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III. Methode und Vorstellung der Erklärungen

3. Analyse politischer Netzwerke 1 Drei Beziehungsfelder

Um zu bestimmen, welche Akteure sich mit ihren Präferenzen durchsetzen, werden verschiedene Beziehungen unterschieden: (1) die Beziehungen zwischen den politisch-administrativen Akteuren, (2) die zwischen verschiedenen privaten Akteuren und (3) die zwischen politisch-administrativen Akteuren einerseits und privaten Akteuren andererseits. Diese drei Beziehungsfelder können analytisch getrennt werden, weil sie durch die gesellschaftlichen Strukturen239 der Interessenvermittlung unterschiedlich beeinflusst werden. Als heuristisches Instrument zur Bestimmung der durchsetzungsfähigen Akteure wird die Netzwerkanalyse verwendet.

3.2 Begriff

Ein Politiknetzwerk ist ein durch Sozialbeziehungen verbundenes System von sozialen Einheiten.

Es wird in erster Linie von organisierten und kollektiven politisch-administrativen und privaten Akteuren gebildet, die in einem interdependenten Verhältnis stehen. Bienen/Freund/Rittberger definieren Politiknetzwerke als „die interorganisatorischen Beziehungen, die aufgrund der Interaktion der Netzwerkteilnehmer in Form von 'Koordinations-, Kooperations und Kommunikationsleistungen' (...) im Politikentwicklungsprozeß entstehen“240. Für die Außenpolitikanalyse wird das spezifische Netzwerk in diesem Politikfeld analysiert. Wenn mit dieser Analyse das außenpolitische Verhalten nicht erklärt werden kann, müssen weitere Politiknetzwerke mit Bezug zu diesem Politikbereich herangezogen werden.

3.3 Bestimmung der Netzwerkakteure

„Als Akteure eines Politiknetzwerkes gelten dann

alle organisierten Akteure,

zwischen denen in einem Politikfeld bzw. mit Bezug auf eine bestimmte Policy

239Der Gesellschaftsbegriff in dieser Theorie schließt den Staat ausdrücklich mit ein, die Gesellschaft wird als Summe der privaten und politisch-administrativen Teilsysteme konzipiert; vgl. ibid., S. 6.

240Ibid., S. 13.

Interaktionen in Form von Kommunikation (Anhörungen, Konsultationen, Informa-tionsaustausch) und/oder Koordination bzw. Kooperation (Arbeitsteilung, Tausch materieller Ressourcen, Verhandlungsprozesse) nachgewiesen werden können.“241

3.4 Bestimmung der Präferenzen der Akteure

Präferenzen werden von Bienen/Freund/Rittberger theoretisch-deduktiv ermittelt, sie werden also aus den theoretisch angenommenen Grundinteressen der Akteure logisch abgeleitet. Die empirisch-induktive Methode (das Beobachten von Verhalten, die Untersuchung von Äußerungen und die Expertenbefragung) bietet keine Möglichkeit, zwischen eigennutzenorientierten und wertorientierten Präferenzen zu unterscheiden. Außerdem birgt die Beobachtung von Verhalten die Gefahr von Zirkelschlüssen und bei der Analyse von Äußerungen besteht die Gefahr, dass die Akteure nicht ihre wahren Präferenzen offenbaren. Nur wenn theoretisch-deduktiv die Bestimmung von Präferenzen nicht möglich ist, kann hilfsweise die empirisch-induktive Methode, insbesondere in Form von Expertenbefragungen, herangezogen werden.

Das Grundinteresse gesellschaftlicher Akteure ist es, zu überleben und ihre materiellen Ressourcen und ihre immateriellen Ressourcen zu maximieren. Bei jeder Entscheidung wählen sie diejenige Handlungsoption, mit der sie die höchsten Gewinne erzielen. Die Überlebensfähigkeit politischer und administrativer Akteure hängt in erster Linie von der Zuweisung von Kompetenzen ab. Private Akteure müssen dagegen vor allem ihre finanzielle Mittelausstattung absichern.

a) Politische Akteure

In Deutschland sind politische Akteure durch Wahlen legitimiert. Dazu zählen der Bundeskanzler, der Bundestag und die im Bundesrat vertretenen Landesregierungen, nicht jedoch BundesministerInnen, deren Amt nicht durch Wahlen sondern durch den Bundeskanzler und die Mehrheitsfraktionen legitimiert wird.

