• Keine Ergebnisse gefunden

Einkommens- und Verbrauchsstichprobe

3 Private Verschuldung und Überschuldung in Deutschland

3.1 Daten zur privaten Verschuldung in Deutschland

3.1.2 Einkommens- und Verbrauchsstichprobe

Neben den Daten der Finanzierungsrechnung und Kreditnehmerstatistik, welche Informationen der Gläubiger (lender-reported data) veröffentlichen, existieren eine Reihe von umfragebasierten Daten zur Verschuldungssituation der privaten Haushalte in Deutschland (borrower-reported data, vgl. S. 37). Die mit Abstand größte Befragung ist die Einkommens- und Verbrauchs-stichprobe (EVS). Diese Querschnittserhebung des Statistischen Bundesamts und der Statisti-schen Landesämtern bildet die Einkommens-, Vermögens- und Schuldensituation sowie die Kon-sumausgaben von ca. 60.000 privaten Haushalten in Deutschland ab. Bei ca. 40 Millionen Pri-vathaushalten41F46 sind folglich ungefähr 0,15 Prozent aller Haushalte in der Stichprobe vertreten.

Ob dieses Erhebungsaufwands wird die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe seit 1962 bzw.

1963 (in Berlin und den neuen Ländern seit 1993) jedoch nur in einem ungefähr fünfjährigen Abstand durchgeführt.42F47 Die Ergebnisse der EVS fließen in den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ebenso ein wie in die Bemessung des regelsatzrelevanten Verbrauches im Rahmen der Grundsicherung. Des Weiteren dienen sie als Datenbasis für die Verwendungs-rechnung der Volkswirtschaftlichen GesamtVerwendungs-rechnung (VGR) und für die Neufestsetzung des Wägungsschemas der Verbraucherpreisstatistik (Statistisches Bundesamt 2013, S. 4).

Die Teilnahme an der Befragung ist freiwillig. Als Querschnittserhebung wird in jedem Jahr eine neue Stichprobe gezogen. Die Auswahl der Haushalte erfolgt dabei nach einem Quotenplan auf Grundlage des jeweils vorangegangenen Mikrozensus48, um regionale und sozioökonomische Fak-toren berücksichtigen zu können (Zimmermann 2004, S. 387). Für den Quotenplan sind die Ausprägungen der drei Merkmale soziale Stellung der Bezugsperson, Haushaltsgröße und monat-liches Haushaltsnettoeinkommen (gemäß Selbsteinschätzung) deterministisch. Dadurch kann die Qualität der Ergebnisse als hochwertig gewertet werden (Statistisches Bundesamt 2013, S. 4).

Auch zeigt z. B. Becker (2014, S. 40) in einem Vergleich mit den Ergebnissen der VGR eine hohe Kongruenz beider Datenreihen auf, zumindest bezogen auf Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Einkommen. Denn, wie auch bei anderen Haushaltsstichproben mit freiwilliger Beteiligung, er-geben sich an den „Rändern“ der Einkommensverteilung Repräsentationsprobleme. So sind be-sonders einkommensstarke Haushalte in der EVS unterrepräsentiert. Haushalte, deren monat-liches Haushaltseinkommen 18.000 Euro übersteigt, werden sogar gänzlich ausgeklammert (Stati-stisches Bundesamt 2013, S. 6). Als unterrepräsentiert gelten auch die Angehörigen der sogenann-ten Einkommensunterschicht, weshalb von einem „Mittelstands-Bias“ in Querschnitts- und Pa-nelerhebungen gesprochen wird (Becker 2014, S. 6; Schwahn und Schwarz 2012, S. 837).

46 Der Mikrozensus für das Jahr 2013 ermittelte 39,93 Millionen Privathaushalte in Deutschland.

47 In den Jahren, in denen keine EVS stattfindet, erhebt das Statistische Bundesamt die sogenannte „kleine Schwe-ster“ der Einkommens- und Verbrauchstichprobe, die laufenden Wirtschaftsrechnungen. Der Stichprobenum-fang fällt bei den laufenden Wirtschaftsrechnungen mit ca. 8.000 Haushalten aber deutlich kleiner aus. Folglich werden die Daten auch nicht auf Länderebene ausgewiesen, sondern nur für Deutschland insgesamt, das frühere Bundesgebiet ohne West-Berlin, die Neuen Länder und Berlin.

48 Der Mikrozensus ist eine Erhebung des Statistischen Bundesamts, in der jährlich seit 1957 (in den neuen Län-dern sowie Berlin-Ost seit 1991) ein Prozent der deutschen Bevölkerung zu ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage befragt wird. Die Teilnahme an der Befragung ist verpflichtend (Keller 2014, S. 733). Fragen zu der persön-lichen Verschuldungslage finden sich allerdings nicht im Mikrozensus.

über hinaus sind auch Selbstständige in der Stichprobe unterrepräsentiert (Statistisches Bundes-amt 2013, S. 38).

