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1 Zur Intention des Berufspraktikums

2.1 Das Berufspraktikum als Lernphase

Angesichts der Intentionen des Berufspraktikums als Ausbildungs- bzw. Lernphase seitens der Fachhochschule, überraschen die Aussagen der befragten BerufspraktikantInnen: Ein Großteil von ihnen nimmt das Berufspraktikum kaum als Lernphase wahr, vielmehr argumentieren sie aus einer Rolle als ExpertIn heraus; ein spezifischer Ausbildungscharakter dagegen wird dem Berufspraktikum nur von einem kleinen Teil der BerufspraktikantInnen zugeschrieben.

Lediglich ein Berufspraktikant, der 28jährige Andreas Onken, nimmt das Berufspraktikum explizit als Lernphase wahr und gestaltet es entsprechend, als Chance, theoretische Defizite in einem relativ geschützten Rahmen auszugleichen. Für ihn besteht das zentrale Problem des Berufspraktikums darin, „daß man als Berufspraktikant [...] zwar ein großes Spektrum mitge-kriegt hat, aber jetzt so im Einzelbereich und bei mir jetzt in der Gesetzgebung, also der Um-gang mit Asylbewerbern und so weiter doch erstmal neu ist“ (AO 7-10). Die Tatsache, formal zwar die theoretische Ausbildung abgeschlossen zu haben, de facto aber in konkreten Hand-lungsvollzügen immer wieder an die eigenen Grenzen zu stoßen, ist für ihn eines der Chrakte-ristika des Berufspraktikums. Dabei sind es für ihn mehrere Ebenen, auf denen er dem Neuen begegnet, auf denen er sich mit unbekannten Problemen und Situationen auseinandersetzen muß. Für die Ebene der theoretischen Defizite äußert er:

„Das muß man sich ja erstmal aneignen, und das dauert eine Zeit und muß das dann auch, also viele Sa-chen erstmal versuSa-chen zu lernen praktisch umzusetzen, und das ist eben halt in dem Bereich des Asylver-fahrensgesetz, Asylbewerberleistungsgesetz, das Ausländergesetz einigermaßen erstmal (...). Du mußt das nicht auswendiglernen, aber daß du so grundsätzlich so einige Grundsätze weißt, die wichtigsten Sachen weißt und auch weißt wie man, äh, wann die angewandt werden, was du rausholen kannst“ (AO 13-18).

Aber nicht nur Defizite im Rechtsbereich gilt es für ihn zu kompensieren; die Auseinanderset-zungen mit Behörden und KollegInnen, die er in seinem Praxisfeld (Flüchtlingsbetreuung) zu bewältigen hat, werden als ebenso problematisch geschildert. Mit Bezug auf die Auseinander-setzung mit Behörden meint er:

„Wie du dich auseinandersetzt, das finde ich das Schwierige auch an der ganzen Sache. Du mußt dich ja also in dem Bereich oder auch in anderen Bereichen der Sozialarbeit also mit allen möglichen Behörden auseinandersetzen, das heißt Polizei, Sozialamt, Verteilung bei uns, die Asylbewerber werden dann ja auch verteilt von der X (die Einrichtung, in der AO arbeitet, d. Verf.) weg“ (AO 18-22).

Auch auf der Ebene des Kollegiums muß er während des Berufspraktikums lernen, sich aus-einanderzusetzen:

„Du mußt dich selbst mit den Hauswarten auseinandersetzen, die sehr eine ganz andere Meinung oftmals haben, weil alles was fremd ist, ist denen vielleicht nicht so geheuer. Die setzen sich nicht unbedingt so auseinander wie ein Sozialarbeiter mit solchen Sachen, und... Du mußt dich also auch mit der Putzfrau teilweise auseinandersetzen, das heißt (...), du mußt dich mit den Leuten unten auseinandersetzen, und du mußt dich mit den Leuten oben auseinandersetzen, und das ist sicherlich ziemlich schwierig, weil dadurch also auch sehr viel Kraft draufgeht. Also überhaupt sich auseinanderzusetzen, das kostet dann sehr viel Kraft“ (AO 22-29).

