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Einflüsse der Peer-Sozialisation

Im Dokument Gewalt als soziales Problem an Schulen (Seite 162-175)

Wer ist Täter, wer ist Opfer und wer beides zugleich?

5. Prädiktoren schulischer Gewalt im außerschulischen Bereich

5.3 Einflüsse der Peer-Sozialisation

Jugend als eine eigenständige Lebensphase mit den Peers als Gesellungsform und Sozialisationsinstanz kann als Produkt der Moderne begriffen werden – das belegen sowohl historische als auch kulturvergleichende Untersuchungen (vgl. u.a. Zinnecker 987, Zinnecker/Molnar 988, Zinnecker 99, Melzer/

Lukowski/Schmidt 99). Synonym zu dem Begriff der Peers wird in der Li-teratur auch die Bezeichnung der Gleichaltrigengruppe verwandt, obwohl nicht alle zu dieser Altersgruppe Zählenden gemeint sind, sondern nur diejenigen unter ihnen, die als Interaktionspartner akzeptiert sind und mit denen sich das Kind „in Anerkennung der jeweiligen Interessen prinzipiell zu einigen bereit ist. Verlangt wird eine gewisse ‘Soziabilität’, also die Disposition, Hand-lungspläne miteinander abzustimmen, und zwar ohne das Streben einander zu dominieren, und dem Vorsatz, grundlosen Streit zu unterlassen“ (Krappmann 99, S. 6).

Die Interaktion in Gleichaltrigengruppen entwickelt sich etwa vom 0.

Lebensjahr an (vgl. Mansel/Hurrelmann 99, S. 6) und ist im Freizeitsektor am stärksten entwickelt (Friebel 985, S. 0). Bereits in der mittleren

Kind-heitsphase differenzieren die Heranwachsenden zunehmend nach der Quali-tät der Beziehungen und heben Freundschaften, die auf besondere IntensiQuali-tät und ein wechselseitiges Vertrauens- und Unterstützungsverhältnis gründen, von bloßen Bekanntschaften ab (Krappmann 99, S. 65). Mit Beginn der Jugendphase (etwa ab dem 5. Lebensjahr) gewinnen die „Cliquen“ an Be-deutung, eine informelle jugendliche Gesellungsform, die in erster Linie auf gemeinsame Freizeitaktivitäten unterschiedlichster Art gerichtet ist. Diese verschiedenen Formen von Peer-Sozialisation stellen für die Jugendlichen ein flexibles, gestaltbares Beziehungsgefüge dar, das ihnen gleichzeitig Rückhalt und ein Gefühl der Solidarität geben kann. Baacke weist unter Bezug auf Eisenstadt auf die besondere Funktion der Peer-Groups im Lebenslauf der Jugendlichen hin (vgl. auch Eisenstadt 966, 990, Oerter 987, S. 8ff), auf ihre Systemähnlichkeiten mit der familialen Lebenswelt auf der einen und den Funktionsähnlichkeiten universalistischer Industriegesellschaften auf der anderen Seite.

„So sind die Beziehungen der Familie durch Nähe und Emotionalität bestimmt, und die Rollenzuschreibungen sind noch diffus und offen, wenig durch festgelegte Aufgaben geordnet und festgeschrieben: das verbindet die Jugendgruppe mit der Familie. Andererseits ist ein Status in ersterer nicht zugeschrieben, sondern muß erworben werden (Achtung und Anerkennung gleichaltriger Peers stellen sich nicht von selbst ein, sondern aufgrund von in Jugendgruppen anerkannten Leistungen): Diese Art des Statuserwerbs und der Statussicherheit ist wiederum etwas, was man in der Familie nicht, wohl aber später im ‘Erwachsenenleben’ beherrschen muß. Dazu gehört auch das Arrangieren eines eigenen Lebensstils. (...) Insofern dient die Jugendgruppe individueller Orientierung. In der Solidargemeinschaft von Gleichaltrigen, die sich gleichen Problemen gegenüber sehen, kann der Jugendliche biologisch bedingte Reifungsprozesse (Pubertät), interne Entwicklungsspannungen (ko-gnitive und emotionale Entwicklung, Entstehung von Selbstreflexion) und so-zial-kontextuelle Entwicklungen (Ausbildungserfahrungen, soziale Placierung-schancen) derart zu integrieren versuchen, daß Identität entsteht, die gleichsam sozial produziert wird im Kontext der Interaktion von Jugendgruppen. Diese werden geradezu zur Prüfstelle gelungener Sozialisation“ (Baacke 98, S.

