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Finanzielle Maßnahmen

4.2.  Maßnahmenspezifische Empfehlungen

4.2.2.  Finanzielle Maßnahmen

Ein wichtiger Ansatz für die zeitliche Koordinierung im Rahmen einer „Zeitpolitik“ wäre die Einrichtung einer „neutralen Stelle“225 bzw. einer „Koordinierungsstelle“226. Die Verantwortlichkeit und die Mitglieder einer solchen Koordinierungsstelle sollten in Abhängigkeit von den zu koordinierenden Taktgebern bestimmt werden. Naheliegend ist z. B. bei einer Koordinierungsstelle für die Abstimmung von Arbeitszeiten, dass die Industrie- und Handelskammern, als Interessens-vertreter der Arbeitgeber, eine führende Rolle übernehmen.

Bekannte ÖPNV-Preiselastizitäten weisen darauf hin, dass Preiserhöhungen eine stärkere Reaktion hervorrufen als Preissenkungen.228, 229 Die zeitliche Verlagerung würde danach mit einer Einführung als Zuschlag in den Spitzenzeiten (1.) am besten erreicht werden.

Außerdem würde eine solche Einführungsstrategie einen positiven Effekt bezüglich der Fahrgeldeinnahmen (aufgrund der unelastischen Nachfrage bei Preisänderungen) zur Folge haben.

Zuschläge in den Spitzenzeiten werden daher in der Literatur auch als geeigneter Ansatz zur Maximierung der Erträge diskutiert, wodurch auch ein Beitrag zur Nutzerfinanzierung im ÖPNV geleistet werden kann. Für zahlreiche Fahrgäste in den Spitzenzeiten gibt es entweder kein alternatives Verkehrsmittel („captive riders“) und/oder keinen alternativen Fahrtzeitpunkt (zeitgebundene Fahrgäste); der Fahrpreis ist bei diesen Fahrgastgruppen bei der Wahl des Verkehrsmittels oder der Abfahrtszeit von untergeordneter Bedeutung, deren Zahlungsbereitschaft ist daher in den Spitzenzeiten höher.

Fahrgäste mit Alternativen in der Verkehrsmittelwahl könnten sich aber, vielmehr als bei einer Fahrpreisreduzierung in den Talzeiten, gegen den ÖPNV entscheiden. Die Gewinnung von Neukunden durch einen Zuschlag in den Spitzenzeiten kann ausgeschlossen werden. Die Folge wäre also insgesamt ein Rückgang der Fahrgastzahlen.

Außerdem ist mit enormen Akzeptanzproblemen durch die ÖPNV-Nutzer und die Öffentlichkeit zu rechnen. Eine Fahrpreiserhöhung in Spitzenzeiten „mutet gerade den Fahrgästen, die während der Spitzenzeiten unsere überfüllten Fahrzeuge benutzen müssen [...] zu, [...] auch noch mit einem höheren Fahrpreis bestraft zu werden.“230 Im Jahr 2007 gab es stark ablehnende Reaktionen auf Überlegungen des RMV, eine zeitliche Fahrpreisdifferenzierung einzuführen; es war der Eindruck entstanden, dass ein Zuschlag für die Spitzenzeiten eingeführt werden sollte.231, 232 Zu berücksichtigen ist das negative Preisimage des ÖPNV.233

Bei einer Einführung der zeitlichen Preisdifferenzierung als Rabatt in den Talzeiten (2.) ist ein ähnlich positiver Effekt bezüglich der zeitlichen Verlagerung von Fahrten zu erwarten. „Gezielte relative Tarifsenkungen in Form einer zeitlichen Preisdifferenzierung (niedrigere Fahrpreise in nachfrageschwachen Zeiten) dürften [...] wegen der ausgeprägten ‚internen‘ Preiselastizität sehr erfolgversprechend sein: Für Berufstätige mit Gleitzeitregelungen und für Nicht-Berufstätige (z. B.

Senioren) kann damit ein Anreiz geschaffen werden, den ÖPNV außerhalb der Spitzenverkehrszeiten zu benutzen.“234

Allerdings wird der Rabatt zu einem Rückgang der Fahrgeldeinnahmen führen. Erfahrungen haben gezeigt, dass Fahrpreissenkungen in Talzeiten bei verschiedenen Modifikationen durchgehend zu Einnahmeverlusten geführt haben.235 Die Gründe sind zum einen die Fahrgäste, die ihre Fahrt in die preisgünstigeren Talzeiten verlagern, und zum anderen die Fahrpreisermäßigung für die ÖPNV-Nutzer in den Talzeiten, die zuvor einen höheren Fahrpreis entrichten mussten. In den Talzeiten gewonnene Neukunden werden dieses Defizit nicht ausgleichen können.

228 Lippert (1982).

229 Michalk (2004).

230 Lippert (1982).

231 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) (05.05.2007).

232 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) (08.05.2007).

