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Entwurf einer Kampagne gegen Atomwaffen in der Bundesrepublik Wolfgang Sternstein

Ich bin am 15.4.05 mit der Hoffnung zum Studientag des BSV nach Hannover gereist, es werde möglich sein, den Verband für das Konzept einer Umrüstung der BRD auf SV zu gewinnen. Offen gesagt, ich halte nichts davon, anderen Ländern (Weißrussland, Ukraine, den baltischen Staaten oder den Balkanstaaten u. a.) die frohe Botschaft der SV zu verkünden, während sich die Bundes-republik weiter militarisiert und im Bündnis mit Frankreich danach strebt, sich als atomar bewaff-nete Supermacht zu etablieren. In dieser Hinsicht halte ich es mit dem antiken Fabeldichter Aesop:

„Hic Rhodos, hic salta!“ („Hier ist Rhodos, hier springe!“, aus einer Fabel Aesops übernommene Aufforderung an einen Prahler, seine Kunst oder Fähigkeit gleich zu zeigen und sich nicht auf an-derswo vollbrachte Leistungen zu berufen.)

Begeisterungsstürme hat mein Vorschlag auf dem Studientag nicht gerade ausgelöst, nicht ein-mal ein höfliches Interesse. Ich habe darüber nachgedacht, woran das liegen könnte, und bin zu folgendem Ergebnis gelangt (sollte ich mich irren, bitte ich um Einwände):

Im BSV sind Wissenschaftlerinnen, Trainerinnen und Verbandsfunktionäre organisiert, die ihr Geld mit der Forschung über gewaltfreie Konfliktaustragung und dem Aufbau eines im Ausland tätigen ZFD verdienen. Aus meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Angestellter bei der Berghof-Stiftung für Konfliktforschung in Berlin weiß ich, welchen Zwängen man dabei unterliegt. Man fragt nicht: Was ist wichtig, was sollte erforscht und verwirklicht werden? Man fragt vielmehr:

Welcher Antrag hat Aussicht, bewilligt zu werden? Eine Kampagne zur Umrüstung der Bundesre-publik auf SV hat natürlich keine Chance, staatlich gefördert zu werden. Im Gegenteil, man würde Gefahr laufen, die Staatsfinanzierung anderer Projekte zu verlieren. Es findet folglich eine Selbst-zensur statt. Die Journalisten nennen es die „Schere im Kopf“. Ich habe den BSV bereits bei der Gründungsversammlung auf die Gefahr der Abhängigkeit vom Staat hingewiesen. Leider erfolg-los. Ich bitte, das nicht als Vorwurf zu verstehen. Ich weiß, was es heißt, Geld verdienen zu müs-sen. Mit gewaltfreier Aktion lässt sich kaum Geld verdienen, sie kostet Geld und bringt einen wo-möglich auch noch ins Gefängnis.

Dessen ungeachtet möchte ich im Folgenden die erste Phase der Umrüstungskampagne näher ausführen in der schwachen Hoffnung, bei der einen oder dem anderen Interesse für dieses Kon-zept zu wecken.

Entwurf einer Kampagne gegen Atomwaffen in der Bundesrepublik (verbesserungsfähig und -bedürftig)

Zunächst eine Vorbemerkung zur Situation in der Bundesrepublik: In Deutschland lagern noch mindestens 65 atomare Fliegerbomben vom Typ B 61, 55 in Ramstein und 10 in Büchel in der Südeifel (nach einer amerikanischen Studie sollen es sogar 150 in der BRD, 480 in Europa sein).

In Büchel sollen sie im Kriegsfall nach Freigabe durch den Nationalen Sicherheitsrat der USA von deutschen Tornado-Piloten ins Ziel geflogen werden. Das ist ein Bestandteil der offiziell so ge-nannten „nuklearen Teilhabe der Bundesrepublik“ im Rahmen der NATO. Zu ihr gehört des Wei-teren die Mitsprache in der nuklearen Planungsgruppe der NATO, in der über Zielplanung, Einsatz usw. von Atomwaffen entschieden wird. Man fragt sich, was steckt hinter dieser verfassungs- und völkerrechtswidrigen nuklearen Teilhabe, denn militärisch ergibt sie nach dem Ende des Kalten Krieges keinen Sinn. Ist es der Ehrgeiz, im Rahmen eines vereinten Europa im Bündnis mit Frank-reich zur Atommacht aufzusteigen?

Die Auseinandersetzungen um das Atomprogramm Nordkoreas, des Iran und weiterer Kandida-ten (TerrorisKandida-ten, Saudi-Arabien, ÄgypKandida-ten u. a.) haben die atomare Bedrohung erneut ins öffentli-che Bewusstsein gerückt. In der Tat hat sie auch nach dem Kalten Krieg nichts an Aktualität einge-büßt. Drei Zitate, die auch heute noch unvermindert gültig sind, mögen das verdeutlichen: Richard McSorley (SJ) schrieb 1976: „In der heutigen Gesellschaft ist unsere Bereitschaft, Atomwaffen einzusetzen, die Pfahlwurzel der Gewalt. Haben wir dem erst einmal zugestimmt, erscheinen alle anderen Übel als vergleichsweise gering. Jede Hoffnung auf eine umfassende Verbesserung der öffentlichen Moral ist zum Scheitern verurteilt, solange wir uns nicht offen und ehrlich der Fra-ge unserer Zustimmung zum Gebrauch atomarer Waffen stellen.“ Karl Jaspers: „Eine schlechthin neue Situation ist durch die Atombombe geschaffen. Entweder wird die gesamte Menschheit phy-sisch zugrunde gehen, oder der Mensch wird sich in seinem sittlich-politischen Zustand wandeln“.

