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Teil A: Stilisierte Fakten der Wechselkurspolitik im Transformationsprozeß

5. Die estnische Krone

5.1 Makroökonomische Rahmenbedingungen

Der dramatische Produktionsrückgang im Verlauf der estnischen Transformationskrise wurde von zwei zentralen externen Schocks verschärft: Zum einen sah sich der baltische Staat mit der Auflösung der Sowjetunion und demzufolge mit dem Einbruch des wich-tigsten Exportmarktes (rd. 90% der gesamten Exporte) in den Jahren 1990 und 1991 konfrontiert (Nachfrageschock). Zum anderen erfolgte im Jahr 1992 mit dem drastischen Anstieg der russischen Exportpreise für Erdöl und andere Rohstoffe zur Anpassung an das Weltmarktniveau ein Energiepreisschock (Angebotsschock).409 Insgesamt bewirkten die Rahmenbedingungen in Verbindung mit dem tiefgreifenden institutionellen Vakuum einen kumulierten Rückgang des BIP um rund 50% (bezogen auf das Niveau von 1990).

Nach einer vierjährigen starken Transformationsrezession kehrte die Volkswirtschaft erst 1995 auf einen positiven, nachhaltigen Wachstumspfad zurück (s. Abbildung B-4).

Dieser wurde nur durch die unmittelbaren Nachwirkungen der Rußlandkrise im August 1998 unterbrochen. Estland fungierte während des makroökonomischen Aufholprozes-ses - der vom Dienstleistungssektor angetrieben wurde - unter den baltischen Staaten als Wachstumsführer.

Nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaft und erfolgter Preisliberalisierung sah sich Estland 1992 mit einer Hyperinflation konfrontiert. Durch die Implementierung eines currency boards konnte in Verbindung mit einer restriktiven Geld- und Fiskalpolitik eine sukzessive Stabilisierung der Verbraucherpreise erreicht werden. 1999 verzeichnete die Wirtschaft nach moderaten Inflationsraten in den beiden Vorjahren mit 3,3% erstmals Steigerungsraten in der Größenordnung westeuropäischer Industrieländer. Eine frühere und dauerhafte Angleichung der Inflationsraten an diejenigen der Ankerwährung konnte vor allem angesichts der anhaltenden relativen Preisanpassung sowie der durch Inflati-onserwartungen gestützten Trägheit der Preise nicht erlangt werden.

408 Vgl. beispielsweise die Ausführungen von Knak/Ettl ( 1999), Clinton (2000) sowie Smidkova/Hrncir (2000) für eine ausführliche Bewertung dieser geldpolitischen Strategie in Tschechien.

409 Vgl. Knak (1997), S. 23f.

Abbildung B-4: Ausgewählte Fundamentaldaten im 'Zeitablauf der Transformation

(Verbraucherpreise, in % zum Vj.) 15 (in Mrd. USD, Quartalswerte)

0,00 -l"""'+e...\.,--.--,~ -~~~-A-~~

Mit einem importbedingten Leistungsbilanzdefizit, das durch umfangreiche Kredite aus dem Ausland finanziert wurde, zeigte sich auch in Estland ein für Transformationsöko-nornien typisches Charakteristikum. Vor allem in den letzten Jahren wurden umfangrei-che Technologiegüter aus dem Westen importiert, um den Modemisierungs- und Re-strukturierungsprozeß der Wirtschaft weiter voranzutreiben.

Tabelle B-10: Ausgewählte Indikatoren des estnischen Transformationsprozesses Estland 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000

Datenquelle: Standard & Poor's DRI; FERI.

Die Außenhandelsposition ist angesichts ihrer Größenordnung als Achillesferse der Wirtschaftsentwicklung anzusehen (s. Tabelle B-10). Für die nächsten Jahre vereinbarte die Regierung mit dem IWF einen Zielwert von 5,5% des BIP zur Stabilisierung des au-ßenwirtschaftlichen Defizits.

