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4 Experimentelle Untersuchungen zum Einfluß von Systemmerkma-

4.2 Experiment 2: Eigendynamik

Analog zum Vorgehen im ersten Experiment stellen wir ein Pfadmodell zur Wir-kung der UV Eigendynamik auf die abhängigen Variablen GdK, GdV und GdS auf.

Bezüglich GdK unterscheiden wir GdK4, mit dem das Kausalwissen nach der Experi-mentierphase (nach dem vierten Durchgang) erfaßt wird, und GdK5, mit dem das Kausalwissen nach der Steuerphase (fünfter Durchgang) erhoben wird. Wenn man davon ausgeht, daß eigendynamische Komponenten eine adäquate Modellbildung des Pbn erschweren, so ist zu erwarten, daß sich die UV in erster Linie auf das Wissen um kausale Zusammenhänge nach der Treatmentphase und damit auf GdK4 direkt und negativ auswirkt. Die Güte der Steuerung (GdS) sollte in unserem experimentellen Design mit zunehmender Eigendynamik ebenfalls schlechter werden, wir nehmen jedoch an, daß dieser Effekt der UV über GdK4 vermittelt eintritt. GdS sollte demnach nicht direkt von der UV Eigendynamik abhängen, sondern allein von GdK4. Die Güte der Kausaldiagramme am Ende der Bearbeitung von SINUS (GdK5) sollte durch GdK4 gut prädiziert werden. Eine zusammenfassende grafische Darstellung dieser Annahmen gibt Abb. 4.6 wieder.

Neben dieser Pfadanalyse mit relativ globalen Variablen, die sich im ersten Experi-ment bis zu einem gewissen Grad bewährt hat, sollen jedoch auch wiederum differen-ziertere Analysen vorgenommen werden.

4.2.2 Stichprobe und Durchführung der Untersuchung

Insgesamt 24 Pbn wurden untersucht, so daß für jede der drei nachfolgend beschriebe-nen Versuchsbedingungen acht Pbn zur Verfügung standen. Da aufgrund der Ergeb-nisse des ersten Experiments ein Effekt der Variable “Geschlecht” auf die erhobenen

Abb. 4.6: Pfeildiagramm der Hypothesen des zweiten Experiments: Die Wirkung von Eigendynamik auf Systemwissen (GdK4 und GdK5) und System-steuerung (GdS).

Eigendynamik

GdK4

GdK5 GdS

-+ +

Gütemaße nicht grundsätzlich auszuschließen war, entschieden wir uns für eine diesbezüglich homogene Stichprobe männlicher Pbn. Desweiteren war es unser Anliegen, eine nicht-studentische Gruppe zu untersuchen.

So wählten wir als Stichprobe 21 Zivildienstleistende, von denen 14 zum Zeitpunkt der Untersuchung an einem Rettungssanitäterlehrgang des Malteser-Hilfsdiensts (MHD) teilnahmen bzw. sieben in einer Bonner Klinik tätig waren; drei weitere Pbn waren Studenten. Das Alter der Pbn schwankte bei einem Mittelwert von 23,5 Jahren zwischen 19 und 31 Jahren. Kein Pb verfügte über Vorerfahrung im Umgang mit dy-namischen Systemen.

Bei den 14 Lehrgangsteilnehmern wurden die Versuche in den Schulungsstätten des MHD in den Abendstunden durchgeführt. Die anderen Versuche fanden im Psycho-logischen Institut statt. Die Versuchsleiterin (Vl) betreute in der Regel zwei Pbn im gleichen Raum.

Den drei experimentellen Bedingungen wurden die Pbn vollständig randomisiert zu-geteilt. Jeder Pb erhielt zunächst einen Code und bearbeitete die begleitend eingesetz-ten Instrumente PLF (vgl. KÖNIG, LIEPMANN, HOLLING & OTTO, 1985) und RA-VEN. Nach Vorgabe der Instruktionen bearbeitete jeder Pb das System SINUS in di-rekter Interaktion mit einem Personal-Computer. Die Vl erklärte den Gebrauch der Tastatur, betreute das Ausfüllen der Kausaldiagramme und stand für Fragen der Pbn zur Verfügung. Die Dauer des Versuchs bestimmten die Pbn mit ihrer Ge-schwindigkeit der Systembearbeitung selbst.

Im Anschluß an die Bearbeitung erhielten die Pbn eine Aufwandsentschädigung in Höhe von zehn DM. Außerdem wurde ihnen eine kurze Erklärung des Untersuchungs-hintergrundes gegeben. Einige Pbn äußerten spielerische Freude am Umgang mit dem System SINUS, bei anderen Pbn wiederum hatte die Vl Frustration und Unmut aus-zugleichen.

