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Ergebnisse der quantitativen Befragung von Schülerinnen und Schülern

Beobachtungen von Gewalthandlungen bei Jungen und Mädchen Nachdem im Kapitel geschlechtsspezifische Analysen zur Wahrnehmung von Gewalt vor allem im Rahmen des Ost-West-Vergleichs vorgenommen wurden, soll an dieser Stelle ein Überblick über die geschlechtsspezifischen Unter-schiede an sächsischen Schulen gegeben werden.

Mit den Ergebnissen dieser Analyse schließen wir an die Aussagen aus Kapitel an: Jungen nehmen gewalthaltige Auseinandersetzungen stärker wahr als Mädchen. Den Jungen fallen ebenso wie den Mädchen verbale Ag-gressionen am ehesten auf, gefolgt von Spaßkampf (zwischen zwei Jungen oder zwei Mädchen), Aggressionen gegen Lehrer und Prügeleien. Dagegen werden Angriffe mit einer Waffe, Erpressung, sexuelle Belästigung und Vandalismus weniger häufig beobachtet und von ihnen berichtet.

Betrachtet man nun die Häufigkeit der Wahrnehmung von Gewalt genauer, so fällt ein signifikanter geschlechtsspezifischer Unterschied auf. Unabhängig von den Gewaltformen, nehmen Schülerinnen weniger Gewalt an Schulen wahr als Schüler. Das hängt zum einen damit zusammen, daß Jungen insge-samt mehr in Gewalthandlungen involviert sind und zum anderen sich Gewalt-handlungen oft in Jungengruppen abspielen, in denen Mädchen sie gar nicht wahrnehmen können. Es ist aber auch davon auszugehen, daß Jungen oftmals zu Übertreibungen („Angebereien“) neigen, um in ihrem Ansehen als „echte“

Jungen/Männer zu steigen bzw. als jemand wahrgenommen zu werden, den man ernst nehmen muß (vgl. Kap ). Daraus folgernd können wir vermuten, daß sich die Schüler entsprechend den Erwartungen der Lehrerinnen und Leh-rer, der Mitschülerinnen und Mitschüler, der Eltern usw. an die Jungenrolle verhalten. Wie sich noch zeigen wird, ist Gewalt für Jungen eher ein normales Phänomen alltäglichen Handelns als für Mädchen. Außerdem könnten Jungen, gerade wenn sie selbst gewalttätig sind, ein Interesse daran haben, darauf hin-zuweisen, daß die anderen ebenfalls zu Gewalthandlungen neigen. Damit wird die unterstellte Normalität des Gewalthandelns wiederum bestätigt.

Auffällig ist allerdings die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wahr-nehmung von Gewalt je nach Deliktart. Während sich bei der WahrWahr-nehmung von Aggressionen gegen Lehrer nur eine Differenz von 6 Prozentpunkten ergibt (8,% der Mädchen und ,% der Jungen), zeigen sich bei der Wahrnehmung von verbalen Aggressionen und Spaßkampf jeweils 0 Pro-zentpunkte Differenz zwischen den Geschlechtern, bei den Deliktarten Er-pressung und Angriffen mit einer Waffe sind es jeweils doppelt so viele Jun-gen wie Mädchen, die dieses wahrnehmen. Die geringste Differenz ergibt sich bei der Wahrnehmung von Aggressionen gegen Lehrer, vermutlich weil bei dieser Deliktform Jungen wie Mädchen gleichermaßen anwesend sind.

Wie sieht die geschlechtsspezifische Beteiligung an Gewalthandlungen aus der Perspektive von Jungen und Mädchen aus? Die folgende Tabelle - zeigt den Anteil der Jungen und Mädchen, die die angegebenen Gewalthandlungen im Verlauf des letzten Schuljahres an der jeweiligen Schule bei Jungen und/

oder Mädchen beobachtet haben. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die auf die Frage antworteten, variiert – entsprechend der Häufigkeit der Beob-achtung – sehr stark zwischen den verschiedenen Items (Vandalismus wurde Abb. 3­1: Beobachtung schulischer Gewaltformen durch Mädchen und

Jungen (Prozentanteil der Schülerinnen und Schüler, die die angeführten Gewaltformen mindestens mehrmals im Monat beobachtet haben)*

* Die Rangreihe wurde nach den Mittelwerten der Gesamtstichprobe erstellt.

