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3 Fragestellung und Forschungsdesign

4.2 Zusammenhänge

4.2.1 Entscheidungskriterien für das Eingehen von Fernbeziehungen

für Fernbeziehungen sehr oft durch den Beruf entstehen. Nahezu alle hier untersuchten Paare geben berufliche Veränderungen als Impuls für die Entscheidungssituation für oder gegen eine Fernbeziehung an. Das Ehepaar Berghaus stellt hier eine Ausnahme

dar: Dieses Paar lernte sich bei einem beruflichen Auswärtstermin kennen und begann seine Beziehung bereits als Fernbeziehung. Dies ist insofern bedeutsam für die vorliegende Arbeit, da am Fall Berghaus der spiegelbildliche Entscheidungsprozess, nämlich für das Zusammenwohnen, untersucht werden kann. Auch bei anderen Paaren (Anna und Bernd, Gaby und Heiner) spielen Überlegungen dieser Art eine große Rolle.

Eine nähere Betrachtung dieser Reflexivität der Prozesse verspricht fruchtbar zu sein.

Die Entscheidungskriterien für eine Fernbeziehung sind vielfältig: Rücksichtnahme auf die eigenen Kinder, Verwurzelung am Wohnort, fehlende Umsetzungsmöglichkeiten, um zwischen Wohn- und Arbeitsort zu pendeln, die Unsicherheit einer neuen Anstellung oder die (momentane) Priorität des Berufes. Vor allem das Ehepaar Mayer und das Paar Gaby und Heiner schildern eindrücklich die Komplexität des Entscheidungsprozesses. Die endgültigen Entscheidungen entsprechen nicht einem objektiven Abwägen von Vor- und Nachteilen, sondern hängen von subjektiven Bewertungszusammenhängen und der aktuellen Situation der Partner ab. So betont Frau Mayer die Normalität ihrer Beziehung.

„ich versteh sowieso net dass da immer so ein Aufwand oder dass da immer so ein Ding draus gemacht wird über so Wochenendbez- oder Wochenendehen, weil normalerweise früher war das ja sowieso viel häufiger der Fall, dass die Männer irgendwo unterwegs waren. Die waren ja froh, dass sie Arbeit hatten und dann sind sie halt irgendwo weiter weg gewesen. Mein Vater war auch immer das ganze Woch die ganze Woche weg, er hat in München gearbeitet und meine Mutter hat auf dem Land gewohnt.“ (Fall 3, Ela, Zeile 857)

Ela Mayer spricht hier zwei Phänomene an, welche sie aus ihrer Perspektive als normal erachtet und deshalb nicht versteht, warum andere diese thematisieren: Zum einen sind das berufliche Orientierung und Mobilität: Früher waren die Leute ja auch „froh, dass sie Arbeit hatten“ und waren deshalb bereit, dafür auf privater Ebene Opfer zu bringen.

Zum anderen und damit zusammenhängend waren Wochenendehen aus Elas Sicht immer schon normal. Sie verknüpft dies mit einer persönlichen Erfahrung: Ihre Eltern führten ebenfalls eine Fernbeziehung, so dass sie selbst in ihrer Herkunftsfamilie bereits eine Fernbeziehungen vorgelebt bekam und diese nicht als ungewöhnlich beurteilt.

Dieser Erfahrungshintergrund beeinflusst den Entscheidungsprozess. Eine beruflich begründete Trennung vom Partner unter der Woche stellt für sie nichts Bedrohliches dar, sondern den Normalfall. Deshalb ist die Option Fernbeziehung bei Mayers auch kein Kompromiss, sondern einfach eine Anpassung an Herrn Mayers berufliche

Entwicklungen. Dies ist mit ein Grund dafür, dass das Ehepaar Mayer die Fernbeziehung als dauerhafte Beziehungsgestaltung gewählt hat.

