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III. Methode und Vorstellung der Erklärungen

3. Fünf Erklärungsansätze 1) Parteipolitische Erklärung

1. Spezifische Erklärung

„Die Bundesregierung hat sich für die Unterstützung des ZFD entschieden, weil die Regierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gebildet wurde und die ideologischen Orientierungen dieser Parteien eine solche Entscheidung nahelegten.“

Diese parteipolitische Erklärung ist naheliegend: „The basic reasoning of Western democratic theory generally ist that a change of government by elections prima facie has a considerable impact on political decisions in democracies.“183 Parteien haben zudem selber den Anspruch, sich durch ihre spezifischen Werte, Ziele und Überzeugungen von den konkurrierenden Parteien zu unterscheiden und Politik so weit wie möglich in ihrem Sinne lenken. Die Etablierung des ZFD als prima ratio der Sicherheitspolitik ist ein solches Ziel. Diese Erklärung wird von den Regierungsparteien vertreten.184 Der ZFD ist nach dieser Erklärung das Ergebnis des deutschen Parteiensystems sowie des Regierungswechsels.

2. Hypothese

Die spezifische Erklärung dieses Einzelfalles lässt sich zu einer Hypothese verallgemeinern, die eine allgemeine Aussage über die Wirkungen der parteilichen Zusammensetzung der Regierung trifft. Die Hypothese besagt, dass „politische Variablen - zum Beispiel die politische Zusammensetzung und die ideologische Orientierung von Regierungen (...) als relativ wichtigste Determinanten der staatlichen Politik figurieren“.185„Diese 'parteipolitische Hypothese' gehört nicht nur zum Kernbestand der Legitimationsformel eines liberal-demokratisch verfaßten Systems. Sie ist auch zentraler Bestandteil des Selbstverständnisses der um die Wählergunst konkurrierenden

182Nach der oben angeführten Theoriedefinition von Van Evera.

183Lessmann 1987, S. 3.

184Vgl. z.B. Bündnis 90/Die Grünen 2002, S. 77.

185Schmidt 1982, S. 16. In den hier angeführten Arbeiten von Schmidt untersucht er, ob Unterschiede in der Politik verschiedener Länder oder Staaten auf unterschiedliche parteipolitische Zusammensetzungen der Regierungen zurückzuführen sind.

Parteien. (...) Diese Hypothese stellt so etwas wie die herrschende Meinung der Politiker und der Politologen dar.“186

Eine solche Hypothese könnte Unterschiede zwischen sich abwechselnden Bundesregierungen, zwischen verschiedenen Landesregierungen und zwischen unterschiedlichen Staaten erklären.

Manfred G. Schmidt formulierte 1980 als „politische Hypothese“:

„Die politische Hypothese besagt, daß sich sozialdemokratische Parteien einerseits und christdemokratische, liberale und konservative Parteien in vierfacher Hinsicht erheblich unterscheiden: programmatisch, sozialstrukturell, im Hinblick auf die Allianz mit der Lohnarbeit und dem Kapital und in Bezug auf die Politik, die sie dann betreiben, wenn sie die Regierungsmacht innehaben.“187

Belege einer unterschiedlichen Regierungspolitik sieht Schmidt z.B. in den ersten Jahren der SPD/FDP-Koalition ab 1969 aber auch international.188 Seine parteipolitische Hypothese ist zwar allgemein formuliert, passt aber nicht ganz zur Fragestellung dieser Arbeit. Untersucht wird hier nicht, ob eine (relative) Differenz zwischen der Politik unterschiedlicher Regierungen besteht. Die Differenz ist offensichtlich und nicht sie, sondern das (absolute) Politikergebnis soll erklärt werden.

Mit seinem „Kausalmodell“ bietet Schmidt eine entsprechende Hypothese an. Er bezeichnet die policy als Funktion von ideologischer Orientierung und politischer Zusammensetzung der Regierung.189 Die Hypothese lautet also verallgemeinert für alle möglichen Entscheidungen der Regierung und in der probabilistischen Form:

„Je deutlicher die ideologischen Orientierungen der Regierungsparteien eine bestimmte Ent-scheidung fordert, desto eher wird die Regierung diese EntEnt-scheidung treffen.“

3. Theorie

Im nächsten Schritt versuche ich, die kausalen Mechanismen zu erläutern und die Hypothese damit zu einer Theorie (nach der Definition von Van Evera) zu erweitern. Eine der von Schmidt angebotenen drei Begründungen für seine Hypothese ist das Modell „Primat der Politik“190:

186Ibid., S. 40.

187Schmidt 1980, S. 8. Aus der Formulierung ist bereits zu erkennen, dass Schmidt in erster Linie die Wirtschafts- und Sozialpolitik untersucht. Über die Außen- und Sicherheitspolitik macht Schmidt kaum Aussagen. Zumindest in Finnland und im Vereinigten Königreich (unter der Thatcher-Regierung ab 1979) stiegen jedoch die Verteidigungsausgaben, wenn konservative Parteien die Regierung dominierten (vgl. Schmidt 1982, S. 41, 43).

188Vgl. Schmidt 1980, S. 11.

