7. Einsparpotenzial und betriebliche Realität
7.1. Energieautarkie auf Kläranlagen: Visionär oder utopisch?
7.1.2 Fallbeispiele für Energieoptimierung
Fallbeispiel Kläranlage Strass, Österreich Basisdaten:
Name: Kläranlage Strass, Österreich Betreiber: AIZ-Abwasserverband
Mittlere Belastung: Anstieg von 89.000 EW in 1996 auf 140.000 EW in 2005 (mit Anstieg von Stromverbrauch und Gasanfall im Betrachtungszeitraum)
Anlagentyp: A-B-Verfahren (Hochlast-/Schwachlastbelebung) mit Faulung
Abb. 7.1.1: Lageplan der Kläranlage Strass
Energieoptimierte Grundkonzeption der Anlage
Wahl einer 2-stufigen biologischen ARA nach dem A-B-Verfahren, dadurch gute An-passungsmöglichkeiten der Betriebsweisen an die stark schwankenden saisonalen Belastungsverhältnisse des Tourismus.
Wahl eines sehr energieeffizienten Belüftungssystems (Messner-Platten) mit hohen Sauerstoffertragswerten und der Möglichkeit des verstopfungsfreien Abschaltens.
Getrennte biologische Prozesswasserbehandlung mit SBR für das Filtrat aus der Schlammentwässerung.
Spätere Maßnahmen zur Energieoptimierung
1996: Regelung der Belüftung der B-Biologie über Online-Analyzer für NH4-N bzw.
NO3-N mit einem oberen O2-Grenzwert von 1,8-2,0 mg/l.
1996: Interne Rezirkulationspumpen in der B-Biologie für die direkte und effiziente Rückführung von NOx-N in die Denitrifikationszonen.
1996 Kofermentation von anfänglich nur Fäkalschlämmen aus Hausklärgruben, - 2005 dann auch Fettabscheiderinhalte (ab 2000) und Pilzmycel aus chemischer Industrie. Der rechnerische zusätzliche Gasanfall beträgt etwa 260 m³/d, ent-sprechend unter 10 % des Gesamtanfalls.
2000 Optimierung der Überschussschlammentwässerung mit Scheibeneindicker, der über 9 Monate energie- und verbrauchsoptimiert wurde.
2001 Neues BHKW (JMS 208 GS) mit einer Leistung von 340 kWel und einem elektrischen Wirkungsgrad von knapp 40 %. Die spezifische Gasausbeute stieg von 2,05 kWh/Nm³ (Mittel aus 1996-2000) auf 2,32 kWh/Nm³. Weitere motorische Optimierung der BHKWs in den Folgejahren
2001 Umstellung bei der Schlammentwässerung von Kalk-Eisen- auf Polymer- konditionierung.
2001 bis 2004 - Auswechslung sämtlicher Belüfterfolien der Plattenbelüfter.
02/04 Umstellung bei der separaten Prozesswasserbehandlung im vorhandenen SBR auf das DEMON-Verfahren (Deammonifikation): Die aufgewendete Ener-gie für den Ammonium-Abbau lag vorher im Bereich von 2,8 kWh/kg NH4 -Nabgeb. (B-Biologie = 7,5 kWh/kg NH4-Nabgeb.). Durch die Umstellung sank der Wert nochmals auf unter 1 kWh/kg N.
2004 Verkürzung des Schlammalters von 21 auf 14 Tage und Verringerung der Rücklaufschlammführung auf unter 100 %. Diese Maßnahme wurde erst mög-lich durch verbesserten Schwimmschlamm- und Fettabzug. Dadurch auch An-stieg der Faulgasproduktion.
2004 Austausch des Biofiltermaterials geringerer Filterwiderstand bei der Abluft-reinigung.
Die entsprechende Entwicklung von Stromverbrauch und Eigenerzeugung bis hin zur 2005 erreichten Energieautarkie zeigen die nachfolgenden Diagramme. Im langjähri-gen Vergleich ergeben sich follangjähri-gende Veränderunlangjähri-gen:
- Der spezifische Stromverbrauch sank von 32 kWh/(EW.a) (1992/95) auf nur noch 20,5 kWh/(EW.a) in 2005 (minus 36 %) inkl. Abluftbehandlung.
