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3.3.  Beschreibung und Bewertung finanzieller Maßnahmen

3.3.1.  Einleitung

Durch unterschiedliche Fahrpreise für Fahrten in Spitzenzeiten und Talzeiten kann ein finanzieller Anreiz für die Nutzung des ÖPNV in Talzeiten geschaffen werden. „Durch die zeitliche Staffelung der Tarife [...] können für die ÖPNV-Kunden [...] Anreize geschaffen werden, auf nachfrage-schwache Tageszeiten auszuweichen. Diese Vorgehensweise entspricht marktwirtschaftlichen Prinzipien und verfolgt ähnliche Ziele wie ein zeitlich differenziertes Road Pricing System für den Autoverkehr.“131 Die zeitliche Verkehrsverlagerung ist ein operatives Ziel des Mobility Pricing.132 Finanzielle Maßnahmen eignen sich - bei entsprechender Ausprägung - außerdem zur Gewinnung von Neukunden.

In der Delphi-Studie „ÖPNV-Markt der Zukunft“ stimmten 51 Prozent der Experten der These zu, dass Preise von den Verkehrsunternehmen bis zum Jahr 2015 noch stärker zur Nachfragesteuerung genutzt werden; nur 18 Prozent vertraten die Einschätzung, dass es eine Nachfragesteuerung durch Preise nicht über den heutigen Umfang hinaus geben wird.133 „Verbilligte Fahrten in Schwachlastzeiten“ wurden von 66 Prozent der Experten als das wichtigste Instrument der Preis-politik bezeichnet, das künftig stärker zur Nachfragesteuerung eingesetzt werden wird. In derselben Studie wird festgestellt, dass als dominierende Zielsetzung nachfragesteuernder Preissetzungen die Steuerung der Kapazitätsauslastung und nicht die Gewinnung zusätzlicher Nutzer angesehen wird.

Eine Befragung von Londoner Pendlern ergab, dass finanzielle Maßnahmen für alle Fahrgastgruppen als wirkungsvollste Anreize für die Verlagerung von Fahrten aus der Spitzenzeit in die Talzeit gelten.134 Auch in den „Hinweisen zu Wechselwirkungen zwischen veränderten Zeitordnungen und Verkehr“ der FGSV wird die Wirksamkeit und die Notwendigkeit einer zeitlichen Preisdifferenzierung im Verkehr betont: „Besonders wirksam erweist sich bei vielen Maßnahmen des Verkehrsmanagements eine Kopplung von Preispolitik und zeitlicher Differenzierung. [...] Starre Tarifregelungen tragen den Interessen der Verkehrsteilnehmer in Zeiten eines zunehmend flexibleren Umgangs mit der Zeit nur unzureichend Rechnung.“135 Weiter heißt es, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, „dass die Gestaltungspotenziale durch eine zeitabhängige Staffelung von Preisen noch nicht ausgeschöpft sind.“136

131 Haag et al. (1995).

132 Roth (2009).

133 Lasch et al. (2005).

134 Passengerfocus (2006a).

135 FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen) (2006b).

136 FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen) (2006b).

Im ÖPNV ist allerdings mit einer durchweg unelastischen Nachfrage in Bezug auf Fahrpreis-änderungen zu rechnen.137 Die Nachfragewirkung der Fahrpreise im ÖPNV wird daher oft überschätzt.138 Die prozentuale Veränderung des Fahrpreises ist grundsätzlich größer als die prozentuale Veränderung der Nachfrage infolge dieser Fahrpreisänderung. Ein bewährter Durchschnittswert ist eine Preiselastizität von -0,30; wird der Fahrpreis zum Beispiel um 10 Prozent angehoben, ist im Allgemeinen ein Nachfragerückgang von nur 3 Prozent zu erwarten. Eine aktuelle Untersuchung empfiehlt die Anwendung einer Preiselastizität von -0,20 bis -0,30 für den ÖPNV-Stadtverkehr.139

ÖPNV-Nutzer reagieren in den Spitzenzeiten besonders unelastisch auf Fahrpreisänderungen. „Die allgemeine betriebliche Erfahrung lässt vermuten, dass die Preiselastizität in der Spitzenverkehrszeit geringer ist als in der Talzeit.“140 Grundsätzlich scheint die Preiselastizität in Spitzenzeiten etwa halb so groß zu sein wie in Talzeiten; dies haben zum Beispiel Untersuchungen in Groß-Britannien gezeigt.141 Dies konnte auch durch eine Auswertung vorhandener Studien durch STOBBE/BASTIAN bestätigt werden (Bild 27).142

Reisezeit Bandbreite Schwerpunkt

Hauptverkehrszeit -0,07 bis -0,33 -0,14 bis -0,29 Nebenverkehrszeit -0,10 bis -0,74 -0,32 bis -0,44 Bild 27: Fahrpreiselastizitäten für Hauptverkehrszeiten und Nebenverkehrszeiten143

Der Grund für die besonders geringe Preiselastizität in den Spitzenzeiten ist, dass die in Spitzen-zeiten dominierenden Fahrtwecke Beruf und vor allem Ausbildung vergleichsweise preisunelastisch sind (Bild 28).