5.2 Abgabe der monetären Souveränität durch das currency board 5.2.1 Unabhängigkeit und Währungsreform

Aus monetärer Sicht wurde der erste wesentliche Schritt zur Unabhängigkeit Estlands von der damaligen Sowjetunion durch die Gründung einer eigenen Zentralbank zum Jah-resbeginn 1990 eingeleitet. Zunächst fielen der Zentralbank lediglich Geschäftsbanken-tätigkeiten zu, da sie eine Filiale der sowjetischen 'Gosbank' bildete.410 Nach der Auflö-sung der Sowjetunion erfolgte im August 1991 schließlich die Unabhängigkeitserklä-rung der baltischen Staaten, wobei der Rubel zunächst als inländische WähUnabhängigkeitserklä-rung beibe-halten wurde. Die wiedererlangte Selbständigkeit Estlands wurde von einem Zusam-menbruch der alten zentralistischen Wirtschaftsstrukturen begleitet. Der Strukturbruch war mit tiefgreifenden gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten in realer und monetä-rer Hinsicht verbunden:411 Neben einer Überschußnachfrage nach ausländischen Devi-sen und Gütern sowie der Hyperinflation stellten sich die außenwirtschaftlichen Impli-kationen des Zusammenbruchs der Sowjetunion (und der CMEA) als wesentliches Pro-blem für die Wirtschaft dar. Dieser schwerwiegende externe Schock bedeutete nicht nur den Zusammenbruch der Wirtschaftsbeziehungen nach Osten, sondern vielmehr einen realen Produktionseinbruch von rund 50%.412 Die anfänglich hohen Preissteigerungsra-ten waren jedoch nicht die Folge einer expansiven Geld- oder Fiskalpolitik, sondern vielmehr Ergebnis der Liberalisierung fester Preise, der Abwertung des russischen Ru-bels sowie der Handelsschocks im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der So-wjetunion.

Zudem war der Zeitraum nach der Unabhängigkeitserklärung durch eine tiefgreifende Bargeldknappheit im Wirtschaftskreislauf gekennzeichnet. Diese entstand, da Rußland zunächst noch das Monopol für die Bargeldemittierung besaß, und die estnischen Be-hörden lediglich Buch- und Kreditgeld ausgeben konnten. Während die Geldmenge M2 im ersten Halbjahr 1992 um fast 40% sowie die Preise um 450% anstiegen, verzeichnete die Bargeldmenge nur eine Steigerung von 12%.413 Mit Wirkung zum 20. Juni 1992 ent-schloß sich Estland als erster Nachfolgestaat der ehemaligen Sowjetunion den Rubel im Rahmen einer breiten Währungsreform durch eine eigene Währung, der Krone, zu erset-zen.414 Gleichzeitig erfolgte die Vereinheitlichung der parallelen Wechselkurse.

410 Vgl. Buch et al. (1995), S. 74.

411 Vgl. Karp/Siebke (1999), S. 2.

412 Rund zwei Drittel der estnischen Produktion wurden nach Angaben sowjetischer Statistiken expor-tiert. Davon nahm die Sowjetunion rund 95% ab. Vgl. Viksnins (2000), S. 214; Krzak (1997), S. 23f.

413 Vgl. Buch et al. (1995), S. 74.

414 Die Grundzüge der umfangreichen Währungsreform mit dem Stichtag 20. Juni 1992 waren wie folgt (vgl. Schrader/Laaser (1994), Karp/Siebke (1999)): Jeder estnische Einwohner konnte einmalig 1500 Rubel zu einem Kurs von 10: 1 zwischen Rubel und Kronen umtauschen. Zu einem Kurs von 50: 1 wur-den private Bargeldbestände von über 1500 Rubel sowie die Bestände von ausländischen

