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Fahndung nach Drittausländern, die zur Einreiseverweigerung bzw. Ausweisung/

Im Dokument Das Schengener Informationssystem (Seite 61-65)

B. Fahndungssystem als Herzstück der Ausgleichsmaßnahmen

III. Die einzelnen Fahndungskategorien

2. Fahndung nach Drittausländern, die zur Einreiseverweigerung bzw. Ausweisung/

SDÜ

In dieser Kategorie werden Drittausländer230 erfasst, die aufgrund einer nationalen Entscheidung zur Einreiseverweigerung, Ausweisung oder Abschiebung ausgeschrieben sind. Die Existenz von Art. 96 SDÜ ist eine konsequente Folge der Hauptmerkmale einer Passunion, wie sie die Schen-gener Zusammenarbeit geschaffen hat.231 Die in nach Art. 96 SDÜ gespeicherten Informationen

227 Beschluss 2006/631/JI des Rates vom 24. Juli 2006, ABl. L 256, 18 unter Bezugnahme auf den Beschluss 2005/211/JI des Rates vom 24. Februar 2005, ABl. L 68, 44.

228 Art. 101 a und 101 b SDÜ.

229 Art. 1 Abs. 2 RbEuHb.

230 Nach der Definition des Art. 1 SDÜ ist Drittausländer „eine Person, die nicht Staatsangehöriger eines der Mit-gliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften ist“; diese Defintion erscheint in doppelter Hinsicht nicht mehr zeit-gemäß: Da es die eine Europäische Gemeinschaft bzw. Gemeinschaften nicht mehr gibt, vgl. Art. 1 Abs. 2 S. 1 AEUV, kann nur die Mitgliedschaft in der Europäischen Union gemeint sein; zudem dürfen dem Sinn und Zweck der Assoziierungsabkommen mit Norwegen, Island und der Schweiz entsprechend auch deren Staatsangehörige nicht nach Art. 96 SDÜ ausgeschrieben werden, obwohl ihre Staaten nicht zur EU gehören, vgl. in diesem Sinne auch den 36. Tätigkeitsbericht des Hessischen Datenschutzbeauftragten, S. 38.

231 Vgl. 2. Teil A.

dienen dazu, von vorneherein nur rechtmäßig sich aufhaltenden Drittausländern die Einreise zu ermöglichen, Art. 13 i.v.m. Art. 5 Abs. 1 a) - e) „Schengener Grenzkodex“.232

In Bezug auf die Personenfahndung handelt es sich zahlenmäßig um die größte Kategorie. So umfasste der gesamte Personenfahndungsbestand des SIS am 1. Januar 2000 eine Zahl von 855 765 Ausschreibungen, von denen 764 747 auf die Ausschreibungen nach Art. 96 SDÜ ent-fielen. Dieses Verhältnis besteht konstant. Am 1. Januar 2007 waren es insgesamt 894 776 Per-sonenfahndungen, darunter 752 338 Art. 96-Ausschreibungen.233

a. Voraussetzungen und Verfahren der Ausschreibung

In Art. 96 Abs. 3 SDÜ wird als Grundlage für die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung auf eine Ausweisung, Zurückweisung oder Abschiebung des Ausländers Bezug genommen, wobei die fragliche Maßnahme nicht aufgeschoben oder aufgehoben worden sein darf, ein Verbot der Einreise oder des Aufenthalts enthalten oder davon begleitet sein muss und auf der Nichtbeach-tung des nationalen Rechts über die Einreise oder den Aufenthalt von Ausländern beruhen muss.234

Eine Ausschreibung nach Art. 96 Abs. 2 SDÜ kommt nur in Betracht, wenn die Ausweisung geplant war, aber wegen fehlender Bekanntgabe unterblieben ist, z.B. weil der Ausländer ausge-reist oder untergetaucht ist.235 Art. 96 Abs. 2 SDÜ setzt voraus, dass die Anwesenheit eines Drittausländers im Hoheitsgebiet der jeweiligen Vertragspartei eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit bedeuten würde. Beispielhaft werden hier aufgeführt, dass die betreffende Person wegen einer Straftat verurteilt wurde, die mit Freiheits-strafe von mindestens einem Jahr bedroht ist oder dass ein begründeter Verdacht besteht, dass der Drittausländer schwere Straftaten, ggf. auch im Zusammenhang mit unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln, begangen hat oder konkrete Hinweise dafür vorliegen, dass er eine solche im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei plant.

Veranlasst werden die Ausschreibungen gem. Art. 96 Abs. 1 SDÜ durch die zuständigen Ver-waltungsbehörden, also die Ausländerbehörden, sowie die befassten Gerichte, demnach die

232 VO (EG) Nr. 562/2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, ABl.

L 105, 1, vom 13. April 2006.

233 Bundesministerium der Innern, Schengen-Erfahrungsbericht 2000, S. 43 f. und Schengen-Erfahrungsbericht 2005-2007, S. 35 f.; zu den Gründen vgl. den nachfolgenden Abschnitt in diesem Teil, B. III. 2. a.

