischen Repräsentanten in Abstim-mungen regelmäßig von den Präferenzen ihrer eigenen Wähler abweichen (Eichenberger et al.

29 Auch hier gilt zu beachten, dass es sich dabei um eine intertemporale Dimension handelt. Statische Betracht-ungen fiskalischer Präferenzen, sei es bezogen auf Umverteilungsmaßnahmen (Corneo und Grüner 2002; Alesina und Angeletos 2005) oder Steuererhöhungen (Hennighausen und Heinemann 2015) sind häufiger anzutreffen.

2012, S. 253 ff.).26F30 Ferner führt die Gleichsetzung fiskalischer Präferenzen mit Parteipräferenzen mitunter zu wenig intuitiven Ergebnissen. Blinder und Krueger (2004, S. 354) kontrollieren in ihrer Analyse der Verschuldungspräferenzen explizit für die politischen Präferenzen der befragten Haushalte und kommen zu dem Ergebnis, dass vor allem konservative Wähler weniger besorgt sind um die Höhe der öffentlichen Verschuldung als moderate oder liberale.

Peltzman (1992) verwendet hingegen die Stimmenzuwächse bzw. -abnahmen der Regierung bei der darauffolgenden Wahl, um zu überprüfen, inwiefern Wähler schuldenfinanzierte Ausgaben-programme wirklich gutheißen (eine zentrale These der frühen Arbeiten politischer Konjunk-turzyklen, wie sie in Abschnitt 2.2.1, auf S. 12 erläutert wurde). Allerdings vergisst dieser Weg natürlich, dass die Ab- oder Wiederwahl einer Regierung auch von anderen Dingen beeinflusst werden kann als den Verschuldungspräferenzen. Eine andere Möglichkeit bietet die Approxi-mation durch geäußerte Verschuldungspräferenzen. So nutzen einige Autoren Meinungs-umfragen, die sich mit den eigenen Präferenzen bezüglich der Höhe der Staatsverschuldung be-schäftigen (für Deutschland: Heinemann und Hennighausen 2012; für die USA: Blinder und Krueger 2004; für Österreich: Stix 2013). Jedoch sind deren Stichprobenumfänge ob des Er-hebungsaufwands verhältnismäßig klein und in größeren Haushaltsbefragungen fehlen in der Regel Fragen zu dem Thema Verschuldungspräferenzen (Heinemann und Hennighausen 2012, S. 410). Eine Alternative stellt die Modellierung der Verschuldungspräferenzen anhand der geäu-ßerten Präferenzen in direktdemokratischen Abstimmungen dar. Hier bietet vor allem die Schweiz mit ihren Finanzreferenden ein interessantes Forschungsfeld.27F31

So ermitteln Dafflon und Pujol (2001) einen Index der fiskalischen Konservativität auf Kantons-ebene anhand des Abstimmungsverhaltens der Wähler bei Bundesreferenden zur Fiskalpolitik in den Jahren 1979 bis 1998. Ein Wähler gilt bei ihnen als fiskalisch konservativ, wenn er für Steu-ererhöhungen, Ausgabenbegrenzungen sowie Abbau der Verschuldung stimmt. Sie zeigen, dass je fiskalisch konservativer die Wähler eines Kantons in den Referenden auf Bundesebene votieren, desto geringer fällt auch die Verschuldung des Kantons selbst aus (Dafflon und Pujol 2001, S. 65 f.). Des Weiteren untersuchen Krogstrup und Wälti (2008) den Einfluss von Fiskalregeln auf die Haushaltssalden Schweizer Kantone unter Berücksichtigung der jeweiligen Verschuldungs-präferenzen. Für letztere greifen sie auf einen Index von Funk und Gathmann (2006) zurück, welcher sich aus den Ergebnissen bundesweiter Abstimmungen zwischen 1950 und 2000 zusam-mensetzt. Allerdings wenden Krogstrup und Wälti kritisch ein, dass dieser Index eher die Ausga-benpräferenzen ermittelt, welche nicht per se mit den Verschuldungspräferenzen übereinstimmen müssen (Krogstrup und Wälti 2008, S. 127). Es zeigt sich zumindest, dass Kantone mit stärkeren Ausgabenpräferenzen höhere Defizite aufweisen (Krogstrup und Wälti 2008, S. 131 f.). Auch Luechinger und Schaltegger (2013) kontrollieren direkt für die fiskalischen Präferenzen der

30 Eine mögliche Begründung dafür führen Eichenberger et al. (2015) in einem neueren Aufsatz an. Der Gesetz-geber scheine eher die Präferenzen von reicheren Wählern zu vertreten als von Wählern mit mittlerem oder ge-ringem Einkommen.

