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Entwicklungsimpulse für das Darstellende Spiel auf dem Weg zu einem eigenständigen Fach

Theaterformen ̅ Theater in der Schule ̅ Theaterpädagogik ̅

6. Weitere Ansätze

3.1 Entwicklungsimpulse für das Darstellende Spiel auf dem Weg zu einem eigenständigen Fach

Darstellendes Spiel erhielt über die Jahrzehnte seiner Entwicklung Impulse aus verschiedenen Bereichen, so z. B. vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus an Bewegung und rhythmischer Gestaltung orientierten Strömungen wie dem Bewegungsspiel der Spielleiter Luserke und später Giffei (Hesse 2005:177, 2008:43f.). Daneben gab es Bemühungen, den Spieltext vornehmlich unter literarischen Gesichtspunkten und als Ausdruck der Literaturverehrung auf die Schulbühne zu bringen. Die Tendenz zur Aufführung ganzer, ursprünglich für das professionelle Theater verfasster Stücke mit Laiendarstellern wurde schon damals von einigen Fachvertretern als Überforderung der Schülerinnen und Schüler kritisiert (Hesse 2005:176).

Die Entwicklung von darstellendem Spiel zu einem Unterrichtsfach war von Anfang an aufgrund seiner Position zwischen Kunst und Pädagogik von einer Reihe von Disputen begleitet. So wollte Luserke das Theaterspiel der Laien streng von der Theaterkunst unterschieden wissen. Seine Aufführungen bezeichnete er dann auch als "Veranstaltungen", in denen die Spieler den Zuschauern keine Illusion vorgaukeln wollen (a. a. O.:249). Zu bestimmten Zeiten wurde die pädagogische Seite des darstellenden Spiels betont, zu anderen Zeiten stand die Besinnung auf die Gesetze der Kunst und des Theaters sowie die Betonung ästhetischer Qualitäten im Mittelpunkt. In den 1950er Jahren war im Laienspiel eine verstärkte Beachtung von Theatergesetzen und Theaterhandwerk zu beobachten. Diese Akzentverlagerung war auch ein Ergebnis der Begegnung mit ausländischen Spielgruppen, denen die ungleiche Gewichtung von Form und Aussage fremd war (a. a. O.:274f.).

Die bis in die 1970er Jahre hinein entstandenen Konzepte für das darstellende Spiel lassen sich in zwei Grundrichtungen einteilen: als Mittel des sozialen Lernens und als künstlerische Tätigkeit. Als soziales Lernen lässt sich darstellendes Spiel in allen Bildungs- und Unterrichtsprozessen einsetzen, als künstlerische Tätigkeit verlangt es nach einem eigenen Fach, in welchem die spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten gezielt geschult werden können (a. a. O.:379).

Den Vertretern der ersten Richtung ging es darum, Verhalten mittels Theaterspielen zu trainieren und somit die Sozialisation der Schülerinnen und Schüler zu beeinflussen. Die Vertreter der künstlerischen Ausrichtung plädierten für eine Akzentverlagerung bei der Wahl der künstlerischen Mittel hin zu von Schülerinnen und Schülern zu bewältigenden Mitteln, damit auch das Laientheater zu einer ästhetisch überzeugenden Wirkung gelangen kann. In den Lehrplänen setzte sich hierzulande die Präferenz theatral-ästhetischer Aspekte durch,

auch abzulesen an der Arbeit auf eine Aufführung hin, die traditionell auf ästhetische Maßstäbe verweist (a. a. O.:393).

Parallel zu den bereits beschriebenen Entwicklungen als methodisches Verfahren im Fremdsprachenunterricht ist das Fach Darstellendes Spiel seit Ende der 1970er Jahre dabei, sich als Schulfach in der bundesdeutschen Schullandschaft zu etablieren. Dieser Prozess hat sich seit Beginn der 1990er Jahre auch auf die neuen Bundesländer übertragen, in denen es zwar bis zur Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1989 und damit der de-facto-Übernahme des bundesdeutschen Schulsystems kein Schulfach Darstellendes Spiel gab, wo aber die Kinder mit Theaterspielen entweder im Deutschunterricht, in Arbeitsgemeinschaften oder in Jugendklubs sowie beim Besuch von Vorstellungen der staatlich geförderten Kinder- und Jugendbühnen oder der städtischen Theater in Berührung kommen konnten. Dennoch wurde das Laienspiel im Laufe der Jahrzehnte in der DDR mehr und mehr marginalisiert (vgl.

Wardetzky 1991). (Vgl. Nickel 1991 zur Entwicklung des Darstellenden Spiels in der DDR.) Zu den ersten Ländern, die Anfang bis Mitte der 1980er Jahre Darstellendes Spiel als Fach einführten, gehören Hamburg, Berlin, Bremen und Bayern. Mittlerweile gibt es in allen Bundesländern, mit Ausnahme von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, ein solches Unterrichtsangebot (teilweise erst im Modellversuch und an ausgewählten Schultypen und Schulen), wobei es auch Unterschiede in den Wahlmöglichkeiten im Verein mit anderen Unterrichtsangeboten sowie Varianten in der Bezeichnung gibt (z. B. heißt es in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen 'Darstellen und Gestalten'). Immer mehr Länder beteiligen sich auch an der Abiturprüfung im Fach Darstellendes Spiel, welche durch die neu ausgearbeiteten Einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Fach Darstellendes Spiel (Kultusministerkonferenz 2006) unter Vorsitz von Joachim Reiss nun auch eine verbindliche Grundlage erhielt.