Ein weiteres Grundproblem von Haushaltsbefragungen allgemein, wie eingangs bereits angeklun-gen, liegt in der Selbstauskunft der Teilnehmer. Nicht alle Befragten sind unbedingt ausreichend über ihre Vermögens-, Einkommens- und Schuldensituation informiert oder wollen diese ungern preisgegeben. Bei Vermögenswerten tritt ein Bewertungsproblem hinzu, da die Befragten nicht unbedingt den Marktwert ihres Vermögens kennen (Grabka und Westermeier 2015, S. 728). Im Rahmen der Qualitäts- und Konsistenzprüfungen kann es dann zu Revisionen der Statistiken kommen (Statistisches Bundesamt 2014, S. 5).

Mittlerweile besteht die EVS aus vier separaten Erhebungsteilen: einem Fragenkatalog zu allge-meinen Angaben, einem zum Geld- und Sachvermögen der Haushalte, einem Haushaltsbuch zur Erfassung der Einnahmen und Ausgaben und als viertem Bestandteil einem Feinaufzeichnungs-heft für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren. Der Erhebungsteil zu dem Geld- und Sach-vermögen enthält detaillierte Fragen zu dem FinanzSach-vermögen (z. B. Girokonten, Sparbücher, Wertpapiere, Lebens- und Rentenversicherungen) sowie zu dem Immobilienbesitz der Haushalte.

Dazu werden die Teilnehmer gebeten, den Verkehrswert ihrer Immobilien, als nach ihrer Mei-nung zu realisierender Verkaufspreis zum ersten Januar des Erhebungsjahres, zu schätzen. Dar-über hinaus enthält dieser Erhebungsteil Fragen zur Höhe der Restschuld bestehender Konsum- oder Ausbildungskredite (jeweils inkl. zu zahlender Zinsen). Auch werden Angaben zu noch zu tilgenden Hypothekenrestschulden (im Folgenden: Immobilienkredite) erfragt, gemessen als noch zu erbringenden Gesamttilgungsbetrag zum ersten Januar des Erhebungsjahrs. Bei den der Im-mobilienkrediten wird seit der Erhebung von 2008 ausdrücklich nicht mehr nach den Schuld-zinsen gefragt, da die künftige Zinsbelastung vielen Haushalten meist nicht genau bekannt ist (Kott und Behrends 2009, S. 100).

Laut der bundesspezifischen Hochrechnung der EVS von 2013 besaßen über 17,2 Millionen private Haushalte zum 01.01.2013 Schulden, deren Durchschnittswert je Haushalt sich auf 27.100 Euro belief. Davon entfielen rund 90 Prozent auf Immobilienkreditschulden, ca. sieben Prozent auf Konsumkreditschulden und etwa drei Prozent auf Ausbildungskreditschulden (Stati-stisches Bundesamt 2014, S. 25). Die sektorale Abgrenzung entspricht hierbei dem Sektor der privaten Haushalte (S14) gemäß ESVG 2010. Die Ergebnisse aufgeschlüsselt nach Bundes-ländern für alle verfügbaren Erhebungsjahre finden sich in den Tabellen 1 und 2. Dabei wird auf einen Ausweis der Ausbildungskreditschulden verzichtet, da dieser Verschuldungsform quanti-tativ nur eine geringe Bedeutung zukommt. Zudem sind dafür nur Daten für die Jahre 2008 und 2013 verfügbar.43F49 Des Weiteren gilt zu bedenken, dass durch die oben aufgezeigte Überrepräsen-tanz von Haushalten mit mittleren Einkommen Haushalte mit Immobilienkreditschulden ten-denziell übererfasst und Haushalte mit Konsumkreditschulden tenten-denziell untererfasst werden (Zimmermann 2004, S. 395).

49 In der EVS 2003 wurde zudem einmalig die Anzahl der Haushalte mit Dispositionskrediten in 2002 ausge-wiesen.

Tabelle 1 zeigt die privaten Verschuldungsquoten gemäß EVS für Deutschland insgesamt sowie für die einzelnen Bundesländer, jeweils für die Verschuldungsart Konsum- bzw. Immobilien-kredit.44F50 Dabei ergibt sich die Verschuldungsquote aus dem Anteil der Haushalte mit Schulden der jeweiligen Verschuldungsart an den Haushalten insgesamt. So wiesen 2013 18 Prozent der Haushalte in Baden-Württemberg Konsumkreditschulden auf, während mit 32 Prozent fast dop-pelt so viele Haushalte Hypothekendarlehen besaßen. Vergleicht man die Verschuldungsquoten der einzelnen Länder miteinander, erscheint folgendes auffällig. Während bei den Konsum-krediten vor allem die ostdeutschen Länder und Niedersachsen überdurchschnittliche Verschul-dungsquoten aufweisen, sind es bei den Immobilienkrediten ausschließlich die westdeutschen Länder (mit Ausnahme von Brandenburg in 2013). Darüber hinaus zeigt sich deutschlandweit zum einen ein leichter Anstieg der Konsumkreditverschuldungsquoten (mit Ausnahme des Jahres 2003). Zum anderen sind die Verschuldungsquoten für Hypothekenkredite von 1998 auf 2003 rapide gefallen und seitdem auf einem konstanten Niveau von 25 Prozent.