5f). Zugleich stellt die Peer-Integration einen wichtigen Aspekt politischer Sozialisation dar, da sich in diesen Gruppen der Erwerb öffentlicher Kompe-tenzen und Rollen politischen Handelns zunächst im Kleinen vollzieht und sich im positiven Falle verantwortliches Handeln, das nicht wie in der Schule oder der Familie durch eine Kontrollinstanz von Erwachsenen erzwungen wird, entwickeln kann (vgl. Melzer 99, S. 8ff).

Es hat wissenschaftliche Debatten darüber gegeben, ob die Peers sich

„in Konkurrenz“ zur Familie (Mitterauer 986) etablieren und ob sie wirk-lich so positiv zu bewerten sind, wie eingangs dargestellt. Richtig ist, daß Gleichaltrigengruppen in dem Maße an Bedeutung gewinnen, wie sich die Loslösung der Heranwachsenden vom Elternhaus vollzieht. In einer früheren

Untersuchung konnte aber nachgewiesen werden, daß eine Komplementarität von Elternhaus und Peers als Erfahrungsräume und als Teile des Unterstüt-zungsnetzwerkes von Jugendlichen besteht (Melzer 99, S. 55ff). Die emo-tionale Reproduktion in der Familie, die ausbildungs- und berufsbezogenen Stützleistungen, Bestärkungen und Ratschläge von Eltern sind nicht durch unverbindliche Hinweise oder einen Austausch mit Gleichaltrigen zu ersetzen.

Die filiationistische Liebe scheint einstweilen noch verläßlicher, ermöglicht erst die sukzessive Ablösung vom Elternhaus und hilft, emotionale Rückschläge bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben zu verarbeiten.

Die Anerkennung im Kontext der Peers ist wichtig für die jugendliche Identitätsentwicklung; was aber, wenn Gleichaltrige sie aus ökonomischen, sozialen oder ethnischen Gründen verweigern? Auch gibt es negative Be-stimmungselemente der Peer-Konstituierung. Urie Bronfenbrenner weist darauf hin, daß im Zusammenhang mit Jugenddelinquenz eine höhere Anfälligkeit bei denjenigen Jugendlichen zu verzeichnen ist, deren Eltern häufiger abwe-send sind und sich als weniger liebevoll bzw. weniger fest in Disziplinfragen ihren Kindern gegenüber verhalten (vgl. auch 5.). So scheint die „Bindung an Gleichaltrige eher von mangelnder Aufmerksamkeit und Beachtung im El-ternhaus als von irgendeiner Anziehungskraft der Kameradengruppe selbst abhängig zu sein“ (Bronfenbrenner 976, S. 66) und möglicherweise eine problematische und für Jugendliche nicht oder nur schwer zu bewältigende Lebenssituation zu erzeugen. Auch in anderen Studien werden negative As-pekte der Peer-Sozialisation deutlich. Es wird darauf hingewiesen, daß in diesen Gruppen ein erhebliches internes, die Grenzen der Selbstregulierung der einzelnen Jugendlichen zum Teil übersteigendes Konfliktpotential besteht.

Daneben wird die relative Abschottung gegenüber anderen gesellschaftlichen Bereichen und damit eine Beschneidung des Anregungspotentials und der Lernmöglichkeiten beklagt. Giesecke geht sogar soweit, von einer „Ghetto-Situation“ der Jugendlichengruppen zu sprechen, die er mit der der Rentner vergleicht. Er kritisiert die fehlenden Orientierungs- und Reibungspunkte an der Erwachsenenwelt (Giesecke 985). Problematisch erscheint auch, daß Ju-gendliche in Peer-Gruppen oft zu stark einer gesellschaftlichen Entfremdung (z.B. unreflektiertes Konsum- oder Konkurrenzdenken, Orientierung an Me-dienleitbildern) ausgeliefert sind.

