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Die Hauptgewaltakteure in Kolumbien sind zwei Guerillagruppen und die ehemalige Vereinigung verschiedener paramilit¨arischer Gruppen in Verbindung mit der offiziellen Armee. Guerilla ist eine Bezeichnung sowohl f¨ur eine besondere Form des milit¨arischen Kampfes als auch f¨ur banden¨ahnliche Kampftruppen und deren Mitglieder, die in Lateinamerika auch Guerilleros genannt werden. Eine Guerilla entsteht durch den Zusammenschluss einheimischer Bev¨olkerungsteile, die sich im Rah-men einer Untergrundbewegung oder eines B¨urgerkrieges bewaffnen. Diese Widerstandsbewegung richtet sich gegen Besatzungs- oder Kolonialm¨achte bzw. gegen die eigene Regierung. Die Ziele der Guerilla richten sich auf (nationale) Unabh¨angigkeit, Selbstbestimmung bzw. auf die Durchsetzung von Sozialreformen. Zu den Strategien der Guerilla z¨ahlt insbesondere die subversive Kriegsf¨uhrung (Entf¨uhrungen, Botschaftsbesetzungen, Terrorakte) in einem Krieg ohne Fronten. Paramilit¨arische Gruppen unterscheiden sich vor allem in dem Grad der Unterst¨utzung durch die jeweilige Regie-rung. Gemein ist ihnen, dass sie nicht zu den eigentlichen Streitkr¨aften des Landes geh¨oren, aber dennoch milit¨arisch organisiert und ausgestattet sind. Als Rechtfertigungsargument f¨uhren sie h¨ au-fig an, die Armee oder das Rechtssystem des Landes seien zu schwach, um die Bev¨olkerung vor den inneren oder ¨außeren Gefahren zu sch¨utzen (Urban, 2008).

1.1.1 Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC)

Die Revolution¨aren Streitkr¨afte Kolumbiens (FARC) gingen in den 1960er Jahren aus b¨auerlichen Selbstverteidigungsgruppen hervor, die sich gegen Kampfhandlungen liberaler und konservativer Politischer Str¨omungen wehrten. Bis 1963 kamen in diesem ¨uber mehrere Dekaden andauernden B¨urgerkrieg zwischen b¨auerlichen und konservativ-liberalen Kampfgruppen mehr als 150 000 Men-schen ums Leben (Garc´ıa, 2009). Die FARC bezeichnet sich selbst als linksgerichtete, marxistisch-kolumbianische Guerillabewegung mit dem Ziel, eine revolution¨are Landreform durchzusetzen, die die Verbesserung der Lebensbedingungen f¨ur die l¨andliche Bev¨olkerung verfolgt (Calvo, 1999).

Die FARC ist in Lateinamerika milit¨arisch die st¨arkste aller Guerillagruppen. Ende der 1970er Jahre bestand die Organisation nicht mehr nur aus Bauern, sondern zunehmend auch aus Studenten der gr¨oßeren Universit¨aten der St¨adte. Damit ver¨anderten sich auch zunehmend die ideologischen Vorstellungen der Organisation und die landwirtschaftlichen Forderungen gerieten in den Hintergrund. In den 1980er Jahren stieg die Mitgliederzahl der FARC von 1 000 auf ca. 20 000 K¨ampfer und sie benannte sich in FARC-EP (Ej´ercito del pueblo: Volksheer) um (Rivera, 2008).

Infolge des rasanten Wachstums nahm die Organisation zunehmend milit¨arisch organisierte Z¨uge an. Zu Beginn lehnte die FARC alle Verbindungen mit dem aufkommenden Drogenhandel ab, doch im Laufe der 1980er Jahre wuchs die Akzeptanz diesem gegen¨uber. Indem die FARC Steuern auf den Drogenhandel erhob, sicherte sie sich eine lukrative Einnahmequelle zur eigenen Finanzierung.

Schrittweise ver¨anderte sich die urspr¨unglich b¨auerliche Selbstverteidigungsgruppe mit politischer

KAPITEL 1. ALLGEMEINE EINLEITUNG

Orientierung zu einem der weltweit gr¨oßten Drogenkartellen (P´ecaut, 2009).