233 Weigele et al. (2007).

234 Frank (1990).

235 Gutknecht (1986).

Dabei ist durchaus ein spürbarer Anstieg der Fahrgastzahlen möglich. Einen indirekten Hinweis darauf gibt beispielsweise eine Befragung im Jahr 2004 von ÖPNV-Nutzern in Frankfurt am Main:

etwa 24 Prozent der befragten Fahrgäste gaben an, den ÖPNV weniger zu nutzen, falls es eine Ermäßigung für Einzelfahrscheine in den Talzeiten nicht mehr gäbe (seinerzeit 0,25 EUR Differenz).236

Akzeptanzprobleme wie bei einem Zuschlag in den Spitzenzeiten sind nicht zu erwarten. Rabatte in den Talzeiten sind aus Sicht der Fahrgästen und der Öffentlichkeit am ehesten akzeptierbar.237 Es kann davon ausgegangen werden, dass Fahrgäste das Gefühl vermittelt bekommen möchten, eher für „gutes Verhalten“ belohnt, als für „schlechtes Verhalten“ bestraft zu werden. Zum Beispiel haben sich Pendler in London in einer Befragung deutlich gegen einen Zuschlag in Spitzenzeiten und für einen Rabatt in Talzeiten ausgesprochen.238

Eine Kombination von (1.) und (2.) stellt die Zuschlag in den Spitzenzeiten und Rabatt in den Talzeiten (3.) dar. Die Preiserhöhungen würden im Vergleich zu (1.) und die Preisreduzierungen im Vergleich zu (2.) geringfügiger ausfallen. Die Vor- und Nachteile der zuvor diskutierten Varianten würden dadurch jeweils abgemildert.

Eine zusammenfassende Übersicht zur Bewertung der Varianten zeigt Bild 45.

zeitliche Verlagerung

Fahrgeld-einnahmen

Fahrgast-zahlen Akzeptanz

Zuschlag in den Spitzenzeiten + + - -

Rabatt in den Talzeiten + - + +

Zuschlag in den Spitzenzeiten und

Rabatt in den Talzeiten + o o o

Bild 45: Bewertung von Varianten der Einführung einer zeitlicher Preisdifferenzierung (+: positiv, o: neutral, --: negativ)

Die befragten Experten haben sich klar (78 Prozent) für die Einführung als Rabatt in den Talzeiten ausgesprochen (Bild 46).

236 TARGET GROUP (2004).

237 Fearnley (2003).

238 Passengerfocus (2006b).

5%

78%

17%

0%

20%

40%

60%

80%

100%

Zuschlag in den Spitzenzeiten

Rabatt in den Talzeiten

Beides n = 54

Auf welche Weise sollte die zeitliche Preisdifferenzierung eingeführt werden?

Bild 46: Ergebnis der Expertenbefragung zur Einführungsstrategie für eine zeitliche Preisdifferenzierung von Einzelfahrten

Auf der Grundlage der Diskussion der Einführungsstrategien und der Expertenbefragung wird die Einführung als Rabatt in Talzeiten (2.) empfohlen. Für diese Variante sprechen vor allem die hohe Akzeptanz und der zu erwartende Anstieg der Fahrgastzahlen.

Bei der Einführung preisreduzierter Zeitkarten mit Beschränkung der zeitlichen Gültigkeit auf Talzeiten (M.2.3) und preisreduzierter Job-Tickets mit Beschränkung der zeitlichen Gültigkeit auf Talzeiten (M.2.4) sollte eine gleichzeitige Abschaffung der Zeitkarten ohne zeitliche Beschränkung unterbleiben. Fahrgäste, die beispielsweise für die Fahrt zur Arbeit eine Zeitkarte nutzen, diese aber durch eine zeitliche Beschränkung dann nicht mehr nutzen könnten, wären möglicherweise gezwungen, auf wesentlich teurere Einzelfahrscheine auszuweichen. Dies würde aus Sicht der betroffenen ÖPNV-Nutzer eine nicht akzeptable Erhöhung der Fahrpreise bedeuten.

Ein „positiver“ Charakter ist aber in der Regel bei finanziellen Maßnahmen mit reduzierten Fahrgeldeinnahmen verbunden (vgl. Kapitel 3.6.3.). Daher ist grundsätzlich die finanzielle Umsetzbarkeit bei der Schaffung positiver Anreize besonders zu beachten. Als Nebeneffekt kann neben der zeitlichen Verlagerung von Fahrten allerdings auch ein zusätzliches Auffüllen der Talzeiten durch Neukunden erreicht werden. Dadurch können die genannten finanziellen Nachteile zumindest zum Teil wieder ausgeglichen werden.

Eine zeitliche Preisdifferenzierung für Einzelfahrten sollte nur mit einem eTicket-System eingeführt werden.

