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Experimentelle Elektronendichteuntersuchungen von Übergangsmetall‐Bor‐

7 ZUSAMMENFASSUNG UND ZUKÜNFTIGE ZIELE

7.2 Experimentelle Elektronendichteuntersuchungen von Übergangsmetall‐Bor‐

Es gibt  zahlreiche  Verbindungsklassen, in denen ein Übergangsmetallatom an  ein  Boratom gebunden ist. Die strukturell maßgebliche und für die chemische Reaktivität  entscheidende Natur der Bindung zwischen dem Übergangsmetall‐ und dem Boratom  ist dabei sehr vielfältig und häufig noch nicht eindeutig aufgeklärt. Während Boride,  Metallaborane  und  Übergangsmetallkomplexe  mit  Borheterozyklen  schon  verhältnismäßig lange bekannt sind, stellt die Klasse der Übergangsmetallkomplexe  des  Bors  eine  relativ  neue  Verbindungsklasse  dar.  Diese  lässt  sich  anhand  der  Koordinationszahl des Boratoms und der Anzahl der Übergangsmetall–Bor‐Bindungen  in der jeweiligen Verbindungen wiederum in drei Gruppen unterteilen: Borane, Boryle  und Borylene. 

Aufgrund der strukturellen Verwandtschaft zur isolobalen Carbonyl‐Gruppe hat der  Borylen‐Ligand besondere Aufmerksamkeit erfahren. Borylen‐Liganden weisen, wie  auch  die  Kohlenstoffanaloga,  verschiedene  Arten  der  Koordination  zum  Übergangsmetallatom  auf.  Die  Übergangsmetall–Bor‐Bindung  ist  dabei  gegenüber  einer  Bindungsspaltung  stabiler  als  die  korrespondierende  Übergangsmetall–

Kohlenstoff‐Bindung. Dies ist hauptsächlich im energetisch günstigeren Niveau des 

σ‐Donor‐Orbitals begründet, da die Energie des π*‐Orbitals in etwa gleich bleibt. Die 

schmale HOMO‐LUMO‐Lücke führt jedoch dazu, dass das Boratom positiv geladen und  somit anfällig gegenüber nukleophilen Angriffen ist. Kinetische Stabilität kann durch  eine sterische Abschirmung mithilfe von sperrigen Liganden am Boratom erreicht  werden. Außerdem konnte gezeigt werden, dass gewisse Metallfragmente, wie z. B. 

{CpMn(CO)2}2, die kinetische Instabilität zu einem gewissen Grad reduzieren können,  da sie das Ungleichgewicht zwischen HOMO und LUMO verringern. 

Zahlreiche  theoretische  Untersuchungen  an  verschiedenen  Borylen‐Komplexen  lieferten unterschiedliche Antworten über den Charakter der Übergangsmetall–Bor‐

Bindung. Deshalb wurden im Rahmen dieser Doktorarbeit Elektronendichtestudien an  einem terminalen und einem verbrückten Borylen‐Komplex durchgeführt. 

Als terminaler Borylen‐Komplex wurde [(CO)5CrBN(SiMe3)2] ausgewählt. Obwohl die  IAM‐Verfeinerung vielversprechende Ergebnisse lieferte, waren nach der Multipol‐

Verfeinerung  Restdichtemaxima  vorhanden,  die  auf  eine  Rotationsfehlordnung 

schließen  ließen.  Eine  IAM‐Verfeinerung  unter  Berücksichtigung  der  Fehlordnung  erwies sich als instabil, aber durchführbar, wohingegen eine auf die IAM‐Verfeinerung  aufbauende  Multipolverfeinerung  wie  auch  eine  Invariomverfeinerung  des  fehlgeordneten  Moleküls  fehlschlug.  Da  nach  der  Multipolverfeinerung  ohne  Betrachtung der Fehlordnung die Maxima der Restdichteverteilung jedoch so deutlich  auf  die  Fehlordnung  hindeuteten,  wurde  angenommen,  dass  das  Multipolmodell  offensichtlich  nur  die  Elektronendichte  der  Hauptkomponente beschrieben  haben  musste.  Deshalb  wurde  die  Analyse  anhand  der  hierbei  erhaltenen  Elektronendichteverteilung  durchgeführt.  Aufgrund  der  noch  nicht  ausreichend  bekannten Verlässlichkeit solcher Untersuchungen, sind unterstützende theoretische  Berechnungen hier unerlässlich und werden derzeit durchgeführt. 

Die  topologische  Analyse  der  experimentellen  Elektronendichte  ergab  in  [(CO)5CrBN(SiMe3)2] eine überraschende Bindungssituation für die B–N‐Bindung. Die  niedrige  Elliptizität  entlang  des  gesamten  Bindungspfades  schließt  die  eigentlich  erwartete Doppelbindung aus. Die LAPLACE‐Verteilung deutet viel mehr auf eine stark  polarisierte, wenn nicht sogar ionische Bindung hin. Bei der Untersuchung der Cr–B‐

Bindung  zeigte  sich  eine  Diskrepanz  zwischen  den  theoretischen  und  den  experimentellen  Ergebnissen.  Diese  ist  höchstwahrscheinlich  auf  die  Fehlordnung  zurückzuführen.  Die  theoretischen  Berechnungen  lieferten  eine  Ladungsdichte‐

konzentration  am  Boratom,  das  in  Richtung  einer  Ladungsdichteverarmung  des  Chromatoms  ausgerichtet  ist.  Zusammen  mit  den  Bindungsdeskriptoren  am  bindungskritischen Punkt der Cr–B‐Bindung ergab sich so das gleiche Bild, wie es von  den Kohlenstoffanaloga, den Carbonyl‐Übergangskomplexen bekannt ist.  