Da die FARC urspr¨unglich als marxistische Gruppierung galt, wurde sie u. a. von Kuba und zu einem geringen Anteil auch von der Sowjetunion finanziell unterst¨utzt. Nach aktuellen Angaben des kolumbianischen Finanzministeriums erwirtschaftet die FARC 78% ihres Einkommens aus dem Drogenhandel, der Rest stammt aus L¨osegeldzahlungen und Viehraub sowie finanzielle Zuwendungen aus dem Ausland. Diese belaufen sich laut verschiedenen Quellen auf ein gesch¨atztes j¨ahrliches Einkommen zwischen 300 und 980 Millionen US-Dollar (Pineda, 2004).

Die Struktur der FARC ist streng hierarchisch gegliedert. Das siebenk¨opfige Sekretariat der FARC ist das zentrale F¨uhrungsgremium, das f¨ur alle strategischen, taktischen und milit¨arischen Angelegenheiten zust¨andig ist. Die FARC ist in sieben milit¨arischen Bl¨ocken organisiert, die sich auf das gesamte Territorium Kolumbiens verteilen. Diese Bl¨ocke sind wiederum in Fronten unterteilt, die zwischen 50 und 500 M¨anner umfassen. Die FARC erweist sich als eine Organisation mit großer personeller Stabilit¨at und Kontinuit¨at in der F¨uhrung. Dar¨uber hinaus steht sie in Verbindung mit anderen lateinamerikanischen Guerillagruppen (Garc´ıa, 2009).

Von Kolumbien und weiteren 31 L¨andern, darunter auch die EU, wird die FARC als ter-roristische Organisation eingestuft. Amnesty International verurteilt sie wegen schwerer Verst¨oße gegen das humanit¨are V¨olkerrecht. Sie soll f¨ur die Ermordung zahlreicher Lokalpolitiker aber auch unbeteiligter Zivilisten verantwortlich sein, ebenso f¨ur den Großteil der Entf¨uhrungen, das Verlegen von Landminen und die Rekrutierung von Kindersoldaten.

Nach dem Scheitern des ersten Waffenstillstands mit der damaligen Regierung im Jahre 1984, gr¨undeten Mitglieder der FARC die politische Partei

”patriotische Union“ (UP), die ihre Ziele auf legalem Weg durchsetzen sollte. Die UP wurde als politische Partei zugelassen und erreichte mit ihrem Kandidaten bei den Pr¨asidentschaftswahlen 4.5% der Stimmen. Dieser wurde allerdings w¨ahrend der Wahlen von einem Auftragskiller ermordet. In den folgenden Jahren wurden Mitglieder der UP, die ¨offentliche ¨Amter bekleideten, systematisch ermordet, was zu einer starken Zunahme der Gewalt seitens der FARC f¨uhrte. In Friedensverhandlungen stellte die Regierung der FARC ein ca. 40 000km2 großes Gebiet zur Verf¨ugung, wo auch Verhandlungen stattfinden sollten. Die FARC benutzte diese Verhandlungszone aber, um den Drogenhandel, die Offensiven gegen das kolumbianische Milit¨ar, die illegale Aufr¨ustung sowie die Zwangsrekrutierung zu intensivieren und zeitgleich den Druck auf die lokalen Beh¨orden zu erh¨ohen. Daraufhin brach die Regierung die Friedensverhandlungen ab und begann eine Milit¨aroffensive gegen die FARC. Bevor die FARC den R¨uckzug antrat, entf¨uhrte sie die Pr¨asidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die ¨uber sechs Jahre in Gefangenschaft gehalten wurde (Garc´ıa, 2009).