Aus dem Grundinteresse, als politischer Akteur zu überleben, wird das Wiederwahlinteresse abgeleitet. Die Wahlchancen hängen von der Erfüllung der Erwartungen derjenigen Wählergruppen ab, die für den Erfolg bei der letzten Wahl verantwortlich waren (Kernwählerschaften). Außerdem wird angenommen, dass jede(r) WählerIn ein(e) rationale(r) NutzenmaximiererIn ist und entsprechend wählt (economic voting). Als Indikator für individuellen materiellen Gewinn wird vereinfachend die gesamtstaatliche Entwicklung herangezogen. „[P]rosperiert die Volkswirtschaft, geht es aller Wahrscheinlichkeit nach auch den meisten Einzelnen gut“242. Ob und wie stark das

241Ibid., S. 16.

242Ibid., S. 21.

Wiederwahlinteresse politischer Akteure betroffen ist, hängt davon ab, wie stark die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland von der jeweiligen Entscheidung abhängt.

Das zweite Grundinteresse politischer Akteure ist der Erhalt und der Ausbau ihrer Kompetenzen.

Diese wollen sie nicht an internationale Organisationen oder andere Akteure abgeben. Dieses Interesse ist jedoch dem „überlebensnotwendigen“ Wiederwahlinteresse untergeordnet.

b) Administrative Akteure

Die Position administrativer Akteure ist durch formal-legale Aufgabenzuweisungen durch politische Akteure begründet, nicht durch Wählerauftrag. Diese Akteursgruppe umfasst staatliche Exekutivorgane (z.B. die Bundeswehr), parastaatliche Organisationen (z.B. den Deutschen Entwicklungsdienst), die Bundesministerien sowie die BundesministerInnen. Administrative Akteure sichern ihr Überleben, indem sie ihre Bedeutung als Ausführungsorgane politischer Akteure erhalten bzw. erhöhen. Deshalb präferieren sie in Entscheidungssituationen diejenige Option, die sie mit möglichst weitreichenden Kompetenzen (vorrangig) und mit möglichst umfangreichen finanziellen Mitteln (nachrangig) ausstattet. Administrative Akteure versuchen außerdem, die Option zu wählen, die am ehesten zur Erfüllung ihres Organisationszwecks beiträgt, damit sie von politischen Akteuren als erfolgreich wahrgenommen werden.

c) Private Akteure

Das Grundinteresse aller privaten Akteure ist es, ihre finanziellen Ressourcen zu maximie-ren.Soziale und politische Interessengruppen sind nicht profitorientierte private Organisationen. Sie sichern ihr Überleben vor allem durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Zuwendungen von politischen und administrativen Akteuren. Um diese zu erhalten, müssen sie ihren jeweiligen Organisationszweck erfüllen. Dieser besteht typischerweise im Erreichen immaterieller Ziele.

Zusätzlich versuchen auch sie, ihre Kompetenzen zu erweitern. Unternehmen und wirtschaftliche Interessengruppen sind weitere private Akteure, die in diesem Fall aber keine Rolle spielen.243

243Unternehmen erwirtschaften ihre Einkommen selbst, dadurch sichern sie ihr Überleben. Von außenpolitischen Entscheidungen sind sie betroffen, sofern ihre Exportmöglichkeiten davon beeinflusst werden. Wirtschaftliche Interessengruppen (Unternehmensverbände, Gewerkschaften) finanzieren sich über Mitgliedsbeiträge. Ihr Interesse ist es, in erster Linie die Gewinnaussichten der sie tragenden Wirtschaftszweige bzw. die Arbeits- und Lohnbedingungen der Mitglieder zu verbessern. In zweiter Linie versuchen sie außerdem, ihre Kompetenzen zu erweitern.

Grundinteressen und außenpolitische Präferenzen gesellschaftlicher Akteure244

3.5 Die Bestimmung der durchsetzungsfähigen Akteure a) Durchsetzungsfähigkeit der privaten Akteure

Entscheidend für die Durchsetzungsfähigkeit privater Akteure ist ihr situativer und struktureller Mobilisierungsgrad. In einer konkreten Entscheidungssituation setzen sich von allen situativ mobilisierten Akteuren (deren Grundinteressen betroffen sind) diejenigen mit dem höchsten strukturellen Mobilisierungsgrad durch.

„Der strukturelle Mobilisierungsgrad ist umso größer,

• je höher sein Repräsentationsgrad ist, d.h. je mehr Mitglieder eines Politikfelds durch ihn vertreten werden;

• je stärker die Repräsentation gesellschaftlicher Interessen in einem Politikfeld auf diesen Akteur konzentriert ist, d.h. je weniger der Akteur mit anderen Interessen-gruppen um die gleichen Mitglieder konkurrieren muß;

• je größer sein Hierarchisierungsgrad ist, d.h. je besser er in der Lage ist, verbindliche Entscheidungen für seine Mitglieder zu treffen;

244Quelle: Bienen/Freund/Rittberger 1999, S. 27 und eigene Spezifizierung.

