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III. KULTURVERGLEICHENDE ANALYSE DER

4. F AZIT IN B EZUG AUF DIE H YPOTHESEN

Die neuen, funktionsübergreifenden Arbeits- und Organisationsstrukturen, die abge-flachten Hierarchien und die von der Wirtschaft geforderte aktive Mitgestaltung der Mit-arbeiter im Arbeitsprozess erfordert, wie gesehen, umfassende, prozessunabhängige berufliche Handlungskompetenz. Diese erfordert innerhalb der vorberuflichen Sozialisa-tion die Vermittlung von Methodenkompetenzen, d.h. lernen, wie man lernt und eigen-ständig Informations- und Hilfsmittel beschafft. Der flexible Einsatz in der Berufspraxis erfordert eigenständiges Handeln unter geringen Anweisungen. Die Komplexität der

299 Vgl. Hammer in Herzberg, S. 82

beruflichen Umwelt muss von einem ziel- und selbstbewussten, reflektierenden und verantwortlich handelnden Individuum erfasst werden können. Diese Kompetenzen sind heute Voraussetzungen neben berufsfachlichen Kenntnissen und Fertigkeiten. Als es-sentielles Persönlichkeitsmerkmal, um diesen beruflichen Anforderungen zu entspre-chen, gilt die Erziehung zu einem hohen Maß an Selbstbestimmung und Selbständigkeit. Dies impliziert einen kritischen Umgang mit Wissen, Eigeninitiative, fundiertes Fachwissen, selbständige Informationsbeschaffung, Konfliktlösung, Kommu-nikation, Kompromissfähigkeit, Problemlösungskompetenz usw.300

Die kulturvergleichende Analyse der Sozialisationsbedingungen zeigte, dass die Kompo-nenten der von der Wirtschaft geforderten beruflichen Handlungskompetenz (und auch der PISA-Debatte) denen der westdeutschen Erziehungsziele und gesellschaftlichen Werte eher entsprechen als denen der DDR. Zumindest die offiziellen Erziehungsziele der BRD kommen den geforderten Eigenschaften näher als die der DDR. Kinder in der BRD bekommen danach von klein auf mehr Selbstverantwortung, sowohl in der Familie, als auch im Erziehungs- und Bildungssystem und im Freizeitbereich. Der Staat mischt sich nicht in individuelle Entscheidungen ein, reglementiert weniger, dem Einzelnen ste-hen umfassende Auswahlmöglichkeiten zu. Ziel ist die Erlangung von Selbständigkeit und Eigenverantwortung des Kindes bzw. Jugendlichen. Im Erziehungs- und Bildungs-system (besonders in der Oberstufe des Gymnasiums und später im Studium) werden Lernmethoden vor Lerninhalten betont. Wissenserwerb durch Eigenaktivität steht im Gegensatz zur Anleitung und Kontrolle durch den Lehrer und reproduktives Lernen, wie es für den Fall der DDR beschrieben wurde. Kinder und Jugendliche der DDR wurden hingegen auf die Planwirtschaft vorbereitet, nicht aber auf eine komplex strukturierte, schnelllebige Marktwirtschaft der westlichen Gesellschaft.

Aufgrund dieser Ergebnisse kann eine vorsichtige Annahme hinsichtlich der Hypothe-sen getroffen werden: Die kulturvergleichende Analyse der Sozialisationsbedingungen lässt keine deutliche Tendenz zur Bestätigung der zu Beginn aufgestellten Hypothesen vermuten. Dafür sprechen die gesellschaftseigenen Werte und v.a. offiziellen Erzie-hungszielen der beiden Gesellschaften. Der Literatur zufolge wies die DDR größtenteils hemmende Sozialisationsbedingungen für die Entfaltung beruflicher Handlungskompe-tenz auf. Demgegenüber scheinen die in der BRD sozialisierten Kinder und Jugendlichen

300 Auf diese Voraussetzungen beruflicher Handlungskompetenz wurde im Rahmen des theoretischen Be-zugsrahmens und der Vorstellung des Konzeptes der beruflichen Handlungskompetenz innerhalb der IBM eingegangen.

besser auf die Anforderungen der beruflichen Handlungskompetenz vorbereitet zu sein.

