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3 Insulin und kurzwirksame Insulinanaloga

3.1 I NSULIN

3.1.7 Entwicklung von tierischem Insulin über Humaninsulin hin zu Analoginsulinen . 35

Die Entdeckung des Insulins, die auch als eine der größten medizinischen Durchbrüche des letzten Jahrhunderts bezeichnet wird (Brange et al., 1988; Hirsch, 2005), sowie die nachfolgenden Entwicklungen rund um das Insulinmolekül, haben nicht nur auf die Versorgung von Diabetikern einen großen Einfluss gehabt und diese entscheidend verändert, sondern hat auch die Geschichte der Proteinchemie maßgeblich mit beeinflusst. Beispielswiese konnte mit dem Insulinmolekül

ƒ erstmalig die chemische Formel eines Proteins dargestellt werden,

ƒ gelang der erste Radioimmunoassay für ein Protein,

ƒ konnte die erste Röntgenstruktur eines Proteins aufgeklärt und die exakte räumliche Struktur dargestellt werden,

ƒ konnte die erste chemische Synthese eines Proteins durchgeführt werden,

ƒ wurde erstmalig die Vorstufe eines Proteins isoliert,

ƒ gelang die erste industrielle Darstellung eines menschlichen Proteins durch Umwandlung eines tierischen Hormons,

ƒ war das erste gentechnisch hergestellte Medikament auf dem Markt und

jetzt möglich, doch konnten nur geringe Mengen produziert werden, da die Synthese anspruchsvoll und teuer war (Pliska et al., 2005). 1982 kam mit Hilfe der Biotechnologie der Durchbruch. Es wurde das erste gentechnisch bzw. semisynthetisch hergestellte humane Insulin auf den Markt gebracht (Dilg, 2001). Ein etabliertes Verfahren war hierbei die Humanisierung von Schweineinsulin, indem das terminale Alanin durch ein Threonin ausgetauscht wurde. Die Firma Hoechst entwickelte hierzu ein Verfahren, in dem unter kontrollierten Bedingungen die Endoprotease Trypsin gezielt nur nach der basischen Aminosäure LysinB29 das Schweine Insulin spaltet, die Rückreaktion unter Verwendung eines Threonin-Esters in Form einer Transpeptidierung abläuft und dieser zuletzt zu aktivem Insulin hydrolysiert wird (Zündorf &

Dingermann, 2001). Die Produktion von Insulin unter Verwendung tierischer Quellen wies aber immer noch eine große Schwäche auf. Zur Produktion wurden sehr große Mengen an Schlachttieren benötigt, was jedoch aufgrund der benötigten Menge an Schlachttieren infolge einer ständig steigenden Anzahl an Diabetikern sowie der aufkommenden BSE-Diskussion keine Lösung auf Dauer war und zu anderen Wegen der Insulinproduktion geführt hat. Derzeit sind drei biotechnologische Verfahren etabliert, nach denen rekombinantes Human-Insulin hergestellt wird oder wurde (Dingermann et al., 2002).

Das erste gentechnisch erzeugte Insulin wurde von der kalifornischen Firma Genentech hergestellt (Pliska et al., 2005). Genentech synthetisierte hierzu zunächst zwei Teilgene des Insulin, die jeweils für die A- oder B-Kette codierten. Die Überlegung, die diesem Verfahren zu Grunde lag, war, dass Insulin aus zwei Proteinketten besteht und diese getrennt voneinander synthetisiert werden können. Die Verwendung von synthetischen Genen bot den Vorteil, dass so die Aminosäure-Codons für den Produktions-Stamm optimiert wurden und hierdurch eine optimale Translations-Effizienz erzielt werden konnte. Die beiden Teilgene wurden anschließend jeweils auf einem bakteriellen Plasmid unmittelbar hinter den ATG-Initiationscodon (Methionin) des bakteriellen Tryptophan-Synthase- oder β-Galaktosidase Gens inseriert und in zwei getrennte E. coli-Stämme transformiert. Die beiden so synthetisierten Insulinketten trugen an ihrem jeweiligen N-terminalen Ende ein Fusionsprotein, mit dem die beiden Proteine effizient aufgereinigt werden konnten. Die Fusionsproteine wurden im nächsten Schritt durch eine

