2 Bisherige Modelle und Befunde zum Umgang mit dynamischen
2.3 Dynamische Systeme in internationaler Forschung
2.3.4 Arbeiten anderer internationaler Arbeitsgruppen
In MACKINNON und WEARING's (1985) System BLACK BOX geht es um die Kon-trolle eines abstrakten Feedback-Systems erster Ordnung über 75 Takte. Das
Ver-halten des Systems wird durch eine komplizierte Formel beschrieben (vgl. MACKIN -NON & WEARING, 1985, p. 165), obwohl die Zahl der Variablen sehr klein ist: der Pb muß eine einzige endogene Variable auf einem Zielwert halten, indem er eine einzige exogene Variable manipuliert. Experimentell untersucht wurden von diesen Autoren (a) der Einfluß einer Begrenzungsfunktion (“boundary function”), der die Eingabe des Pb entweder verstärkt oder abschwächt, sowie (b) der Einfluß von Feed-back-Intensität, operationalisiert durch zwei Grade von zeitverzögerten Effekten: ent-weder ist das System nur vom letzten Input-Wert oder aber von den bis zu neun letz-ten Inputs abhängig, wobei im letzteren Fall größere Eingabewerte “sanftere” Effekte bewirken. Hinsichtlich ihrer AV “Abweichung vom Zielwert” fanden MACKINNON und WEARING bei 32 Pbn keinen Effekt des Verstärkungsfaktors, wohl aber hin-sichtlich des Grades an Zeitverzögerung: bei fehlender Zeitverzögerung kommt es an-fangs zu großen Zielabweichungen mit dann eintretenden Verbesserungen. Wenn zeit-liche Abhängigkeiten bestehen, ist die Leistung von Anfang an besser.
COMMAND SYSTEM
INFORMATION SYSTEM
COMMAND POST
REAL WORLD
Abb. 2.7: Allgemeine Situation der FEUER-Simulationvon BREHMER ( 1987, p. 117).
BREHMER (1987) interessiert sich für die mentalen Modelle, die Problemlöser beim direkten interaktiven Bearbeiten eines Systems entwickeln, das BREHMER als dynamisches Entscheidungsproblem (“dynamic decision problem”) bezeichnet. Dar-unter versteht er Probleme mit folgende Eigenschaften (vgl. BREHMER, 1989, p.
144): (a) eine Reihe voneinander abhängiger Entscheidungen ist zur Zielerreichung erforderlich, (b) die Umwelt verändert sich über die Zeit hinweg, und (c) die Entscheidungen verändern den Zustand dieser Umwelt und erzeugen dadurch neue Entscheidungssituationen. Ausgehend von einem generellen Programm zur Simu-lation dynamischer Entscheidungsprobleme namens DESSY (“dynamic environmen-tal simulation system”) hat BREHMER ein FEUER-Szenario konstruiert, bei dem ein Pb in die Rolle eines Einsatzleiters schlüpft, der aus einem Aufklärungsflugzeug heraus die Entwicklung eines Waldbrandes beobachtet und entsprechende Löschar-beiten dirigiert (vgl. Abb. 2.7).
Alle Informationen werden am Bildschirm angezeigt, insgesamt acht Löscheinhei-ten stehen zur Verfügung, um die Ausbreitung des Waldbrandes und ein Übergreifen
09:30 Command : Units : Destination:
FWA 7 2 E6
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 A
B C D E F G H I J K
L M
N O P
Weather: SUNNY Wind: 7 m/s Time: 4:00 +
+ + + + +
+ + + + + +
+ + +
+ 8 1 7
-4
2
+ + + + + + + +
+ +
+ + +
-3 - 5
6 ACT
PAS ACT PAS ACT PAS PAS ACT 1 2 3 4 5 6 7 8
D7 E5 M3 B4 M5 N4 D4 D6
D7 E5 M3 B4 M5 N4 D4 D6
8:45 7:30 7:15 7:45 8:30 9:15 6:30 9:00 State Pos Dest Time Unit
1 2 3 4 5 6 7 8
FWA FWA FWB FWA FWA FWB FWA FWB
D7 E6 M3 B4 M4 N4 E6 J7
8:15 9:30 7:15 6:45 8:30 4:30 9:30 9:00 Unit Command Dest Time
Abb. 2.8: Benutzeroberfläche der FEUER-Simulation: ein “+” steht für Feuer, “-” für gelöschte Brände, die Ziffern geben die Standorte der Feuerbekämpfungseinheiten an, das Rechteck zeigt die zu schützende Basis. Links: Angaben über Standorte, Aufträge und Zeiten der einzelnen Einheiten (aus BREHMER, 1987, p. 117).