Diese Ambivalenz der Peers kommt auch im Phänomen des „Jugendzen-trismus“, einem zentralen Konstrukt der Jugendwerkstudien seit 99, zum Ausdruck (vgl. Jugendwerk 98, S. 6ff, Jugendwerk 99, S. 5ff). In der Skala verbinden sich positive Aspekte der Selbständigkeit, die auf gelungene Ablösungsprozesse von der Familie schließen lassen, mit einem starken Wi-derstandspotential und münden in kritisch zu bewertende Einstellungen, nach denen alle Polizisten als unfair und die Gesellschaft als feindselig erlebt wird.

Hier wird der Zusammenhang zur Gewalt bereits deutlich. In einer eigenen Untersuchung konnte nachgewiesen werden, daß gesellschaftsbezogene Ge-waltakzeptanz bei den Befragten mit einer jugendzentristischen Orientierung

signifikant stärker ausgeprägt ist, während eine positive Einbindung in Cliquen und den privaten Freundeskreis ein Indikator für demokratisches politisches Handeln ist (Melzer 99, S. 0ff).

In bezug auf Gewalthandeln von Schülern innerhalb und außerhalb der Schule ist die Einbindung in Peers in dreierlei Hinsicht von Bedeutung:

− Erstens haben die Täter-Opfer-Analysen ergeben, daß Isolation und feh-lende soziale Einbindung in den Klassenverband und die Gleichaltrigen-gruppen charakteristische Merkmale für den Opferstatus sind.

− Zweitens können die Taten von Einzelnen oder Gruppen im schulischen und außerschulischen Raum verübt werden, wobei die Gewaltorientierung der Gleichaltrigen einen Verstärkungsfaktor darstellen kann.

− Drittens kann die Binnenstruktur einer Gruppe (z.B. eine von Intoleranz geprägte Interaktion) im Sinne der Autoritarismus-Hypothese einen Ri-sikofaktor für Gewalthandeln darstellen.

Diese Annahmen werden im folgenden systematisch geprüft, wobei unsere Hy-pothesen dahin gehen, daß der Organisationsgrad in Gruppen als solcher kein Risiko für Gewalthandeln darstellt, wohl aber zur Erklärung des Opferstatus hilfreich ist, während als Prädiktoren schulischen Gewalthandelns die Gewalto-rientierung von Freunden oder Peers, mit denen man auch im außerschulischen Bereich in Kontakt ist, ebenso wirken könnte wie das intolerante Binnen-klima von Peer-Groups, sofern man ihnen angehört. Die Plausibilität und die Wahrscheinlichkeit des Zutreffens dieser Hypothesen wird gestützt durch die Nürnberger Studie: „Hinsichtlich aller (geprüften) Gewalthandlungen fällt die starke Determinationskraft der Gewalttätigkeit der Peergroups auf. Allerdings ist die Richtung der Beziehung, also die Kausalität, in diesem Fall nicht un-bedingt eindeutig: Zwar kann eine gewalttätige Gleichaltrigengruppe die Ge-waltaffinität der Jugendlichen erhöhen. Umgekehrt ist jedoch auch denkbar, daß sich gewalttätige Jugendliche eher gewalttätigen Peergroups anschließen.

Trotzdem kann betont werden, daß insbesondere hinsichtlich des Prügelns die Prädiktoren aus dem Sozialkontext der Gleichaltrigengruppe eindeutig gewaltverstärkend zur Geltung kommen. Neben dem Prügeln werden auch vandalistische Handlungen stark durch die sozialen Beziehungen zur Gleich-altrigengruppe beeinflußt“ (Funk/ Passenberger 997, S. 59).

Gruppenzugehörigkeit und Gruppeneigenschaften

Was die Zugehörigkeit zu Gleichaltrigengruppen anbelangt (V), hat die Analyse der Daten ergeben, daß 7,% der Befragten in Sachsen zu einer fe-sten Gruppe von Freundinnen oder Freunden gehören, die sich untereinander gut kennen und vieles gemeinsam machen (im folgenden „feste Gruppe“).