4.2.3 Realisierung der unabhängigen Variablen

Das Konzept der Eigendynamik eines Systems wurde im vorliegenden Experiment wie folgt operationalisiert und in seiner Ausprägung variiert:

(1) Operationalisierung: Eigendynamische Komponenten des System SINUS sind dadurch gekennzeichnet, daß eine Zustandsvariable auf sich selbst verändernd wirkt. Dies ist genau dann der Fall, wenn Diagonalelemente der Ayy-Matrix (vgl.

FUNKE, 1986a; in Kapitel 1.2, Gleichung 1.2, als B-Matrix bezeichnet) ungleich 1 sind. Werte kleiner als 1 führen zu eigendynamischer Verringerung, Werte grö-ßer als 1 führen zu eigendynamischem Wachstum (vgl. MÜLLER et al., 1987, p.

6).

(2) Bedingungsvariation: Zur Prüfung des Einflußes der Eigendynamik auf die Sy-stembearbeitung wurde die Anzahl eigendynamischer Komponenten im System SINUS variiert. Drei experimentelle Bedingungen wurden geschaffen, in denen keine (ED=0), eine (ED=1) und zwei (ED=2) eigendynamische Komponenten in das System SINUS aufgenommen wurden. In der (ED=0)-Bedingung sind die Parameter a und b (siehe Abb. 4.7) gleich eins. In der (ED=1)-Bedingung erhält

Faktor b den Wert 0.9, in der (ED=2)-Bedingung zusätzlich Faktor a den Wert 1.1.

Abb. 4.7 gibt die drei Systeme der unterschiedlichen experimentellen Bedingungen in Form eines Kausaldiagramms wieder, das die unveränderten Gewichte als numerische Konstanten und die experimentell manipulierten Gewichte als Parameter a und b an-zeigt.

4.2.4 Deskriptive Ergebnisse

Da GdS und GdV den mittleren Abstand der Zustände von einem Idealzustand er-fassen, ist die Skala dieser Werte ursprünglich bei 0 abgeschnitten und nach oben of-fen. In solchen Fällen resultiert häufig eine linksschiefe Verteilung der Rohwerte mit Ausreißern im oberen Bereich der Skala, die die statistische Ermittlung von Mittel-wert und Streuung bis hin zur Regressionsanalyse entscheidend und fragwürdig beein-flußen. Eine sinnvolle Korrektur besteht darin, die Rohdaten logarithmisch zu trans-formieren. Dies ist kein Allheilmittel, entschärft jedoch die angesprochene Problema-tik zumindest. Daher wählten wir dieses Vorgehen und versahen die resultierenden Werte zusätzlich mit einem negativen Vorzeichen, um die Polung der Skalen für GdS und GdV der Polung der Begriffe “Güte der Steuerung” bzw. “Güte der Vorhersagen”

anzugleichen.

Olschen

Mukern

Raskeln

Gaseln

Schmorken

Sisen 10

2 3

0.5 b

a

1 0.2

Eigendynamik:

a b

ED=0: 1 1

ED=1: 1 0.9

ED=2: 1.1 0.9

Abb. 4.7: Kausaldiagramm der in Experiment 2 implementierten Wirkungen.

Exkurs: Prognosedaten und ihre Interpretierbarkeit

Der aufmerksame Leser vermißt vielleicht Daten zu den während der einzelnen Durchgänge von den Pbn abgegebenen Prognosen. Wir möchten hier kurz unsere Gründe dafür angeben, auf eine ausführlichere Darstellung dieser Daten zu ver-zichten.

Wir erlaubten den Pbn, während der Systembearbeitung entweder qualitative Pro-gnosen oder exakte und quantitative Angaben zu machen; unsere Intention dabei war es, durch diese Antwortmöglichkeiten der Tatsache Rechnung zu tragen, daß ein Pb zu Beginn des Experiments die exakte numerische Entwicklung der Variablen kaum abschätzen kann, wohl aber Prognosen zur groben Richtung der Zustandsentwicklung abgeben können dürfte. Mit zunehmender Dauer des Experiments sollten sich dann zunehmend mehr quantitative Prognosen finden lassen. Diese naheliegende Vermutung ließ sich anhand der Prognosedaten allerdings nicht bestätigen. Eine genauere Inspektion individueller Daten zeigte den Grund: Etliche Pbn gaben zunächst qualitative Prognosen, dann quantitative und richtige Prognosen und schließlich wieder qualitative Prognosen ab. Offensichtlich griffen viele Pbn im Laufe des Versuchs zu der Möglichkeit qualitativer Prognosen, um sich die mühevolle Berechnung exakter numerischer Werte zu ersparen und sich auf andere Aspekte der Systembearbeitung zu konzentrieren; eine durchaus sinnvolle Strategie der Pbn, die für uns jedoch die Brauchbarkeit der Prognosedaten erheblich reduzierte: aus der Abgabe qualitativer Prognosen darf nun nicht mehr geschlossen werden, daß der Pb nur über qualitatives Wissen verfügt.