Als letzten Punkt schildert er seinen Umgang mit den persönlichen Schicksalen der Flüchtlin-ge, die ihn stark belasten und für ihn unbekannt sind:

„Weiterhin ist eigentlich noch recht schwierig so, daß du am Anfang dann wirklich das Schicksal des Flüchtlings nur siehst und äh dann auch erstmal Schwierigkeiten hast, damit umzugehen. Das war bei mir die erste Zeit so, daß ich in den ersten zwei, drei Monaten sehr viel Schwierigkeiten hatte und die Sachen mit nach Hause genommen habe, (.) und dann also die Einzelschicksale dann (.), also viel äh (.) ganz ka-tastrophale Sachen dann, also, äh, das in der Familie jemand umgebracht worden ist, die Frau umgebracht worden ist, Kinder und so weiter. Das kannst du dir in dem Moment nicht so vorstellen, weil du kennst es nicht. Man kann sich da auch nicht reinversetzen, also das, (4 sek.) das ist dann einfach mal irgendwie da, und du mußt dann versuchen, damit umzugehen, weil solche Sachen hast du nie gelernt, kennst du einfach nicht, und äh dann stehst du dann eben da und nimmst das mit nach Hause und kannst dir das einfach nicht vorstellen, daß einfach Menschen totgeschossen werden, äh, daß also ganze Kulturen (.) äh, nun, ja, (.) daß ganze Volksgruppen praktisch mehr oder weniger verboten wurden. Sie durften ihre Kulturen nicht ausleben und so. Das kann man sich eigentlich nicht so vorstellen. Das habe ich die erste Zeit mit nach Hause genommen, und dann mußt du es irgendwie verarbeiten. Das ist schwierig, gerade am Anfang“ (AO 33-47).

Andreas nutzt das Berufspraktikum als Lernsituation, als Chance, diese neuen und unbekann-ten Situationen zu bewältigen. Das Berufspraktikum unterscheidet sich seiner Ansicht nach vom Studium grundsätzlich darin, daß es im Gegensatz zu diesem nicht mehr handlungsent-lastet ist, konstitutiv hier vielmehr der Druck ist, Entscheidungen zu treffen und sich für die Interessen der AdressatInnen einzusetzen:

„Das ist während des Studiums (.) ist das einfacher. Du setzt dich auseinander und diskutierst, und so mußt du dich auch durchsetzen und mußt für Belange der Flüchtlinge, (.) mußt du dich eben einsetzen, und dann mußt du so wie oben äh dich durchboxen und auch unten, und das ist dann einfach schwierig, jedenfalls wenn man gerade neu im Beruf ist“ (AO 29-33).

Und an anderer Stelle:

„Ja, die muß man auch im Studium lernen, aber das ist dann eben was anderes. Da setzt du dich also dann auseinander mit anderen Studenten,(.) das ist halt ‘ne andere Ebene. Diesmal mußt du dich halt auseinan-dersetzen, um was zu erreichen. Du erreichst ja so im Studium nur, daß deine eigene Meinung vielleicht dort anerkannt wird, oder, daß du dich vielleicht einfach noch vor anderen profilieren mußt und willst. (4 sek.) Ja, und du willst natürlich auch was verbessern, bloß wenn du jetzt daherredest im Studium, verbes-serst du an der Situation nicht viel, oder verbesverbes-serst (.) für das Klientel nichts. Das geht nicht mit ‘ner Diskussion, was ja sicherlich ‘ne ganze Menge wert ist, aber das mußt du dann erstmal umsetzen im Aner-kennungsjahr“ (AO 146-153).

Dieses »Umsetzen« aber vollzieht sich nicht von heute auf morgen; zudem ist ihm klar, daß

„die Auseinandersetzung [...] also nach dem Studium, dem Anerkennungsjahr noch lange nicht vorbei“ (AO 158) ist. Auch hier kommt es seines Erachtens weiterhin darauf an, sich Neues anzueignen, anderes zu verwerfen, ist es seines Erachtens wichtig, „dich ständig auch zu reflektieren und dich auseinanderzusetzen“ (AO 160). Die Idee vom lebenslangen Lernen, die sich wie sein Credo durch das ganze Interview zieht, drückt sich aus in dem Satz „Man muß sich ja auch selbst immer wieder in Frage stellen“ (AO 161).

Auch die in einer Langzeiteinrichtung für Drogenabhängige tätige Johanna Müller betrachtet lebenslanges Lernen als wichtiges Kriterium, da Sozialarbeit ständig mit Neuerungen konfron-tiert ist:

„Also wir sind als Sozialarbeiterinnen ständig mit neu, (.) Neuerungen äh konfrontiert, mh äh, die muß man sich einfach aneignen, mit denen muß man sich auseinandersetzen und beschäftigen, einfach erstmal drum wissen“ (JM 301-303).