189Vgl. Schmidt 1979, S. 24. „Die politische Zusammensetzung der Regierung spiegele sich demnach auch durchgängig in der Politikproduktion der Regierungen.“ Schmidt 1982, S. 40.

190Vgl. ibid., S. 50. Die anderen beiden von ihm untersuchten Modelle werden hier nicht vorgestellt, weil sie (entsprechend der untersuchten Politikfelder) sozialökonomische Mechanismen beinhalten, die auf die Außen- und Sicherheitspolitik vermutlich keinen Einfluß haben.

Das Modell „Primat der Politik“ lässt sich weiter ausführen. Eine der grundlegenden Annahmen ist,

„daß die Präferenzen der Wählerschaft der Regierungsparteien sich - wenn auch vielfältig gebrochen - bis auf die Politik der Regierungsparteien durchschlagen“.191 Erstens werden die individuellen Denkweisen und Wertvorstellungen (Ideologien) von WählerInnen durch Mitgliedschaft und Wahlen in Parteien aggregiert und in Parteiprogrammen formuliert. Diese individuellen Ideologien schlagen sich zweitens durch Parlamentswahlen in der parteipolitischen Zusammensetzungen der Regierungen nieder. Eine so zustande gekommene Regierung handelt entsprechend der Ideologien und der relativen Macht der Koalitionsparteien. Die ideologische Orientierung einer Partei ist also in diesem Zusammenhang gleichzusetzen mit ihren Denkweisen und Wertvorstellungen, die sich in ihren wichtigsten Politikzielen konkretisieren.

Parteien, die an der Regierung sind, handeln entsprechend ihrer ideologischen Orientierungen.

Möglicherweise sind die Entscheidungsträger der Parteien von ihrer jeweiligen Ideologie überzeugt und handeln deshalb danach. Es könnte aber auch sein, dass die Entscheidungsträger rationale192 Nutzenmaximierer sind und ihre Politik so gestalten, dass sie möglichst viele Stimmen in der nächsten Wahl erhalten. Allerdings ist der Effekt einer bestimmten Politik auf das Wahlverhalten sehr unsicher. Deshalb kann auch bei dieser Akteursdisposition die Ideologie aufgrund der Unsicherheit eine rationale Orientierung für die Politik sein:193

„Quite apart from its role in maintaining the separate identity of the party and promoting activist involvement in the first place, ideology also provides politicians with a broad conceptual map of politics into which political events, current problems, electors' preferences and other parties' policies can all be fitted.“194

191Ibid., S. 16. Die folgenden Ausführungen stammen von mir und nicht von Schmidt, der sich auf eine kurze Dar-stellung des Modells beschränkt.

192„Rationalität“ wird in dieser Arbeit als instrumentelle Vernunft konzipiert. Zu diesem „ökonomischen Ansatz“ vgl.

Nohlen/Schultze 1995, S. 505-506.

193Dieses Argument für die Bedeutung von Ideologien auch für egoistische, nutzenmaximierende PolitikerInnen wird von Ian Budge (1994) ausführlich dargestellt. Budge (1994 S. 446) zitiert „[i]n line with most discussion“ Lyman Tower Sargents Definition von Ideologie: „a value or belief system that is accepted as fact or truth by some group. It is composed of sets of attitudes towards the various institutions and processes of society. It provides the believer with a picture of the world both as it is and as it should be, and in so doing, it organizes the tremendous complexity of the world into something fairly simple and understandable“. Die Orientierung von nutzenmaximierenden Parteien an ihren Ideologien ist jedoch nicht unbedingt. „It ist quite possible that different parties follow different rules even in the same country, since obviously a variety of satisficing strategies are possible under limited information and high calculating costs, each as 'rational' as another.“ Ibid., S. 452.

194Ibid., S. 446.

Sozialstruktur Politische Strukturen Policies

(insbes. Wählerbasis) (insbes. pol. Zusammensetzung d. Regierung)

außerdem werden Parteien gewählt, weil sie bestimmte Maßnahmen versprechen. Um glaubwürdig zu sein und wieder gewählt zu werden, müssen diese Maßnahmen, zumindest teilweise, auch getroffen werden. „The evidence for this [die Orientierung von Parteien an ihren Ideologien, d.

Verf.], from twenty countries, is so massive as to make it very difficult to ignore the anchoring effects of ideology“195. Die Parteien können ebenfalls entweder als ideologisch motiviert oder als reine Nutzenmaximierer in einem Wählermarkt betrachtet werden.196

Diese Theorie muss operationalisiert werden. Zuerst muss die Zusammensetzung der Regierung und das unterschiedliche Gewicht der Regierungsparteien untersucht werden. Die Ideologien der Regierungsparteien lassen sich dann in den Grundsatz- und Wahlprogrammen und der von den Parteien der Regierungskoalition gemeinsam beschlossenen Koalitionsvereinbarung erkennen. Falls sich in den so ermittelten Ideologien der Parteien keine Forderung nach einem ZFD findet, bzw.

sich eine solche Forderung nicht ableiten lässt, müssen andere Gründe für die Entscheidung der Bundesregierung vorliegen.

2) Feigenblatt-Erklärung