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Behandlung mit CNBr, welches Peptidbindungen ausschließlich nach Methionin-Resten spaltet, abgetrennt. Die so erhaltenen Insulinketten wurden abschließend durch oxidative Kopplung über die Ausbildung von Disulfidbrücken miteinander zum aktiven Insulin verknüpft. Dieser Prozess war jedoch sehr ineffektiv, da durch eine falsche Ausbildung der Disulfidbrücken eine Vielzahl von Nebenprodukten entstand, welche zum einen die Ausbeute verringerten und zum anderen die weiteren Aufbereitungsschritte verkomplizierten. Eine modifizierte Produktionsmethode, die wesentlich effektiver vonstatten geht, verwenden die Firmen Berlin-Chemie, Lilly und Sanofi-Aventis. Ein synthetisches Insulingen, das für die A-, B- und C-Kette codiert, wird unmittelbar an den ATG-Initiationscodon des bakteriellen Tryptophan-Synthase-Gens inseriert. Das Plasmid wird in einen E. coli-Stamm transformiert, woraufhin dieser ein Fusionsprotein synthetisiert, das aus dem Proinsulin plus dem Fusionsprotein am N-terminalen Ende besteht. Nach Isolierung wird das Fusionsprotein wieder mittels CNBr-Behandlung fragmentiert und so das natürliche N-terminale Ende des Insulinmoleküls erzeugt. Die Ausbildung der korrekten Disulfidbrücken mittels oxidativer Sulfitolyse und anschließender Oxidation bei pH 10,6 erfolgt wesentlich effektiver als im erst genannten Verfahren, da die aktive Struktur des Insulins im Proinsulin bereits vorgeformt ist. Das C-Peptid wird in diesem Verfahren abschließend durch Behandlung mit Carboxypeptidase B und Trypsin entfernt. Einen anderen Weg der gentechnischen Insulinherstellung hat die Firma NovoNordisk gewählt. Sie benutzt als Wirtssystem nicht das Bakterium E. coli sondern die Bäckerhefe S. cerevisae. NovoNordisk verwendet hierfür ein spezielles Kunstgen, das neben der A- und B-Kette noch ein auf drei Aminosäuren verkürztes C-Peptid trägt. Das kurze C-C-Peptid kann von Hefeproteasen nicht hydrolysiert werden und ist gleichzeitig so flexibel, dass die beiden Ketten in eine günstige Position zueinander gebracht und noch in der Hefe die korrekten Disulfidbrücken ausgebildet werden. Weitere Komponenten des Gens zur Produktion des abgewandelten Proinsulins sind der Promotor des Triphosphat-Isomerase-Gens aus der Hefe, sowie eine Sequenz für ein Signalpeptid, das für die Ausschleusung des Proteins aus der Zelle sorgt. Auf diesem Weg kann ein Protein gewonnen werden, das weitgehend frei ist von Wirts-Proteinen, einen korrekten N-Terminus aufweist und in dem alle Disulfidbrücken korrekt geknüpft sind. Das C-Peptid wird abschließend, ähnlich dem Verfahren

zur Umwandlung von Schweineinsulin zu Humaninsulin, entfernt. Im wasserfreien Milieu spaltet Trypsin gezielt hinter den beiden Lysin-Resten des Proinsulins und verlängert anschließend in der Rückreaktion durch Transpeptidierung die B-Kette um einen Threoninester-Rest, der zuletzt zu aktivem Insulin hydrolysiert wird (Dingermann, 1999; Zündorf &

Dingermann, 2001).

Da es sich bei den Produkten aus den drei beschriebenen Verfahren um gentechnisch hergestellte Produkte handelt, müssen sie der allgemeinen Monographie des Europäischen Arzneibuchs

