Sicher ist . ., daß,
wer
so liebt wieSemida und
Cidli, durch die Liebe nicht gemeinhin glücklich sein kann" (TTT, 24—
25).^)*) In deutscher Übersetzung:
Wo
so die Liebe fiel, schmolz Liebe Seel' mit Seel' und Herz mit Herz zusammen. Die Liebe ist stärker als der Tod, keine Liebekommt
Gottes Liebe näher, noch ist (sie) so groß.^) Miller zieht das LiebesverhältniszwischenSemidaundCidli gleich-falls zum Vergleiche heran. Im ,Siegwart' (I, 74) sagt er von seinem Helden: „Er und seine Freundin werden einst mit
Semida
und Cidli, mit Petrarch und Laura, mitKlopstock
und mit seinerMeta
unter den Lebensbäumen wandeln und sich ihre Liebe auf der Unterwelt er-zählen."—
Theresen hat die Geschichte vonSemida
und Cidli ,am meisten" gerührt. ,So etwas Schmelzendes und Süßes und Wehmütiges hat wohl noch kein Mensch gedacht; und doch ist alles so wahr und treffend! O, ich möchte mich mit Cidli zu Tode weinen! Letzthin träumte mir von ihr. Ichglaube, ich habe sie gesehen, wie sie aussah!"(I, 279—280).
82 Nachahmungen des ,Werther'.
Seine Ansichten über die Liebe hat Feith des öfteren in seinen ästhetisch-philosophischen Schriften dargelegt; erwiederholt mehr-fach, er habe in seinen beiden
Romanen
„wahre Liebe schildern wollen, sowie diese in Beziehung zur Religion steht",und
in seiner ,Fanny^ „das Ideal einer reinen, religiösen Liebe" ge-zeichnet" (III, 101).„Sage mir,
was du
liest,und
ich sage dir,wer
du bist" ist ein oft gehörtes Wort.Auch
dieLektüre
charakterisiert die Sentimentalen. In derHandbibliothek derEmpfindsamen
stehen dieWerke
der Dichter, „die dasHerz
rühren"; aus ihnen schöpftman
neueNahrung
für die Empfindungen. Die schönsten Partien werden im geselligen Kreise vorgelesen; alles schwelgtim
Strome der Gefühle. „Bei der Stelle eines lieben Buches"treffen Werthers
und
LottensHerz
„in einem" zusammen.Das Herz
seinesMädchens
„durch gute Schriften zu bilden"war
eine Hauptsorge des Jünglings. Klopstock
wurde am
meisten gelesenund
bewundert.Für
die „Geweihten", „die Schönenvon Gemüt" war
seinName
die Losung.Wer
erinnert sich nicht jener Szene zwischenWerther und
Lotte nachdem
Gewitter^),wo
die Begeisterung für den Edlen bis zur Vergötterung ge-steigert wird?Im
,Siegwart' wird dasLob
des Messiasdichters in den überschwänglichstenTönen
gesungen. Therese will „gern alle Bücher weggeben, die Bibelausgenommen", wenn
sie nur denjMessias' hat. Nicht mitUnrechthatman
daher die Messiade„die sentimentale Bibel des 18. Jahrhunderts" genannt. Die rührendsten Stellen
wurden
abgeschrieben,um
sieimmer
bei derHand
zu haben, auch verschenkt. Siegwart liest den ,Messias'„bis nach Mitternacht. . . ununterbrochen fort"; er fand „soviel Außerordentliches,Himmlisches
und
Überirdisches"indem
Gedichtund „schwamm
in lauterHimmelswonne". — Auch
Feith ist einBewunderer
des Messiasdichters.Vor
Klopstock hat seineMuse
sich stets ehrfurchtsvoll geneigt.^)Wird
in Feiths beiden^) Miller hat im .Siegwart' (I, 364flF.) diese Stelle nachgebildet.
