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2. Fortsetzung Schulanfang in der Herzog-Albrecht-Schule

Am 20. April 1938 ging ich mit gemischten Gefühlen zu meiner neuen Schule. Auf dem Schulhof trafen sich alle Anfänger des neuen Schuljahres. Wir wurden nach Klassen aufgerufen, ich gehörte zur Klasse 6a, unser Klassenlehrer wurde Herr Keßler, er wohnte in der Lindenstraße 5. In unserer Klasse gab es drei Bankreihen zu je fünf Bänken. Die Sitzordnung wurde nach alphabetischer Reihenfolge vorge-nommen. Mein Name fing mit A an, mein Sitzplatz war die erste Bank in der mitt-leren Reihe. Neben mir saß Hans Adomeit, er war immer unser Klassenbester.

An die Namen verschiedener Klassenkameraden kann ich mich noch erinnern, so an: Horst Bendix, Horst Brenneisen, Hans Schankies, Kurt Ruddigkeit, Hans Schneidereit, sowie der Schüler Abraham .. Dieser Schüler wohnte in der Schul-straße/Ecke Wasserstraße; wir beiden gingen immer den Schulweg zusammen. Er war gut und hilfsbereit, manchmal trafen wir uns auch zum Spielen.

An einem Morgen kam er nicht mehr zur Schule. Durch unseren Klassenlehrer haben wir dann erfahren, daß Abraham Jude war und die Juden fortmüssen. Was aus ihm geworden ist, wußte keiner. Wir haben dann nach der Schule gesehen, daß verschiedene Geschäfte zerstört waren, weil ihre Besitzer Juden waren. Auch war die Synagoge in der Wasserstraße ausgebrannt. Dies war also die Reichskri-stallnacht, der Beginn der Judenverfolgung.

Wir bekamen nun am ersten Unterrichtstag unseren Stundenplan, was wir alles für Fächer erhielten, war gegenüber der Volksschule ein vielfaches. Wir hatten als Fremdsprache Englisch, Französisch war für uns Wahlfach. Uns wurden auch alle Lehrer genannt, die bei uns Unterricht haben. Unser Klassenlehrer Herr Keßler gab Englisch; Herr Baumgart Mathematik und Zeichnen, Herr Seidler Chemie und Biologie; Herr Liehr Geschichte und Erdkunde, Herr Wieczoreck gab Deutsch, dann waren noch die Lehrer Liedtke, Döring, Dill, Sawatzki, Spangenberg, Dr.

Dieckhoff.

Unser Direktor war Herr Saffran, später Herr Liedtke.

Als ich dies alles zur Kenntnis bekam, war mein Gedanke, du kommst nicht ohne Sitzenbleiben durch diese Schule. Es verging die Zeit, jedes halbe Jahr gab es Zeugnisse. Mit Fleiß und Eifer und manchmal mit Hilfe von besseren Schülern wurde jedes Schuljahr geschafft. Mit Beginn des 2. Weltkrieges im September 1939 hat sich auch in unserer Schule viel verändert, wie sich auch im Leben vieles änderte. Zeugnis verlassen konnte, begann für mich ein neuer Lebensabschnitt.

Ich begann am 1. April 1944 mein Landjahr bei Bauer Franz Pfau in Powilken bei Pogegen im Memelland.

(Den Bericht „Das Landjahr in Powilken" finden Sie im neuen „Memel Jahrbuch für 2003").

Mit Spielgefährten auf Entdeckungsreisen

Das Rumstromern machte alleine nicht immer Spaß. Ich fand also Freunde in der Nachbarschaft. In unserem Haus wohnte eine Familie Gutsch, der Sohn Gernot war in meinem Alter, dann war der Schusterjunge Willi Ost aus der Langgasse ein ständiger Spielgefährte, es gab für uns keine Langeweile. Wir spielten zusammen oder gingen auf Entdeckungsreisen zu Fuß oder mit dem Fahrrad, aber nur, wenn wir unsere übertragenen Pflichten erfüllt hatten, sonst bekamen wir keine Erlaub-nis. Uns heimlich aus dem Staub zu machen, trauten wir uns nicht. Unser liebster Spielplatz war der Lagerplatz der Firma Wels & Neiß. Dieser befand sich am Gym-nasium zwischen Kossinnastraße und Bleichstraße. Wir kletterten über die Mauer, bauten mit den großen Kisten Gänge und Höhlen, wo wir uns verstecken konnten. Natürlich durften wir uns nicht von unseren Eltern oder von den Arbeitern der Firma ertappen lassen.