- Der Eigenversorgungsgrad stieg von 31 % in 1992 auf 108 %,
- Faulgasanfall von 13,6 in 1992 auf 26 l/EW.d in 2005 gesteigert, davon unter 10 % Aufgrund von Kofermentation
Abb. 7.1.2: Energieverbrauch der einzelnen Anlagenteile 1996-2005
Abb. 7.1.2: Energieverbrauch und Energieerzeugung 1992-2005
Fallbeispiel: Kläranlage Greifswald-Ladebow Betreiber: Stadtwerke Greifswald
Ausbaugröße: 90.000 EW Mittlere Belastung: 75.000 EW
Anlagenbeschreibung: Biologische Stufe als einstufiges Belebungsverfahren mit Nitrifikation, Denitrifikation und biologischer Phosphatelimination, Schlammstabilisie-rung über Faulturm, Faulgasverstromung über BHKW.
Maßnahmen zur Energieoptimierung Sandfang:
Außerbetriebnahme erste Straße des Sandfanges. Belüftung des Sandfanges aus der Sammelleitung vom Turbogebläse für Belebungsbecken statt gesondertem Ge-bläse.
Rechen:
Neue Rechengutwaschpresse, nur noch 25 % der Rechengutmenge zu entsorgen, höherer Gasanfall durch mehr Kohlenstoffangebot für die Faulung.
Belebungsbecken:
Schlammalter immer nur so hoch eingestellt, dass Nitrifikation gesichert ist
O2-Gehalt in Nitrifikationsbecken nur 1 - 1,5 mg/l. Sauerstoffeintrag mittels Turboge-bläsen und feinblasiger Flächenbelüftung. Intervallbetrieb der Rührwerke in den DN-Zonen (3 Min. Betrieb, 12 Min. Pause).
Rücklaufschlamm:
RS-Verhältnis nur 50 - 60 %, Dadurch auch stärkere Voreindickung von Überschuss-schlamm mit Energieeinsparung bei der maschinellen Eindickung (Siebtrommel).
Separate Prozesswasserbehandlung:
Biologische Vorreinigung für Zentrat aus der Schlammbehandlung und Problemab-wässern (z.B. Chemietoiletten aus der ganzen Tourismusregion) in umgenutzten Emscherbrunnen: Nitrifikation und Denitrifikation mit höherem Umsatzraten.
Schlammbehandlung:
Einsatz von Ultraschall zur Klärschlammdesintegration. Automatisierung der Ablass-schieber bei den Voreindickern für Primärschlamm zur Vergleichmäßigung der Faul-turmbeschickung. Intervallbetrieb der Rührwerke im Faulturm (je 1 Ekato-Rührwerk mit 4 kW für je einen Faulturm mit 1.800 m3 Faulraumvolumen = 2,2 W/m³).
Gasverwertung:
Installation von 3 BHKW mit je 105 kW elektrischer Leistung davon 1 durchgehend zur Wärmeversorgung und 2 zur Senkung der Spitzenlast.
Abb. 7.1.3: Erzielte Einsparungen – Strombezug/Stromerzeugung von 1996 – 2004
Abb. 7.1.4: Ansicht der Kläranlage Greifswald
0 250.000 500.000 750.000 1.000.000 1.250.000 1.500.000 1.750.000 2.000.000 2.250.000
1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004
[kWh/a]
Strom verbrauch Strom bezug Strom erzeugung
Linear (Strom verbrauch) Linear (Strom bezug) Linear (Strom erzeugung)
Fallbeispiel: Kläranlage Balingen
Basisdaten
Betreiber: Zweckverband Abwasserreinigung Balingen Ausbaugröße: 125.000 EW
Aktuelle Belastung: 77-85.000 EW
Beschreibung der Anlage: Die Anlage besteht aus Rechen, Sandfang, Vorklärbe-cken, RegenüberlaufbeVorklärbe-cken, Belebungsbecken und zwei Nachklärbecken. Die Schlammbehandlung besteht aus Vor- und Nacheindicker sowie zwei Schlammfaul-türmen. Im Zulauf ist keine Abwasserhebung erforderlich
Abb. 7.1.5: Lageplan Kläranlage Balingen
Maßnahmen zur Energieoptimierung
Reduzierung des Lufteintrages im Sandfang von 3 auf ca. 0,45-0,6 m3/m3/h ohne Reduzierung der Reinigungsleistung durch Installation einer Sandwäsche.
Einrichtung eines Kaskadenbetriebes mit Unterteilung der Luftkreisläufe mit Membranbelüftern in der DN-Zone und keramischen Belüftern in der N-Zone.
Minimierung des Rücklaufschlammverhältnisses auf 0,7 Qm.