(Die Atombombe und die Zukunft des Menschen. Politisches Bewusstsein in unserer Zeit. Stutt-gart und Hamburg 1958, S. 5) Schließlich Albert Einstein: „Die entfesselte Gewalt des Atoms hat alles verändert, außer unsere Denkgewohnheiten, und wir gleiten einer Katastrophe ohnegleichen entgegen. Eine neue Art zu denken ist notwendig, wenn die Menschheit überleben will. Die Ab-wendung dieser Gefahr ist das dringendste Bedürfnis unserer Zeit geworden. Atomenergie kann immer nur der Zerstörung dienen.“

Ein Kampagnenkonzept sollte auf folgende Fragen Auskunft geben:

1. Was ist das Ziel der Kampagne?

2. Welche Aktionsmethoden sollen angewendet werden?

3. Wie organisiert und finanziert sich die Kampagne?

4. Welche Strategie und Taktik verfolgt sie?

Kampagnenziel:

Es ist wichtig, sich ein erreichbares Ziel zu setzen. Mein Vorschlag: ersatzloser Abzug der Atom-waffen aus Büchel und Ramstein sowie Verzicht auf die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik.

Weitergehende Ziele könnten sein: Verankerung des Atomwaffenverzichts im Grundgesetz und ein aktives Eintreten der BRD für eine atomwaffenfreie Welt. Auf diese Weise könnte das deut-sche Volk unter Beweis stellen, dass es aus den Verbrechen, die Deutdeut-sche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begangen haben, etwas gelernt hat.

Aktionsmethoden:

Selbstverständlich kommen alle legalen und gewaltfrei illegalen Methoden in Frage, z. B. Öffent-lichkeits- und Lobbyarbeit, Veranstaltungen, Veröffentlichungen, Flugblätter, Plakate, Broschü-ren, Kundgebungen usw. Auf dem Gebiet des zivilen Ungehorsams haben wir mit den Entzäu-nungsaktionen, „Inspektionen“ und Flugblattverteilung vor dem Fliegerhorst einen guten Anfang gemacht (siehe die Kapitel EUCOMmunity und Büchel meiner Autobiografie). Ich rate dazu, die Flugblatt-Aktion auszubauen nach dem Vorbild der Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Ab-rüstung, d. h. Sammlung weiterer Unterschriften unter den Aufruf, Zusammenstellung von Flug-blattverteilergruppen, möglichst unter Beteiligung von Prominenten, juristische Begleitung, Me-dien- und Öffentlichkeitsarbeit, Anzeige der Bundesregierung wegen Vorbereitung von Kriegsver-brechen und Völkermord.

Organisation und Finanzierung:

Bisher haben die Organisationen Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen, EUCOMmunity und Ohne Rüstung Leben am EUCOM und in Büchel gewaltfreie Aktionen durchgeführt. Sie sind organisatorisch jedoch ziemlich schwach. Wünschenswert wäre eine Stärkung durch Zusammen-arbeit mit der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden, Pressehütte Mutlangen, Friedens- und

Be-gegnungsstätte Mutlangen e.V., Trägerkreis Atomwaffen abschaffen, DFG/VK, Netzwerk Frie-denskooperative, Bürgermeisterkampagne „Atomwaffenfrei bis 2020“, INESAP, IPPNW, IALA-NA, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Pax Christi, Versöhnungsbund u. a.

Unser schwächster Punkt ist der Mangel an Geld und einem arbeitsfähigen Team. In dieser Fra-ge bin ich – offen Fra-gesagt – ratlos.

Strategie und Taktik. Erste Schritte:

1. Unterzeichner werben (insbesondere Promis) für das Flugblatt: „Verweigern Sie jegliche Be-teiligung an der völker- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe!“

2. Zusammenstellung und Vorbereitung weiterer Flugblattverteilergruppen.

3. Versand eines unregelmäßigen Rundbriefes an den Verteiler.

4. Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, möglichst über die friedensbewegungsinterne Presse hin-aus (taz, FR, SZ, Die Zeit).

5. Verbindung aufnehmen zu verwandten Bewegungen in Belgien (Bombspotting) und UK (Tri-dent Ploughshares).

Zu einer Kampagne gehört auch die Fähigkeit zur gewaltfreien Eskalation, die es dem Gegner un-möglich macht, die Sache zu ignorieren oder auszusitzen. Derartige Eskalationsmaßnahmen jetzt schon ins Auge zu fassen, erscheint mir jedoch verfrüht.