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12 FAZIT 12.2 Fazit aus den einzelnen Probandenkollektiven

12.2 Fazit aus den einzelnen Probandenkollektiven 12 FAZIT den Erkenntnissen aus der Analyse der Rechtsmedizinfälle. So lassen sich vor Behand-lungsbeginn nur bei zwei Patienten (AN-01, AN-02) Hinweise auf bestimmte Unterernäh-rungsphasen finden (siehe Abschnitt „Phasen einer Unterernährung“ auf Seite 113). Darum ist es nahezu unmöglich, die Unterernährungszeit vor der Aufnahme ins Klinikum in ein-zelne Unterernährungsphasen einzuteilen. Grundsätzlich ist es aber nicht überraschend, dass sich die Ergebnisse beider Kollektive unterscheiden. Der Stoffwechsel der vier AN-Patienten ist im Gegensatz zu den Rechtsmedizinfällen seit mehreren Jahren an einen dauerhaften oder immer wiederkehrenden schlechten Ernährungszustand gewöhnt. Inso-fern ist bei den AN-Patienten von einer gewissen Adaption auszugehen, welche sich auch in veränderten Stoffwechselreaktionen in Bezug auf die Nahrungskarenz zeigen kann. Die-se Reaktionen wiederum haben Einfluss auf die IsotopenverhältnisDie-se im Haarkeratin. Für diese Vermutung spricht auch, dass nahezu alle δ-Werte der AN-Patienten innerhalb des Referenzbereichs von Petzke et al. (2005b) verbleiben, während dieδ-Werte der Rechts-medizinfälle diesen Wertebereich häufiger verlassen. Hieraus wird ersichtlich, warum die Ergebnisse beider Patientenkollektive nicht direkt miteinander verglichen werden können.

12.2.2 Fälle aus der Rechtsmedizin

Alle hier vorgestellten Fälle aus der Rechtsmedizin weisen eindeutig einen mangelhaften Ernährungszustand auf. Dabei ist aber nur in sehr wenigen Fällen bekannt, wie lange die-ser Zustand bereits vor dem Tod bestand oder wie schnell der Gewichtsverlust vonstatten ging. Zudem gibt es keine Informationen darüber, ob es während der Unterernährungs-phase zeitweise zu einer Nahrungsaufnahme kam. Sollte dies der Fall gewesen sein, gibt es weder Informationen über die aufgenommene Nahrungsmenge, noch über die Zusam-mensetzung der Ernährung.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Ernährungsweise und die Ernährungsge-wohnheiten der einzelnen Rechtsmedizinfälle vor Beginn der Unterernährung nicht be-kannt sind. Tritt die Unterernährung erst während des Untersuchungszeitraumes auf, so kann die Ernährungsweise anhand der Isotopendaten zu Beginn des Untersuchungs-zeitraumes abgeschätzt werden. Dennoch besteht bei diesen Schätzungen ein erhebliches Restrisiko, da selbst von Angehörigen und Pflegekräften nicht immer verlässliche Infor-mationen über die ursprüngliche Ernährungsweise der untersuchten Personen zu erhalten sind. In einigen Fällen liegt die Vermutung nahe, dass bereits vor dem Untersuchungs-zeitraum eine Unterernährung vorgelegen haben muss, gerade wenn sich zu Beginn des Untersuchungszeitraumes die δ-Werte außerhalb des Referenzbereichs vonPetzke et al.

(2005b) befinden. In diesen Fällen kommt es oftmals zu keinen oder nur geringen Verlaufs-änderungen der δ-Werte. Ohne Informationen über die ursprüngliche Ernährungsweise ist es somit sehr schwierig, Aussagen über den tatsächlichen Startzeitpunkt und die Intensi-tät einer Unterernährungsphase zu treffen. Abhilfe könnte hier lediglich die Erweiterung des Untersuchungszeitraumes schaffen.

12 FAZIT 12.2 Fazit aus den einzelnen Probandenkollektiven Des Weiteren ist das Erkennen einer Unterernährung erschwert, wenn die δ-Werte nur geringe Verlaufsänderungen zeigen und sich die δ-Werte nur innerhalb des Referenz-bereichs von Petzke et al. (2005b) bewegen. In diesen Fällen ist eine eindeutige Ab-grenzung zwischen einer unbedeutenden Umstellung der Ernährungsgewohnheiten und einer Verschlechterung des Ernährungszustandes nur anhand der Isotopendaten kaum möglich. Eine differenzierte Diagnose kann hier nur geleistet werden, wenn weitere In-formationen vorhanden sind, welche mit den Isotopendaten abgeglichen werden können.

Darunter fallen Krankenakten, Autopsiebefunde, Befragung der Angehörigen und Pfle-ger sowie Erkenntnisse aus polizeilichen Ermittlungen. Aber auch bei einer relativ klaren (Isotopen-)Datenlage können diese Zusatzinformationen die Auswertung erleichtern und sogar verifizieren. Zudem können diese Informationen helfen, den Fokus der Analysen -gerade bei Personen mit sehr langen Haaren - auf den richtigen Haarabschnitt zu legen.

