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10 Auswertung der zweiten Analyseebene – die Unternehmen und Bologna

10.10 Fazit Arbeitgeber/innenbefragung

Alle befragten Unternehmen haben bereits Erfahrungen mit Bachelor- und Master-absolvent/innen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften gemacht und konnten somit Fähigkeiten, Qualifikationen und Kompetenzen von Berufseinsteiger/innen mit traditionellen und solchen mit strukturierten HSA vergleichen sowie aus dem Blick-winkel eines bestimmten Berufsfeldes die Beschäftigungsfähigkeit der Absol-vent/innen beurteilen. Die Absicht der Universitäten, Praxisanteile ins Curriculum zu integrieren und Studierende bereits im Rahmen des Studiums auf relevante Berufs-felder vorzubereiten, sehen Unternehmen positiv. Sie kritisieren jedoch deutlich die mangelhafte Umsetzung (Missbrauch von Praxislehrveranstaltungen als Vorlesungen, fehlende Betreuung). Die befragten Arbeitgeber/innen sehen sich selbst in der Pflicht, sowohl Studierenden als auch Absolvent/innen durch konkrete Maßnahmen Einblicke in die Praxis zu ermöglichen, Hilfestellungen für den beruflichen Einstieg zu bieten und beispielsweise durch strukturierte Einstiegsprogramme und Angebote im Bereich des lebenslangen Lernens die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter/innen zu erhal-ten und verbessern.

Die Unternehmen unterscheiden mehrheitlich bei der Einstellung zwischen Bachelor- und Masterabsolvent/innen. Es lässt sich eine Tendenz erkennen, dass von ihnen der Masterabschluss favorisiert wird, da er für das Beherrschen wissenschaftlicher Methoden steht und die Absolvent/innen eher eine persönliche Reife mitbringen, die für den Arbeitsalltag erforderlich ist. Auf die Frage, ob die Unternehmen Unterschiede im Bereich Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt zwischen den Absolvent/innen mit einem Bachelor- oder Masterabschluss und den Magister-/Diplomabsolvent/innen beobachten, gibt es eindeutig die Tendenz, dass Unterschiede ausgemacht werden.

Die Mehrheit der befragten Arbeitgeber/innen ist mit der Vorbereitung der Absol-vent/innen auf den Arbeitsmarkt unzufrieden und schätzt zudem die Vorbereitung schlechter ein als bei den Magister- und Diplomabsolvent/innen. Nur ein Unterneh-men ist der Auffassung, dass die Absolvent/innen mit einem Bachelor-/Master-abschluss besser auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind als die Magister-/Diplom-absolvent/innen: „Die Bachelor-/Masterabsolvent/innen haben durch die Praxisorien-tierung schon viel eher begriffen, wie wichtig es ist, einen Schwerpunkt zu wählen.

179 Sie wissen genau, in welche Richtung sie gehen. Das war oftmals bei den Magister-absolvent/innen nicht gegeben. Es hat sie keiner auf den bösen Arbeitsmarkt vorbe-reitet.“ (L1)

Als Vorteil von den „alten“ Abschlüssen wurde zum Beispiel genannt, dass die Abschlussarbeiten wesentlich umfangreicher und anspruchsvoller waren. Die Studie-renden konnten damit zeigen, dass sie in der Lage sind, sich mit einem umfang-reichen Thema wissenschaftlich auseinanderzusetzen und sie somit „eine Feuertaufe“

(W1) bestanden haben. Insbesondere die starke Strukturierung des Studiums und die damit eingeschränkten Wahlmöglichkeiten wurden in Bezug auf die Vorbereitung für den Arbeitsalltag kritisiert, da Berufseinsteiger/innen zum Teil erwarten, dass ihnen im Arbeitsalltag auch stets vorgegeben wird, welche Aufgaben anfallen und wie sie zu erledigen sind. Bemängelt wird des Weiteren das fehlende Eigeninteresse an Fragen. Die Gesprächspartner teilten bspw. mit, dass das „verschulte“ Studium in dieser Kürze zu einer Oberflächigkeit im Denken führt. „Bei den Diplomstudierenden früher war mehr freier Wille, Spezialisierung drin gewesen. … jetzt sind sie irgendwie im Trichtern drin. Die machen ein so sehr schmales, kleines Gebiet, was sie im Masterstudium im Blick haben. Heute haben sie so ein vages Verständnis von Sozio-logie oder Kulturwissenschaft …, aber so richtig etwas damit anfangen und dahinter stehen können sie nicht.“ (M1)