Legend­e:

Verbale Aggressionen: Beschimpfen/Gemeine Ausdrücke. (V157) Spaßkampf: Spaßkampf zwischen zwei Jungen. (V136)

Aggressionen gegen Lehrer: Schüler/innen beschimpfen oder beleidigen Lehrpersonen in deren Gegenwart. (V146)

Prügelei: Ernsthafte Prügelei zwischen zwei Jungen. (V137) Vandalismus: Unterrichtsmaterial wurde absichtlich beschädigt. (V133)

Sexuelle Belästigung: Ein oder mehrere Jungen bedrängen ein Mädchen und fassen es gegen ihren Willen an (z.B. an den Busen). (V144)

Erpressung: Jemand fordert Geld und droht mit Strafe (z.B. Prügel), wenn nicht

Die Beobachtungen beziehen sich auf die Items „Auslachen/Spotten“ (V56), „Beschimp-fen/ Gemeine Ausdrücke“ (V57), „Gemeine Gesten/Zeichen“ (V58), „Daß jemanden von anderen ausgeschlossen (geschnitten) wird.“ (V58a).

Die Beobachtungen beziehen sich auf das Einzelitem „Ausländerfeindliche Sprüche“

(V69).

Die Beobachtungen beziehen sich auf die Items „Schüler/innen beschimpfen oder beleidi-gen Lehrpersonen in deren Gebeleidi-genwart.“ (V6) und „Telefonterror gebeleidi-gen Lehrpersonen.“

(V7).

Die Beobachtungen beziehen sich auf die Items „Schüler/innen bedrohen Lehrer/innen (z.B.

mit Schlägen).“ (V9), „Schüler/innen schlagen absichtlich eine Lehrperson.“ (V50) u.

„Schüler/ innen entwenden oder beschädigen absichtlich Sachen, die einer Lehrperson ge-hören.“ (V5).

5 Die Beobachtungen beziehen sich auf die Items „Einrichtungsgegenstände wurden absicht-lich beschädigt.“ (V0), „Sachen, die anderen Schülern gehören, wurden absichtabsicht-lich be-schädigt.“ (V), „Wände wurden absichtlich beschmiert.“ (V), „Unterrichtsmaterial wurde absichtlich beschädigt.“ (V), „Toiletteneinrichtungen wurden absichtlich beschä-digt.“ (V).

6 Die Beobachtungen beziehen sich auf die Items „Jemand fordert Geld und droht mit Strafe (z.B. Prügel), wenn nicht gezahlt wird.“ (V6), „Jemand fordert, Sachen abzugeben (z.B.

eine schöne Jacke) und droht mit Strafe (z.B. Prügel), wenn nicht abgegeben wird.“ (V6),

„Jemand droht mit Strafe (z.B. Prügel), falls dem Lehrer etwas mitgeteilt wird.“ (V6).

Tab. 3­1: Beobachtung von Gewalthandlungen nach Jungen und Mädchen (Angaben in Prozent)

häufiger beobachtet als Lehrerschikane, vgl. Abb. -). Aus diesem Grund ist die Summe (n) der Schülerinnen und Schüler, die jeweils antworteten, in jeder Zeile aufgeführt. Die Einschätzungen der Beteiligung der Geschlechter beinhaltet demzufolge keine Angabe über die Vorkommenshäufigkeit an den Gewalthandlungen.

Insgesamt sprechen die Aussagen für die schon oben erwähnten Ergeb-nisse der vorangegangenen Analysen, daß Jungen Gewalthandlungen ten-denziell öfter wahrnehmen und stärker in Gewalthandlungen involviert sind als Mädchen. Das zeigt der große Anteil der Schülerinnen und Schüler, die abweichendes Verhalten „fast nur bei Jungen“ oder „bei Jungen und Mädchen“

beobachteten. Die meisten der Mädchen und Jungen sind sich darin einig, daß mit Ausnahmen von Vandalismus und Erpressung von Mitschülerinnen und Mitschülern beide Geschlechter an Gewalthandlungen beteiligt sind und ag-gressive Handlungen sehr selten „fast nur bei Mädchen“ zu beobachten waren.