Vergleicht man die einzelnen Befunde miteinander, so lässt sich keine eindeutige Aus-sage darüber treffen, ob die Interpretation der δ-Werte einfacher wird, je niedriger der BMI-Wert des Individuums ist. Dies zeigen vor allem die Fälle 07, 10 und RM-14. Bei diesen drei Fällen liegen die BMI-Werte zwischen 12,8 und 14,6 kg/m2 und die Interpretation der Isotopenverhältnisse ist nur schwer möglich. Dies könnte darauf zu-rückzuführen sein, dass die δ-Werte eher durch die Länge einer Unterernährung und nicht durch das erreichte Endstadium bzw. Endgewicht definiert werden. Leider kann diese The-se anhand der vorliegenden Daten nicht näher überprüft werden, da die ursprünglichen BMI-Werte der Rechtsmedizinfälle vor dem Beginn der Unterernährung nicht bekannt sind.

Ein Manko dieses Patientenkollektivs ist der hohe Altersdurchschnitt bei den unter-suchten Fällen. So konnten nur fünf Fälle von Personen unter 60 Jahren analysiert werden.

Im Alter verändern sich die Ernährungsgewohnheiten und auch der menschliche Stoffwech-sel (siehe auch Kapitel 3.4.3 auf Seite 40). Diese Umstellungen können sich natürlich auch auf die δ-Werte auswirken. Derzeit zeigen sich zwar über alle Altersstufen hinweg ähn-liche Ergebnisse bei der Rekonstruktion eines schlechten Ernährungszustandes, dennoch wäre es sinnvoll, bei weiteren Untersuchungen das Altersspektrum weiter auszugleichen.

Im untersuchten Kollektiv sind zudem Kinder und Heranwachsende unterrepräsentiert.

Bei Fall RM-12 handelt es sich um die einzige Haarprobe eines Kindes, welche in dieser Arbeit analysiert wurde. Wie bereits in der im Abschnitt 3.6.2 und in der Auswertung zu RM-12 (Seite 131) näher erläutert, unterscheidet sich die Physiologie von Kindern und Erwachsenen deutlich. Die bisherigen Erkenntnisse kamen ausschließlich durch die Unter-suchung an erwachsenen Personen zustande. Darum stellt sich hier die Frage, inwieweit diese Erkenntnisse auf Kinder und Heranwachsende übertragen werden können. Leider ist die Aufklärung dieser Problemstellung nur über eine höhere Probenzahl möglich, was natürlich in Bezug auf die betroffenen Kinder besonders tragisch ist.

12.2 Fazit aus den einzelnen Probandenkollektiven 12 FAZIT So könnten aber unter Umständen alterstypische Merkmale bei den Isotopenverhält-nissen erkannt und in die Auswertung mit aufgenommen werden.

Für die Rechtsmedizinfälle lassen sich dennoch folgende Schlüsse ziehen:

Trotz unbekannter Ernährungsgewohnheiten kann mithilfe der Isotopendaten in den meis-ten Fällen ein mangelhafter Ernährungszustand diagnostiziert werden. In einigen Fällen ist es sogar möglich, einzelne Unterernährungsphasen voneinander abzugrenzen. Zudem lassen sich mitunter auch Erholungsphasen erkennen, in denen sich der Ernährungszustand kurzfristig gebessert zu haben scheint. Dennoch gilt es, in zukünftigen Forschungsansätzen die oben genannten Problemstellungen zu überwinden.

12.2.3 Aminosäureanalyse (ASA)

Bei der hier integrierten Bachelorarbeit von Kirsten(2010) handelt es sich um eine Art Teststudie, ob ASA-Untersuchungen neue Erkenntnisse in Bezug auf die Stoffwechselre-aktionen bei Unterernährung liefern können. Da die Hydrolyse eine relativ hohe Proben-menge benötigt, mussten für eine Einzelmessung wesentlich längere Haarabschnitte als für die Isotopenanalytik eingesetzt werden. Deshalb orientiert sich die Länge der ASA-Haarabschnitte nicht an den Abschnittslängen für die Isotopenverhältnismessung. Für weiterführende Erkenntnisse wäre natürlich eine feinere Auflösung der ASA-Ergebnisse wünschenswert. Dadurch könnte unter Umständen auch mithilfe der ASA-Daten eine Art Verlaufsprotokoll der Unterernährung erstellt und mit dem Verlauf der δ-Werte abgegli-chen werden. Sollte es nicht möglich sein, die Länge der Abschnitte für die ASA ähnlich groß wie die Abschnitte für die Isotopenanalytik zu wählen, so könnten zumindest die Bereiche der einzelnen Unterernährungsphasen getrennt voneinander analysiert werden.

Eine höhere Auflösung ist aber mit der eingesetzten Methode aus oben genannten Grün-den nicht umsetzbar. Bei weiteren Forschungsvorhaben sollte deshalb eine andere Methode Verwendung finden oder die bisherige dementsprechend modifiziert werden.