Tilsit war Garnisonstadt, es gab vier Kasernen, die Dragoner-Kaserne, die Artille-rie-Kaserne, die Infanterie-Kaserne und die Radfahrer-Kaserne sowie den Trup-penübungsplatz außerhalb der Stadt. Dort zog es uns öfters hin, um in den Sand-bergen und in den künstlichen Stellungen zu spielen. Oft haben wir den Soldaten bei der Ausbildung und bei den Übungen zugesehen. Manchmal wurde auch mit Platzpatronen geschossen, aus Gewehren, Maschinengewehren, sogar aus Kanonen, wenn es eine große Übung war; dann durften wir nicht in der Nähe sein.

Hier spielten wir Räuber und Gendarm und sammelten leere Patronenhülsen. Als wir zum Jungvolk gehörten, haben wir hier öfters unseren Dienst verrichten müs-sen, hier wurden wir geschliffen, mußten die Berge rauf und runter laufen oder hüpfen oder machten mit anderen Jungvolk-Gruppen Geländespiele. Später, als wir mit 14 Jahren zur HJ kamen, wurden wir hier noch mehr gedrillt. Der Weg zum Exerzierplatz führte uns durch die Grabenstraße über den Thesingplatz, durch die Lindenstraße über den Viadukt zur Molkerei. Hinter der Molkerei war das Übungs-gelände. Unter dem Viadukt verlief die Bahnlinie in drei Richtungen, nach Schloß-berg, nach lnsterburg und nach Königsberg. Etwas anziehendes hatte für uns das Memelufer. Hier waren die Kaianlagen mit Eisenbahngleisen, fahrbare Kräne zum Beladen und Entladen der Boydaks, dieses sind große Transportschiffe von 250 bis 500 Tonnen Tragfähigkeit. Es wurden Sand, Steine, Kohlen und Getreide verla-den oder entlaverla-den. Hier war jeverla-den Tag immer etwas anderes zu sehen. Zweimal in der Woche, am Mittwoch und Sonnabend, war Fischmarkt in der Nähe vom Rat-haus in der Fischgasse. Die Fischer kamen mit ihren kleinen Booten aus der Elch-niederung, von den Flüssen Ruß und Gilge oder vom Rand des Kurischen Haffs.

Sie verkauften dann ihre Fische, es war immer auf dem Fischmarkt an diesen Tagen Hochbetrieb. Viele Bauern kauften auch große Mengen Stinte zur Fütterung der Schweine.

Es gab auch einen Passagierkai, hier lagen in der Saison die Dampfer „Grenzland"

und „Herold" sowie der kleine Dampfer „Memelwacht". Mit ihnen konnte man Ausflüge nach Ragnit oder Obereißeln machen. Es wurden auch Fahrten zur Kuri-schen Nehrung über das Haff durchgeführt. Diese dauerten immer zwei Tage.

Auch wir haben mit unserer Schule in den Ferien einen Ausflug mit dem Dampfer nach Rossitten gemacht, dort war eine große Vogelwarte. Als das Memelland 1939 an Deutschland angegliedert wurde, hat sich die Grenze von der Memel ca.

30 km bis nach Tauroggen verschoben. Das Memelland war nun wieder deutsch.

Nun fanden wir neue Erkundungsgebiete in Übermemel am Strom und im Memel-gebiet bis Pogegen und zum Rombinus. Hier am Strom in Übermemel war am Ufer herrlicher Sand, viele große und kleine Weideninseln, wo man wunderbar Indianer spielen konnte. Besonders schön war es hier im Sommer zum Baden und Sonnen bestens geeignet. Wir sind auch mit dem Fahrrad nach Pogegen oder zum Rombinus gefahren. Zum Rombinus immer an der Memel entlang in Richtung Ragnit. Nach Pogegen auf der Straße nach Tauroggen über drei Brücken, welche die Memelwiesen und Altarme der Memel überspannten.

Der Sonntag gehörte der Familie, da gab es kein Umherziehen mit den Spielge-fährten. Jedes Familienmitglied hatte sein eigenes Fahrrad. Wir fuhren dann öfter mit dem Fahrrad in den Stadtwald zu den Ausflugslokalen „Kulins" oder „Wald-schlößchen", hier gab es für uns Brause und Kuchen. Auch machten wir Ausflüge an der Memel entlang zum Engelsberg oder sogar zum Schloßberg, auch hier gab es Ausflugslokale. Wenn die Dampferfahrten wieder begannen, wurden Ausflüge nach Untereißeln und Obereißeln gemacht. Für mich waren die Fahrten auf dem Wasser immer ein besonderes Erlebnis, mich hat das Wasser schon immer ange-zogen. Aus diesem Grunde wurde ich auch mit 14 Jahren Angehöriger der Mari-ne-HJ. Wir machten auch Spaziergänge in der Stadt. Zum Anger, wo das Elch-denkmal stand, zum Grenzlandtheater, in den Park von Jakobsruh, zum Thing-platz, zum Hindenburgstadion oder zum Botanischen Garten. Wir wanderten auch um den Schloßmühlenteich, gingen der Tilszele entlang an den beiden Badean-stalten vorbei bis zu den Kleingärten, die Moritzhöher Straße und die Sommer-straße zurück über die Holzbrücke vom Schloßmühlenteich und dann nach Hause. Die erste Zeit ist unser Papa mit uns Ruderboot gefahren, später machten wir dies alleine. So lernten wir immer mehr von unserer Heimatstadt kennen.