234 Tauchen Drittausländer nach zeitlichem Ablauf ihres Aufenthaltstitels unter oder wird ihnen gegenüber in einer ausländerrechtlichen Verfügung lediglich die Pflicht ausgesprochen, Deutschland zu verlassen, können sie nicht nach Art. 96 Abs. 3 SDÜ ausgeschrieben werden, da es an einer förmlichen Ausweisungs- oder Abschiebungsverfü-gung fehlt. Zwar ist eine Ausschreibung im nationalen INPOL möglich, aber über Art. 104 Abs. 1 SDÜ gelten die engeren Regeln des SDÜ für die Ausschreibung im SIS; vgl. hierzu und zu den Ergebnissen einer entsprechenden Überprüfung: Schriever-Steinberg, in: Breitenmoser u.a., Schengen in der Praxis, S. 159 (163).

235 Würz, Rn. 180 f.

Verwaltungs- und Strafgerichte.236 Die Eingabe erfolgt über die zuständige Polizeidienststelle in das deutsche Fahndungssystem INPOL. Diese INPOL-Fahndungen werden in das deutsche N.SIS übernommen, dort automatisch auf Plausibilität geprüft und bei korrekter Eingabe nach Umwandlung von N.SIS in C.SIS-Format beim BKA an das C.SIS zur Weiterleitung an die üb-rigen N.SIS übermittelt. 237

Begleitpapiere sind bei dieser Fahndungskategorie nicht vorhanden, und es gibt keine Möglich-keit der Kennzeichnung. Grundsätzlich besteht nach Art. 23 Abs. 1 SDÜ eine Bindungswirkung.

Gleichwohl war Art. 96 SDÜ in Deutschland zunächst nicht voll umgesetzt. Längere Zeit gab es keine ausländerrechtliche Grundlage, auf der ein von einem anderen Schengen-Staat ausge-schriebener und in Deutschland angetroffener Ausländer in sein Herkunftsland abgeschoben werden konnte, wenn er nicht auch gegen deutsches Ausländerrecht verstoßen hatte.238 Nunmehr kann § 58 Abs. 2 Nr. 3 des deutschen Aufenthaltsgesetz herangezogen werden.

Abfrageberechtigt hinsichtlich der Daten von Art. 96 SDÜ sind neben den Polizeidienststellen des Bundes und der Länder sowie den Ausländerbehörden auch die deutschen Auslandsvertre-tungen und das Bundesverwaltungsamt.239 Die Ausländerbehörden haben die Aufgabe, Aufent-haltstitel zu erteilen. Deutsche Auslandsvertretungen und das Bundesverwaltungsamt müssen die Voraussetzungen für die Vergabe von Visa für den Aufenthalt im Schengenraum prüfen. Diese sogenannten Schengen-Visa werden anstelle der früheren nationalen Visa erteilt und gelten für alle Schengen-Staaten.240 Die Tatsache, dass andere Behörden als Polizeibehörden Zugriff auf Daten des SIS haben und die zahlenmäßig große Bedeutung von Art. 96 SDÜ bei der Personen-fahndung machen deutlich, dass das SIS in nicht unerheblichem Umfang auch einem anderen Zweck als der polizeilichen Fahndung dient. Kritiker sind deshalb der Auffassung, dass das SIS in erster Linie dazu bestimmt ist, eine „Festung Europa“ aufzubauen und damit unliebsame Drittausländer effektiv fernzuhalten.241 Wie bereits hinsichtlich der Diskussion zur Bedeutung von Grenzkontrollen242 trennen sich die Argumentationslinien bei der Bewertung der sogenann-ten grenzgemachsogenann-ten Kriminalität. Diese meint solche Delikte, die nur begangen werden können, weil Grenzen bestehen, z.B. Verstöße gegen das Ausländer- und Passgesetz und praktisch alle

236 Würz, Rn. 183.

237 Würz, Rn. 162, 184; Gusy/Gimbal, in: Baldus/Soiné, Internationale polizeiliche Zusammenarbeit, S. 124 (129 f.);

Wilkesmann, NStZ 1999, 68 (68); Hemesath, KR 1995, 169 (169 f.).

238 Vgl. Schuster, in: Bundeskriminalamt, Arbeitstagung „Kriminalitätsbekämpfung im zusammenwachsenden Eu-ropa“, S. 117 (127); Gusy/Gimbal, in: Baldus/Soiné, Internationale polizeiliche Zusammenarbeit, S. 124 (133).

239 Art. 101 Abs. 1 S. 1, 2 SDÜ; Art. 101 Abs. 2 SDÜ i.V.m. Art. 6 Nr. 2 SchÜbkDÜbkG, BGBl II 1993, 1010 (1010) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 S. 1 SDÜ; Würz, Rn. 164.