Mit dem Amtsantritt des damaligen Pr¨asidenten ´Alvaro Uribe (2002 - 2010) begann eine große milit¨arische Intervention gegen die FARC, die das Ziel hatte, diese so stark wie m¨oglich zu schw¨achen. Durch seine Politik der

”harten Hand“ verst¨arkte Uribe die Pr¨asenz der Sicherheitskr¨ af-te im ganzen Land. Als Reaktion darauf begann die FARC milit¨arische Operationen durchzuf¨uhren,

aus denen viele Vertreibungen, Entf¨uhrungen, Massaker und Terroranschl¨age hervorgingen, welche sowohl Sicherheitskr¨afte als auch Zivilisten bis heute betreffen (Vargas Velasquez, 2003). Seit Okto-ber 2012 nahm eine offizielle Delegation der FARC Friedensgespr¨ache mit der Regierung von Juan Manuel Santos in der Stadt von Havanna, Kuba auf. Die Friedensverhandlungen sollten maximal ein Jahr dauern, sind aber bisher noch nicht abgeschlossen und beinhalten folgende Themen: l¨ and-liche Entwicklung, Aufnahme von demobilisierten FARC-K¨ampfern in die Politik, Bedingungen eines Waffenstillstandes, Bek¨ampfung des Drogenhandels und die Entsch¨adigung der Opfern.

1.1.2 Ejercito de Liberaci´ on Nacional (ELN)

Die Nationale Befreiungsarmee ELN geh¨ort zu den ¨altesten noch aktiven Guerillaorganisationen Lateinamerikas. Sie wurde 1964 mit marxistisch-leninistischer Orientierung und nach dem Vorbild der kubanischen Revolution gegr¨undet. Im Gegensatz zur FARC waren die Gr¨undungsmitglieder der ELN haupts¨achlich Studenten aus den gr¨oßeren Universit¨atsst¨adten. Geleitet wird die ELN durch ein aus f¨unf Mitgliedern bestehendes Zentral-Kommando. Die ELN ist als

”intellektuelle Guerilla“ bekannt, weil sie ihre Ideologie auf kommunistische und sozialistische Theorien st¨utzt, vor allem auf die Che-Guevara-Fokus-Theorie und deren Vorbild Kuba. Mit dem Eintritt des be-r¨uhmten Befreiungstheologen und Priesters Camilo Torres erh¨ohte sich die Akzeptanz der ELN bei linksgerichteten Politikern, beim Klerus wie auch in der Bev¨olkerung (Garc´ıa, 2009).

Die ELN dominiert die Karibikk¨usten, die venezolanische Grenze und das zentraln¨ordliche Kordilleren-Gebirge. Dort erheben sie Steuern und verhandeln bei Konflikten zwischen Großgrund-besitzern und Kleinbauern. Die ELN fordert die Nationalisierung der Bodensch¨atze und sabotiert multinationale Konzerne beispielsweise durch Anschl¨age auf Erd¨ol-Pipelines der Texas Petroleum Company (Alban, 2011).

Wie auch die FARC finanziert sich die ELN durch Erpressungen und Entf¨uhrungen, be-streitet aber auch Einnahmen aus dem Drogenhandel. Nach Angaben von Nichtregierungsorgani-sationen hatte die ELN zwischen 2000 und 2007 mehr als 3.293 Geiseln entf¨uhrt, von denen 153 in Gefangenschaft starben. Die ELN ist ebenfalls in Fronten unterteilt, die sich je nach ¨okonomischen Interessen in verschiedenen Regionen Kolumbiens bewegen. Die Organisation ist in allen Regionen aktiv, v. a. jedoch in den Hauptst¨adten (Kurtenbach, 1999).

Sowohl FARC als auch ELN sind noch bewaffnet und als illegale Gewaltt¨ater aktiv, wurden jedoch in den letzten Jahren, w¨ahrend der Regierungszeit von Alvaro Uribe Velez und dessen Nachfolger Juan Manuel Santos, milit¨arisch geschw¨acht und in die Defensive gedr¨angt.

Es wird vermutet, dass durch milit¨arische Unterst¨utzung aus den USA und die Aufstockung von Polizei und nationalen Streitkr¨aften in l¨andlichen Gebieten die Anzahl der ELN-K¨ampfer von 5 000 auf 3 000 bis 2 000 sank. Im Sommer 2004 erkl¨arten beide Gruppen eine

”strategische Allianz“, was als Reaktion auf die milit¨arischen Offensiven der Regierung zu interpretieren ist (Pizarro, 2003).