Bundesland Konsumkredit Immobilienkredit 1993 1998 2003 2008 2013 1998 2003 2008 2013

Baden-Württemberg 17 15 12 18 18 56 34 33 32

Bayern 15 15 12 16 18 55 30 29 29

Brandenburg 25 24 20 25 30 35 22 23 26

Hessen 15 18 16 18 19 50 28 28 28

Mecklenburg-Vorpommern 21 22 20 26 26 29 22 20 22

Niedersachsen 20 19 18 21 22 49 29 31 30 Nordrhein-Westfalen 19 16 16 21 21 41 25 27 28 Rheinland-Pfalz 18 16 15 18 19 58 31 30 30

Saarland 17 18 16 22 19 61 32 32 31

Sachsen 15 20 17 20 23 34 19 18 17

Sachsen-Anhalt 23 23 19 28 27 35 22 23 19 Schleswig-Holstein 20 19 17 20 21 48 31 34 33

Thüringen 18 22 18 21 24 40 22 22 19

Berlin 16 19 20 23 22 19 10 12 11

Bremen 24 19 14 19 17 43 25 25 26

Hamburg 21 19 17 19 19 25 16 17 18

Deutschland 19 19 17 21 22 42 25 25 25

Tabelle 1: Private Verschuldungsquoten gemäß EVS.Verschuldungsquote definiert als Anteil der privaten Haushal-te mit Schulden der jeweiligen Kreditart an allen HaushalHaushal-ten, unHaushal-terHaushal-teilt nach KreditarHaushal-ten. Für Deutschland und die Bundesländer in den verfügbaren Jahren, Schulden jeweils zum 01.01. eines Jahres; Angaben in Prozent. Eigene Berechnung und Darstellung. Quellen: Ergebnisse der EVS 2003-2013 sowie für die Jahre 1993 und 1998: Münnich (2001, S. 134, Tabelle 9).

50 Die Berechnung einer Gesamtverschuldungsquote, unabhängig von der Verschuldungsart, ist hingegen nur für die letzten beiden Erhebungsjahre möglich, da die Verschuldung erst seit 2008 auch aggregiert ausgewiesen wird.

Ob des kurzen Beobachtungszeitraums wird jedoch an dieser Stelle davon Abstand genommen.

Betrachtet man darüber hinaus die Höhe der privaten Verschuldung gemäß EVS in Tabelle 2, errechnet als Durchschnittswert je Haushalt in Hundert Euro, zeigt sich bei beiden Verschul-dungsarten ein zu den Verschuldungsquoten ähnliches Bild. Zwar findet sich bei den Konsum-krediten keine Ost-West-Teilung wie bei den Verschuldungsquoten, dennoch fallen insbesondere Brandenburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Berlin mit vergleichsweise hohen Werten in fast allen Betrachtungsjahren auf. Das ostdeutsche Flächenland hat, wie auch schon in Tabelle 1, den mit Abstand höchsten Wert über alle Länder und alle Jahre. Auch bei den Immobilien-krediten weisen analog zu obigen Verschuldungsquoten die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ver-gleichsweise hohe Restschulden auf. Die Restschulden aus Immobilien in ostdeutschen Ländern sind hingegen in allen Jahren unterdurchschnittlich.

Bundesland

Konsumkredit Immobilienkredit 1993 1998 2003 2008 2013 1998 2003 2008 2013

Baden-Württemberg 8 11 10 17 18 432 326 333 347 Bayern 7 12 11 16 18 379 280 284 303 Brandenburg 8 11 14 18 24 197 159 186 208 Hessen 9 11 13 16 19 343 289 296 340 Mecklenburg-Vorpommern 6 10 13 17 19 272 137 121 142 Niedersachsen 9 13 14 21 20 300 223 261 264 Nordrhein-Westfalen 7 10 12 18 22 359 210 260 289 Rheinland-Pfalz 8 11 13 16 22 259 246 244 283 Saarland 7 10 16 20 19 216 181 195 207 Sachsen 5 9 9 14 17 245 134 117 119 Sachsen-Anhalt 7 10 11 21 23 226 134 131 114 Schleswig-Holstein 9 11 15 19 17 375 279 276 326 Thüringen 6 10 13 15 20 251 131 119 123 Berlin 15 21 17 20 17 386 90 114 111

Bremen 8 9 9 14 15 327 169 169 229

Hamburg 9 10 15 17 16 459 229 193 233 Deutschland 8 11 13 17 19 314 201 206 227

Tabelle 2: Höhe der privaten Verschuldung gemäß EVS. Private Verschuldung gemessen als Durchschnittswert je Haushalt, unterteilt nach Kreditarten, in Preisen von 2010, unter Verwendung des Verbraucherpreisindex gemäß Statistischem Bundesamt. Für Deutschland und die Bundesländer in den verfügbaren Jahren, Werte jeweils zum 01.01. eines Jahres, bei Immobilienkrediten ab 2008 ohne Schuldzinsen; Angaben in 100 Euro. Eigene Darstellung.

Quellen: Ergebnisse der EVS 2003-2013 sowie für die Jahre 1993 und 1998 Münnich (2001, S. 134, Tabelle 9);

Statistisches Bundesamt (2017, S. 3).