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Erfahrungsbezogen angepaßt-funktionierende Haltung

3 Handlungsspielraum/Fachlichkeit gegenüber der Verwaltung

5.2 Erfahrungsbezogen angepaßt-funktionierende Haltung

Zu den erfahrungsbezogen handelnden Befragten gehören auch Marion Ubben und Jan de Vries; so verwendet Marion Ubben zur Herausbildung ihrer Fachlichkeit weitestgehend

all-tagsweltliche Orientierungen. Es verwundert daher nicht, daß theoretisch angereicherte Be-gründungszusammenhänge völlig fehlen und sich ihre Studienplanung eher mit Bewälti-gungskriterien denn mit inhaltlicher Auseinandersetzung mit Blick auf die spätere Praxis be-schreiben läßt:

„Es kommt immer sehr darauf an, wo man später arbeiten will und äh ich weiß nich’, ob andre Leute ihr Studium vielleicht äh oder ihren beruflichen Werdegang äh äh noch straighter planen, als ich das damals getan hab’, [...] aber es is’ sicherlich so, daß man äh bestimmte Seminare, die man halt macht oder auch machen muß, später nicht wieder braucht. Aber das hängt wirklich davon ab, wo man später auch wirklich arbeiten will.“ (MU 413-419)

Ihre Einschätzung des Studiums als einer praxisfernen Veranstaltung offenbart ihre Haltung diesem gegenüber als einer möglichst eilig zu bewältigenden Hürde, der dann die Praxis folgt:

„Lag aber sicherlich auch ‘n Stück weit an der Auswahl, die ich da getroffen hab. Ansonsten äh wenn ich überlege, wie ich das damals im Studium gefunden hab, da hatte ich schon so’n bißchen den Eindruck, daß das Studium teilweise praxisfern ist. [...] Und das hat sich im Grunde genommen äh hier in der kon-kreten Arbeit auch bestätigt.“ (MU 395-399)

Auffällig ist ihre Verortung der Studienphase und der damit einhergehenden Theoriebezüge als einer ihr Leben nicht maßgebend prägenden Zeit, und so erscheint es nur folgerichtig, wenn sie das Studium nicht als Ort für Sinnfragen und Selbstreflexion betrachtet. Dement-sprechend weist das Gebäude ihrer Alltagsorientierung Risse auf, wenn über den Rahmen des alltäglichen Erfahrungshorizontes hinausreichende Probleme auf sie zukommen. Die daraus erwachsenden Problemkonstruktionen können von Marion Ubben nicht angemessen fachlich verarbeitet werden und führen zu den ersten diffusen Ansätzen eines Bedrohungsszenarios, indem stellvertretend zunächst einmal der Kostendruck angeführt wird. Eigene Einfluß-möglichkeiten auf die Finanzsituation werden nicht diskutiert:

„[...] und äh ich andererseits eben immer so’n bißchen Angst hab’, daß irgendwann die Möglichkeiten, die wir hier haben, um so was überhaupt anzubieten, ja daß die halt irgendwann mal ganz und gar wegfallen.

Aus Kostengründen.“ (MU 70-72)

Ähnlich ist Jan de Vries einzuschätzen, der große Schwierigkeiten hat, seine Praxis fachlich angemessen zu reflektieren. Diese fehlende Kompetenz zeigt sich deutlich in der Auseinan-dersetzung um sozialarbeiterische Grundkonflikte, zu deren Lösung ihm keinerlei fachliche Mittel zur Verfügung stehen und er in der Folge in eine Situation gerät, die ihn aufzureiben beginnt. Zunächst reibt ihn das Problem der Abgrenzung zwischen ihm als Sozialarbeiter und Klient auf. In dem folgenden Zitat zeigt die ´Schroffheit` etwas von diesem Abgrenzungsprob-lem:

„[...] also weil ich dann auch merke, daß ich teilweise an meine Grenzen komme, wo ich dann vielleicht z- mich zu sehr auf das einlasse, was da von den Jugendlichen kommt, [...] und manchmal vielleicht aber auch zu schroff dann bin in der Abgrenzung wiederum, wenn ich mir das s- bewußt mache. So das halte ich für’n Problem in der Praxis, [...] mit Jugendlichen.“ (JdV 29-36)

Des weiteren reibt ihn die Auseinandersetzung zwischen seiner Hilfe den Klienten gegenüber einerseits und seiner Pflicht gegenüber Institutionen andererseits auf.

Sein Wunsch, als Freund gesehen zu werden - „. Äh ‘n bißchen platt gesagt zwischen Kumpel und (.) und äh Helfer“ - untermauert insofern seinen eher unfachlichen Zugang zu Praxis,

zu-mal er selbst konstatiert, daß zwischen seinem planerischen Anspruch und dessen praktischer Umsetzung eine erhebliche Lücke klafft:

„Das ist denk ich... Man ste- man hat da manchmal Sachen im Kopf, die dann nachher im Endeffekt ganz anders laufen, weil man gar nicht so das kontrollieren kann, was die Jugendlichen dabei empfinden oder was sie selber da überhaupt an sich ranlassen.“ (JdV 305-307)

Die gescheiterte Umsetzung, wie auch die fachlichen Planungsprämissen werden nicht fach-lich reflektiert.

In dieser Hinsicht korrespondieren seine Haltungen mit denen von Marion Ubben, denn in der Praxis auftauchende fachliche Probleme werden nicht mit möglicherweise vorhandenen Theo-riedefiziten bzw. der Aufarbeitung von Problemen mit Hilfe von Theorie in Verbindung ge-bracht. Vielmehr tritt die erfahrungsbezogene Orientierung in den Vordergrund und drängt jede auf Theorie basierende Option aus dem Blickfeld der Akteure.