„DNA-rekombinationstechnisch hergestellte Produkte“ genügen. DNA-rekombinationstechnisch hergestellte Produkte werden durch genetische Modifikation hergestellt, bei der die für das benötigte Produkt codierende DNA gewöhnlich mit Hilfe eines Plasmids oder viralen Vektors in einen geeigneten Mikroorganismus oder eine geeignete Zelllinie eingeführt wird, in denen diese DNA exprimiert und in Protein translatiert wird. Das gewünschte Produkt wird dann durch Extraktion und Reinigung gewonnen. Die vor der Aufnahme des Vektors vorliegende Zelle oder der Mikroorganismus wird als Wirtszelle bezeichnet, die im Herstellungsprozess verwendete stabile Verbindung der beiden als Wirt-Vektor-System (Ph. Eur., 2008). Konkret bedeutet dies, dass gentechnisch gewonnene Produkte definitionsgemäß immer Proteine sind und neben dem gesamten Herstellungsprozess auch das biologische Wirtssystem für die Identität des Produktes relevant ist, was sich wiederum in höheren Anforderungen an die Produktion niederschlägt, aber auch dazu geführt hat, dass die heutigen biosynthetisch hergestellten Insuline dem endogenen Insulin bis auf die dreidimensionale Struktur ähneln (Heinemann & Richter, 1993; Zündorf, 1999). Da die auf diesem Wege gewonnenen Insuline im Vergleich zum endogenen Insulin allerdings immer noch Unterschiede in der Pharmakokinetik und –dynamik aufwiesen, wurde in den 90er Jahren, infolge der Veröffentlichung der Ergebnisse des Diabetes Control and Complications Trial (DCCT) (Diabetes Control and Complications Trial Research Group, 1993) sowie der United Kingdom Prospective Diabetes Study (UKPDS) (UK Prospective Diabetes Study Group, 1998a, 1998b), in denen der Stellenwert einer guten Stoffwechseleinstellung im Hinblick auf die Verzögerung bzw. Verhinderung von Spätkomplikationen gezeigt werden

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konnte, die Forderung nach Insulinen laut, die der endogenen basalen und Mahlzeiten bezogenen Insulinsekretion mehr ähneln als die verfügbaren Humaninsuline (Hirsch, 2005;

Berger & Heinemann, 1997). In der Folge wurden mit Hilfe der Biotechnologie verschiedene Anstrengungen unternommen, Insuline zu erhalten, die diesem Anforderungsprofil entsprechen.

Im Jahr 1996 wurde schließlich das erste der sog. „Insulinanaloga“, das Insulin lispro, von der Firma Lilly in den Markt eingeführt, dem weitere, sowohl kurz- als auch langwirkende Analoga folgten.

Bei den heute auf dem Markt befindlichen Insulinformulierungen unterscheidet man demnach nach der Art des Insulins (humanes Insulin, Insulinanaloga1), nach der therapeutischen Charakteristik (kurz wirksames Insulin, besonders rasch und kurz wirkendes Insulin, Verzögerungsinsulin, langwirkendes Insulin und Kombinationsinsulin) sowie seit 2006 zwischen parenteralem und inhalativem Insulin, wobei letzteres von der Firma Pfizer im Jahr 2008 wieder vom Markt genommen wurde.

3.2 Kurzwirksame Insulinanaloga

Im Vergleich zur physiologischen Insulinfreisetzung weist die subkutane Injektion, wie sie in der Diabetestherapie üblicherweise zur Anwendung kommt, per se einige Besonderheiten auf. So neigen Insulinmoleküle in höherer Konzentration bzw. in Gegenwart von Zink-Ionen, zu einer Selbstassoziation in Form von Hexameren die, bevor das Insulinmolekül an der Zielzelle wirken kann, zur Resorption erst in Dimere und Monomere zerfallen müssen (Abbildung 5). Unter physiologischen Bedingungen dient dies dem Transport sowie der Speicherung, wohingegen im Rahmen einer subkutanen Injektion eine geringere bzw. verlangsamte Absorption die Folge ist, da die Dissoziation den zeitlimitierenden Schritt in diesem Prozess darstellt (Brange et al., 1988).

Postprandial kommt es, im Vergleich zur physiologischen Insulinsekretion, zu einem langsameren Anstieg der Insulinspiegel, die anschließend unphysiologisch lange erhöht bleiben (Berger & Heinemann, 1997; Bethel & Feinglos, 2002). Die Konsequenzen hieraus sind:

1 Das letzte noch am Markt befindliche Schweineinsulin-Präparat wurde im Jahr 2006 aus dem Handel genommen (Pfannkuche & Schicktanz, 2007)

ƒ die Einhaltung eines Spritz-Ess-Abstandes

ƒ eventuell die Einnahme einer Zwischenmahlzeit

ƒ eine postprandiale Hyperglykämie, sowie

ƒ die Gefahr von Hypoglykämien in den interprandialen Phasen (Bretzel und Schatz, 2006;

Forst, 2001).