Über die Hälfte der Schüler (5%) gibt an, Vandalismus „fast nur bei Jungen“

beobachtet zu haben. Die meisten Schülerinnen (6%) dagegen haben diese Art des gewalttätigen Verhaltens „bei Jungen und Mädchen“ beobachtet.

Darüber hinaus gibt es wenige Unterschiede zwischen den einzelnen Gewalthandlungen hinsichtlich der wahrgenommenen Beteiligung der Ge-schlechter. Erwähnenswert ist die Form der (non)verbalen Attacken zwischen Schülerinnen und Schülern. Da sind es prozentual mehr Mädchen und auch Jungen, die diese Handlung eher beiden Geschlechtern zuordnen als „nur den Jungen“ oder „nur den Mädchen“. Diese Form der Gewalt wurde von den Mädchen im Vergleich zu allen anderen als diejenige eingeschätzt, die am ehesten „fast nur von Mädchen“ ausgeführt wurde. Zwar ist das Auftreten mit 5% im Vergleich zu den anderen beiden Kategorien („fast nur bei Jungen“,

„bei Jungen und Mädchen“) sehr gering, bezogen auf die anderen Gewalt-handlungen ist diese Beobachtung jedoch auffallend. Vielleicht ist das auch als ein Hinweis darauf zu interpretieren, daß verbale Attacken Gewaltformen sind, die unter den Mädchen auch dann vorkommen, wenn keine Jungen zu-gegen sind – also eine Form von Gewalt, die von Mädchen – eher als anderes Gewalthandeln – auch untereinander verübt wird.

Täterselbstreport

Während auf der Seite der Beobachtung der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen hinsichtlich der Häufigkeit bereits stark ausgeprägt ist, weisen die Täterselbstreporte noch deutlichere geschlechtsspezifische Differenzen auf. In Kapitel basieren die Analysen zum Gewalttäterverhalten auf der Auseinandersetzung mit vorgegebenen, konkreten Situationen. Bei der fol-genden Untersuchung, bei der verschiedene Einzelitems betrachtet werden, ist der situationsunabhängige Täter-Selbstreport Gegenstand der Analyse. In der Abbildung - sind alle gewalttätigen Handlungen aufgeführt, nach deren

Beteiligung in der Untersuchung gefragt wurde. Die Schülerinnen und Schüler sollten anhand einer sechsteiligen Skala (von = nie, 6 = fast täglich) angeben, wie oft sie die angeführten aggressiven Handlungen in den letzten Monaten ausgeführt haben. In der Abbildung sind die Prozentanteile der Schülerinnen und Schüler angegeben, die die Handlungen mindestens mehrmals im Monat durchgeführt haben.

Es fällt auf, daß Mädchen von einem deutlich geringeren Anteil an den in Schulen durchgeführten Gewalthandlungen berichten als Jungen. Ihre Betei-ligung ist allerdings an jeder angeführten Handlung gegeben, Mädchen sind also nicht ausschließlich unbeteiligt. Auffällig ist jedoch die geschlechtsun-abhängige Differenz zwischen den einzelnen Arten von Aggressionen. Mäd-chen wie Jungen führen die „härteren“ Aggressionen, wie beispielsweise Van-dalismus und Diebstahl, seltener aus als aggressive Handlungen wie Schlagen, Hänseln, Ärgern. Erstaunlich ist die Ausnahme „des Beschimpfens anderer mit gemeinen Ausdrücken“: Diese Deliktform wird von Jungen (6,%) wesentlich häufiger ausgeführt als von Mädchen (9,%), obwohl sie sicherlich auch zu den eher „weicheren“ Aggressionen zu zählen ist, aufgrund ihres offensiven Charakters aber vermutlich nicht zu den bevorzugten Verhaltensformen von Mädchen zählt. Für Jungen wie auch für Mädchen gilt, daß aggressives Ver-halten häufiger durch sogenannte weichere Aggressionsformen zum Ausdruck kommt.