Im Gegensatz zu Andreas Onken jedoch handelt es sich bei ihr nicht um die prinzipielle Be-reitschaft zum Lernen, sondern vielmehr um eine von außen gesetzte notwendige Vorausset-zung, um angesichts sich ständig verändernder Bedingungen Sozialer Arbeit überhaupt hand-lungsfähig zu bleiben; Lernen erscheint bei ihr als Einsicht in die Notwendigkeit, nicht als Prinzip an sich.

Für sie zeichnet sich deshalb Sozialarbeit dadurch aus, „daß man nie aufhören kann, was zu lernen“ (JM 299), woraus resultiert, „daß ich (.) eigentlich nie aufhören kann, zu lernen“ (JM 300).

Ihre Formulierungen, sich Neuerungen aneignen zu müssen und deshalb mit dem Lernen nicht aufhören zu können, verdeutlichen die Differenz zur Sichtweise von Andreas Onken: Lernen wird zu einer Notwendigkeit angesichts von außen gesetzter Vorgaben. Wo sich bei Andreas ein Agieren findet, zeigt sich hier ein Reagieren.

Das Berufspraktikum bietet hierbei für sie den Vorteil, die Berufsrolle noch nicht voll über-nehmen zu müssen:

„Darum find’ ich dieses Anerkennungsjahr zum Beispiel auch ganz sinnvoll, weil wenn ich jetzt gleich mit

‘ner vollen Stelle gearbeit, also in der Praxis stecken würde, äh, wäre das teilweise sehr schwierig. Und so hab’ ich jetzt ‘ne Zeit, ‘n Jahr Zeit, um mir auch mal viele Dinge anzueignen“ (JM 283-286).

Ähnlich wie Andreas und Johanna empfindet auch die im Sozialdienst einer Klinik arbeitende Anja Trauernicht das Berufspraktikum als Lernphase, wenn auch nicht in so expliziter Art und Weise. Begreift vor allem Andreas unbekannte Situationen eher als Chance, als Herausforde-rung, um sich damit auseinanderzusetzen und daran zu lernen, erscheinen bei Anja solche

Situationen eher als störend für den reibungslosen Arbeitsvollzug. Entsprechend besteht für sie das Problem eher darin, ihr unbekannte Situationen zu meistern; die Problemlösung bleibt konkret mit dem jeweiligen Problem verknüpft, eine generelle Lösung wird von ihr nicht an-gestrebt:

„Was mir persönlich natürlich auch ständig noch passiert, ist, daß ich an meine Grenzen stoße, daß ich ir-gendwo denke ähm, oh das hattest du noch nicht, wie gehst du jetzt damit um. [...] Also das ist sicher auch

’n Problem, ab und zu, daß ich einfach denke, oh Gott was machst du jetzt“ (AT 161-165).

In solchen Situationen überlegt sie, wo sie Hilfe bekommen kann und hat sich längerfristig ein Informationsnetz geschaffen:

„Gut, das ist meine Lösungsstrategie, schon wo kann ich mir Hilfe holen, wen kann ich fragen. Ich hab am Anfang, als ich dort anfing, mir ja sehr intensiv ’n Netz aufgebaut, wo ich mir Hilfe holen kann, sowohl innerhalb des Hauses als auch außerhalb bei Institutionen“ (AT 167-170).

Für Anja besteht die Funktion des Berufspraktikums darin, sich solche Strategien im Umgang mit unbekannten Situationen zu erarbeiten:

„Daß ich zum Beispiel mir überleg’, wenn ich ähm plötzlich mit ‘nem magersüchtigen Mädchen konfron-tiert werde, daß ich dann ähm erstmal nicht weiß ähm, wie gehe ich jetzt damit um und das muß ich mir dann erarbeiten, aber dafür ist das Berufspraktikum auch da“ (AT 201-204),

wozu für sie auch die Möglichkeit gehört, sich „irgendwo nett hinzusetzen und mir erst mal in Ruhe etwas über Magersucht durchzulesen“ (AT 207), wenn das während der Arbeitszeit nicht möglich ist, dann „natürlich auch so nebenbei zu Hause“ (AT 208).