Wirtschafts-5.2.2 Monetäre Stabilisierung durch ein currency board

Das Kernstück der monetären Neuausrichtung im Juni 1992 bildete die Implementierung eines modifizierten currency board als Währungssystem der Republik Estland. Die bei-den zentralen Ziele der Wechselkurspolitik zu dieser Zeit bestanbei-den in der Herstellung von Glaubwürdigkeit und Stabilität. Die gesetzliche Basis für das Wechselkurssystem bildeten zwei Säulen:415 Zum einen legte das 'Law of the Central Bank of Republic of Estonia' die Grundlagen für die Funktionsfähigkeit der Zentralbank fest. Dabei wurde der Notenbank im Grundsatz die gleiche Unabhängigkeit und Rechte für die geldpoliti-sche Umsetzung der Währungsstrategie zugebilligt wie anderen westlichen Zentralban-ken. Zum anderen legte das 'Law of the Republic of Estonia on the Security for Estonian Kroon' strikte Vorgaben für die Zentralbank fest, die den geldpolitischen Spielraum in-nerhalb des currency boards deutlich einschränken sollten. Durch das Währungsamt sollte neben einem schnellen internationalen Reputationsaufbau für die neue Landes-währung sowie einer anhaltenden Disziplinierung der Fiskalpolitik eine nationale Stabi-litätskultur geschaffen werden.416

Die drei Eckpfeiler der neuen Währungsstrategie waren wie folgt:

Ankerwährung: Feste Wechselkursanbindung der Krone an die D-Mark bei einer Pa-rität von 8 EEK/DEM. Gleichzeitige Freigabe des Wechselkurses gegenüber anderen Währungen

Regelgebundene Geldpolitik: Schöpfung und Vernichtung von Zentralbankgeld aus-schließlich im Tausch gegen D-Mark

Liberalisierung: Unbeschränkte Konvertibilität der Krone für Leistungsbilanztrans-aktionen

Obgleich Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht der Haupthandelspartner Estlands war, wurde die D-Mark angesichts ihrer Bedeutung als internationale Leitwährung sowie der Stabilitätskultur innerhalb der deutschen Wirtschaft gewählt.417 Mit der festen, institu-tionell abgesicherten Wechselkursanbindung an eine stabile Währung konnte ein Hauptziel der Reformpolitik - Stabilisierung der Inflationsraten - entscheidend erleich-tert werden: Indem die strikten Regeln des Währungsamtes den diskretionären Spiel-raum der Geldpolitik wesentlich beschnitten und gleichzeitig vor politischem Druck schützten, wurde der Währungsbehörde ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit verliehen.

Die inländische Preissteigerungsrate wurde künftig weitgehend exogen bestimmt (wobei die Inflationsraten nur allmählich zurückgeführt werden konnten). Die Wechselkurs-schwankungen gegenüber anderen Währungen verliefen etwa parallel zu denjenigen der D-Mark.

subjekten umgetauscht. Sämtliche Preise, Löhne und Gehälter sowie Bargeldbestände von Banken und Unternehmen wurden ohne Obergrenze zu einem Kurs von 10: 1 umgetauscht. Die Bankkonten privater Haushalte wurden auch zum Kurs von 10: 1 unbegrenzt umgestellt. Insgesamt wurden innerhalb der Währungsreform rd. 32 Mrd. Rubel in EEK umgetauscht. Indem die Erstausgabe der EEK einem Volu-men von rd. 677,7 Mio. EEK entsprach, betrug die Erstausstattung von Kronen pro Kopf rd. 150 EEK.

415 Vgl. National Bank ofEstonia (1996), S. 54f.

416 Vgl. Fuhrmann (1999), S. 5; Pautola/Backe (1998), S. 78f.

417 Es wurden auch die schwedische Krone und die finnische Markka als Ankerwährungen diskutiert.

Im Gegensatz zum idealtypischen Währungsamt übernimmt die estnische Zentralbank die Koordination der Geldpolitik und die Versorgung des Bankensektors mit Liquidität.

Das currency board wurde in die Zentralbank integriert, die wiederum mit der Emissi-onsabteilung und der Bankenabteilung aus zwei selbständigen Elementen bestand.

Das modifizierte Währungsamt weist im Gegensatz zu einem reinen, orthodoxen418 cur-rency board auch heute noch die folgenden Merkmale auf (s. auch Abbildung B-11):419 Einlagen: Der Deckungspflicht durch die Währungsreserven unterliegt nicht nur zu 100% die Bargeldmenge, sondern auch die Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zen-tralbank.

