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4 Nutzenbewertung von kurzwirksamen Insulinanaloga anhand von publizierter Literatur

4.4 Z WISCHENFAZIT

4.4.2 EbM im Kontext der GKV

Soll auf der Systemebene die Frage nach dem Nutzen (nach einem Zusatznutzen) der kurzwirksamen Insulinanaloga gegenüber kurzwirksamen Humaninsulin in der Behandlung des T2DM auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Daten beantwortet werden, muss die mit der Datenlage verbundene Unsicherheit sowie weitere inhaltliche und strukturelle Aspekte mitberücksichtigt werden (Bertelsmann et al., 2007; Lühmann & Raspe, 2008; Welti, 2007).

In Deutschland ist das „Assessment“ und das „Appraisal“ – aufgrund der rechtlichen und politischen Legitimation - institutionell voneinander getrennt. Dennoch können auch hier Spannungen in dem zuvor genannten Feld der Unsicherheit zwischen individual- und sozialethischen Wertvorstellungen auftreten (Lühmann & Raspe, 2008). Bereits die Formulierung der Forschungsfragen, die einen essentiellen Einfluss auf die konkreten Fragen und

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Zieldefinitionen hat, ist, genau wie die Themenpriorisierung, die Methodenwahl, die Informationsbewertung und –synthese bis hin zur Generierung der Schlussempfehlungen nicht wertfrei (Lühmann & Raspe, 2008; Perleth et al., 2008; Strech, 2007). Konsequenterweise führt das IQWiG nach Erstellung des Berichtsplanes, in dem Fragestellung und projektspezifische Methodik zu finden sind, sowie nach der Veröffentlichung des Vorberichts, jeweils eine Anhörung durch, die sich mit der Methodik, mit noch nicht berücksichtigten, möglicherweise aber relevanten Studien sowie der Bewertung und Interpretation der aufgefundenen Studien beschäftigt. Der Vorbericht wird zudem einem externen Gutachterverfahren unterzogen und erst nach Zusammenführung und Bewertung der Stellungnahmen sowie des externen Reviews in Form eines Abschlussberichtes veröffentlicht (IQWiG, 2008a). Die Transparenz des Assessment-Verfahrens ist hiermit grundsätzlich gegeben.

Die Legitimation des G-BA für so bedeutsame Entscheidungen wie zum Leistungskatalog der GKV beruht im wesentlichen auf dem rechtlichen Auftrag des SGB V (§§ 35, 92 SGB V) sowie seiner fachlichen Kompetenz und der Beteiligung der Selbstverwaltung der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, von Patientenvertretern und dem Anhörungsrecht für z.B. Verbände der pharmazeutischen Industrie oder aber der Apotheker im Rahmen von Änderungen der Arzneimittel-Richtlinie oder aber der Festlegung von Festbetragsgruppen (G-BA, 2009b; Welti, 2007).

Die sich aus dem §139b ergebende Schnittstelle zwischen G-BA und IQWiG wird in der Neufassung der Verfahrensordnung des G-BA weiter ausgestaltet (G-BA, 2009b) und wird auch in den Methoden des IQWiG thematisiert (IQWiG, 2008a; 2009). Insgesamt bleiben die Ausführungen jedoch vage. Im Hinblick auf die Bewertung der kurzwirksamen Insulinanaloga kann die Frage, ob eine weitergehende Transparenz sowie eine Erweiterung der Beteiligungsrechte an dieser Schnittstelle zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, letztendlich nicht beantwortet werden. In Bezug auf zukünftige Bewertungen scheint es jedoch geboten, die

Option eines sog. „Scoping Prozess“20 ernsthaft zu prüfen (Antes et al., 2007; Bekkering &

Kleijnen, 2008). Auf der einen Seite kann an dieser Stelle zu Recht angeführt werden, dass die Legitimation des G-BA (u.a. auch durch die Beteiligung der Selbstverwaltung und der Patienten) sowie die bestehenden Kriterien und Prozesse ausreichend seien (Koch & Langer, 2009) und den Rahmenvorgaben des §139b SGB V genügen. Auf der anderen Seite muss jedoch angemerkt werden, dass bereits die Fragestellung bzw. die Beauftragung des IQWiG durch den G-BA Vorgaben enthält, die einen ersten Werteprozess enthalten und die späteren Ergebnisse maßgeblich beeinflussen (Bekkering & Kleijnen, 2008; Lühmann & Raspe, 2008; Perleth et al., 2008; Selbmann, 2008; Strech, 2007). Im Rahmen eines gestuften Prozesses einer Nutzen- und Kosten-Nutzen-Bewertung gewinnt dieser Aspekt weiter an Relevanz, wenn im Rahmen einer nachgeschalteten Kosten-Nutzen-Bewertung nur Endpunkte Berücksichtigung finden, die bereits in der Nutzenbewertung enthalten waren. Die Beteiligung von Dritten bei der Präzisierung der Fragestellung sollte genau so offen und transparent erfolgen wie die bisherigen Anhörungen zu Berichtsplan und Vorbericht (Antes et al., 2007; AWMF, 2009; Krauth et al., 2008; Wasem, 2008).