Weitere 6,% sind mit verschiedenen Leuten oder Gruppen locker befreundet, mit denen sie nur selten etwas gemeinsam unternehmen (im folgenden

„lok-kere Gruppe“). ,5% der Befragten sind in keiner Gruppe, haben aber eine/

n Freund/in, mit der/dem sie oft zusammen sind. Die restlichen ,8% sind meistens allein und haben keinen festen Freundeskreis. In Hessen ist der An-teil der Schüler in den festen Gruppen höher und in den anderen Kategorien niedriger. ,5% der Gruppen in Sachsen bestehen nur aus Jungen und ,7%

nur aus Mädchen. Die restlichen 7,8% sind gemischte Gruppen. In Hessen ist der Anteil der gemischten Gruppe kleiner (6,8%). Die meisten Gleichalt-rigengruppen bestehen gänzlich bzw. mehrheitlich aus den Schülern derselben Schule (vgl. Tab. 5-0). Falls alle bzw. keine Mitglieder der Freundesgruppe Mitschüler sind, ist die Freundschaft enger als in den Fällen, in denen ein Teil der Mitglieder aus derselben Schule kommt und ein anderer Teil nicht.

Tab. 5­10: Zusammenhang zwischen der Gruppenzusammensetzung (Mitschüler vs. Nichtmitschüler) und ihrer Festigkeit (Kreuztabelle; Angaben in Prozent; beide Stichproben)

Sind­ d­ie Mitglied­er Deiner Freund­esgruppe aus Deiner Schule?

Feste Gruppen Lose Gruppen Feste u. lose Gruppen

Sachsen Hessen Sachsen Hessen Sachsen Hessen

Ja, alle 19,2 26,1 12,2 21,5 16,2 24,5

Ja, die meisten 46,0 52,5 52,2 54,5 48,7 53,2

Ja, nur einige 28,7 14,7 31,1 18,2 29,8 15,9

Nein, niemand 6,0 6,8 4,4 5,7 5,3 6,4

Die aggressive Außenorientierung, das intolerante Binnenklima und das Wohlbefinden des Befragten in der Gruppe wurden anhand von sechs Items ermittelt (vgl. Tab. 5-). Alle Mittelwerte der ersten fünf Items sind kleiner als der Skalenmittelwert (=). Das zeigt, daß die meisten Gruppen von ihren Mitgliedern als eher nicht aggressiv und tolerant eingestuft werden. Die hohen Mittelwerte des Items „Wohlbefinden in der Gruppe“ zeigen auch, daß sich die überwiegende Mehrheit der Schüler in ihrer Gruppe richtig wohl fühlt.

Das war zu erwarten, weil die Mitgliedschaft in den Gleichaltrigengruppen in der Regel freiwillig ist. Wer sich nicht wohl fühlt, bleibt auch nicht in der Gruppe.

Die Aggressivität der Gruppen nach außen ist in Sachsen und Hessen fast gleich. Nur die diskursive Streitkultur ist in Sachsen etwas schwächer aus-geprägt als in Hessen. Bei der internen Intoleranz sind aber hochsignifikante Unterschiede zu verzeichnen. Hier weisen die sächsischen Gruppen eine stär-kere Intoleranz auf. Trotzdem fühlen sich die sächsischen Befragten in ihren Gruppen praktisch genauso wohl wie die hessischen.

Tab. 5­11: Items der Aggressivität und internen Intoleranz der Gruppen und ihre Mittelwerte (beide Stichproben)

Im folgend­en werd­en Aussagen zu Gruppen gemacht. Inwieweit stimmen d­ie Aussagen auch für Deine Freund­es­ und­ Bekannten­

gruppe?

Sachsen Hessen Differenz

I. Aggressive Außenorientierung d­er Gruppe:

V28. Wenn wir Probleme mit anderen Gruppen haben, lösen wir die nicht mit Diskutieren.

2,51 2,43 ,08***

V29. Im letzten Jahr hat es mit anderen Gruppen Kämpfe, Prüge-leien oder ähnliche Auseinandersetzungen gegeben.

1,75 1,80 -,05***

V30. Um die Ziele und Interessen unserer Gruppe durchzusetzen, pfeifen wir auch schon mal aufs Gesetz.

2,19 2,16 ,03***

II. Intolerantes Binnenklima:

V27. Wer motzt oder kritisiert, wird in unserer Gruppe nicht geduldet.