31 In der Schweiz existieren sowohl auf Bundes- als auch auf kantonaler Ebene Finanzreferenden. Die Abstimm-ungen erfolgen meist gebündelt mit anderen Referenden an wenigen Wochenenden im Jahr. Gerade bei eid-genössischen Abstimmungen ist die Stimmbeteiligung hoch: So wurden bei der eideid-genössischen Vorlage EA2015-06-14 zur Erbschaftssteuerreform im Juni 2015 2,3 Mio. Stimmen abgegeben bei einer Gesamtzahl der Stimm-berechtigten von etwa 5,3 Mio. (Schweizer Bundesamt für Statistik 2016).

ler in Schweizer Kantonen, während sie den Einfluss von Fiskalregeln auf die Höhe der veran-schlagten und der realisierten Defizite evaluieren. Dabei orientieren sie sich wie auch Dafflon und Pujol (2001) an dem Abstimmungsverhalten der Schweizer Wähler zu fiskalischen Fragen auf Bundesebene und konstruieren einen Index der fiskalischen Konservativität. Jedoch ermitteln die Autoren dafür, wie für den Großteil ihrer erklärenden Variablen, keine statistisch signifikanten Ergebnisse (Luechinger und Schaltegger 2013, S. 792 f.).

Einen anderen Ansatz wählen Heinemann et al. (2014). Diese Autoren untersuchen den Einfluss von Fiskalregeln auf die Höhe der Zinsspreads von zehnjährigen Staatsanleihen europäischer Länder, wobei als Referenzgröße die Zinsen deutscher Anleihen verwendet werden. Dabei kon-trollieren Heinemann et al. explizit für fiskalische Präferenzen und modellieren diese in dreierlei Weise. Erstens betrachten sie vergangene Inflationsraten der Länder unter der Annahme, dass diese die nationalen Stabilitätspräferenzen offenbaren. Zweitens modellieren sie die fiskalischen Präferenzen der Regierung anhand der Anzahl der Sitze im Parlament einer Partei, multipliziert mit deren fiskalischen Präferenzen. Für letztere nutzen sie eine Studie von Benoit und Laver (2006), welche darin u. a. die fiskalischen Präferenzen europäischer Parteien auf Grundlage von Expertenbefragungen analysieren. Die Parteien werden dabei bewertet hinsichtlich der Frage, ob sie eher für niedrige Steuern und niedrige Ausgaben oder für hohe Steuern und hohe Ausgaben votieren würden. Drittens approximieren Heinemann et al. (2014) die fiskalischen Präferenzen auf Grundlage von Umfragedaten mittels des gesellschaftlichen Vertrauens (Heinemann et al.

2014, S. 119 ff.). Als Ergebnis finden die Autoren, dass in der Vergangenheit offenbarte Stabili-tätspräferenzen durch geringe Inflationsraten ebenso wie ein hohes Maß an Vertrauen in der Ge-sellschaft zu geringeren Zinsaufschlägen in der Gegenwart führen. Hingegen erscheinen Regie-rungen, die sich für geringe Steuern und geringe Ausgaben aussprechen, an den Finanzmärkten weniger glaubhaft und müssen Zinsaufschläge hinnehmen. Außerdem vermuten Heinemann et al., dass der scheinbare Einfluss starker Fiskalregeln in Ländern mit geringen Zinsspreads fast ausschließlich durch eine starke Stabilitätskultur erklärt werden kann (Heinemann et al. 2014, S.

122 ff.).

Mit der Frage, ob nicht auch die Verschuldungspräferenzen selbst endogen und somit bestimmt von weiteren exogenen Variablen sind, beschäftigen sich explizit Pujol und Weber (2003, S. 428 ff.). Sie nutzen dabei als abhängige Variable einen Index der aggregierten fiskalischen Präferenzen der Schweizer Kantonswähler, den Dafflon und Pujol (2001, S. 57 ff.) konstruieren. Pujol und Weber ermitteln, dass die Verschuldungspräferenzen exogen von sozioökonomischen Merkmalen sind und somit geeignet als erklärende Größen der kantonalen Budgetdefizite.

Es zeigt sich, dass auf dem Gebiet der Verschuldungspräferenzen die Forschungsfragen noch nicht erschöpft sind. So gibt es bisher wenige Arbeiten für Deutschland zu diesem Thema und keine, welche Verschuldungspräferenzen als Bestimmungsgröße für die Höhe der Staats-verschuldung untersuchen. In Anbetracht des unterschiedlichen Verschuldungsgebarens auf Ebe-ne der Bundesländer und Gemeinden könnten damit aber interessante Erkenntnisse gewonEbe-nen werden. Ein zentraler Punkt, der sich dabei vermutlich in den Weg stellt, ist die Suche und Ver-fügbarkeit nach einer geeigneten Proxyvariablen, um die Verschuldungspräferenzen einer Ge-bietskörperschaft zu ermitteln. Finanzreferenden und andere Elemente direkter Demokratie, durch welche die Bürger eines Landes direkt über die Fiskalpolitik abstimmen können, existieren

in Deutschland und vielen anderen Ländern nicht. Und auch die Datenverfügbarkeit von Mei-nungsumfragen zu Verschuldungspräferenzen ist wie angeführt gering. Daher schlägt der nächste Abschnitt ein alternatives Instrument vor um Verschuldungspräferenzen zu modellieren.

2.3.2 Verschuldungsmentalität und deren Approximation durch private Verschuldung