Es ist anzunehmen, dass die berufliche Handlungskompetenz sowohl bei den männli-chen, als auch bei den weiblichen Jugendlichen im Vergleich mit westdeutschen Jugend-lichen nicht besser ausfällt. Der Annahme, dass ostdeutsche Frauen aufgrund der Förderung der Frau in naturwissenschaftlichen-technischen Disziplinen bessere Leistun-gen speziell in den hier zu untersuchenden Bereiche liefern als westdeutsche, wider-spricht die nachgewiesene Einheitlichkeit der Präferenzen ost- und westdeutscher Frauen: Die DDR-spezifische Sozialisation führe danach kaum zu stärker ausgeprägten Interessen in diesem Bereich, sondern weiterhin zu traditionellen weiblichen Präferen-zen hinsichtlich Schul- und Studienfächern. Im Vergleich mit ostdeutschen, männlichen Jugendlichen könnte eventuell aufgrund der theoretischen Analyse ein geringer Leis-tungsvorsprung zugunsten weiblichen, ostdeutschen Studentinnen erwartet werden, der auf ihre besseren Schulleistungen, ihrer Konzentrations- und Merkfähigkeit, hohen so-zialen Anpassungsbereitschaft und demselben logisch-abstrakten Denkvermögen be-ruht. In Bezug auf die zu Beginn aufgestellten Thesen bedeutet dies:

Hypothese 1, nach der die DDR spezifische Sozialisation besonders förderlich für die Entfaltung beruflicher Handlungskompetenz bei Jugendlichen im Vergleich mit in der BRD sozialisierten Jugendlichen ist, konnte anhand der kulturvergleichenden Analyse der Sozialisationsbedingungen nicht bestätigt werden.

Hypothese 2, als Konsequenz der Hypothese 1, wonach weiblichen BA-Studenten besonders gute Leistungen erbringen, konnte ebenfalls im Vergleich mit der BRD nicht bestätigt werden.

Tendenzen zur Falsifizierung der Hypothesen bestätigen Studien, welche bei Bewerbern aus den neuen Bundesländern zu folgenden Ergebnissen kamen: Danach verfügten die-se über einen geringeren Wert in der Dimension „Flexibilität“, „Leistung“, „soziales Auf-treten“ und „Fähigkeit zum Erfolg“, „Intellektuelle Effizienz“ und „Toleranz“; einen höheren Wert verzeichneten sie bei dem Wert „Verantwortlichkeit“301. Soziale Kompe-tenz wurde von Jansen 1991 im Rahmen eines Assessment-Centers getestet: Danach hätten von 120 untersuchten Teilnehmern nur 14 (12%) die für West-Bewerber

301 Wottawa in Trommsdorff 1994, S. 222

ten Grenzwerte überschritten302. Die Entwicklung sozialer Kompetenz ist schwieriger als die der fachlichen Kompetenz, da sie persönliche Einstellungen betreffen303. Es zeigten sich jedoch auf der anderen Seite positive Befunde in Bezug auf eine relativ schnelle Lernfähigkeit bei ostdeutschen Jugendlichen auch im Bereich der sozialen Kompetenz304. Auch dürfen empirische Studien nicht unbeachtet bleiben, welche auf ähnlich stark aus-geprägte kognitive und motivationale Leistungsvoraussetzungen, Werthaltungen und Zukunftserwartungen bei DDR-Jugendlichen hinweisen305. Die Ähnlichkeiten zwischen ost- und westdeutschen Jugendlichen waren in empirischen Untersuchungen oft größer als ihre Unterschiede. Dies legt die Vermutung nahe, dass trotz unterschiedlicher Sozia-lisationskontexte die Heranwachsenden im Endeffekt ähnliche Persönlichkeitsmerkmale und Leistungen aufweisen.

Nach dieser Annäherung an die Thematik auf theoretischem Wege, soll im Anschluss darauf die berufliche Handlungskompetenz der ost- und westdeutschen Jugendlichen empirisch anhand des Beispiels der IBM Deutschland GmbH untersucht werden.

302 Vgl. Jansen 1991, nach Wottawa in Trommsdorff 1994, S. 227

303 Vgl. Wottawa in Trommsdorff 1994, S. 227

304 a.a.O., S. 228

305 Z.B. Wagner/Sydow in Trommsdorff u.a. 1996, S. 142

IV. EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG DER BERUFLICHEN HANDLUNGS-KOMPETENZ

Nachdem die theoretische Analyse nicht für die eingangs konstatierten Hypothesen sprechen, sollen sie nun empirisch am Beispiel der IBM überprüft werden. Zunächst soll einleitend auf das Unternehmensprofil der IBM Deutschland GmbH und auf deren Aus-bildungskonzeption eingegangen werden. Daraufhin folgen die Beschreibung des IBM-spezifischen Modells der beruflichen Handlungskompetenz und die Möglichkeiten ihrer Messung sowohl während der Ausbildung (Ausbildungsleistung), als auch während der weiteren beruflichen Laufbahn (Berufsleistung). Abschließend steht die empirische Ana-lyse der beruflichen Handlungskompetenz von ost- und westdeutschen BA-Studenten bei der IBM Deutschland GmbH.