2,62 2,31 ,31***

V31. Wer nicht vollständig mit unserer Gruppe übereinstimmt, ist kein richtiges Gruppenmitglied.

2,12 1,96 ,16***

III. Wohlbefind­en in d­er Gruppe:

V32. In meiner Freundesgruppe fühle ich mich richtig wohl. 4,38 4,41 -,04***

Skala: 1=stimmt gar nicht ... 5=stimmt ganz genau

Weitere Analysen haben ergeben, daß die festen Gruppen eine aggressivere Außenorientierung haben als die mit geringem Zusammenhalt. Hinsichtlich der internen Toleranz unterscheiden sich die beiden Gruppen aber nur geringfügig und die Befragten fühlen sich in den festen Gruppen wohler als in den losen.

Die Langeweile in der Freizeit ist in den festen Gruppen geringer als bei den anderen. Sie ist aber in den aggressiven Gruppen größer. Es wurde weiterhin festgestellt, daß die Gruppen, deren Mitglieder aus derselben Schule sind, we-niger aggressiv sind als die anderen und daß die Schüler aus Familien mit posi-tivem Erziehungsklima eher zu den festen Gruppen gehören als die Schüler aus problematischen Familien. Sie schätzen ihre Kumpels auch weniger aggressiv und intolerant ein und fühlen sich in ihrer Gruppe wohler. Die Korrelationen zwischen den Gruppenvariablen und Medienvariablen zeigen ebenfalls, daß die Schüler, die in den aggressiven Gruppen sind, mehr als die anderen Video und Fernsehen (insbesondere Gewalt- und Sexfilme) konsumieren.

Gruppenzugehörigkeit und Gewaltverhalten

Wir überprüfen nun anhand der sächsischen Daten, inwieweit die Gruppen-eigenschaften und das Gewaltverhalten ihrer Mitglieder zusammenhängen.

Dabei verwenden wir dieselben Gewaltindikatoren wie in den letzten beiden Abschnitten. Die Analysen haben ergeben, daß Täterverhalten, Schuldevianz und Delinquenz bei den Befragten, die in den Gruppen und insbesondere in den festen Gruppen integriert sind, häufiger zu verzeichnen sind. Diejenigen, die meistens allein sind, werden viel häufiger als die anderen Opfer personen-bezogener Angriffe. Zwischen der Aggressionsbereitschaft und der Mitglied-schaft in den Gruppen wurde kein signifikanter Zusammenhang festgestellt.

Die Befürwortung der Gewalt ist aber in den festen Gruppen etwas stärker.

Nicht aber die bloße Mitgliedschaft in einer Gruppe ist in diesem Zusam-menhang ausschlaggebend. Es kommt vielmehr darauf an, wie sich die Gruppe nach außen und nach innen verhält. Tabelle 5- zeigt die bivariaten Kor-relationen zwischen den individuellen Gewaltindikatoren und den Items der Gruppe (Aggressivität, Intoleranz und Wohlbefinden in der Gruppe). Es gibt starke Zusammenhänge zwischen der aggressiven Außenorientierung und der Aggressivität und Gewalttätigkeit der Mitglieder. Am stärksten sind die De-linquenz und Gewaltbefürwortung mit der Mitgliedschaft in einer aggressi-ven Gruppe verbunden. Es folgen das Täterverhalten in der Schule und die Aggressionsbereitschaft. Die Unbeteiligten und die Schüler mit ausgeprägter diskursiver Streitkultur sind am wenigsten in aggressiven Gruppen vertreten.

Interessant ist, daß auch die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, in den aggressiven Gruppen größer ist. Die Frage bleibt aber offen, ob die Opfer in derartigen Gruppen einen Schutz suchen oder die Opfererfahrungen eine Reaktion auf die eigenen und Gruppenaggressionen sind.