Die Lehrerausbildung folgt dieser nunmehr zwanzigjährigen Entwicklung mit einigem Abstand. Fast alle Bundesländer bieten seit den 1990er Jahren über ihre Weiterbildungsinstitute umfangreiche Fort- oder Weiterbildungsmaßnahmen an, welche berufsbegleitend organisiert werden. Der Umfang beträgt je nach Land 250 bis 450 Ausbildungsstunden pro Kurs. Große Unterschiede bestehen auch in der Struktur, der Organisation und der Finanzierung der Weiterbildung. Die meisten aktiven Theaterlehrer und -lehrerinnen haben ihre Ausbildung in Form einer Fort- oder Weiterbildungsreihe erhalten (Reiss/Mieruch 2003:69; vgl. auch Schlünzen 2008).

Entscheidende Impulse erhielt der Prozess der Entwicklung von darstellendem Spiel zu einem Schulfach im Jahre 1985 durch die Initiierung des Schultheaterfestivals Schultheater der

Länder, dem einzigen bundesweiten Fachforum für Schultheater. Es handelt sich um ein thematisch ausgerichtetes Schultheatertreffen, das jährlich in einem anderen Bundesland je eine Schultheatergruppe pro Land und Fachleute zu Aufführungen, Diskussionen und Fachtagungen zusammenführt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Darstellendes Spiel (seit 2008 in "Bundesverband Theater in Schulen e. V." umbenannt) veranstaltet dieses Festival mit Unterstützung der Körber-Stiftung Hamburg und der Bundesländer aufgrund eines Kultusministerkonferenz-Beschlusses (a. a. O.:69).

Eine vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in Auftrag gegebene Studie, die mittels einer Totalerhebung in den Ländern Bayern, Hamburg und Saarland innerhalb von zwei Jahren eine gründliche Analyse der Prozesse und Ergebnisse schulischer Theaterarbeit vornahm, bildete die Grundlage für eine Expertentagung in Travemünde (Bundesarbeitsgemeinschaft 1992: Teil A und Teil B). Während die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer 1992 in Travemünde noch um die Anerkennung des Fachs Darstellendes Spiel auch auf schulpolitischer Ebene rangen (Bundesarbeitsgemeinschaft 1992: Teil A und Teil B), gelang es sieben Jahre später, Vertreter aus den Kultusministerien der Länder auf einer Konferenz zu versammeln und Empfehlungen zusammenzustellen, die geeignet waren, die Einführung des Faches in allen Bundesländern und auf allen Schulstufen zumindest ideell zu unterstützen. Die Empfehlungen zielten konkret auf die Einführung des Fachs Darstellendes Spiel in der gymnasialen Oberstufe in den Jahrgängen 11–13 ab und auf die Erarbeitung von entsprechenden Lehrplänen in jedem Bundesland (Darstellendes Spiel im Unterricht 1999).

Von Bedeutung im Prozess der Einführung des Fachs ist die Anerkennung seiner besonderen Leistungen, die von den Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmern im Jahre 1999 unter der Überschrift "Der besondere Beitrag des Darstellenden Spiels zur schulischen Bildung" so formuliert wurden:

Abb. 6: Der besondere Beitrag des Darstellenden Spiels zur schulischen Bildung (aus Darstellendes Spiel im Unterricht 1999:4)

Die Tagungsdokumentation enthält folgende Empfehlungen der Fachtagung an die Kultusministerien der Länder und an den Schulausschuss der KMK zur Weiterentwicklung des Faches Darstellendes Spiel:

Abb. 7: Empfehlungen der Fachtagung an die Kultusminister der Länder und an den Schulausschuss der KMK (aus Darstellendes Spiel im Unterricht 1999:3)

Reiss (2000a) resümiert im Rückblick auf die Entwicklung zum Schulfach und unter Berücksichtigung dieser Tagungsergebnisse, dass Darstellendes Spiel in Deutschland zum

Ende des Jahrhunderts eine starke Professionalisierung erfahren habe und einen hohen Stellenwert im Pflichtbereich der schulischen Bildung einnehme. Allerdings blickten wir auf eine völlig uneinheitliche und ungleichzeitige Entwicklung in den einzelnen Bundesländern zurück. Das Fach gerate erst jetzt in den Blick der Kultusministerkonferenz. Reiss kommt auch nicht umhin, festzustellen, dass es bis zur flächendeckenden Einführung des Darstellenden Spiels und der Unterrichtung durch qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer noch ein weiter Weg sei. Wenigstens die Richtung stimme schon (Reiss 2000a).