Die Arbeitgeber/innen haben klare Vorstellungen von den Fähigkeiten, die Absol-vent/innen nach einem universitären Studium mitzubringen haben. Es erwartet niemand ernsthaft die „eierlegende Wollmilchsau“, sondern starke Persönlichkeiten, die neben soliden Fachkenntnissen insbesondere ausgeprägte Kommunikations-kompetenz, Neugierde und Sozialkompetenz vorweisen. Von Geistes- und Sozialwis-senschaftler/innen wird insbesondere eine besondere Art des Denkens erwartet. Für den Arbeitsalltag ist neben den fundierten fachlichen Qualifikationen ein Bewusstsein gefordert, dass man in einem Wirtschaftsunternehmen arbeitet, wo Geldverdienen kein Nebenzweck ist. Hier sind wirtschaftliches Denken als auch Kundenorientierung erforderlich. Die absolute Mehrheit der Gesprächspartner/innen hat Kritik an den Fähigkeiten, die die Absolvent/innen aktuell mitbringen, geäußert. Wie oben beschrieben, beziehen sich nicht alle Kritikpunkte auf die strukturierten Studien-gänge, sondern auch auf persönliche Eigenschaften und Einstellungen, die eher generationsspezifisch sind. Hier wurde besonders die Selbstüberschätzung ange-sprochen. Von einer Kommunikationsagentur wurde berichtet, dass Masterabsol-vent/innen sogar der Auffassung sind, die Juniorpositionen überspringen zu können.

Die Selbstüberschätzung gepaart mit mangelnder Praxiserfahrung plus einem Gefühl der Einzigartigkeit wirkt auf Unternehmen irritierend und wird z. T. auf den demografischen Wandel zurückgeführt. So lautete ein Statement: „Die Generation, die jetzt kommt, die jetzt 18-Jährigen bekommen ja immer gesagt, ihr könnt sowieso alles machen. Ihr seid so wenige, ihr kriegt immer einen Job. Das verleitet natürlich dazu, dass sie sich lässig zurücklehnen und sich nicht so kümmern müssen.“ (A1) Hinzu kommt eine andere Einstellung zur Arbeit. Die aktuelle Kohorte ist nach den Aussagen der Interviewpartner/innen durch eine starke Betonung der Ausgeglichen-heit von Arbeit und Freizeit geprägt, wobei sie Lohneinbußen hinnehmen und auf Aufstiegschancen teilweise verzichten. Die Interviewpartner/innen empfinden diese Entwicklung als befremdend, wenn Absolvent/innen mit Anfang/Mitte 20, die noch

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keine eigene Familie haben, im Vorstellungsgespräch direkt von der Bedeutung der Work-Life-Balance reden. Im Interview mit einer Stiftung wurde es sehr anschaulich beschrieben: „Bei meiner Generation war es so, wir wollten die Welt verändern. Das war völlig naiv. Aber ich hatte eine ganz große Leistungsbereitschaft. Ich habe für wirklich wenig Geld, im Vergleich zu unseren Berufseinsteigern, angefangen. Die Bereitschaft haben sie heute kaum noch. Die Leute sitzen mit 23 Jahren hier und erzählen etwas von Work-Life-Balance. Ich finde es eigentlich erschütternd. Was denen fehlt, ist Feuer für die Sache, für die sie arbeiten.“ (S1)

An den „neuen“ Studiengängen wird kritisiert, dass die Absolvent/innen zu wenig Kreativität, Eigenständigkeit und Individualität mitbringen. Der Kürze des Studiums ist zudem mangelnde Fachkenntnis zuzuschreiben. Weitere Kritikpunkte, die seitens der Unternehmen geäußert wurden, stellen die mangelnde Kundenorientierung der Absolvent/innen sowie eine mangelnde Kritikfähigkeit, was mit der überzogenen Selbsteinschätzung zusammenhängen könnte, dar.

Abschließend zu diesem Punkt soll noch ein Aspekt festgehalten werden, den die Gesprächspartnerin einer Stiftung mitteilte: „Die Leute stellen sehr hohe Ansprüche an sich, haben sehr große Versagensängste und tendieren eher zum Unkonzentriert sein. … wenn sie eben einem Menschen sagen müssen, du musst dir auch Zeit lassen.