Die Auffassung, dass das Fahrpreissystem und das Vertriebssystem des ÖPNV einfach, bequem und schnell nutzbar sein sollten, ist unstrittig. Eine entsprechende Formulierung findet sich beispielsweise im Regionalen Nahverkehrsplan 2004-2009 des RMV, in dem weiter ausgeführt wird, dass die Tarifstruktur aus Sicht des Kunden möglichst differenziert und auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten, aber auch transparent und einfach merkbar sein sollte.239 „Neben der absoluten Höhe des Tarifniveaus stellt die Transparenz des Tarifsystems aus Sicht der Kunden ein weiteres wichtiges Element dar. Komplexe Preissysteme führen bei vielen Kunden oft zu Unsicherheit, da die Gefahr besteht, den falschen Tarif zu wählen.“240

239 RMV (Rhein-Main-Verkehrsverbund) (2004a).

240 Weigele et al. (2007).

Durch die Einführung einer zeitlichen Preisdifferenzierung für Einzelfahrten zusammen mit einem eTicket-System wird durch eine automatische Fahrpreisermittlung die Komplexität der zeitlichen Preisdifferenzierung durch den ÖPNV-Nutzers weniger wahrgenommen.

Ein weiteres Argument für die gemeinsame Einführung mit einem eTicket-System ist, dass der Anteil der Einzelfahrscheine bei einem konventionellen Ticketsystem in der Regel gering ist. So haben nur 7 bzw. 6 Prozent der im Fallbeispiel (vgl. Anlage V) in den Spitzenzeiten am Vormittag und am Nachmittag befragten Fahrgäste Einzelfahrscheine für Ihre Fahrt genutzt. Bei Einführung eines eTicket-Systems mit automatischer Fahrpreisermittlung ist zu erwarten, dass der Anteil abgerechneter Einzelfahrten höher ist, so dass diese Maßnahme dann eine größere Zielgruppe ansprechen würde.

Nachteilig bei Abrechnung über ein eTicket-System ist allerdings, dass die zeitliche Preis-differenzierung schlechter wahrgenommen wird als bei Verwendung eines konventionellen Einzelfahrscheins. Dadurch würde der Wirkungsgrad der Maßnahme abgeschwächt. Die Wahrnehmung der zeitlichen Preisdifferenzierung sollte daher zum Beispiel durch unterstützende informatorische Maßnahmen verbessert werden.

Im Verkehrssektor kamen Smartcards zum ersten Mal Anfang der 1990er Jahre in Milton Keynes (Großbritannien) zum Einsatz; 1997/1998 wurde in Hongkong eines der ersten großen, auf berührungslosen Smartcards beruhenden elektronischen Ticketing-Systeme eingeführt.241 In der Delphi-Studie „ÖPNV-Markt der Zukunft“ wird auf der Grundlage einer Expertenbefragung prognostiziert, dass trotz der bisher zögerlichen Entwicklung das eTicket im Jahr 2015 einer der wichtigsten Vertriebswege sein wird.242 So soll für das Verbundgebiet des RMV in den kommenden Jahren ein eTicket eingeführt werden, das auch eine automatische Fahrpreisermittlung ermöglicht.243

Eine Differenzierung der Preise zwischen Talzeiten und Spitzenzeiten für Einzelfahrten sollte deutlich ausgeprägt und auf den Planungsraum abgestimmt sein.

Nach HAAG ET AL. sollten Tarifunterschiede zwischen Spitzenzeiten und Talzeiten deutlich ausgeprägt sein, um Lenkungseffekte zu erreichen.244 Der Grund ist die durchweg unelastische Nachfrage im ÖPNV in Bezug auf Fahrpreisänderungen.245

Die Ersparnis bereits eingeführter Zeitkarten mit einer Beschränkung der zeitlichen Gültigkeit (z. B.

9-Uhr-Zeitkarte) gegenüber konventionellen Zeitkarten liegt im Bereich von ca. 15 bis 30 Prozent.

In der Literatur findet sich beispielsweise die Aussage, dass eine spürbare Steuerungswirkung erst ab einer Rabattierung gegenüber der normalen Monatskarte von 15 bis 20 Prozent zu erwarten sei.246

241 Kissinger (2004).

242 Lasch et al. (2005).

243 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) (08.05.2007).

244 Haag et al. (1995).

245 Frank (1990).

246 Ackermann, Stammler (2006).

In London sind Einzelfahrten in den Talzeiten 25 bis 40 Prozent günstiger. Im Rahmen einer Befragung von Pendlern in London wurde ermittelt, dass einer grundsätzlichen Bereitschaft von 19 Prozent der Befragten, außerhalb der Spitzenzeiten zu fahren, eine Bereitschaft von 48 Prozent gegenübersteht, falls der Fahrpreis in Talzeiten um 20 Prozent reduziert wird; auf direkte Nachfrage hin wurde von den Befragten die Erwartung geäußert, dass in den Talzeiten ein Rabatt von 25 bis 30 Prozent gewährt werden sollte.247

Nach FEARNLEY sollten Untersuchungen zur möglichen Nachfragereaktionen für die einzelnen Planungsräume durchgeführt werden, bevor ein zeitlich differenziertes Fahrpreissystem festgelegt wird.248 Preiselastizitäten weisen in Abhängigkeit von Fahrtzweck, Alter, Einkommen, Pkw-Verfügbarkeit und Siedlungsstruktur eine große Bandbreite auf.249

Eine allgemeingültige Aussage zur Höhe der Fahrpreisdifferenzierung kann daher an dieser Stelle nicht formuliert werden. Diese sollte auf den jeweiligen Planungsraum und die spezifischen Randbedingungen abgestimmt werden.