240 Tuffner, in: Bundeskriminalamt, Festschrift für Herold, S. 239 (247).

241 Mathiesen, in: Schulzki-Haddouti, Globalisierung der Überwachung, S. 21 (26).

242 2. Teil, A. der Arbeit

aufgegriffenen Fälle von Urkundenstrafrecht, also Passfälschungen.243 Während die einen dieser Art von Kriminalität keine besondere Bedeutung zumessen, sehen die anderen in jeder illegal einreisenden Person ein potentielles Sicherheitsrisiko für die Schengen-Staaten.244 Folgt man der zuerst genannten Argumentationslinie, dient das SIS zu einem bedeutenden Teil der Abschottung des Schengen-Landes gegenüber Personen, die man aus (volks-)wirtschaftlichen, gesellschaftli-chen oder politisgesellschaftli-chen Gründen schlicht nicht einreisen lassen möchte. Folgt man der anderen Linie, bedeutet Art. 96 SDÜ einen Sicherheitsgewinn und verhindert in bedeutsamem Ausmaß die Begehung von Straftaten.

Bei genauerer Betrachtung setzt die Kritik am SIS an der falschen Stelle an. Die Fahndungskate-gorie des Art. 96 SDÜ dient lediglich der konsequenten Umsetzung eines Charakteristikums ei-ner Pass-Union. Die Verstärkung der Kontrolle an den Außengrenzen muss danach auch einen Informationsaustausch über Drittausländer umfassen, die sich nicht im Schengen-Gebiet aufhal-ten sollen. Richtiger Ansatzpunkt der Kritik wäre vielmehr das Ausländer- und Asylrecht, das sich mit den Gründen für die Ablehnung eines Aufenthaltsrechts befasst und hierfür Verfahren festlegt.

b. Verfahren im Trefferfall

Im Trefferfall ist danach zu differenzieren, wo sich die ausgeschriebene Person aufhält. Befindet sie sich im „Drittausland“ und stellt von dort aus einen Antrag auf Erteilung eines Visums, wird ihr Antrag abgelehnt.245

Möchte sie an einer Schengen-Außengrenze einreisen, ist ihr die Einreise grundsätzlich zu ver-weigern.246

Befindet sie sich bereits im Schengen-Gebiet, ist zunächst die Identität und der ausländerrechtli-che Status der Person festzustellen. Dabei wird sich ergeben, dass der Aufenthalt entweder legal oder illegal ist oder dass der Ausländer um Asyl nachsucht.247

Im ersten Fall des legalen Aufenthaltes trotz SIS-Ausschreibung, denkbar ist z.B. ein Sichtmerk im Reisepass, muss die betroffene Person an die örtlich zuständige Ausländerbehörde ver-wiesen werden. Diese hat dann die Möglichkeit, den Sachverhalt weiter aufzuklären und die Ausschreibung ggf. zu löschen.

243 Kühne, Kriminalitätsbekämpfung durch innereuropäische Grenzkontrollen, S. 43 ff.

244 Tuffner, in: Bundeskriminalamt, Festschrift für Herold, S. 239 (247).

245 Tuffner, in: Bundeskriminalamt, Festschrift für Herold, S. 239 (247).

246 Art. 13 Abs. 1 S. 1 VO (EG) Nr. 562/2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, ABl. L 105, 1, vom 13. April 2006; unberührt von diesem Grundsatz bleibt die Anwendung beson-derer Bestimmungen zum Asylrecht und zum internationalen Schutz oder zur Ausstellung von Visa für längerfristi-ge Aufenthalte, Art. 13 Abs. 1 S. 2 dieser VO.

247 Würz, Rn. 213 f.; Piosek, S. 74 f.

Im zweiten Fall des illegalen Aufenthaltes besteht der Verdacht eines Vergehens nach § 95 Abs.

1 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz, so dass strafprozessuale Maßnahmen nach § 163 b, 127 Abs. 2 StPO zu ergreifen sind. Soweit die Identität bereits festgestellt wurde, ist die betroffene Person also festzuhalten und sofort Kontakt mit der zuständigen Ausländerbehörde aufzunehmen. Diese wird dann über Maßnahmen wie Ausweisung und Abschiebung entscheiden. Zudem muss die Poli-zeidienststelle der Sirene den Trefferfall melden. Die Sirene Deutschland informiert ggf. die Si-rene des ausschreibenden Staates und kann dann Erkenntnisse der Ausländerbehörde übermit-teln, die die betreffende Person ausgeschrieben hat.

Im dritten Fall, in dem der angetroffene Ausländer um Asyl nachsucht, sind naturgemäß vor al-lem asylrechtliche Bestimmungen einschlägig. Erforderlich ist im Wesentlichen die Durchsu-chung der Person und der mitgeführten Sachen,248 die Inverwahrungnahme der Unterlagen249 sowie die erkennungsdienstliche Behandlung.250 Weiterhin ist dem Ausländer eine Bescheini-gung über die Meldung als Asylsuchender auszustellen und er ist an die zuständige zentrale Auf-nahmestelle weiterzuverweisen.251

3. Fahndung nach Vermissten zur Aufenthaltsermittlung und/oder Ingewahrsamnahme

Im Dokument Das Schengener Informationssystem (Seite 61-65)