Zusammenfassend ergibt sich für die fünf rekonstruierten Ebenen folgende Typik (vgl. zur Übersicht Tabelle 4).
6.1 »Die fachlich Profilierten«
Charakteristisch für diesen Typus ist die ganzheitliche Orientierung, der Bezug auf ein wis-senschaftliches Referenzsystem und die Offenheit gegenüber Neuem. Mit dem KJHG wird kritisch-konstruktiv und adressatenorientiert umgegangen. Der Umgang mit der Verwaltung erfolgt selbstbewußt auf der Basis fachlicher Kompetenz, die sich theoriebezogen begründet.
Die wissenschaftlich orientierte Reflexion ist erweitert um die Kompetenz des hermeneuti-schen Fallverstehens. Auf Grund der Generationslagerung kann dabei eine stärker rechtliche, sozialreformerische oder klientInnenortientierte Haltung dominieren. Wie selbstverständlich vertritt dieser Typus die kollektiv legitimierten Normen und versteht sich dennoch als Anwalt des (Einzel)Falles. Es gelingt die Integration der widersprüchlichen Rollenanforderungen.
Diesem Typus sind die unterschiedlichen Strukturlogiken von Theorie und Praxis bewußt. Es besteht die Bereitschaft zur ständigen Selbstreflexion und Selbstprüfung. Eine fachlich be-gründete Distanz gegenüber der Klientel bei gleichzeitiger Empathie und Respektierung ihrer Lebenspraxis wird sichtbar. Auffallend ist, daß nach einer kritischen Selbsteinschätzung die
38 In diesem Zusammenhang schreibt Gildemeister (1983, XI): „Sich als Handelnder in diesem Spannungsfeld von Widersprüchen und Paradoxien als »sein eigenes Werkzeug« zu erfahren, sich als solches »einzusetzen« und sich dabei nicht auf (sozial)technisch strategisches Handeln zu reduzieren, beinhaltet an zentraler Stelle auch eine Relativierung der professionellen Techniken der Situationsbewältigung und die Fähigkeit, sich auf die kommuni-kative Grundstruktur des Handlungsfeldes einzulassen.“
Entscheidung für diesen Beruf getroffen wurde. Die Identifikation mit dem gewählten Beruf ist hoch.
6.2 »Die fachlich Erfahrungsgesättigten«
Dieser Typus hat sich für die Soziale Arbeit entschieden, weil er in der alten beruflichen Situ-ation unzufrieden war und sich durch das Studium und den Beruf weiterentwickeln und ver-wirklichen wollte. Er hat eine positive Grundhaltung zur eigenen Tätigkeit und ist aufge-schlossen für Neues. Das fachliche Selbstverständnis ist erfahrungsorientiert. Ein ausgewiese-nes theoretisch orientiertes Referenzsystem steht ihm nicht zur Verfügung. Dem KJHG steht er ambivalent gegenüber, er nutzt es pragmatisch in seinem fachlichen Umfeld.
Der Umgang mit der Verwaltung ist dadurch bestimmt, welche Erfahrungen bisher mit dieser gemacht werden konnten. Es können sich arrangierend-planerische wie von Unsicherheit ge-prägte Haltungen sein.
Das berufliche Selbstverständnis ist das des positiv motivierten Praktikers, der sich in seiner Praxis auch selbst verwirklichen möchte.
6.3 »Die resignativ Angepaßten«
Dieser Typus hat bereits resigniert und sich den bestehenden Verhältnissen angepaßt. Er funk-tioniert fachlich und im Sinne der Verwaltung. Das KJHG stößt auf eine latente Ablehnung, da Machteinbußen und ein Kompetenzverlust durch dieses Gesetz wahrgenommen werden.
Sein berufliches Verständnis ist erfahrungsbezogen, ein theoretisches Referenzsystem nicht vorhanden.
Die mangelnde Anerkennung, die er in seinem Arbeitsfeld erfährt, führen zu einem Motivati-onsverlust für seine Arbeit. Sein fachliches Handeln ist durch eine Überlebenspragmatik ge-kennzeichnet.
Die Zufälligkeit und das soziale Absicherungsbedürfnis, die in den Beruf geführt haben, kor-relieren mit dem beruflichen Selbstverständnis, für das ein begrenztes Engagement und eine geringe Identifikation mit dem Beruf charakteristisch sind.