Der G-BA sollte im Rahmen einer systematischen Beurteilung der externen Validität von klinischen Studien und HTAs, auch auf Analysen, basierend auf Routinedaten der GKV, zurückgreifen, um in einem ersten Schritt einen Überblick zur Ist-Situation zu erhalten, die anschließend in die Entscheidungsprozesse mit einfließt.

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Diskussion der EbM im Kontext der GKV ist auch der letzte von Sacket vorgeschlagene Schritt der Evaluation und Reflexion der eigenen Handlung / Entscheidung (Sacket et al., 1996). Für Entscheidungen auf Ebene des individuellen Arztes existieren Vorschläge, wie hiermit umzugehen ist (u.a. bei Strauss et al., 2005). Für Entscheidungen auf Systemebene gibt es Vorschläge für den Bereich von Leitlinien (z.B.

Schubert, 2004), nicht jedoch für den systembezogenen Ansatz des G-BA / IQWiG. Die so genannte „G-BA Folgeforschung“ muss, genau wie die Forschung hinsichtlich der externen

20 An der „Schnittstelle“ zwischen G-BA und IQWiG (Überführung des Auftrages in eine Forschungsfrage) sollten die Überlegungen der verschiedenen Interessengruppen im Sinne wenigstens einer Verfahrens-, eventuell auch einer Beratungsbeteiligung berücksichtigt werden (Antes et al., 2007).

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Validität oder der Value of Information, eine Aufgaben der Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie in Deutschland sein (ISPOR, 2009; Windeler, 2008).

Es ist zudem zu beachten, auch wenn die Kosten-Nutzen-Bewertung explizit erst mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz zum 01. April 2007 in das SGB V eingeführt wurde, dass auch im Vorfeld die Entscheidung des G-BA eine entsprechende Abwägung enthielten, eine Entscheidung letztendlich nicht nur nach „evidenzbasierten“ Kriterien erfolgte, sondern immer auch unter Berücksichtigung der mit dem Einsatz verbundenen Kosten. Als Beispiel sei zum einen der Therapiehinweis zu Insulin lispro aus dem Jahr 1999 („Der behandelnde Arzt muss im Einzelfall entscheiden, ob der kurze Spritz-Ess-Abstand von Lispro für seinen Patienten eine so relevante Verbesserung der Lebensqualität darstellt, dass die im Vergleich zu festbetragsgeregelten Insulinen höheren Kosten für Lispro sowie für die ggf. erforderliche Dosissteigerung des Basalinsulins gerechtfertigt sind“) oder der Beschluss zu den kurzwirksamen Insulinanaloga aus dem Jahr 2006 („Diese Wirkstoffe sind nicht verordnungsfähig, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zu kurzwirksamem Humaninsulin verbunden sind. Das angestrebte Behandlungsziel ist mit Humaninsulin ebenso zweckmäßig, aber kostengünstiger zu erreichen. Für die Bestimmung der Mehrkosten sind die der zuständigen Krankenkasse tatsächlich entstehenden Kosten maßgeblich“) genannt (G-BA, 1999; G-BA, 2009a).

In der Gesamtbetrachtung hat die EbM über das SGB V in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung im System der GKV gewonnen. Während der grundsätzlichen Implementierung nicht widersprochen wird, richtet sich die Diskussion vor allem auf die „Institutionalisierung“ der EbM und der hiermit verbundenen Prozesse und Entscheidungen. Es muss an dieser Stelle jedoch angemerkt werden, dass die EbM letztendlich keine „Sparentscheidungen“ trifft, sondern lediglich die Evidenz zur Entscheidung systematisch aufbereitet. Die eigentliche Entscheidung wird nicht nur die EbM (oder das IQWiG), sondern durch die Selbstverwaltung getroffen (G-BA, 2009b; IQWiG, 2008a; Rieser, 2009).