auf eine Siedlung zu verhindern. Abb. 2.8 demonstriert die Benutzeroberfläche. Das Szenario ist übrigens im militärischen Kontext entstanden und stellt eine Analogie zum Truppeneinsatz dar.
Die Untersuchungen BREHMER'S (1987; vgl. auch BREHMER & ALLARD, 1991) zeigen, daß Komplexität – gemessen an der Anzahl und Leistungsfähigkeit der Lösch-einheiten – “had litte, or no effect on performance, so long as the total efficiency of the units as a whole is kept constant.” (p. 118). Dagegen zeigten Verzögerungen selbst minimalen Feedbacks katastrophale Folgen. Nach BREHMER schaffen es die Pbn nicht, ein brauchbares Vorhersage-Modell für dieses System zu entwickeln; statt-dessen basieren die Pbn-Reaktionen nur auf direktem Feedback. Folgende Kriterien nennt BREHMER (1989, p. 147f.) zur Beurteilung dynamischer Entscheidungspro-bleme in Echtzeit: (1) Komplexität (Effektivität von Operatoren; Art der Kausalstruk-tur; Anzahl der Elemente), (2) Feedback-Qualität (Menge und Art der Informationen über den Systemzustand), (3) Feedback-Verzögerung, (4) Möglichkeiten dezentraler Kontrolle, (5) Veränderungsrate des Systems, (6) Beziehung zwischen Eigenschaften des zu kontrollierenden Prozesses und denjenigen des Kontrollprozesses.
Den Erwerb von Prozeßkontrolle untersuchen MORAY, LOOTSTEEN und PAJAK (1986) am Beispiel eines Tanksystems, das aus vier Teilsystemen besteht. Jedes dieser Teilsysteme besteht aus einem Tank, Zufluß- und Abflußventilen sowie einem Heiz-stab. Temperatur und Füllstand jedes Tanks werden auf einem Bildschirm analog wie digital angezeigt. Aufgabe der Pbn ist es, in insgesamt 12 Durchgängen entweder einen oder alle Tanks jeweils so schnell wie möglich zu einem definierten Füllungs- und Temperaturzustand zu bringen. Jeder Durchgang endet mit dem Erreichen dieses Zielzustands.
MORAY, LOOTSTEEN und PAJAK (1986) machen deutlich, daß eine Datenanalyse auf der Basis aggregierter Daten angesichts der großen Verhaltens- und Leistungsvari-anz wenig sinnvoll erscheint. Aus den Verläufen der zentralen Systemvariablen schließen sie, daß ihre Pbn gute mentale Modelle entwickelt haben sollten.
“One aspect of the more complex skill is, therefore, the discovery of causal relati-ons and their use to develop control tactics.” (MORAY, LOOTSTEEN & PAJAK, 1986, p. 498).
Beginnend mit closed-loop-Kontrolle entwicklen gute Operateure zu späteren Phasen beinahe perfekte open-loop-Kontrolle. Beim Wechsel der Kontrolle eines Tanks zur Kontrolle von vier Tanks simultan verlangsamt sich das Lernen und Interferenz tritt auf. Trotz enormer Variation in den zielführenden Sequenzen entstehen Strategien un-ter Bezugnahme auf ein mentales Modell, “which represents the dynamics and cau-sality of the system and leads to more efficient control.” (p. 504).