Tab. 5­12: Korrelationen zwischen den individuellen Gewaltindikatoren und Gruppenvariablen (Stichprobe Sachsen)

V28 V29 V30 V27 V31 V32

Täter: weichere

Individuelle

Unbeteiligtsein (Cluster) -.18** -.26** -.30** -.10** -.16** .02** -.38**

Schuldeviantes Verhalten .17** .31** .37** .04** .14** .03** .45**

Delinquentes Verhalten .30** .46** .48** .07** .18** -.04** .43**

Gewaltbefürwortung .33** .42** .43** .11** .26** .01** .37**

Aggressionsbereitschaft .16** .29** .23** .12** .19** -.03** .22**

Diskursive Streitkultur (V123)

-.23** -.21** -.15** -.06** -.14** .11** -.09**

Wenn wir die ersten drei Spalten der Tabelle 5- miteinander vergleichen, können wir feststellen, daß am stärksten die Verstöße der Gruppe gegen die Gesetze (V0) mit den individuellen Gewaltindikatoren zusammenhängen.

Es folgen die Kämpfe mit den anderen Gruppen (V9) und Diskussionsun-fähigkeit der Gruppe nach außen (V8).

Die interne Intoleranz der Gruppe hängt mit den individuellen Gewaltin-dikatoren schwächer zusammen als die Aggressivität nach außen. Sie zeigt aber in groben Zügen dasselbe Muster: Gewaltbefürwortung, Aggressionsbe-reitschaft, Täterverhalten, Delinquenz, Schuldevianz und Opfererfahrungen sind in den intoleranteren Gruppen stärker zu beobachten. Unbeteiligte sind eher in toleranten Gruppen mit höherer diskursiver Streitkultur integriert.

Zwischen dem Wohlbefinden in der Gruppe und Gewaltfaktoren gibt es kaum einen Zusammenhang. Die Befragten mit stärkerer diskursiver Streit-kultur fühlen sich in ihren Gruppen wohler als die anderen. Das ist auch zu erwarten, weil sie die Eskalation möglicher Konflikte in der Gruppe verhin-dern können. Die Opfer fühlen sich in ihren Gruppen etwas weniger wohl als die anderen. Sie bleiben trotzdem in ihren Gruppen, weil sie ansonsten vermutlich unangenehmere Erfahrungen befürchten müssen.

Wir haben die Schüler nicht nur nach der Aggression und Intoleranz der Freundes- und Bekanntengruppe gefragt, sondern auch nach der Gewalttä-tigkeit der Freunde, ohne Spezifizierung auf eine Gruppe. Die Befragten ha-ben angegeha-ben, ob sie bei ihren engsten Freunden oder Freundinnen folgende Aggressionsformen beobachtet haben: Vandalismus (V5a), Beschimpfung oder „Telefonterror“ gegen Lehrer (V8a), Bedrohung, Schlagen oder sach-bezogene Attacken gegen Lehrer (V5a), psychische Aggressionen gegen die

Mitschüler (V59a), ausländerfeindliche Sprüche (V6a) sowie Erpressung (V65a). Wir haben für jeden Befragten die Anzahl der Ja-Antworten bei diesen sechs dichotomen Items aufsummiert und damit eine Variable für die Gewalttätigkeit der engsten Freunde gebildet. ,% der Befragten haben ihre Freunde bei keiner der genannten Aggressionsformen beobachtet, 5,% nur bei einer Form, ,0% bei zwei Formen, 8,% bei drei Formen, 5,% bei vier Formen, ,% bei fünf Formen und ,% bei allen sechs Formen. Die letzte Spalte der Tabelle 5- beinhaltet die Korrelationen zwischen dieser Variable und den individuellen Gewaltindikatoren. Es gibt einen starken positiven Zu-sammenhang zwischen der Gewalttätigkeit der Freunde einerseits und dem Täterverhalten des Befragten andererseits (härtere und weichere Aggressionen, Schuldevianz, Delinquenz, Gewaltbefürwortung und Aggressionsbereitschaft).

Auch die Freunde der Opfer sind überdurchschnittlich aggressiv. Bei den Un-beteiligten ist es dementsprechend umgekehrt. Der (negative) Zusammenhang zwischen der diskursiven Streitkultur und der Gewalttätigkeit der Freunde ist aber nicht so stark. Gleichwohl zeigen die Daten, daß man weniger in der Lage ist, Streitigkeiten durch Reden zu klären, wenn man gewalttätige Freunde hat.