Tabelle 4: Die Typik der PraktikerInnen
Name Alter Motivation
Bedetung des KJHG
Umgang mit Verwaltung
berufliches Selbstverst.
Studium/
Praxis
Typ
Alexan-dra Behrends
30 Bewußte Entschei-dung für den Beruf;
positive Grundhal-tung
Gestaleri-scher Umgang mit dem KJHG
fachlich- klientenorien-tiert
Ganzheitliche Orientierung;
theorieorien-tiert, fachlich
Theorie-Praxis-Be- Ziehung
Die fachlich Profilierten
Michael Fäth
45 bewußte Entschei-dung für den Beruf;
positive Grundhal-tung
kritisch- konstrukti-ver Umgang mit dem KJHG
fachlich- reformorien-tiert
Ganzheitliche Orientierung;
theorie- gesättigt, fachlich
Theorie- Praxis- Beziehung
Die fachlich Profilierten
Horst Seemann
55 bewußte Entschei-dung für den Beruf;
positive Grundhal-tung
kritisch- konstrukti-ver Umgang mit dem KJHG
fachlich- rechtlich-orientiert
Ganzheitliche Orientierung;
theorieorien-tiert, fachlich
Theorie- Praxis- Beziehung
Die fachlich Profilierten
Rüdiger Meinen
43 Aufstiegs-wunsch und Zufälligkeit;
Positive Grundhal-tung
Pragmati-sche Haltung
Erfahrungsbe-zogen, sich arrangierend, planerisch
planerisch handelnd;
positiv moti-viert, erfahrungs- bezogen
Keine Beziehung
Die fachlich Erfahrungs-gesättigten
Ralf Otten
35 Keine An-gabe, posi-tive Grund-haltung
ambivalente Haltung
Erfahrungsbe-zogen, abwä-gend, planerisch
planerisch handelnd;
positiv mo-tiviert, erfahrungs- bezogen
Keine Beziehung
Die fachlich Erfahrungs-gesättigten
Marion Ubben
34 bewußte Entschei-dung, um sich weiter- zuentwi-ckeln
Pragmati-sche Haltung
Erfahrungs-bezogen, personali- sierender Umgang
Selbstver-wirklichung, fürsorg. Hal-tung, erfah-rungsbe- zogen
nur Bezie-hung zu Praxisan- teilen
Die fachlich Erfahrungs-gesättigten
Jan de Vries
34 bewußte Entschei-dung, um sich weiter-zuent- wickeln
keine An-gabe
Erfahrungs-bezogen, von Unsicherheit geprägt
Selbstver- wirklichung erfahrungs- bezogen
Keine Be-ziehung
Die fachlich Erfahrungs-gesättigten
Habbo Jacobs
38 Zufall, soziales Absiche- rungsbe-dürfnis
latente Ablehnung
resignativ- angepaßt
Überlebens-pragmatik;
anerken- nungsbe-dürftig, er-fahrungs- bezogen
Keine Be-ziehung
Die resigna-tiv
Angepaßten
Wilfried ter Veer
43 Zufall, soziales Absiche- rungsbe-dürfnis
Kompe-tenzeinbuße
resignativ- angepaßt
Überlebens-pragmatik;
aner-ken- nungsbe-dürftig, erfahrungs- bezogen
Keine Be-ziehung
Die resigna-tiv
Angepaßten
7 Zusammenfassung
Es ist die langjährige berufliche Tätigkeit im sozialen Arbeitsfeld, die zu einer Einsozialisie-rung fachlicher Haltungen führt. Durch die Praxis und deren sozialisierender Wirkung ist bei allen Befragten ein mehr oder weniger fundiertes fachliches Handeln feststellbar. Dem kolle-gialen, fachlichen Austausch auf offizieller Ebene (Dienstbesprechungen, Fallkonferenzen etc.) und auf inoffizieller Ebene (Gespräch in der Kantine etc.) kommt eine große Bedeutung zu. Das Studium hat in der Sicht der Befragten für die Herausbildung von Handlungskompe-tenzen nur eine untergeordnete Bedeutung gehabt. Nur für die »fachlich Profilierten« besitzt das Studium für die Herausbildung von Handlungskompetenzen Relevanz.