Abhängigkeit von der Regierung: Trotz der per Gesetz verankerten, weitgehenden Un-abhängigkeit der Zentralbank verfügt die Regierung de jure über die Entscheidungsge-walt in wechselkurspolitischen Fragen. Eine Paritätsanpassung (Abwertung) des festen Wechselkurses gegenüber der D-Mark kann ausschließlich vom Parlament durchgesetzt werden.420 Darüber hinaus ist eine Kreditvergabe der Zentralbank an die Regierung per Gesetz untersagt.

Mindestreservepolitik: Das begrenzte geldpolitische Instrumentarium sieht eine gesetzli-che Verpflichtung der Geschäftsbanken vor, eine zinslose Mindestreserve bei der Zen-tralbank zu halten. Der relevante Mindestreservesatz für Sicht-, Termin- und Spareinla-gen sowie FremdwährungseinlaSpareinla-gen beträgt einheitlich 10%. Diese Auflage stellt weni-ger ein wirkungsvolles Instrument der Geld- und Kreditpolitik im Sinne von währungs-und konjunkturpolitischen Maßnahmen dar, sondern dient vielmehr der Liquiditätsstär-kung des Geschäftsbankensektors.

Kredite an Geschäftsbanken: Die Zentralbank übernimmt eine begrenzte lender-of-last-resort-Funktion, indem die Gewährung von Liquiditätskrediten an Geschäftsbanken durch die Zentralbank unter zwei Bedingungen möglich ist. Zum einen muß eine Über-schußreserveposition (Überdeckung der monetären Basis) vorliegen.421 Zum anderen muß angesichts der Liquiditätsprobleme eine Gefahr für das Bankensystem bestehen.

Einlagezertifikate: Die Zentralbank gibt seit Juni 1993 an die Geschäftsbanken soge-nannte 'certificates of deposit' mit einem Nennwert von 100 Tausend EEK sowie einer Laufzeit von 28 Ta-gen aus. Nach dem Willen der Währungshüter soll damit die Entste-hung eines Interbanken-Markts unterstützt werden, indem die Überschußreserven der Banken handelbar gemacht würden. Diese Maßnahme erschien vor allem angesichts ei-ner mangelnden Glaubwürdigkeit der Geschäftsbanken untereinander als angebracht. Zu Reformbeginn hatte dieses Vertrauensdefizit etwa dazu geführt, daß die Banken über eine überschüssige, zinslose Reservehaltung verfügten.

418 Das reine, orthodoxe currency board gilt in der Diskussion als Referenzmodell. Zu currency boards vgl. Williamson ( 1995); Balino/Enoch ( 1997); Ghosh/Gulde/W olf ( 1998); Pautola/Backe ( 1998).

419 Vgl. u.a. Buch et al. (1995), S. 77ff.; Date (1997), S. 30ff.

420 Demgegenüber kann entsprechend des 'Law on the Security of the Estonian Kroon' eine nominale Aufwertung auch von der Zentralbank beschlossen werden. Vgl. Pautola/Backe ( 1998), S. 78f.

• 21 Für entsprechende Mittel darf die Zentralbank nur auf diejenige Überschußreserve zurückgreifen, die nicht zur Deckung der Geldbasis dient. Vgl. Buch et al. (1995), S. 7; Cavalcanti/Oks (1998), S. lf.

Geldpolitik: Die Instrumente der Mindestreservepolitik, der eingeschränkten Kreditver-gabe an Geschäftsbanken und der Einlagezertifikate werden gemäß des Zentralbankge-setzes um weitere Steuerungsmechanismen ergänzt: Im Grundsatz stehen der Notenbank beim Vorliegen einer Überschußreserve zusätzlich die Instrumente der Offenmarktpoli-tik, eine aktive Refinanzierungspolitik sowie uneingeschränkt die Festlegung von Kre-ditobergrenzen für die Geschäftsbanken zur Verfügung.422 Die Zentralbank verfolgt je-doch keine diskretionären, geldpolitischen Maßnahmen und verzichtet weitgehend auf einen Einsatz des genannten Instrumentenkataloges. Im Vordergrund stehen die vorge-gebenen Richtlinien des currency boards, die den geldpolitischen Spielraum bewußt ein-schränken. Die Währungsstrategie bewertet die Zentralbank wie folgt:423

On the everyday level of implementing monetary policy the currency board framework means that in regulating the liquidity of the money market the main emphasis is on the movement of capital between domestic and foreign markets initiated by the market agents and the resulting Joreign exchange purchase and sale transactions between commercial banks and the central bank. The aim is to guarantee the conformity of the implementation of monetary policy with the ex-isting rules and thereby increase the credibility of the national currency.