Unser Papa kannte sich hier gut aus, er ist hier aufgewachsen und im Gymnasium in Tilsit zur Schule gegangen. Am Geburtstag meiner verstorbenen Mutter fuhren wir immer auf den Friedhof nach Paskalwen, dieser lag ca. 2 Kilometer vom Ort entfernt am Paskalwusberg.

Tilsit hatte mehrere Sportvereine, der größte war der Tilsiter Ruderclub. Die Stadt Tilsit konnte sich in jeder Beziehung mit gleich großen Städten in Ostpreußen messen.

Eisgang auf der Memel

Der Memelstrom, der in Rußland entspringt, sorgte in jedem Frühjahr für ein gewaltiges Naturschauspiel. Die kalte und lange Winterzeit, von November bis März, brachte starke Fröste und viel Schnee. So war der Memelstrom bis zum Haff, mitunter auch das Haff selbst, mit einem dicken Eispanzer von bis zu 50 cm Stärke bedeckt. Anfang April begann durch den starken Sonneneinfluß der Schnee und das Eis zu schmelzen. Der Wasserspiegel stieg dann langsam an und erreichte eine Höhe von über 4 Metern normal und die Memel trat über die Ufer.

Die Memelwiesen wurden in einer Breite von 4 Kilometern überschwemmt. Es bil-dete sich in der Höhe von Tilsit eine riesige Wasserfläche, die von Übermemel bis an den Wald von Pogegen reichte. Mit dem Anstieg des Wasserspiegels hob sich auch die Eisdecke. Sie begann sich vom Ufer zu lösen, zu bersten und zu zer-reißen und setzte sich langsam in Bewegung, damit begann der Eisgang auf dem

--Memelstrom, von der russischen Grenze bis zum Haff. Da die Memel nicht überall gleichmäßig aufbrach, natürliche Hindernisse, wie Windungen, Engstellen, Buh-nen und Buchten sowie die zwei Brücken in Tilsit mit mehreren Pfeilern im Strom, behinderten einen schnellen Abfluß, und es kam an vielen Stellen zu Eisstauun-gen. Es war für uns Kinder immer wieder ein erregender Anblick, wenn sich große Eisschollen durch die Kraft des Wassers hoch übereinandertürmten und dann mit gewaltiger Kraft gegen die Brückenpfeiler schlugen und versanken, um an einer anderen Stelle hinter der Brücke wieder aufzutauchen. Jedesmal, wenn die Eis-schollen gegen die Pfeiler schlugen, erzitterte die ganze Brücke. Um dieses Schauspiel besser sehen zu können, stiegen wir auf den Engelsberg, der sich 40 Meter über dem Strom erhob. Von hier erblickten wir eine riesige Wasserfläche, die von Krakonischken bis nach Schreitlaugken reichte. Manchmal konnten wir auf den Schollen Rehe, Hasen und Hunde erblicken, für diese Tiere gab es gewöhnlich keine Hilfe. Das Hochwasser im Jahr 1942 ist mir noch besonders in Erinnerung. Es hatten sich in der Nacht gewaltige Eisschollen vor der Eisenbahn-brücke aufgestaut, sie bewirkten einen Rückstau, die Eisschollen wurden dabei bis auf den Fletcherplatz gedrückt, der Strom erreichte hier einen Wasseranstieg von sieben Metern. Am frühen Morgen wurde die Eisbarriere durch Soldaten gesprengt. Solange Eisgang war, gingen wir immer nach der Schule zur Luisen-brücke und schauten diesem eigenartigen Schauspiel zu. Das Hochwasser mit Eisgang dauerte nicht länger als eine Woche, danach hat sich wieder alles norma-lisiert. Für uns war es dann Gewißheit, daß der Frühling nicht lange auf sich war-ten läßt. Durch das Hochwasser wurden die Wiesen am Memelstrom immer natür-lich gedüngt. Im Sommer wurde hier reichnatür-lich Heu geerntet.

Fortsetzung folgt

Foto: Archiv