Die Untersuchung eines verbrückten Borylen‐Komplexes wurde an [{Cp(CO)2Mn}2‐  (µ‐BtBu)] durchgeführt. Die vorhergesagte kinetische Instabilität der Borylene ist in  dieser Verbindung gleich durch zwei Faktoren abgeschwächt: Zum einen erfolgte die  Komplexierung  mithilfe  des  {CpMn(CO)2}2‐Fragments,  das  wie  oben  schon  beschrieben, die Instabilität reduziert, zum anderen handelt es sich beim Borylen‐

Liganden um ein tert‐Butyl‐Borylen, dessen sterisch anspruchsvolle organische Gruppe  zusätzlich das Boratom vor nukleophilen Angriffen abschirmt. 

Bei der Koordination des Borylen‐Liganden an das Übergangsmetallatom zeigt sich  ein  deutlicher  Unterschied  zu  den  verbrückten  Carbonyl‐Komplexen,  in  deren  Verwandtschaft  die  Borylene  strukturell  eingeordnet  wurden.  Am  Carbonly‐

Kohlenstoffatom werden  zwei VSCCs gefunden, von denen eines in Richtung  des  Sauerstoffatoms der Carbonyl‐Gruppe zeigt, während das andere verbreitert ist und  auf  die  Mitte  der  Metall–Metall‐Bindung  ausgerichtet  ist.  Am  Borylen‐Boratom  hingegen finden sich drei VSCCs, die jeweils in Richtung eines der drei Bindungspartner  zeigen. Die Untersuchung der Bindungspfade zwischen den Übergangsmetallatomen  und dem Boratom zeigt außerdem eine deutliche Krümmung der Bindungspfade, was  eine Delokalisierung der Bindungen impliziert. Die Betrachtung der Winkel zwischen  den Bindungspfaden und den direkten Mangan–Bor‐Verbindungsachsen am Boratom  und den beiden Manganatomen ermöglicht eine Quantifizierung dieser Delokalisation. 

Die  Größe  dieser  Winkel  lässt  auf  eine  dominante  direkte  und  symmetrische  donierende Wechselwirkung vom Boratom zu den Manganatomen und eine indirekte,  weniger ausgeprägte und unsymmetrische Mangan–Bor‐Rückbindung schließen. 

Neben der Übergangsmetall–Bor‐Bindung findet sich im verbrückten Molekül ein  weiteres Strukturmotiv von stetigem Interesse. Für verbrückte Carbonyl‐Verbindungen  wurde postuliert, dass keine chemische Bindung zwischen den Metallatomen vorliegt. 

Dies konnte auch im Fall des Borylen‐Komplexes beobachtet werden. Die QTAIM‐

Analyse  sowohl  der  theoretischen  als  auch  der  experimentellen  Elektronendichteverteilung  lieferte  keinen  Bindungspfad  zwischen  den  beiden  Manganatomen. Eine Untersuchung der Ursprungsfunktion (source function) ergab,  dass die Manganatome eher Dichte aus der Bindung abziehen als donieren. Dies  spricht  für  eine  nicht‐lokalisierte  Bindung.  Da  der  untersuchte  Komplex  keine  paramagnetischen Eigenschaften aufweist, erscheint eine Kopplung über das Boratom  plausibel, zumal die gefundenen Bindungspfade zwischen den Manganatomen und  dem  Boratom  als  bevorzugte  Austauschkanäle  für  Elektronenwechselwirkungen  beschrieben wurden. 

Obwohl kein bindungskritischer Punkt gefunden wurde, konnte aber zwischen den  Manganatomen eine erhöhte Elektronendichte, wenn auch auf insgesamt niedrigem  Niveau,  gefunden  werden.  Dies  könnte  auch  als  Resultat  einer  Wechselwirkung  interpretiert werden. Somit sind zur abschließenden Klärung weitere Untersuchungen  oder  die  Entwicklung  spezifischerer  Deskriptoren  nötig,  um  damit  komplexe  Bindungssituationen wie etwa von Metall–Metall‐Bindungen eindeutig beschreiben zu  können. 

Die Untersuchung der beiden Borylene, wie sie in dieser Arbeit vorgenommen  wurde, zeigt deutlich, dass diese aufgrund ihrer interessanten Bindungssituationen  vielversprechende  Modellsysteme  darstellen.  Die  Untersuchung  eines  nicht‐

fehlgeordneten  terminalen Borylens steht  jedoch  noch  aus.  Interessant  wäre  es,  hierbei  v. a.  auch  einen  nicht‐fehlgeordneten  Kristall  von  [(CO)5CrBN(SiMe3)2]  zu  analysieren, um die Verlässlichkeit der erhaltenen Eigenschaften zu überprüfen. 

Das Thema der Borylene bietet noch viele interessante für Fragestellungen, da  Verbindungen mit Übergangsmetallen generell noch schlecht verstanden sind. So ist  nun zwar die Bindung in einem verbrückten Alkylborylen anhand Elektronendichte‐

untersuchungen  analysiert,  die  Aminoborylen‐Analoga  wurden  bisher  jedoch  nur  vielfach  theoretisch  betrachtet.  Ebenso  wurden  Boryl‐Verbindungen  bisher  durch  zahllose  theoretische  Berechnungen  untersucht,  experimentelle  Elektronendichte‐

bestimmungen  gibt  es  hingegen  noch  keine.  Auch  die  Boride,  denen  kovalente,  ionische  und  metallische  Bindungsbeiträge  zugeschrieben  werden,  stellen  ansprechende Untersuchungsobjekte dar.