• je größer die Kapazität des Akteurs ist, technische und politische Informationen zu generieren“245.

b) Durchsetzungsfähigkeit und Autonomie der politischen und administrativen Akteure

Dem strukturellen Mobilisierungsgrad der privaten Akteure entspricht der Konzentrationsgrad der politisch-administrativen Akteure. Zunächst müssen die Akteure bestimmt werden, die bei einer bestimmten Entscheidung mitzuständig und damit strukturell mobilisiert sind. Als nächstes ist festzustellen, welche dieser Akteure am stärksten situativ mobilisiert sind. Von diesen Akteuren wird sich derjenige durchsetzen, der die größte Entscheidungskompetenz besitzt.

Wie stark private Akteure eine Entscheidung beeinflussen können, hängt von dem Grad der Autonomie der politisch-administrativen Akteure ab. „[Diese] ist umso größer,

• je geringer die Ressourcenabhängigkeit der politischen und administrativen Akteure von den privaten Akteuren ist (sowohl in Bezug auf materielle als auch auf immate-rielle Ressourcen);

• je geringer die Verflechtungen mit privaten Akteuren sind (je weniger z.B. Anhö-rungs- und Mitspracherechte der privaten Akteure institutionalisiert sind);

• je klarer die Aufgaben der politischen und administrativen Akteure definiert sind und je stärker diese Zuweisung auf Regeln beruht, die nicht verhandelbar sind;

• je stärker die Aufgaben der politischen und administrativen Akteure funktional defi-niert sind, d.h. je weniger die Aufgabenerfüllung am Wohlergehen einzelner Inter-essengruppen gemessen wird“246.

Die wichtigsten Interessenvermittlungsstrukturen werden mit Hilfe der folgenden Typologie deutlich:

245Ibid., S. 29.

Netzwerktypologie für die Analyse der deutschen Außenpolitik247

Die utilitaristisch-liberale Außenpolitiktheorie lässt sich folgendermassen als Pfeildiagramm darstellen:

3.6 Ausprägungen der unabhängigen Variable „gesellschaftliche Interessen“

„(a) Starke gesellschaftliche Interessen liegen vor, wenn

• in einem monopolistischen Netzwerk der durchsetzungsfähige Akteur Präferenzen in hoher Intensität besitzt; oder

• in einem pluralistischen oder korporatistischen Netzwerk die Mehrheit der durch-setzungsfähigen Akteure Präferenzen in hoher Intensität besitzt.

(b) Gesellschaftliche Interessen mittlerer Stärke liegen vor, wenn

• in einem monopolistischen Netzwerk der durchsetzungsfähige Akteur Präferenzen niederer Intensität besitzt; oder

• in einem pluralistischen oder korporatistischen Netzwerk die Mehrzahl der durch-setzungsfähigen Akteure Präferenzen in niedriger Intensität besitzt.

246Ibid., S. 33.

247Quelle: Bienen/Freund/Rittberger 1999, S. 34 und eigene Erweiterung.

Interessen der durchsetzungsfähigen Akteure Präferenzen in bestimmten Situationen Außenpolitische Entscheidungen

(c) Schwache gesellschaftliche Interessen liegen vor, wenn

• in einem monopolistischen Netzwerk der durchsetzungsfähige Akteur nicht situativ mobilisiert ist; oder

• in einem pluralistischen oder korporatistischen Netzwerk keine Mehrheit von Ak-teuren besteht, die gleiche Präferenzen in zumindest niedriger Intensität besitzt.“248 Prognosen zu außenpolitischen Entscheidungen sind nur in den ersten beiden Fällen möglich. In der Formulierung dieser Theorie sind die wesentlichen Aspekte der Operationalisierung bereits enthalten.

4. Hypothese und Erklärung

Aus der Theorie lässt sich die folgende Hypothese ableiten:

„Je eindeutiger die Präferenz der durchsetzungsfähigen Akteure für eine bestimmte außenpolitische Entscheidung ist, desto eher wird die Bundesregierung diese Entscheidung treffen.“

Für den Fall, dass die durchsetzungsfähigen Akteure eine eindeutige Präferenz für die Unterstützung des ZFD haben, lässt sich sich die folgende Erklärung ableiten:

„Die Regierung hat die Unterstützung des ZFD beschlossen, weil die durchsetzungsfähigen Akteure sich davon materielle und/oder immaterielle Gewinne versprachen.“