Bei Betrachtung der Mädchen und ihrer Beteiligung an aggressiven Hand-lungen ist festzustellen, daß die häufigste ausgeführte Gewalttätigkeit mit % das Ärgern im Unterricht ist. Zum gleichen Resultat (über ein Drittel der Jun-gen) führt auch die Analyse der männlichen gewalttätigen Handlungen. Mit Blick auf das Geschlecht ist auch die Position des Hänselns in der Rangreihung der Gewalthandlungen gleich. Während dies die Mädchen mit 5% mindestens mehrmals monatlich tun, sind es bei den Jungen 8%. An dritter Stelle steht bei den Mädchen das Ärgern von Lehrern und bei den Jungen das Beschimp-fen anderer und das Ärgern von Lehrern.

Abbildung - verdeutlicht, wie unterschiedlich die Ausprägungen von Gewalt bezüglich der Geschlechterbeteiligung ist – so sind z.B. die Jungen an allen von uns als „härtere“ Aggressionsformen bezeichneten Handlungen drei- bis viermal so häufig beteiligt wie die Mädchen. Es gibt demgegenüber keine Deliktform, die von Mädchen häufiger als von Jungen angewendet wird. Dem-zufolge kann nach den hier vorliegenden Ergebnissen auch nicht behauptet werden, daß Mädchen spezifisch andere Gewaltformen bevorzugen als Jungen.

Dies war allerdings im Rahmen einer geschlossenen Befragung und bei den vorhandenen Items auch nicht zu erwarten: Weder werden spezifische Aggres-sionsformen aufgeführt, die eher bei Mädchen vermutet werden (z.B. auto-ag-gressive Handlungen), noch konnten die befragten Schülerinnen und Schüler eventuell vorhandene, weitere Gewalthandlungen zusätzlich anführen.

Abb. 3­2: Täterselbstreport (Prozentanteil der Schülerinnen und Schüler, die die angeführten Gewalthandlungen mindestens mehrmals im Monat durchgeführt haben)*

* Die Rangreihe wurde nach den Mittelwerten der Gesamtstichprobe erstellt.

Legend­e:

andere im Unterricht ärgern: Andere im Unterricht geärgert, beworfen oder beschossen.

(V260)

andere hänseln: Andere gehänselt oder mich über sie lustige gemacht. (V262) andere beschimpfen: Andere mit gemeinen Ausdrücken beschimpft. (V278) Lehrpersonen ärgern: Einen Lehrer oder eine Lehrerin geärgert oder provoziert. (V261) andere bewerfen: Andere mit Sachen (z.B. Lineal, Mäppchen) beworfen. (V274) Streit anfangen: Mit anderen bewußt Streit angefangen, sie angeschrien, beschimpft.

(V273)

anderen Sachen verstecken: Anderen Sachen versteckt, so daß sie sie nicht wiederfinden konn-ten. (V276)

Prügelei: Mich mit einem (einer) anderen geprügelt. (V264) anderen Sachen wegnehmen: Anderen etwas gewaltsam weggenommen. (V279) andere unter Druck setzen: Andere unter Druck gesetzt. (V267)

Beschädigung im Schulgebäude: Im Schulgebäude etwas absichtlich beschädigt. (V263) zusammen jemanden verprügeln: Mit anderen einen Jungen/ein Mädchen verprügelt. (V265) Schulinventar zerstören: Sachen absichtlich zerstört, die der Schule gehören (z.B. Stühle,

Bücher). (V275)

anderen Sachen zerstören: Sachen von anderen absichtlich kaputtgemacht. (V266)

Belästigung, Bedrohung: Anderen auf dem Schulweg aufgelauert, sie belästigt, bedroht oder verprügelt. (V268)

Waffen mitführen: Waffen (Schreckschußpistole, Reizgas) mit in die Schule gebracht.