Analog zu den vorherigen Abschnitten können wir auch hier anhand ei-ner Clusteranalyse (k-Means-Verfahren) die Befragten nach der Zugehörigkeit zu den Gruppen mit hoher bzw. niedriger Aggressivität und Intoleranz klas-sifizieren. Als Klassifikationsvariablen dienen alle sechs Gruppenvariablen (vgl. Tab. 5-). Abbildung 5- zeigt die Mittelwerte dieser Variablen in einer -Cluster-Lösung. ,% der Befragten fallen in ein Cluster mit höheren Mit-telwerten bei den Items der Aggressivität und Intoleranz. Die restlichen 65,6%

befinden sich in einem anderen Cluster mit niedrigeren Werten bei diesen Items. Diese zwei Cluster unterscheiden sich hinsichtlich des Wohlbefindens in der Freundesgruppe (V) nicht. Somit kann geschlußfolgert werden, daß sich die Jugendlichen in den aggressiveren und intoleranteren Gruppen im Schnitt genauso wohl fühlen wie in den anderen Gruppen.

Tab. 5-: Zusammenhang zwischen der Aggressivität/Intoleranz der Gruppe und dem Täter-Opferstatus

(Kreuztabelle, Angaben in Prozent)

Gruppenprofile Opfer Täter-Opfer Täter Episoden-Täter

Unbeteiligte Total

aggressiv/intolerant 31,4 71,6 73,2 42,2 22,0 34,0

friedlich/tolerant 68,6 28,4 26,8 57,8 78,0 66,0

Wenn wir nun diese Klassifizierung mit den fünf Handlungstypen aus dem Kapitel in Zusammenhang bringen (vgl. Tab. 5-), können wir einen star-ken Zusammenhang zwischen der Gruppenaggressivität und dem individuellen Status feststellen (Cramer’s V=,5). Es zeigt sich, daß nicht nur die Täter,

sondern auch die Täter-Opfer überwiegend in den aggressiven und intoleranten Gruppen zu suchen sind: 7,% der Täter und 7,6% der Täter/ Opfer sind in derartigen Gruppen, während dies nur für ,0% der Unbeteiligten gilt. Die Episoden-Täter (,%) nehmen eine mittlere Position zwischen den Tätern und Unbeteiligten ein. Die Opfer (,%) sind zwar mehr als die Unbeteiligten aber immerhin leicht unterdurchschnittlich in den aggressiven und intoleranten Gruppen vertreten.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Ergebnisse auf einen hohen Stel-lenwert der Peer-Sozialisation in bezug auf das Gewaltverhalten hindeuten.

Nicht die Gruppenzugehörigkeit an sich ist gewaltfördernd, sondern die Zu-gehörigkeit zu aggressiven und intoleranten Gruppen. Als Gegenstück zur Isolation senkt die Gruppenzugehörigkeit die Wahrscheinlichkeit der Vikti-misierung bei den personenbezogenen Angriffen. Der starke Zusammenhang zwischen der individuellen und der Gruppenaggressivität ist nicht als eine eindeutige Kausalbeziehung zu betrachten. Es ist plausibel, daß das eigene Verhalten und die individuellen Einstellungen von denen der Freunde beein-flußt wird. Ebenso plausibel ist es aber, daß sich die gewalttätigen Jugendlichen eher den gleichgesinnten Gruppen anschließen. Somit ist die Aggressivität der Gruppe weniger als eine primäre Ursache und mehr als ein Verstärkungsfaktor zu betrachten.

V32 V31

V27 V30

V29 V28

5

4

3

2

1

Aggressiv/intolerant 34,4%

Friedlich/tolerant 65,6%

Abb. 5­4: Mittelwerte der Items der Gruppeneigenschaften in den Clustern einer -Cluster-Lösung (Sachsen)

* Legende vgl. Tab. 5-11

5.4 Zusammenfassung

Vergleicht man die Einflußstärke der drei untersuchten Sozialisationsbereiche, so läßt sich auf der Grundlage unserer bivariaten Modelle (Zwei-Cluster-Lö-sungen für: . familiale Sozialisation, . Medieneinflüsse, . Verstärkungen

Vergleicht man die Einflußstärke der drei untersuchten Sozialisationsbereiche, so läßt sich auf der Grundlage unserer bivariaten Modelle (Zwei-Cluster-Lö-sungen für: . familiale Sozialisation, . Medieneinflüsse, . Verstärkungen

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