Ein anderer Methodenansatz könnte neben der höheren Auflösung auch noch zusätz-liche Vorteile bringen. Dazu schreibt Kirsten (2010) in seiner Arbeit: Es gibt zwei ent-scheidende Ansatzpunkte, an denen die Analyse variiert und damit auch verbessert werden könnte. Einerseits könnte der Aufschluss des Keratins durch saure Hydrolyse verändert werden, indem andere Säuren, erhöhte Temperaturen und kürzere Hydrolysezeiten ver-wendet werden. Als Beispiele sind hierbei der Aufschluss mit Proprionsäure/Salzsäure (1:1) bei 160� über 15 Minuten oder mit Trifluoressigsäure/Salzsäure (1:2) bei 166� für eine Zeit von 25 Minuten zu nennen (Lottspeich & Engels, 2006). Der Ausschluss von Sauerstoff sowie der Einsatz von sogenannten Scavengers39 stellen Abwandlungen der hier verwendeten klassischen Methode nach Moore, 1963 (in Lottspeich & Engels, 2006) dar, um die Aminosäuren vor Oxidation durch Luftsauerstoff zu schützen und

Ver-39Scavenger: (engl. Aasfresser) Beispiele hierfür wären Phenol (1 %), Thioglycolsäure (0,1-1 %) und β-Mercaptoenthanol (0,1 %) (Lottspeich & Engels, 2006)

12 FAZIT 12.2 Fazit aus den einzelnen Probandenkollektiven unreinigungen oder unerwünschte Nebenprodukte zu entfernen bzw. zu inaktivieren.

Bei paralleler Anwendung mehrerer Methoden wird dem Problem des unterschiedli-chen Hydrolyseverhaltens einzelner Aminosäuren entgegengewirkt. Durch Extrapolation der erhaltenen Werte erhält man ein Ergebnis, welches der wahren Zusammensetzung am nächsten liegt (Lottspeich & Engels, 2006). Andererseits könnte eine Variati-on der Derivatisierungsreagenz für die chromatografische Auftrennung eingesetzt werden.

Beispielsweise bildet Phenylisothiocyanat (PITC) relativ stabile Derivate mit den ein-zelnen Aminosäuren. Diese Reaktionen benötigen im Gegensatz zur hier angewendeten klassischen Methode mit Ninhydrin knapp die Hälfte der Zeit und es entstehen keine stö-renden Nebenprodukte, welche zu Doppel- oder Nebenpeaks im Chromatogramm führen (Lottspeich & Engels, 2006).

Demnach konnte mit dieser Teststudie gezeigt werden, dass bei quantitativer Man-gelernährung (Unterernährung) Veränderungen in der Aminosäurezusammensetzung des Keratins im Haar nachweisbar sind. Ob es sich dabei lediglich um einen Anstieg von Pro-lin im Vergleich zu den Literaturwerten handelt oder ob auch bei anderen Aminosäuren signifikante Unterschiede feststellbar wären, bleibt in weiterführenden Analysen zu un-tersuchen. Auch die Rolle von Glutaminsäure und Alanin muss stärker unter die Lupe genommen werden. Bisher ist hier noch keine genaue Auswertung möglich, da nur ein Fall (RM-04) untersucht werden konnte. Zumindest liegt die Vermutung nahe, dass sich die Messung der Isotopendaten und die Aminosäureanalyse bei der Aufklärung von unkla-ren Unterernährungsfällen gegenseitig unterstützen und als Interpretationshilfe zu einer besseren Ergebnisauswertung beitragen können. Jedoch muss die Bedeutung der Amino-säureanalyse als Erkennungsmerkmal für den Hungerstoffwechsel noch näher untersucht werden.

12.2.4 Fastenstudie an adipösen Patienten

Wie die Untersuchung der Rechtsmedizinfälle deutlich gezeigt hat, kann der Verlauf der δ13C-Werte individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Aus diesem Grund wurde angedacht, dem Zustandekommen der δ13C-Wert weiter auf den Grund zu gehen. Hierbei sollte die Fastenstudie an adipösen Patienten weiterhelfen. Bereits von vornherein war bekannt, dass die Untersuchungen von Fastenprobanden Schwierigkeiten bei der Auswertung und als Vergleichskollektiv für die anderen analysierten Probenkollektiven mit sich bringen kann.

So können die gewonnenen Ergebnisse nicht direkt auf normalernährte oder unterernährte Personen übertragen werden (Owenet al., 1967;Kerndtet al., 1982), da bei Adipositas ein eigener Pathomechanismus vorliegt (Vögele, 2008). Dadurch ist auch ein direkter Vergleich mit den Isotopenwerten des Rechtsmedizin-Kollektivs schwierig.

Obwohl es sich bei einer Fastenkur um einen bewussten und freiwilligen Verzicht auf Nahrung handelt, sind die physiologischen (nicht notwendigerweise die psychologischen) Mechanismen während dieser Nahrungskarenz einer Unterernährung in manchen Aspekten

12.3 Abschluss 12 FAZIT