(V272)

Opferselbstreport

Nachdem gezeigt wurde, inwieweit Mädchen und Jungen an Gewalthandlungen aktiv beteiligt sind bzw. wie oft sie solche Handlungen beobachtet haben, soll nun danach gefragt werden, mit welcher Häufigkeit Schülerinnen und Schü-ler Opfer von Aggressionen werden. Dies ist unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten eine besonders interessante Frage, wird doch in der Frauen-forschung häufig davon ausgegangen, daß Mädchen und Frauen in ganz be-sonderer Weise Opfer von (männlichen) Aggressionen und Gewalthandlungen sind (vgl. z.B. Kavemann 99).

In der Abbildung - werden die Ergebnisse des Opferselbstreports in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit dargestellt; dabei werden zum Täterselbstre-port vergleichbare Handlungsformen aus der Opferperspektive betrachtet. Die Schülerinnen und Schüler wurden aufgefordert ihre Antworten auf die Frage, ob sie selbst an der Schule oder auf dem Schulweg in den letzten Monaten Opfer von personen- oder sachbezogenen Angriffen geworden sind, auf einer 6-stufigen Skala zwischen den Ausprägungen „fast täglich“ und „nie“ einzu-stufen. Für die folgende Darstellung wurden die Kategorien „fast täglich“,

„mehrmals wöchentlich“ und „mehrmals im Monat“ zusammengefaßt. Dabei zeigt sich, daß Jungen wie Mädchen häufiger Opfer von personenbezogenen als von sachbezogenen Angriffen werden.

Auffällig ist wiederum – ähnlich dem Täterselbstreport – der Unterschied in der Häufigkeit zwischen den Geschlechtern, mit der sie angeben, Opfer zu sein. Die Jungen sind öfter als die Mädchen Ausübende und Leidtragende von Gewalthandlungen anderer (vgl. auch Melzer/Rostampour 996, S. 0;

Popp 997, S. 77ff). Allerdings ist die Rangreihung der Häufigkeit bei Jungen und Mädchen etwas unterschiedlich. Die häufigste Form der Gewalt, bei der Mädchen Opfer sind, ist mit 6,% das Hänseln/Ärgern, dem folgt mit 5,6% das Beschimpfen/Beleidigen und mit ,% das Wegnehmen von Sachen anderer.

Unerwartet ist das Ergebnis, daß 0% der Jungen angeben, gehänselt bzw.

geärgert zu werden. Seltener werden Jungen Opfer von Beschimpfungen bzw.

Beleidigungen (9,%), 6% der Jungen werden Sachen versteckt und 5% werden geschlagen. Gehänselt zu werden ist somit nicht ausschließlich ein Problem der Mädchen, sondern betrifft auch die Jungen in einem hohen Ausmaß. Und wie aus dem Täterselbstreport zu erkennen war, sind die Ausführenden dieser Gewaltform ebenfalls Jungen wie Mädchen.

Jungen sind allerdings doppelt so häufig Opfer von Belästigungen, Bedro-hungen, von sachbezogenen Beschädigungen sowie von Erpressung. Dreimal so häufig wie Mädchen müssen sie sich sogar einer Schlägerei stellen. Im-merhin 5% aller Jungen gaben an, mehrmals im Monat und öfter Opfer einer Schlägerei zu sein.

Inwieweit es sich hierbei jeweils um geschlechtsbezogene Aktivitäten handelt (jemand wird geärgert, weil sie ein Mädchen ist oder als Junge oder

Mädchen ein nicht rollenkonformes oder zu rollenkonformes Verhalten zeigt), läßt sich mit dem vorliegenden Instrument nicht beantworten. Inwieweit Schule also einen Spiegel der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und einen Ort der Gewalt gegen Mädchen darstellt, Mädchen also männlichen Dominanzstruktu-ren ausgesetzt sind, wie dies befürchtet wird (vgl. z.B. Kavemann 99), läßt sich ebenfalls mit den vorliegenden Daten nicht beantworten.

Abb. 3­3: Opferselbstreport (Prozentanteil der Schülerinnen und Schüler, die mindestens mehrmals im Monat Opfer von Gewalthandlungen geworden sind)*

* Die Rangreihe wurde nach den Mittelwerten der Gesamtstichprobe erstellt.

Legende: Wie oft bist Du in d­en letzten 12 Monaten von and­eren ...