Abbildung 5 Insulinresorption nach subkutaner Injektion (mod. nach Lill, 2001; www.solostar.de)

Für die Assoziation der Insulin-Monomere haben die beiden Aminosäuren an Position 28 (Prolin) und an Position 29 (Lysin) der B-Kette eine entscheidende Bedeutung (Dingermann et al., 2002). Verschiedene Modifikationen an diesen Positionen führen zu Insulinen, die eine geringere Selbstassoziationstendenz aufweisen und so zu einem schnelleren Wirkbeginn und einer kürzeren Wirkdauer führen, ohne hierbei die dreidimensionale Raumstruktur zu destabilisieren oder mit der biologischen Aktivität des Proteins zu interagieren (Abbildung 6) (Brange et al., 1988).

Die C-max-Werte werden im direkten Vergleich der kurzwirksamen Analoginsuline mit Humaninsulin in etwa der halben Zeit erreicht und liegen in etwa doppelt so hoch (Dingermann, 1999; Hirsch, 2005).

Kapitel 3 Insulin und kurzwirksame Insulinanaloga

Evidenz und Versorgungsrealität von kurzwirksamen Insulinanaloga in der Behandlung des T2DM 42 Abbildung 6 Zeit-Wirkprofile von Insulin lispro und Human-Insulin (nach Dingermann, 1999)

In euglykämischen Clamp-Studien konnte ermittelt werden, dass beispielsweise die Wirkung der beiden Analoga lispro und aspart nach einer s.c. Injektion bereits nach 5-15 Minuten einsetzt.

Die maximalen Plasmaspiegel werden nach 30-90 Minuten erreicht, bei einer Wirkdauer von nur 4-6 Stunden (Hirsch, 2005). Nach i.v. Injektion ist die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik identisch zum Humaninsulin (Bolli et al., 1999). Humaninsulin weist dagegen, bei gleicher Dosierung, einen um ca. 10-15 Minuten verzögerten Wirkbeginn auf. Maximale Plasmakonzentrationen werden erst nach 2-3 Stunden erreicht. Die Wirkdauer beträgt hingegen deutlich länger und wird mit bis zu 8-10 Stunden angegeben (Hirsch, 2005).

Vorteile die sich aus den veränderten pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Eigenschaften der Analoginsuline ergeben können, sind:

ƒ eine bessere Kontrolle der postprandialen Blutzuckerspiegel und der Stoffwechseleinstellung,

ƒ eine Verbesserung des Lipidstatus und der freien Fettsäuren,

ƒ eine Reduktion der Hypoglykämierate,

ƒ der Wegfall des Spritz-Ess-Abstandes,

ƒ die eventuell wegfallende Notwendigkeit von Zwischenmahlzeiten,

ƒ eine Besserung der Lebensqualität durch ein höheres Maß an Flexibilität sowie

ƒ eine geringe inter- und intraindividuelle Variabilität (Bethel & Feinglos, 2002; Bolli et al., 1999; Bretzel & Schatz, 2006; Daily et al., 2004; Feinglos et al., 1997; Forst, 2001;

Heinemann & Heise, 2001; Hirsch, 2005; Periello et al., 2005).

Insgesamt sollen die Änderungen in der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik zu einer weiteren Angleichung an die physiologische Insulinsekretion führen, die Flexibilität des einzelnen erhöhen sowie den Patienten so weit wie möglich ein „normales“ Leben zu ermöglichen (Hirsch, 2005) (Abbildung 7).

Abbildung 7 Ausschnitt aus verschiedenen Werbeanzeigen für kurzwirksame Insulinanaloga (1996-2007)

Aktuell befinden sich 3 kurz wirksame Insulinanaloga auf dem deutschen Markt:

Handelsname Wirkstoff Pharm. Unternehmer Produktionszelllinie Humalog®

Liprolog®

Insulin lispro Lilly

Berlin Chemie

E. coli

NovoRapid® Insulin aspart NovoNordisk S. cerevisae Apidra® Insulin glulisin Sanofi-Aventis E. coli Tabelle 1 Kurzwirksame Insulinanaloga auf dem Deutschen Markt

Kapitel 3 Insulin und kurzwirksame Insulinanaloga

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