Beide nehmen für sich in Anspruch, dem Studium nichts fachlich relevantes abgewonnen zu haben, und damit reihen sie sich nahtlos in die Gruppe der erfahrungsbezogen Handelnden ein, für die das Studium bezüglich der Vermittlung theoretisch-wissenschaftlicher Inhalte fol-genlos geblieben ist:

„Studium und Praxis wenn ich ganz genau überlege, (21 sek.) also ich finde, das hat wenig miteinander zu tun. [...] Also ich kann also das nicht anders sagen, weil ganz... Wenn ich nun ganz ehrlich bin... (7 sek.) Ich erinner’ mich jetzt nicht richtig an Situationen oder an Sachen, die ich im Studium äh (.) gemacht ha-be, die ich jetzt so unmittelbar auf meine Arbeit umsetzen kann, das ist schon schwierig.“ (JdV 642-647)

Die festzustellende Fetischisierung der Praxis bzw. die Überbetonung der pragmatisch-planerischen Handlungsaspekte läßt den Schluß zu, daß erfahrungsbezogenes Handeln bei diesem Typus vorherrscht und Grenzen der fachlichen Handlungsfähigkeit aufzeigt. Die Ve-hemenz in der Ablehnung von Studium und Theorie findet ihre Parallele in der Ausbildung von Fachlichkeit, denn beide haben Schwierigkeiten mit der Unreflektiertheit ihres Handelns, während beispielsweise Ralf Otten und Rüdiger Meinen Fachlichkeit fast ausschließlich for-mal darstellen und sich damit den Möglichkeiten eines ganzheitlichen Ansatzes berauben.

Wilfried ter Veer und Habbo Jacobs präsentieren sich in dieser Kohorte als zwei Sozialarbei-ter, die eher zufällig in die Soziale Arbeit geraten sind. So fällt es beiden schwer, die sozial-pädagogische Praxis fachlich zu reflektieren. Bei Habbo Jacobs ist kein fachliches Referenz-system aufweisbar, so daß er sich in seinem fachlichen Handeln an die vorgefundenen Ver-hältnisse anpaßt. Sein trotzdem beträchtliches Engagement rührt jedoch eher aus der Sorge um den eigenen Arbeitsplatz als um die Sorge um die Klientel. Da er keine fachlichen Deutungs-muster entwickelt hat, orientiert er sich weitestgehend an der bürokratischen Organisation. In Ermangelung einer fachlichen Identität trägt seine Narration bereits resignative Züge, wie sie ähnlich beim unbewältigten Grundlagenkonflikt von Jan de Vries zu beobachten sind: „dann frag ich mich, wofür reib ich mich so auf also muß ich kann ich das nur kompensieren, indem ich äh äh ja in gewissen Bereichen dann auch Abstriche mach“ (WtV 873).

Weiterhin ist festzuhalten, daß Habbo Jacobs sich in der vehementen Ablehnung der Studien-organisation bezüglich ihrer vermeintlichen Praxisdefizite in Übereinstimmung mit Jan de Vries und Marion Ubben befindet:

„Das was ich im Studium äh (3 sek.) (pustet) ich sag das mal so, was ich im Studium für Seminare mitmacht habe (.), die warn für mich sehr praxisfremd, also es wurde selten, es wurden selten Sachen ge-macht, wo man jetzt d-direkt in irgendwelche Praxis- äh einrichtungen reingegangen ist als Student oder als Projekt oder was weiß ich, sondern das war mehr oder weniger die Ausnahme.“ (HJ 450-454)

Trotz der Einforderung von mehr Praxis im Studium vermag Habbo Jacobs kein theoretisches Konstrukt zu liefern, das seine Fachlichkeit untermauern oder ihm bei der Bewältigung alltäg-licher Auseinandersetzungen mit KlientInnen hilfreich sein könnte. Stattdessen kritisiert er die angebliche Theorielastigkeit des Studiums und verharrt in seiner frustrierten Haltung:

„[...] und äh also es gab nur wenig Seminare, die mich auch äh wo ich sagen kann ah da hab ich irgend-welche Erkenntnisse raus- rausgewonnen ne. (3 sek.) Kann ich irgendwie nich sagen, daß da, das ich da viel für gelernt hab.“ (HJ 460-463)

Auch bei Wilfried ter Veer läßt sich diese Frustration aufzeigen, da auch ihm eine fachliche Stringenz fehlt. Ähnlich wie Habbo Jacobs ist er zufällig in die Soziale Arbeit geraten und kämpft ständig an der Grenze zwischen fehlender Fachlichkeit und dem Erhalt des Arbeits-platzes. Er hat Probleme damit, Arbeits- und Privatbereich voneinander zu trennen. Im Unter-schied zu den anderen »Erfahrungsbezogenen« scheint bei Wilfried ter Veer die Erkenntnis durch, daß die eigenen fachlichen Dilemmata vielleicht mit der vorschnellen Gewichtung der Ausbildung im Bereich der Praxis zusammenhängen könnten. Er fordert aus diesem Grund mehr Theorie im Studium. Sein gleichzeitig ängstlicher Blick auf die Situation am Arbeits-markt und seine wenig ausgeprägten fachlichen Kompetenzen lassen ihn als angepaßt erschei-nen, was durch sein ständiges Absicherungsbemühen im Rahmen des Teams noch zusätzlich unterstrichen wird.