Hänseleien: gehänselt oder geärgert worden? (V281) Beschimpfung/Beleidigung: angeschrien, beschimpft, beleidigt worden? (V283)

Verstecken: Sachen versteckt, so daß Du sie nicht wiederfinden konntest? (V287)

Raub: gewaltsam etwas weggenommen? (V286)

Beschädigung: Sachen absichtlich kaputtgemacht? (V285) Schlägerei: geschlagen worden? (V280)

Belästigung, Bedrohung: Auf dem Schulweg belästigt, bedroht worden? (V282) Erpressung: unter Druck gesetzt, erpreßt worden? (V284)

5,6 2,7

3,1

2,4 1,6 1,8

1,1 6,3

2,3 2,7

5,0 4,6

4,7 6,0

9,1 10,0

Mädchen Junge Hänseleien

Beschimpfung/

Beleidigung Verstecken

Raub

Beschädigung Schlägerei Belästigung/Bedrohung Erpressung

Einstellungen zur Gewalt

An die Untersuchung zur Beobachtung und zum Verhalten der Täter bzw.

Opfer anschließend sollen in diesem Abschnitt die Einstellungen der Jungen und Mädchen zur Gewalt näher betrachtet werden. Dies geschieht durch drei unterschiedliche Herangehensweisen.

Zum einen werden Einstellungen untersucht, die von den Schülerin-nen und Schülern getrennt auf einer 5-stufigen Zustimmungsskala angege-ben wurden. Es handelt sich hierbei um Aussagen, die an traditionelle Ge-schlechtsrollenstereotype anknüpfen. In der Tabelle - sind die prozentualen Verteilungen der Zustimmung von „teils/teils“ bis „stimmt ganz genau“

aufgeführt. Dabei ist zu beachten, daß die Aussagen ausschließlich Gewalt-handlungen, die von Jungen ausgehen, thematisieren. Es lassen sich also wie-derum keine Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Einstellungen Mädchen bzw. Jungen zu Gewalthandlungen von Mädchen und Frauen haben.

Tab. 3­2: Geschlechtsspezifische Einstellungen zur Gewalt (Angaben in Prozent)

teils/teils stimmt überwiegend­

stimmt ganz genau Mäd­chen

Wenn sich Jungen prügeln, schaue ich gerne zu.

(V191)

23,8 6,3 7,7

Wenn sich zwei Jungen meinetwegen schlagen, fühle ich mich geschmeichelt. (V192)

21,4 10,1 10,5

Ich habe oft Mitleid mit Jungen, die sich nicht so richtig wehren können. (V193)

33,5 29,1 16,6

Jungen Ich schlage mich besonders gerne, wenn Mädchen dabei zuschauen. (V153)

14,3 4,5 3,9

Meistens gerate ich mit einem Jungen wegen Mädchen in Streit. (V154)

13,5 4,7 3,9

Die Mädchen nehmen die hilflosen und schwachen Jungen gerne in Schutz. (V155)

30,3 10,8 9,5

Skala von = „stimmt gar nicht“ bis 5 = „stimmt ganz genau“; = „teils/teils“.

Bei den in der Tabelle dargestellten Items wurden die ersten drei Aussagen aus-schließlich den Mädchen vorgestellt und die letzten drei Aussagen ausschließ-lich den Jungen, so daß sich die Ergebnisse nicht unmittelbar aufeinander beziehen lassen und auch die jeweilige Entsprechung fehlt. So können z.B.

keine Aussagen darüber gemacht werden, ob Jungen auch gern zuschauen, wenn sich andere Jungen prügeln, oder ob Jungen Mitleid mit anderen Jungen haben, die sich nicht wehren können. Betrachtet man das Zustimmungsver-halten der Mädchen, so fällt ein Unterschied zwischen der ersten und zweiten im Vergleich zur dritten Aussage auf. % bzw. 0,6% der Mädchen geben hier zu, daß sie gern zuschauen, wenn sich Jungen prügeln bzw. daß sie sich geschmeichelt fühlen, wenn sich zwei Jungen ihretwegen schlagen. Demge-genüber stimmen allerdings 5% der Mädchen der Aussage zu, daß sie Mitleid mit Jungen haben, die sich nicht wehren können. Auf den ersten Blick scheint es sich hierbei um einen Ausdruck der Gewaltakzeptanz von Mädchen zu handeln, die aufgrund eines traditionellen Geschlechtsrollenstereotypes zu erklären ist.