Vgl. den I. Tl. meiner deutsch-niederl. Lit.-Studien, S. 44—45.
— Wenn Brandes
indem
Kap. ,GoethesWerther-" (in seiner ,Emigrantenliteratur') von dieserSzene spricht, ,wo ihreundWerthers Gedankensichbegegnen, indem sie schweigend das Wort ,Klopstock' mit ihrem Finger an die be-taute Fensterscheibe schreibt" (sie!), so ist das eine durch nichts berech-tigte Entstellung dieser Szene.') Vgl. Brieven, Dicht- en proz. werken II, 161 u. S. 234.
sentimentalen
Romanen
Klopstock auch namentlichnicht erwähnt, so spürtman um
somehr
dessen Einfluß. Sein Unsterblich-keitsglaube, in denOden
aufs mannigfachste variiert, istvon
Feith aufgegriffenund
bei jeder Gelegenheit angebracht worden, besonders in der ,Julia^ Überall kehrt diesThema
wieder, mit den verschiedensten Exklamationen begleitet. Feiert Goetheim
,Werther' Klopstockmehr
als Odendichter denn als Dichter des jMessias', so hält Feith manches Messiasmotivim
Auge.So
istdas Traumgesicht in der Erzählung ,Themire' (V, 67
—
76) inder
Art
des Messias. Klopstockisch sind auch einige Gewitter-szenen.Dazu kommt
das Interesseam
altenTestamente. Kehren im
,Werther' alttestamentlicheWendungen,
z. B. aus den Psalmen, wieder,—
ebenso bei Feith.Herders
Büchlein,Vom
Geist derebräischen
Poesie' wird vielfach erwähntund
aus-geschrieben. So hn Brief anWilhelm
(20. Jan. S.209—210), wo
es z. B. vondem
Prediger (leeraar) heißt: ,Heute morgen kam
er zu mir.Er
hatte einBuch
in derHand,
das er kürz-lich ersterhalten hatte.Es war Herder, über
diehebräische Poesie
.. .Es
fiel mir eine Stelle auf,von
derman
sehen konnte, daß sie oft aufgeschlagenwar ...
In verschiedenen großen Flecken, die überall da waren, konnte ich deuthch die Spuren derTränen
sehen, die der Greis hiermußte
vergossen haben.Das
weckte mein Interesse an dieser Seite . . . Lies die Stelleund
enthalte dich,wenn du
kannst, der Tränen.Welch
ein Mensch, mein Freund! O, für alles, was dieWelt
geben kann, wünschte ich das kleinsteFünkchen
seiner Religion zu besitzen."Oder
er liestim Herder
bei flackerndem Lampenlicht.Ein Lieblingsbuch für die empfindsame
Jugend war Ewald von
Kleists elegisch sentimentales Gedicht ,Der Frühling'.Auch
Feiths Ferdinand ist davon ganz entzückt.Mit
Kleistens ,Frühling'wandert er durch den dunklenWald und
erinnert sich dabei unter vielen Tränen derRührung,
wie er früher oft mit Constantia dasselbe getan.Feiths Schwärmerei für Kleist ist zweifellos durch Millers ,Siegwart' angeregt. Hier wird das
Lob
des Frühlingsdichters in allenTönen
gesungen.So
schreibt Therese voll Ent-zücken an ihren Bruder: „Ich liebe diesenMann
(IQeist) nachBrealauer Beiträgez\irLiteraturgeschichte. YI. 3
34 Nachahmungen des ,Werther*.
Klopstock
am
meisten . . .Du
wirst fast sonst in keinemDichter soviel schöne Gemälde, soviel menschliche Empfindung, die ausdem
bestenHerzen
strömt, antreffen! . . . Klopstockund
Kleist haben mich gelehrt, daßman
dasGemüt
auf das angenehmste beschäftigen kann, ohne es zu verderben!" (I, S. 285—
287).Oder
sie betrachten KJeists Bildnis „lang mit einer heiligen Ehr-furchtund
glaubten alles drinn zu finden,was
sie in seinen Gedichten fanden" (I, 310).Und
wie überschwenglich erst ist die Stelle (11, S.361—362)
gehalten!"')
