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4 Erklärvideos – die geschichtsdidaktische Perspektive

Im Dokument Geschichte auf YouTube (Seite 21-24)

Auch für den Bereich der Geschichtsvermittlung lassen sich Erklärformate auf YouTube identifizieren, die von den zumeist jugendlichen Nutzerinnen und Nut-zer als Bildungsangebote ergänzend zum schulischen Unterricht nachgefragt werden. Als ersten Treffer zu der Suchanfrage„Erklärvideo Französische Revo-lution“ ist den Autoren dieses Beitrages das Erklärvideo„Die französische Re-volution–Die Anfänge!“des YouTube-Kanals„Geschichte–simpleclub“ ange-zeigt worden.⁴² Das Video wurde am 15. September 2016 veröffentlicht, ist bis zum 30. November 2018 mehr als 500.000 aufgerufen worden und hat im selben Zeitraum 8.058 positive und 136 negative Bewertungen erhalten. In der Kom-mentarspalte haben Zuschauerinnen und Zuschauer Bemerkungen hinterlassen,

 Vgl. den Beitrag von Anja Neubert in diesem Band.

 Wolf, Bildungsfernsehen (wie Anm. 31), S. 38.

 Wolf, Bildungsfernsehen (wie Anm. 31), S. 38.

 Geschichtesimpleclub, https://www.youtube.com/watch?v=B1 J24_81uIc (30.11. 2018).

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die vor allem positiv ausfallen:„Um sowas einfaches zu erklären verschwenden manche Lehrer mehrere Schulstunden…“[Alien];„Ich finde das richtigggg gut, dass ich auch genau die Sachen in eure Videos packt, die man auch im Unterricht immer anspricht“ [Pokeballqueen];„Unser Geschichtslehrer war ein ‚fran. Re-volutions-Fan“…Das heißt, dass wir ein Jahr lang nur dieses Thema behandelt haben ._. Cool, dass ihr den Inhalt in knapp 6 min. erklären konntet. […]“[Joker];

„Lernen mit Euch macht soooo viel Spaß.“[Downchill].

Einige Hinweise auf die Nutzung des Videos lassen sich ebenfalls aus den Kommentaren ableiten, so wurde es sowohl zur häuslichen Prüfungsvorbereitung („Danke. Danke. Schreib morgen eine Arbeit drüber“[Unbekannt xD]) oder in unterrichtlichen Kontexten („Wie wir das heute einfach in Geschichte geguckt haben…“[Stefan Eisen]) genutzt. Inhaltlich entspricht es vor allem dem Merkmal des informellen Kommunikationsstils und bedient dabei genretypischer Formu-lierungen, die auf die Komplexität des Themas verweisen („Das ist eine etwas komplizierte Sache…“[Tonspur ab 0:08]), den Zuschauerinnen und Zuschauern aber zeitgleich eine gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema auf Au-genhöhe („… richtig spannendes Thema. Deswegen erklären wir auch in dieser Videoreihe, um was es eigentlich dabei geht.“[Tonspur ab 0:10]) ankündigen und damit„eine nicht-bedrohliche, fehlertolerante, positive Lernatmosphäre“ schaf-fen.⁴³

Aus geschichtsdidaktischer Perspektive können die Erfolgsfaktoren der Er-klärvideos zu geschichtlichen Inhalten aber nicht ohne weiteres auch als solche für einen gelungenen Lehrervortrag gelten. Während von den zumeist jugendli-chen Zuschauerinnen und Zuschauern die Stärken der Videos–Verständlichkeit, Eingängigkeit, Anschaulichkeit o. ä. – vor allem in Abgrenzung zu von ihnen wahrgenommenen (vermeintlichen?) Schwächen des Geschichtsunterrichts be-tont werden, bewerten geschichtsdidaktische Analysen die in ausgewählten Vi-deos vermittelten historischen Erzählungen und Urteile bislang im Gegenzug als

„faktisch, vereinfachend und mitunter sogar plump“.⁴⁴Die Gestaltung der Bei-träge auf Videoplattformen wie YouTube ist immer einer Aufmerksamkeitsöko-nomie verpflichtet. Die konsequente Umsetzung geschichtsdidaktischer Prinzi-pien zur Unterrichtsgestaltung wie ein problemorientierter Zugriff auf den Inhalt über die Formulierung historischer Fragen, die Einbindung von Lebenswelt- und Gegenwartsbezügen, eine klare Strukturierung bei der Erklärung der historischen Sachverhalte sowie die durch die Plattform gegebene Möglichkeit zum Austausch gelten bei Produzenten und Konsumenten letztlich als Gegenstück zu einem

 Wolf, Bildungspotenziale (wie Anm. 33), S. 32 f.