Andere Ansätze zur Erklärung des Umgangs mit dynamischen Systemen basieren auf Fehleranalysen. RASMUSSEN (1987) zeigt, wie man typische menschliche Fehler in Bezug zu den drei von ihm postulierten Ebenen kognitiver Kontrolle setzen könnte.
Die drei Verhaltensebenen “skill-based”, “rule-based” und “knowledge based” gehen mit jeweils entsprechenden Informationstypen um: “signals”, “signs” und “symbols”.
Während Signale raum-zeitlich gebundene Informationen ohne darüberhinausgehende Bedeutung darstellen, beziehen sich Zeichen auf konventionelle Verhaltensweisen oder gründen auf Erfahrung; Symbole beziehen sich auf Konzepte, die an funktionale Eigenschaften der Objekte gebunden sind:
“While signs refer to percepts and rules for action, symbols refer to concepts tied to functional properties and can be used for reasoning and computation by means of a suitable representation of such properties. Signs have external reference to states of and actions upon the environment, but symbols are defined by and refer to the internal, conceptual representation which is the basis for reasoning and
Knowledge- based
Rule- based
Skill- based
Effects of linear thought in causal net:
- Causal conditions not considered
- Side effects not considered
Forget isolated item
Mistake among alternatives
Incorrect recall
Motor variability Topographic misorienta- tion
IDENTI- FICATION
DECI- SION OF TASK
PLAN- NING Goals
Symbols
RECOG- NITION
ASSOCIA- TION STATE /
TASK
STORED RULES
FOR TASKS Familiar
shortcut fixation
Stereotype Take over
(Signs)
Stereotype Fixation
FEATURE FORMATION
AUTOMATED SENSORI -
MOTOR PATTERNS
Sensory input Signals Actions Signs
Abb. 2.9: Typische Fehlermechanismen und ihr Verhältnis zu den drei po-stulierten Ebenen der Verhaltenskontrolle (aus RASMUSSEN, 1987, p. 54).
planning.” (RASMUSSEN, 1987, p. 55).
Abb. 2.9 zeigt die Verbindung der drei Verhaltensebenen zu typischen Fehlern, die bei der Interaktion mit dynamischen Umwelten auftreten können.
Unter Bezugnahme auf das Fehlermodell von NORMAN (1981), auf eigene voran-gegangene Arbeiten wie auch auf das eben beschriebene Drei-Stufen-Konzept von
Routine actions in
familiar environment Attentional checks upon progress
No
Goal state
Problem
Consider local state information
Is problem solved?
Is pattern familiar?
Apply stored rule:
If (situation) Then (action) Yes
No
Consider more abstract relations between structure &
function
Infer
diagnosis and formulate corrective action.
Apply action.
Subsequent attempts etc.
Skill-based (Slips)
Yes Yes
Knowledge-based (Mistakes)
OK? OK?
Rule-based (Mistakes)
Abb. 2.10: Das “generic error-modeling system” (GEMS) unter Einbezug der drei Verhaltensebenen (aus Reason, 1987, p. 66).
RASMUSSEN (1987) legt REASON (1987) ein allgemeines Rahmenmodell vor zur Beschreibung der prinzipiellen kognitiven Beschränkungen und Verzerrungen, die Ursachen für menschliche Fehler sein können. Sein “generic error-modeling system”
(GEMS) ist in Abb. 2.10 dargestellt.
Auf der Ebene der Routinetätigkeit können “skill-based errors” (slips) auftreten (Überwachungsfehler; gehen der Entdeckung eines Problems voran). In der Folge kann ein “rule-based error” (mistake) oder ein “knowledge-based error” (mistake) auftreten (beide: Problemlösefehler; folgen der Entdeckung eines Problems). Abb.
2.11 zeigt für fünf verschiedene Dimensionen Unterschiede zwischen den drei Feh-lerarten auf.