Texte verstehen – erfordert Konzentration und Zeit. Manche Dinge versteht man erst Jahre später. Dann gucken die einen an, als käme man vom anderen Stern.“ (S2) An anderen Stellen wurde auch von einer Oberflächlichkeit gesprochen, die dem schnel-len und starren Studium geschuldet ist.

Die befragten Unternehmen begrüßen schließlich die Thematisierung der Frage nach der Beschäftigungsfähigkeit im Rahmen des Studiums, erwarten allerdings, dass die Qualität seitens der Hochschule gewährleistet wird. Die Unternehmen äußern sowohl hier in den Interviews als auch in der weiter vorn zitierten Debatte des Stifterver-bandes für die Deutsche Wissenschaft ein großes Interesse an wissenschaftlicher Qualifikation der Studierenden, also in den Bereichen Fachqualifikationen und fach-nahe Zusatzqualifikationen, was sich bspw. in den Forderungen nach gut gebildeten Persönlichkeiten widerspiegelt. Des Weiteren begrüßen die befragten Unternehmen, dass die strukturierten Studiengänge im Curriculum die Möglichkeit schaffen, dass Studierende im Rahmen des Studiums praktische Erfahrungen in Form von Praktika oder studentischer Mitarbeit sammeln und auch die Möglichkeit erhalten, sowohl für ein Studium oder Praktikum ins Ausland zu gehen, um so die Beschäftigungsfähigkeit für den globalisierten Arbeitsmarkt zu stärken.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die befragten Unternehmen die Erfahrungen gemacht haben, dass Bachelor-/Masterabsolvent/innen schlechter auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind als Diplom-/Magisterabsolvent/innen, wobei der Bachelorabschluss am schlechtesten auf den Arbeitsmarkt für Geistes- und Sozial-wissenschaftler/innen vorbereitet. Die inkludierten Praxisanteile werden klar als Vorteil angesehen. Im Bereich Fachkompetenz sehen nur zwei der befragten Unter-nehmen Unterschiede und die Mehrheit sieht auf der fachlichen Qualifizierungsebene zwischen dem Master- und Magisterabsolvent/innen keine Unterschiede. Dieses Ergebnis überrascht insofern, als erklärtes Ziel der Bologna-Reform die Stärkung der

181 Beschäftigungsfähigkeit/Employability ist und mit dem Bachelor ein erster berufs-qualifizierender HSA erreicht wird. Eine Erklärung für die Disparität von Ziel und Umsetzung kann in dem Abweichen der Learning Outcomes und den Anforderungen des Arbeitsmarktes gesehen werden. Dies ist u. a. eine Besonderheit für Tätigkeiten, die für Absolvent/innen der Geistes- und Sozialwissenschaften zu betrachten ist, da für die expertenorientierten Professionen eine ausgeprägte Fachexpertise erforderlich ist, die in der Form eines dreijährigen Studiums nur mit Einschränkungen erreichbar ist. Insbesondere die beschriebenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Formen des Denkens zählen hierzu. Es zeichnet sich ab, dass für die Tätigkeiten der hier untersuchten Gruppe sowohl eine fachliche als auch eine persönliche Reife erforder-lich ist, die schwererforder-lich in einem Kurzzeitstudium erworben und vermittelt werden kann. Andere Kritikpunkte, die vorgestellt wurden, können nicht allein der Reform zugeschrieben werden. Sie sind globaler verortet und sollen hier als Probleme des gesellschaftlichen Wandels interpretiert werden.

Nach der Untersuchung der Sichtweise der Unternehmen bezüglich strukturierter Studiengänge und Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit im Rahmen von berufsqualifizierenden HSA widmet sich der folgende Abschnitt den Absolvent/innen.

Es wird untersucht, wie Bachelor- und Masterabsolvent/innen zu dem Ziel stehen, die Beschäftigungsfähigkeit im Rahmen des Studiums zu erhöhen. Ergänzend wird betrachtet, wie die Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen die Umsetzung dieses Ziels im Studium einschätzen. Abschließend sollen dann die Zielsetzung der Bologna-Reform, die Umsetzung in der deutschen Hochschullandschaft, die Akzeptanz der Unternehmen und die Einschätzung der Absolvent/innen miteinander verglichen werden, um auf die zentrale Frage dieser Arbeit – und zwar nach den Auswirkungen der Bologna-Reform auf die Beschäftigungsfähigkeit der Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen – Antworten geben zu können.

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11 Auswertung der dritten Analyseebene – die