Eine nähere analytische Betrachtung zeigt allerdings, daß es sich bei die-sen Ergebnisdie-sen weniger um geschlechtsspezifische Zugangsweidie-sen zur Gewalt oder um geschlechtsspezifisch unterschiedliche Akzeptanz von Jungen- und Mädchenrollen handelt (Mädchen sollen zugucken, Jungen sollen prügeln), sondern daß sich hinter diesen geradezu plakativen Geschlechtsstereotypen ganz andere Aspekte verbergen. Für die beiden ersten Items zeigt eine Kor-relationsanalyse – sowohl bei den Mädchen als auch bei den Jungen –, daß es sich weniger um die Zustimmung zu geschlechterbezogenen Verhaltensweisen handelt, sondern um eine Zustimmung zum Gewalthandeln allgemein. So stim-men allen vier Aussagen (V9, V9, V5, V5) – im Gegensatz zur jeweils dritten Aussage (V9, V55) – vor allem diejenigen Mädchen und Jungen eher zu, die selbst eher Täter und seltener Opfer sind, die häufig Gewalt beobachten und generell Gewalt befürworten. Mittels Faktorenanalyse läßt sich zeigen, daß die Items für Gewaltakzeptanz insgesamt stehen und daß mit dem drit-ten Item bei Jungen und Mädchen ein eigener Faktor „Mitleid“ repräsentiert wird: Es geht also weniger um den Aspekt geschlechtsrollenstereotypischen Verhaltens in bezug auf Gewalt, sondern um die von Jungen wie Mädchen zum Ausdruck gebrachten Einstellungen: Mädchen haben mit Gewaltopfern, die sich nicht wehren können, Mitleid bzw. Jungen nehmen an, daß Mädchen mit den Gewaltopfern Mitleid haben. Damit läßt sich die Einstellung für die Mädchen „Ich habe oft Mitleid mit den Jungen, die sich nicht richtig wehren können.“ nicht ausschließlich als Zustimmung zu einer bestimmten männli-chen Rollenerwartung interpretieren (z.B. „Ein richtiger Junge weiß, sich zu wehren“).

Gerade dieses Beispiel zeigt, daß selbst dann, wenn das Geschlecht der Akteure ausdrücklich thematisiert wird, und sogar geschlechtsbezogene Ant-wortvorgaben gemacht werden, noch nicht notwendigerweise etwas über die geschlechtsspezifischen Einstellungen der Befragten zum Ausdruck

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kommt. Es ist auch fraglich, ob mit den angesprochenen Items wirklich „ge-schlechtsbezogene Interaktionen“ untersucht werden (vgl. Popp 997, S. 7).

Möglicherweise überlagert das Thema „Gewalt und aggressives Verhalten“

andere mögliche Erklärungsdimensionen. Für eine Aufklärung der Frage, wie Mädchen zum Gewalthandeln von Jungen stehen und ob sie selber nicht auch eine „klammheimliche Freude“ beim Zuschauen empfinden, lassen sich aus diesem Untersuchungsdesign keine Aussagen treffen.

Abb. 3­4: Einstellungen zur Gewalt (Prozentanteil der Schülerinnen und Schüler, die den Aussagen teilweise oder ganz zustimmen)*

* Die Rangreihe wurde nach den Mittelwerten der Gesamtstichprobe erstellt.

Legend­e:

Rache: Auge um Auge, Zahn um Zahn, so ist nun einmal das Leben. (V190) Selbstbeweis durch Gewalt: Es ist völlig normal, wenn Männer sich im körperlichen Kampf mit

anderen selbst beweisen wollen. (V189)

Gewalt ist natürlich: Gewalt gehört selbstverständlich zur menschlichen Natur. (V186)

Gewalt ist natürlich: Gewalt gehört selbstverständlich zur menschlichen Natur. (V186)