Der
gestaltlose, trübseligeOssi an
wirdvon Werther
wievon
der ganzen damaligen Zeit,Herder
voran, ehrfurchtsvoll bewundert. Düstere Felsen, mit Disteln bewachsene Heiden, das rollende Meer,vom Sturmwind
gejagteWolken,
dämmern-des Mondenlicht, Geister indampfendem
Nebelgewande,Ächzen und Wehklagen
wechseln in bunter Reihenfolge.— Gegen Ende
des
Romans,
da es Herbst wird in Werthers Seeleund
sein Liebesgefühl eine jäheWendung
nimmt, wird die OssianischeWelt
eingeführt. ,Ossi an
hat inmeinem Herzen
denHomer
verdrängt," ruft
Werther
aus; „welch eine Welt, in die der Herr-lichemich
führt!" (12. Okt.).Wie
überwältigend wirkt Werthers Vortrag der „Übersetzung einiger Gesänge Ossians" auf Lotten,*) Noch öfter ist von Kleist die Rede. Einmal singen sie dessen Lied: ,Freund, versäume nicht zu leben" usw. (II, S. 153). S. ferner 11, S. 15, 226 und 352.
—
Mit Bezug auf die sentimentale Grille, Kleistens jFrühling' überall bei sich zu führen, spottetLudwig Uhland
im jFrühlingslied eines Rezensenten' in der Schloßstrophe:Daß
es keinen überrasche.Mich im grünen Feld zu sehnl Nicht verschmäh' ich auszugehen Kleistens
Frühling
in der Tasche.Noch mehr als Kleist wird
Klopstock
im ,Siegwart' gepriesen, namentlich dessen ,Messias'.—
Gellerts Fabeln werden gerühmt (»es liest sich gut darin, weil alles so leicht und faßlich ist, und weil's derMann, der's geschrieben hat, recht gut mit einem meint", I., S. 158).
— Rabeners
Satiren (ebend.).— Hagedorn
(II, S. 15).—
Lessings ,Miß Sara Sampson' (,was Herrliches' nennt es Kronhelm, U, S. 144).—
Wie
im ,Werther* erscheint auch im ,Siegwart'Homer
(,Er erinnerte sich aus seinemHomer
... an die Töchter der Könige, wie sie spannen undGewebewebten undsich nicht dergemeinsten Weiberarbeit schämten,*n, S. 226), daneben auchVergil (I, S.203). Auch der LiebUng
Geßner
ist nicht vergessen (II, S. 214).
die unter der
Wucht
dieserWorte
zusammenbricht gleichwie Werther!— Auch
Feith versenkt sich gern in diesen„Freund
der Traurigen".Auf
gleicher Stufe stehtihm Young
mitdem
klagendenTon
seiner ,Night-thoughts';Youngs
,Nachtgedanken' fehlten selten in der Bibliothek der Empfindsamen, „schreibt doch der Verfasser so schön über Leben,Tod und
Unsterblich-keit, über Freundschaft,Tugend und
den nächtlichen Himmel."— Mit
seinemOssi an
geht Ferdinand in denGarten.An
dessenEnde
steht eine Buchenlaube, an der ein kleines Bächlein über weiße Kieselsteine dahinrauscht.Aus
einer Lichtung (geschoren opening) siehtman
über einige Weideplätze, auf denen die schönstenKühe
weiden.^) Ich schlug sogleich meinenOssian
auf, meinen
meistgeliebten
Dichter. DieGesänge von Selma^)
fielen mir gerade in die Augen.Mit welchem
Ver-gnügen, unter welch erquickendenTränen
las ich dieselben!Wahrlich,