Angesichts dieser Problematik beschränkten wir uns auf eine qualitative Auswer-tung der Prognosedaten, bei der es allein entscheidend war, ob ein Pb die RichAuswer-tung ei-nes Variablenverlaufs richtig prognostizierte – unabhängig davon, ob seine Angabe numerisch oder qualitativ war. Ein daraus resultierendes Gütemaß (vgl. FAHNEN -BRUCK et al., 1987, p. 21) lieferte zwar insofern befriedigende Ergebnisse, als es mit den anderen Wissensindikatoren GdS und GdK korrelierte. GdK erwies sich jedoch in den durchgeführten Regressionsanalysen als der wesentlich stärkere Prädiktor, über den hinaus GdV kaum Varianz aufklären konnte.

Es stellt sich natürlich die Frage, ob die Prognosen, die ja im Gegensatz zu GdK taktweise vorliegen, bei einer einzelfallanalytischen Betrachtungsweise nicht wert-volle Indikatoren sind. Wir wollen dies im allgemeinen keinesfalls bestreiten, jedoch muß dann nach unseren Erfahrungen darauf geachtet werden, daß die Pbn die Prognosen als wesentlichen Bestandteil des Experiments betrachten und bestmöglich zu antworten versuchen. Selbst unter diesen Umständen bleibt es wohl schwierig genug, Rückschlüsse auf die Kognitionen der Pbn zu gewinnen. Im eben geschilderten wie auch im nachfolgenden Experiment erwiesen sich die Prognosedaten jedenfalls trotz etlicher Bemühungen als schwer interpretierbar.

(Ende des Exkurses) Betrachtet man die von den Pbn angefertigten Kausaldiagramme daraufhin, wie häufig die eigendynamischen Komponenten erkannt werden, so ist festzustellen, daß nur etwa die Hälfte der Pbn die eigendynamischen Wirkungen erkennt und im Kausal-diagramm angibt (die exakte Angabe des numerischen Faktors war dabei nicht

erfor-derlich). Diese Beobachtung deckt sich mit Daten aus einem vorangegangen Experi-ment, in dem ein System verwendet wurde, das identisch mit der (ED=1)-Bedingung ist. Von den 32 Pbn dieses Experiments erkannten 15 bis zum Schluß der Bearbeitung von SINUS die implementierte Eigendynamik nicht. Bei einem nicht zeitverzögerten System mit sechs Variablen, achtzehn möglichen und nur sechs vorliegenden Wirkun-gen belegt dies die Schwierigkeit der Identifikation eiWirkun-gendynamischer Komponenten.

Im folgenden Abschnitt sollen nun die weiter oben in Form eines Pfadmodells for-mulierten Hypothesen statistisch geprüft werden.

4.2.5 Ergebnisse der Pfadanalyse

Tabelle 4.5 enthält die Ergebnisse von drei Regressionsanalysen, die einer Prüfung des in Abschnitt 4.2.1 dargestellten Pfadmodells entsprechen. Als Prädiktoren dienen die Versuchsbedingung (Eigendynamik, ED) und der Wissensindikator GdK4, während als AVn sowohl GdK4, GdK5 als auch GdS Verwendung finden.

Aus Tabelle 4.5 ist kein signifikanter linearer Zusammenhang zwischen dem Grad der Eigendynamik und GdK im vierten Durchgang (=vor der Steuerungsphase) zu konstatieren. Damit ist eine zentrale Hypothese nicht bestätigt (im Unterschied zu Analysen mit den alten Maßen, wo ein ED-Effekt auftrat; vgl. MÜLLER et al., 1987).

GdK4 ist erwartungsgemäß ein signifikanter Prädiktor für GdK5 und für GdS. Das po-stulierte Pfadmodell wurde damit wiederum nur teilweise bestätigt: Eigendynamische Komponenten eines dynamischen Systems führen nicht zwangsläufig zu einer schlechteren Systemsteuerung und schlechteren Prognoseleistungen. Zu vermuten ist, daß die während der Versuchsdurchführung beobachtete Schwierigkeit der Modellbil-dung, die sich nicht in den hier untersuchten Gütemaßen niederschlägt, mit der Not-wendigkeit komplexerer Identifikationsprozesse zusammenhängt, die hohe Anforde-rungen an die heuristische Kompetenz stellen und das Arbeitsgedächtnis vermehrt be-lasten (vgl. Kapitel 4 und 5).

Tabelle 4.5: Ergebnisse von drei Regressionsanalysen mit unterschiedlichen Prä-diktoren für die AVn “Güte des Kausaldiagramms” (GdK4 und GdK5) und “Güte der Systemsteuerung” (GdS). In Klammern sind hinter den standardisierten Pfadkoeffizienten die zugehörigen t-Werte aufgeführt. Für alle Analysen gilt N=24.

abhängige Variable

Prädiktor GdK4 GdK5 GdS

EDa .00 -.19 (-.92) -

GdK4 - .95 (14.8)* .73 (4.94)*

df 22 22 22

F 0.85 219.1 24.47

adjust. R2 .00 .91* .50*

*p ”a ED = Eigendynamik