Groß sind jedoch die Unterschiede zwischen den einzelnen Typen. Nur einem Drittel der Be-fragten dieser Kohorte läßt sich eine fachlich fundierte sozialarbeiterische/sozialpädagogische Kompetenz zusprechen. Die als fachlich profiliert typisierten repräsentieren drei unterschied-liche Generationslagerungen in der Ausbildung zum/zur SozialarbeiterIn/SozialpädagogIn:
• Die Ausbildung an der Höheren Fachschule mit der stärker rechtlichen Fundierung,
• die Ausbildung an den neu gegründeten Fachhochschulen Anfang der siebziger Jahre mit einer sozialreformerischen Orientierung und
• die sich neu verortende Ausbildung Anfang der neunziger Jahre, die stärker die Autonomie der Lebenspraxis ihrer KlientInnen betont.
Zwischen der Gruppe der »fachlich Profilierten« und der »fachlich Erfahrungsgesättigten«
werden erhebliche Unterschiede deutlich. Die Gruppe, die sich dem Typus der »fachlich Er-fahrungsgesättigten« zurechnen lassen, ist die größte. Es waren Aufstiegsvorstellungen und der Wunsch, sich weiterzuentwickeln, die ihren Berufswunsch bestimmten. Sie wurden für
diesen Beruf motiviert, weil die helfenden Berufe mit der Akademisierung an Image gewon-nen hatten. Sie trafen eine Entscheidung, ohne klare Vorstellungen über die Perspektiven des Berufs zu haben. Sie orientierten sich bereits an einer relativen Autonomie und Ansätzen von Selbstbestimmung in der Arbeit. In diesem Sinne sind sie »Kinder der Freiheit« (Beck).
Ihre Haltung zum Studium und zum Beruf ist erfahrungsgesättigt/pragmatisch. Sie benötigen keine theoretische Folie, auf der sie kritisch/reflexiv ihre Erfahrungen auswerten. Aus dieser erfahrungsbezogenen/pragmatischen Haltung heraus sind sie nur begrenzt offen, Neues zu integrieren. Sie nehmen deshalb dem Studium gegenüber eine ambivalente Haltung ein. Ihre disziplinäre Fachlichkeit bleibt diffus. Wo es sinnvoll scheint, wird das Neue integriert, an-sonsten herrscht eine distanzierte Haltung dem Neuen gegenüber vor. Damit unterscheiden sie sich erheblich von den »fachlich Profilierten«, denen es auch möglich ist, theoretisch geleitet neue Situationen zu antizipieren und sich darauf fachlich einzustellen. Beiden Gruppen aber ist gemeinsam, daß sie sich mit ihrem Beruf identifizieren und an einer fachlichen Arbeit inte-ressiert sind.
Im Kontrast zu den »fachlich Profilierten« und den »fachlich Erfahrungsgesättigten« sind die
»resignativ Angepaßten« zu sehen, die nur noch fachlich/resignativ reagieren, jedoch nicht mehr agieren.
Es wird in den Interviews deutlich, daß es keinen fachlichen Grundkonsens unter den Befrag-ten gibt.
Es ist erstaunlich, daß es in einem Fachamt eine solche Vielfalt von Positionen zu den Rechtsgrundlagen der Jugendhilfe, dem KJHG gibt. Es ist zu vermuten, daß es für die Mitar-beiterInnen des Jugendamtes keine gemeinsame Fortbildung zum KJHG und seinen Intentio-nen gegeben hat.
Die unterschiedlichen fachlichen Herausforderungen – Umsetzung des KJHG, Durchführung der Jugendhilfeplanung, Einführung der »Neuen Steuerung« und die Produktorientierung im Jugendamt -, denen sich die MitarbeiterInnen stellen müssen, führen dazu, daß sich die »fach-lich Profilierten« reflexiv der neuen Situation stellen und sie für ihre fach»fach-liche Arbeit zu nut-zen verstehen; die »fachlich Erfahrungsgesättigten« entwickeln eine pragmatische Haltung zu den neuen Herausforderungen, während die »resignativ Angepaßten« eine reaktive Haltung einnehmen. Als neue/alte Kooperationsformen lassen sich Tendenzen der Vereinzelung und die Orientierung an direktiven Führungsstilen erkennen.
Auch wenn eine positive Grundtendenz zur Jugendhilfeplanung deutlich wird, ist für den Pla-nungsprozeß und bei der Umsetzung der Ergebnisse mit erheblichen Reibungsverlusten zu rechnen, wenn es nicht gelingt, einen gemeinsamen fachlichen Grundkonsens zu entwickeln.
Der internen und externen fachlichen Fortbildung kommt dabei ein hoher Stellenwert zu.