Das inländische Geldangebot wird wie in anderen festen Wechselkursregimen endogen durch den Zufluß ausländischen Kapitals bestimmt. Eine Schöpfung bzw. Vernichtung von Zentralbankgeld ist nur durch den direkten Tausch gegen die Ankerwährung zuläs-sig. Sowohl die Bargeldmenge als auch die Einlagen der Geschäftsbanken sind vollstän-dig durch Devisenreserven gedeckt. Durch die Orientierung an diese strikten Regeln des Währungsamtes soll Vertrauen geschafft, die Inflation bekämpft sowie eine Senkung des Zinsniveaus herbeigeführt werden.

Tabelle B-11: Idealtypisches und estnisches currency board im Vergleich Merkmal

• Einlagen der GB bei :zentral-bank Ja (durch das Parlament) Ja

100%

Die Krone stellte sich seit der Anbindung an die D-Mark 1992 als stabilisierender Faktor für die wirtschaftliche Transformation heraus. Das currency board bildete aus monetärer Hinsicht das Kernelement zur makroökonomischen Konsolidierung und Zurückführung der Hyperinflation auf moderate Preissteigerungsraten. Aus dem Blickwinkel der Wech-selkurspolitik sind die folgenden fünf Entwicklungen während des Transformationspro-zesses hervorzuheben:

Unterbewertung der Krone: Im Zuge der Währungsreform und der Einführung einer eigenen Währung erfolgte eine Eingangsabwertung, die bewußt sehr hoch ausfiel. Die Behörden orientierten sich an dem existierenden Schwarzmarktkurs zwischen Rubel und D-Mark.424 Mit Hilfe der realen Unterbewertungsstrategie sollte ein ausreichender, künstlicher Wettbewerbsvorteil für die heimische Industrie geschaffen und die Funkti-onsfähigkeit des rigiden Wechselkurssystems gestützt werden. Der wechselkurspoliti-sche trade-off wurde gelöst, indem sich Estland - nach einer auf außenwirtschaftliche Gesichtspunkte ausgerichteten Währungsstrategie zu Transformationsbeginn - durch das currency board nachdrücklich für eine zielorientierte Disinflationsstrategie entschied.

Bankenkrise: Ein wesentliches Charakteristikum von Währungsämtern ist, daß der in-ländische Bankensektor eine große Anpassungslast beim Auftreten externer Schocks trägt. Indem die Zentralbank im Krisenfall nicht ihre Funktion als 'lender of last resort' erfüllen kann, sind die Refinanzierungsmöglichkeiten für die Geschäftsbanken durch die Notenbank begrenzt. Dies wird im Falle Estlands zusätzlich verstärkt, da der Banken-sektor sehr stark von der Kreditaufnahme auf den internationalen Kapitalmärkten ab-hängig ist: So waren beispielsweise in der zweiten Hälfte der 90er Jahre ein Drittel der gesamten Verbindlichkeiten des Bankensektors ausländischer Natur. Bereits im Novem-ber 1992 kam es zu einer tiefgreifenden Bankenkrise, in deren Verlauf es zur Schließung von drei Großbanken kam, da deren Bilanzpositionen nicht durch Stützungskredite ver-bessert werden konnten.425 Im Zuge der kriseninduzierten Bankenreform erfolgte eine erste Konsolidierungswelle innerhalb des Bankensektors, indem sich die Gesamtzahl im Februar 1993 von rund 40 auf 22 reduzierte. Eine zweite Konsolidierungswelle wurde durch die Turbulenzen an den internationalen Finanz- und Kapitalmärkten in der Phase 1997 bis 1999 angestoßen.426 In diesem Zeitraum halbierte sich die Gesamtzahl auf 6 Banken bis zum Jahresende 1999, wobei der Bankensektor mittlerweile durch schwedi-sche Kreditinstitute dominiert wird. Die Rolle des currency boards ist von zwei Seiten zu beleuchten:

Einerseits beinhaltete das Währungsamt einen strikten Zwang für die Reaktion der Zen-tralbank und den Regierungsbehörden, so daß eine Vielzahl der Banken für insolvent erklärt werden mußten. Andererseits trug das Wechselkurssystem - durch dessen diszi-plinierende Wirkung auf die Fiskalpolitik angesichts der induzierten harten Budgetbe-schränkung - ganz wesentlich zur Restrukturierung des ineffizienten Bankensystems bei.427 Der ausgabenpolitische Spielraum der Regierung wurde aufgrund des bestehen-den Währungsamtes begrenzt und die Versuchung reduziert, eine expansivere und

liqui-424Vgl. Karp/Siebke (1999), S. 11.

425 Insgesamt betrug die Bilanzposition dieser drei Großbanken rund 30% der gesamten Geldmenge.

426 Vgl. Buch et al. (1995), S. 7f.; Pautola/Backe (1998), S. 80f; Lepik (2000).

427 Vgl. Lopez-Claros/Garibaldi (1998), S. 15f.; Krzak (1997), S. 35ff.

ditätsfördernde Fiskalpolitik zu verfolgen.428 Insofern konnte das currency board auch in dieser Hinsicht einen stabilitätspolitischen Erfolg verzeichnen.

Tabelle B-12: Die estnische Wechselkurspolitik im 'Zeitverlauf

Datum Änderune: Wechselkurssystem

01.01.1990 Gründung einer estnischen Zentralbank von dem Obersten Estland Bestandteil der Sowjet der estnischen Sowjetrepublik. Die Zentralbank blieb Rubelzone

zunächst eine Filiale der sowjet. Gosbank.

01.08.1991 Unabhän11i11keit Estlands s.o.

20.06.1992 Währungsreform: Verlassen der Rubelzone und Einführung s.o.

einer eigenen estnischen Währung, der Krone (EEK). Verein-heitlichun~ der parallelen Wechselkurse.

06/1992 Implementierung eines currency boards: Die EEK wurde zu currency board gegen-einem Kurs von 8 EEK/DEM an die DEM gebunden; Freiga- überDEM

be der Wechselkurse 11e11enüber anderen Ländern.

05/1994 Aufhebung der letzten Kapitalverkehrsbeschränkungen; Voile s.o.

Konvertibilität der Leistun~s- und Kapitalbilanz.

01.01.1999 Erweiterung der Ankerwährung: Die Eesti Pank behandelt den currency board gegen-EUR und die DEM gleich, die Umrechnung entspricht der über dem EUR fixierten DEM/EUR Parität: 15,64664 EEK/EUR.

Kapitalzuflüsse: Wie die anderen Baltischen Staaten auch, wies Estland ab 1994 das Problem eines hohen und steigenden Leistungsbilanzdefizits sowie starker Kapitalim-porte in Verbindung mit einem festen Wechselkursregime auf. Nach der Aufhebung der letzten Beschränkungen im Mai 1994 war die Krone vollständig für Transaktionen der Leistungs- und Kapitalbilanz konvertibel. Während in den ersten Transformationsjahren die Direktinvestitionen als wesentliche Determinante der dynamischen Kapitalimporte auftraten, hatte sich seit Ende 1995 die Struktur des Kapitalverkehrs grundlegend geän-dert: Mit einem Anteil von über 50% am Gesamtüberschuß der Kapitalverkehrsbilanz überwog nun die Abhängigkeit von kurzfristigen Portfolioinvestitionen sowie Verschul-dung.429 Dies implizierte die Gefahr einer Finanz- und Bankenkrise. Falls die ausländi-schen Investoren das spekulative Kapital plötzlich abziehen und ein tiefgreifender Li-quiditätsentzug entsteht, steigen die Marktzinsen im Bankensektor rasch an und unter-graben die Stabilität des Banken- und Wechselkurssystems. Der Erfolg einer gezielten Spekulationswelle gegen die Krone, wie etwa im November 1997, und damit die Ge-fährdung des bestehenden Wechselkurssystems, ist trotz der außenwirtschaftlichen Un-gleichgewichte als gering anzusehen:430 Der Devisenmarkt ist vergleichsweise klein und bei einer spekulativen Attacke stehen der Zentralbank finanzielle Mittel aus dem Reser-vestabilisierungsfond zur Verfügung. Gleichzeitig ist den Akteuren auf den internatio-nalen Devisenmärkten bewußt, daß die mit einer Aufgabe des currency boards verbun-denen Exit-Kosten sehr hoch sind. Zum einen bestünde die Gefahr, daß angesichts des