Fahrtzweck Bandbreite Schwerpunkt

Beruf -0,05 bis -0,73 -0,23 bis -0,53

Ausbildung -0,17 bis -0,28 -0,19 bis -0,24

Freizeit -0,33 bis -0,87 -0,36 bis -0,42

Einkauf -0,20 bis -0,41 -0,25 bis -0,38

Bild 28: Fahrpreiselastizitäten nach Fahrtzweck144

Die Folge ist, dass in den Spitzenzeiten Fahrpreiserhöhungen mit geringen Fahrgastverlusten und Fahrpreissenkungen mit geringen Fahrgastgewinnen verbunden sind; in den Talzeiten sind bei

137 Frank (1990).

138 Noé (2007).

139 Vrtic (2001).

140 Gutknecht (1986).

141 TRL (Transport Research Laboratory) (2004).

142 Stobbe, Bastians (2005).

143 Stobbe, Bastians (2005).

144 Stobbe, Bastians (2005).

Fahrpreiserhöhungen hingegen größere Fahrgastverluste und bei Fahrpreissenkungen größere Fahrgastzugewinne zu erwarten. Diese Betrachtungen gelten für die Entscheidung für oder gegen eine Fahrt mit dem ÖPNV. „Interne“ Preiselastizitäten, die Aussagen über zeitliche Verlagerungen

„innerhalb“ des ÖPNV ermöglichen, konnten aber nicht im Rahmen einer Literaturrecherche und auch nicht in einer dieses Forschungsprojekt begleitenden Studienarbeit ermittelt werden.145 Daher soll aus den oben beschriebenen Erkenntnissen bloß gefolgert werden, dass bei einer Preis-differenzierung zwischen Spitzenzeiten und Talzeiten grundsätzlich zeitliche Verlagerungen zu erwarten sind, dass die Preisunterschiede aber aufgrund der geringen Preiselastizität in den Spitzenzeiten stark ausgeprägt sein müssen. Bezüglich der „internen“ Preiselastizitäten besteht folglich Forschungsbedarf (vgl. Kapitel 5.2). Auf die Preisunterschiede wird in Kapitel 4.2.2 noch einmal eingegangen.

Für die Schaffung finanzieller Anreize zur Verlagerung von Fahrten aus den Spitzenzeiten in die Talzeiten durch zeitliche Differenzierungen im Tarifsystem gibt es die folgenden möglichen Ansätze:

1. Preisdifferenzierungen zwischen Spitzenzeiten und Talzeiten 2. Zeitkarten mit Beschränkung der zeitlichen Gültigkeit auf Talzeiten 3. Zusatznutzen für Fahrten in Talzeiten

Der Ansatz „Preisdifferenzierungen zwischen Spitzenzeiten und Talzeiten“ (1.) bezieht sich auf Zahlungsvorgänge für die einmalige Nutzung des ÖPNV. In diesem Forschungsprojekt diskutierte Möglichkeiten sind Preisdifferenzierungen zwischen Spitzenzeiten und Talzeiten für Einzelfahrten (M.2.1) und zum anderen Preisdifferenzierungen zwischen Spitzenzeiten und Talzeiten für Park+Ride (P+R) und Bike+Ride (B+R) (M.2.2).

Der Ansatz „Zeitkarten mit Beschränkung der zeitlichen Gültigkeit auf Talzeiten“ (2.) verfolgt im Prinzip ebenfalls eine Preisdifferenzierung, allerdings produktbezogen für Fahrscheinangebote, die eine mehrmalige Nutzung des ÖPNV in einem begrenzten Zeitraum ermöglichen (Zeitkarten). In diesem Zusammenhang diskutierte Maßnahmen sind für alle Benutzergruppen gültige Zeitkarten mit Beschränkung der zeitlichen Gültigkeit auf Talzeiten (M.2.3) sowie Job-Tickets mit Beschränkung der zeitlichen Gültigkeit auf Talzeiten(M.2.4).

Der Ansatz „Zusatznutzen für Fahrten in Talzeiten“ (3.) schließlich zielt auf das Angebot von Zusatznutzen für bestimmte Tarifprodukte. In diesem Forschungsprojekt wird untersucht, in wie weit die kostenlose Mitnahme von Personen (M.2.5), die Übertragbarkeit von Zeitkarten (M.2.6) sowie Bonusregelungen (M.2.7), zum Beispiel Rückerstattungen, Gutschriften oder Prämien, mit einer zeitlichen Beschränkung auf Talzeiten für die Verlagerung von Fahrten von den Spitzenzeiten in die Talzeiten geeignet sind.

Finanzielle „Bestrafungen“ in den Spitzenzeiten sollten vermieden werden; stattdessen sollten

„positive“ finanzielle Anreize im ÖPNV-Angebot in den Talzeiten geschaffen werden (vgl. Kapitel 4.2.2). Grundsätzlich wird in diesem Forschungsprojekt daher davon ausgegangen, dass bei der Einführung zeitlich differenzierter Fahrpreise diese in den Talzeiten gesenkt werden und in den Spitzenzeiten gleich bleiben.

Die in Bild 29 zusammengestellten finanziellen Maßnahmen werden in diesem Kapitel beschrieben und bewertet.

145 Rühl (2009).

Finanzielle Maßnahmen Preisdifferenzierungen zwischen Spitzenzeiten und Talzeiten

Einzelfahrten ohne eTicket M.2.1a