KAPITEL 1. ALLGEMEINE EINLEITUNG

1.1.3 Autodefensas Unidas de Colombia (AUC)

Die Vereinigten B¨urgerwehren Kolumbiens AUC wurden 1997 unter der F¨uhrung von Carlos Ca-sta˜no aus verschiedenen paramilit¨arischen Gruppen gegr¨undet, die es sich zum Ziel gemacht hatten, die Guerillabewegungen der FARC und ELN milit¨arisch zu besiegen und die Kontrolle ¨uber das von ihnen kontrollierte Territorium zu erlangen. AUC geht auch gegen Teile der Zivilbev¨olkerung vor, da sie diese als Unterst¨utzer der Guerillabewegung betrachtet. Sie erhalten bei der Bek¨ampfung der Guerillagruppen inoffiziell große Unterst¨utzung durch Politiker, Viehz¨uchter, Unternehmer sowie multinationale Konzerne. Auch dem Inlandsgeheimdienst und dem kolumbianischen Milit¨ar wer-den immer wieder Verbindungen zum AUC vorgeworfen, die sich ¨uberwiegend durch Drogenhandel finanzieren, welchen sie in Kolumbien zu etwa einem Drittel kontrollieren. Dar¨uber hinaus werden auch ¨uber Entf¨uhrungen und Erpressungen Einnahmen erzielt. Im Gegensatz zu den Guerillak¨ amp-fern, werden die K¨ampfer der AUC bezahlt.

Mit ihrer Politik der

”sozialen S¨auberung“ terrorisierten und ermordeten die AUC Teile der Zivilbev¨olkerung. Durch die Anwendung von unkonventionellen Waffen wie z. B. Motors¨agen, mit denen sie ihre Opfer zerlegten, sind die AUC f¨ur zahlreiche Massaker und Folterungen von Guerilleros und der Zivilbev¨olkerung verantwortlich. Von diesem brutalen Vorgehen abgeschreckt zogen große Teile der Landbev¨olkerung in die St¨adte. Neben dieser Art der Vertreibung werden die AUC f¨ur das Verschwinden von ca. 15 000 Menschen beschuldigt, die vermutlich ermordet und in Massengr¨abern beigesetzt wurden. Zwischen 1983 und 2013 begingen die AUC circa 2.087 Massaker und raubten dabei ¨uber sechs Millionen Hektar Ackerland (Escudero, 20013). Die AUC werden f¨ur einen Großteil der Menschenrechtsverletzungen und der gewaltsamen Vertreibungen in Kolumbien verantwortlich gemacht. Auch sie stehen auf der Liste terroristischer Organisationen in Kolumbien, der EU und den USA. Die AUC sind in mehrere große Bl¨ocke unterteilt und v. a. in den l¨andlichen Regionen im Norden Kolumbiens pr¨asent. In den letzten Jahren ist ihre Aktivit¨at in den Armenvierteln der großen St¨adte stark angewachsen. Sch¨atzungen zufolge sollen sie im Jahr 2004 ¨uber etwa 13.500 K¨ampfer verf¨ugt haben (Rivera, 2008).

Nach einem komplexen Demobilisierungsprozess wurden einige Hauptmitglieder der AUC wegen Drogenhandels in die USA ausgeliefert. Nach der Aufl¨osung der AUC bildeten sich neue Gruppen, die sich um die bestehenden Drogengesch¨afte der ehemaligen AUC-Mitglieder k¨ ummer-ten (Comisi´on Nacional de Reparaci´on, 2007; Duncan, 2014; Villarraga Sarmiento, 2013). Diese Gruppen werden von der Regierung als gew¨ohnliche Kriminelle behandelt und genießen nicht die im Demobilisierungsprozess geschaffenen rechtlichen Privilegien des Friedens- und Gerechtigkeits-gesetzes (Grajales, 2011).