428 Dennoch ist in emerging rnarkets eine gewisse 'lender of last resort' Funktion der Währungshüter zu befürworten, um auf diese Weise Problemen des heimischen Finanzsektors zu einem frühen Zeitpunkt zu begegnen und etwaige Ansteckungseffekte zu verhindern. Vgl. Lopez-Claros/Garibaldi (1998), S. 15.

429 Vgl. Karp/Siebke (1999), S. 14f.

430 Vgl. Deutsche Bank Research (2000b), S. 6.

hohen ausländischen Kreditvolumens im Bankensystem eine Bankenkrise droht. Zum anderen beruht neben dem politischen Glaubwürdigkeitsverlust das zentrale Risiko auf einem drastischen Overshooting im Falle einer Flexibilisierung des Wechselkurssystems.

5.3 Bewertung der estnischen Wechselkurspolitik

Das langjährige currency board bildete den entscheidenden Stabilitätsfaktor während des Transformationsprozesses. Indem eine klare und transparente Währungsstrategie vorge-geben und gleichzeitig die monetäre Unabhängigkeit von der Regierung garantiert wur-de, trug das 1992 implementierte Währungsamt ganz entscheidend zur Anpassung der Inflationserwartungen bei und unterstützte die Lohn- und Preisdisziplin. Innerhalb dieses währungspolitischen Umfeldes wurde trotz der ungünstigen Ausgangsbedingungen die makroökonomische Konsolidierung entscheidend unterstützt.

Wie in anderen vergleichbaren Fällen hat sich auch in Estland gezeigt, daß das currency board seit 1992 vor allem in drei Punkten erfolgreich war: in der Reduktion der Inflati-onsraten, der Senkung des Zinsniveaus sowie der Unterstützung der Haushaltsdisziplin.

Inflationsentwicklung: Das Reformprogramm wurde im gesamten Transformationspro-zeß von einer sinkenden Inflationsrate begleitet. In den ersten drei Jahren verhinderte die graduelle Freigabe der zuvor administrativ festgelegten Preise sowie die Angleichung der Preise handelbarer Güter an das Weltmarktniveau eine schnellere Reduktion der Preissteigerungsraten. Eine Absenkung auf einstellige Inflationsraten gelang trotz des Glaubwürdigkeitsimports erst 1998, da vor allem die anhaltend starke Inlandsnachfrage sowie hohe Kapitalzuflüsse preissteigernd wirkten.

Zinsentwicklung: Abgesehen von niedrigen Realzinsen deutet die Umschichtung von in Fremdwährung denominierten Bankeinlagen hin zu in Kronen denominierten Titeln auf eine breite Glaubwürdigkeit der währungspolitischen Strategie hin. Die Interbank-Zinssätze wichen in den ersten Jahren durchschnittlich weniger als 50 Basispunkte von den Interbank-Sätzen in Deutschland ab. Das sinkende Zinsniveau bewirkte eine anstei-gende Kreditvergabe, die wiederum zu einem nachfrageinduzierten Inflationsimpuls führte.431

Haushaltsdisziplin: Die zentrale Determinante des erfolgreichen Stabilisierungsprozes-ses der Ökonomie ist in der Unabhängigkeit des geld- und währungspolitischen

Haushaltsdisziplin: Die zentrale Determinante des erfolgreichen Stabilisierungsprozes-ses der Ökonomie ist in der Unabhängigkeit des geld- und währungspolitischen