Installation von drei BHKWs mit einer thermischen Leistung von ca. 140 kW und ei-ner elektrischen Leistung von 70 kW dar.
Installation einer solaren Klärschlammtrocknung mit einer Spitzenleistung von bis zu 20 kW thermisch.
Vergasung von ca. 30-35% des anfallenden Klärschlamms als Pilotprojekt in einem Wirbelschichtvergaser.
Nutzung der Wasserspiegeldifferenz vom Nachklärbecken zum Vorfluter für den Be-trieb einer Turbine mit einer Leistung von 18 kW und einem Wirkungsgrad von über 85%.
Installation einer Photovoltaikanlage mit einer Spitzenleistung von 20 kW elektrisch.
Erzielte Ergebnisse:
Spezifischer Stromverbrauch der biologischen Stufe einschließlich Nachklärung und Rücklaufschlammförderung 9,5 kWh/(EW.a)
Spezifischer Stromverbrauch insgesamt: 15 kWh/(EW.a) und damit Unterschreitung des Zielwertes!
Zusammen mit der Energie aus Klärschlammvergasung, Faulgas, Wasserkraft und Photovoltaik liegt der Eigenversorgung Strom bei ca. 75 %.
Nachfolgend werden einige Beispiele für Optimierungen in Teilbereichen vorgestellt:
Fallbeispiel Kläranlage Iserlohn-Baarbachtal
Basisdaten
Name: Kläranlage Iserlohn-Baarbachtal Betreiber: Ruhrverband Essen
Ausbaugröße: 115.000 EW
Umbau von 1999-2001: Neubau der biologischen Reinigungsstufe, Umbau der me-chanischen Vorreinigung sowie der Schlammbehandlung
Abb. 7.1.6: Ansicht Kläranlage Baarbachtal
Maßnahmen zur Energieoptimierung: Belüfteraustausch
Austausch im laufenden Betrieb der Belüftungselemente: Silikon statt EPDM Kosten: ca. 35.000 €
Abb. 7.1.7: Stromverbrauch vor/nach Belüfterumbau Januar 03 bis Januar 04 Erzielte Einsparungen:
Rückgang der Energiekosten von ca. 250.000 €/a auf 140.000 €/a (ca. 45%)
Fallbeispiel: Kläranlage Felsberg Betreiber: Stadt Felsberg
Ausbaugröße: 18.500 EW aktuelle Belastung: 10.000 EW
Besonderheiten: Die Pumpen der Kläranlage hatten vor der Optimierung einen An-teil von knapp 60 % am gesamten Stromverbrauch (s. Abb. 7.1.8), weil der Fremd-wasseranteil ca. 600 % und die Förderhöhe im Zulauf 12 m betrug. Dagegen ver-brauchte die Belüftung nur 16 %. Der Tropfkörper ist für einen wählbaren Teilstrom zwischen Vorklärung und Belebungsbecken geschaltet.
Maßnahmen:
Halbierung der Rücklaufschlammmenge (Jan. 2004)
Ersatz der Zulaufpumpen und der Beschickungspumpen für den Tropfkörper durch energieeffiziente Aggregate (größte Einsparmaßnahme, April 2004)
Verringerung der Sandfangbelüftung (Sommer 2004) Halbierung der TK-Beschickung (Sept. 2004)
Verringerung der Fremdwassermenge durch Kanalsanierung um ca. 20% (Okt. 2004) Austausch der Belüfterschläuche (September 2005)
Erhöhung der Einschaltpunkte im Pumpensumpf für Zulauf und Tropfkörper (2005) Bau eines BHKWs (Nov. 05, kont. Betrieb ab März 2006)
Abb. 7.1.8: Stromverbrauch der Anlagenteile vor Optimierung (kWh/a, 2001)
Abb. 7.1.9: Strombezug Kläranlage Felsberg 2001, 2004 bis 2006
Ergebnisse:
Der Stromverbrauch sank zunächst nur langsam und zeitlich versetzt zu den durch-geführten Maßnahmen (z.B. Pumpentausch Mai 04), da der Rückgang überlagert war von sonstigen Einflüssen (wechselnde Wassermengen, Betriebsstörungen, Um-bau der Schlammentwässerung etc.).
Im Jahresvergleich 2001 bis Ende 2006 sank aber der spezifische Stromverbrauch um ca. 47 % von 55 auf 29 kWh/(EW.a). Der Eigenversorgungsgrad stieg von 0 auf-etwa 35 %. Der Strombezug sank von ca. 50.000 auf 20.000 kWh/mon.