 John, Wissen2go (wie Anm. 19).

14 Christian Bunnenberg und Nils Steffen

schulischen Geschichtsunterricht, in dem „sachliche Präzision und mediale Präsentation oft durch Weitschweifigkeit und Redundanz ersetzt werden“.⁴⁵Ein empirischer Nachweis über die Wirkung von Erklärvideos bei YouTube wurde allerdings für den Geschichtsunterricht noch nicht erbracht. So besteht Klä-rungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob und wie Gemeinsamkeiten und Unter-schiede von Erklärvideos und Geschichtsunterricht zu beschreiben sind. Handelt es sich bei den Videos tatsächlich um ein wirksames Format zur Vermittlung historischer Sachverhalte? Oder entsteht dieser von den Betrachterinnen und Betrachtern kolportierte Eindruck, weil die Machart der Videos gängige Vorstel-lungen von und Erwartungen an die Vermittlung von Geschichte bedienen?

Ausgangspunkt für eine geschichtsdidaktische Untersuchung von Erklärvi-deos bei YouTube kann eine Fokussierung der Denkoperationen„Verstehen“und

„Erklären“sein, die in der Geschichtswissenschaft seit dem späten 19. Jahrhun-dert zunächst als Gegensätze aufgefasst, in der modernen Geschichtswissenschaft als Zusammenspiel von„hermeneutische[m] Verstehen und kausale[m] Erklären“ aber wieder aufgegriffen wurde.⁴⁶Hans-Jürgen Pandel verweist auf die Trivialität des Begriffes„Erklären“in pädagogisch-didaktischen Zusammenhängen, in de-nen sich die geschichtstheoretischen und historiografischen Implikatiode-nen nicht abbilden lassen.⁴⁷Er kennzeichnet das„narrative Erklären“als den„spezifischen Typ der Erklärung in der Geschichtswissenschaft“ und grenzt es damit vom

„kausalen Erklären“anhand von Ursache-Wirkungs-Ketten, dem„nomologischen Erklären“unter Anwendung von Gesetzmäßigkeiten sowie dem„probabilitischen Erklären“beruhend auf statistischen Wahrscheinlichkeitsgesetzen ab.⁴⁸Obwohl alle genannten Formen im Geschichtsunterricht genutzt werden, könne nur durch das„narrative Erklären“historische Ereignisse und Phänomen in beschreibenden Sinnzusammenhänge gebracht werden,„die erzählenden Aussagen sind gleich-zeitig die erklärenden“.⁴⁹Im Kontext internationaler Forschung wurden Erklären und Erklärungen im Geschichtsunterrichts ebenfalls unter ähnlichen Gesichts-punkten diskutiert, die Ermittlung und Beschreibung von Gütekriterien für eine als qualitätiv hochwertig empfundene und gleichermaßen wirkmächtige

Erklä- Ebd. Anke John verweist auf die Studie zugutemGeschichtsunterricht von Johannes Meyer-Hamme, Holger Thünemann u. Meik Zülsdorf-Kersting: Was heißt guter Geschichtsunterricht?

Perspektiven im Vergleich. Schwalbach/Ts. 2012.

 Pandel, Hans-Jürgen: Geschichtstheorie. Eine Historik für Schülerinnen und Schüler und Schüleraber auch für ihre Lehrer. Schwalbach/Ts. 2017. Hier: S.116.

 Pandel, Hans-Jürgen: Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis. Schwalbach/Ts. 2013.

Hier: S.408.

 Pandel, Geschichtsdidaktik (wie Anm. 47), S. 408.

 Pandel, Geschichtsdidaktik (wie Anm. 47), S. 410.

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rung aus der Perspektive des Erklärenden wie des Rezipienten stellt aber weiter-hin ein geschichtsdidaktische Desiderat dar.⁵⁰ Die im Zusammenhang mit Er-klärvideos auf YouTube zu stellende Frage, welche Ausprägungen des Erklärens und Darstellens von historischen Zusammenhängen zum Zuge kommen und welche Auswirkungen und welchen Anteil diese letztlich auf eine nachhaltige Verstehensleistung bei den Nutzerinnen und Nutzer haben, kann in diesem Band daher nicht beantwortet werden. Es lassen sich in den einzelnen Beiträgen aber Hinweise darauf finden, unter welchen Rahmenbedingungen es für YouTuber und die Nutzerinnen und Nutzer der Plattform zu einer gelungenen Erklär- und Ver-stehenssituation durch Erklärvideos kommen kann.

Im Dokument Geschichte auf YouTube (Seite 21-24)