Andere Paare hingegen sehen in ihrer Fernbeziehung einen Kompromiss: Die Fernbeziehung ist keine richtige Beziehung, man hat das Gefühl, nicht richtig zusammen zu sein. Zusammensein bedeutet zusammen zu wohnen. Anja Berghaus beschreibt die erste Zeit des Zusammenwohnens so:

„wir ham das lang genossen, dass wir wirklich zusammen sein können“ (Fall Berghaus, Anja, Zeile 86)

Erst durch das Zusammenwohnen war das Paar „wirklich zusammen“. Ähnlich stellt das auch Bernd für sich und Anna dar:

„Irgendwann muss man ja mal zusammenkommen. Also richtig.“ (Fall1, Bernd, Zeile 688)

Man ist zwar als Paar zusammen, aber noch nicht „richtig“. Am deutlichsten formuliert dies Gaby (Fall 4):

„klar hab ich immer gesagt, ich möchte gerne wieder mit ihm zusammen wohnen und zwar so richtig also dass man echt so sein dass man so wie mans eigentlich früher immer hatte, man hat ein richtiges Zuhause“ (Fall 4, Gaby, Zeile 391 ff.)

„ein gemeinsames Leben, das haben wir jetzt auch, aber halt eine gemeinsame Wohnung, wo man einfach sagt, das ist wirklich deins und meins. Das gehört uns beiden irgendwie hier. Das ist unser beider unser Leben halt gemeinsam.“

(Fall 4, Gaby, Zeile 510 ff.)

Aus dieser Kompromisssituation ergibt sich auch eine bestimmte Erwartung für die Zukunft. Die Paare, welche ihre Fernbeziehung als Kompromiss ansehen, möchten in (naher) Zukunft zusammenziehen. Der Wunsch nach dem Ende der Fernbeziehungssituation kann so stark sein, dass er ganz drastisch zum Ausdruck gebracht wird:

„Also ich bin froh, wenn es vorbei ist“ (Fall 2, Cornelia, Zeile 528)

„Ich … will keine Entfernung mehr (lacht) weil wir’s halt schon so lang hatten.

[…] hab ich da jetzt echt genug davon.“ (Fall 1, Anna, Zeile 664 ff.)

Beide Frauen betonen, dass sie das Ende herbeisehnen. Während Cornelia einfach nur

„froh“ ist, „wenn es vorbei ist“, ist bei Anna das „Limit“ (Zeile 1213) eindeutig erreicht. Aus ihrer Sicht dauert die Fernbeziehung lang genug an:

„Fernbeziehung allgemein, weil es langt jetzt einfach, ich will nicht mehr“ (Fall 1, Anna, Zeile 881)

Für das Herbeisehnen des Endes können viele Gründe ausschlaggebend sein, allerdings ist es auffällig, dass dieser Wunsch nach dem Ende von nahezu allen Paaren bestätigt wird. Fernbeziehungen sind also aus Sicht der Paare kein Dauerzustand.

Die Standortfrage

Interessant ist nicht nur die Entscheidung für oder gegen eine Fernbeziehung, sondern auch die Ortswahl. Die Wahl des richtigen „Standortes“ für die gemeinsame Zukunft nimmt vor allem bei zwei Paaren im Interview einen großen Stellenwert ein. Dies ist umso erstaunlicher, da der Begriff „Standort“ in beiden Interviews nicht vom Interviewer, sondern von den Befragten selbst aufgeworfen wurde. Bei Fall Berghaus geht es darum, einen geeigneten Standort für die gemeinsame Zukunft zu finden, der so gewählt sein sollte, dass er sowohl familienfreundlich ist und eine komfortable Nähe zu den Herkunftsfamilien beider Partner bietet, als auch aus beruflicher Perspektive von Vorteil ist. Eine wirtschaftsschwache Gegend verspricht nicht genug berufliche

„Entwicklungsmöglichkeiten“ und bindet zu sehr an einen bestimmten Arbeitgeber.

„Weil es optimal eigentlich ist für alle Familien“, also für die eigene Kernfamilie und die Herkunftsfamilien und weil man besser „vernetzt“ ist, hat sich das Ehepaar Berghaus für die wirtschaftsstarke Großstadt entschieden, in der auch die Eltern von Anja Berghaus leben.

Bei Ehepaar Mayer wird eine ähnliche Standortdiskussion geführt, das Ehepaar besitzt ein eigenes Haus auf dem Land, das den Vorstellungen beider Partner in vielerlei Hinsicht entspricht. Diesen „Standort“ möchte das Paar trotz der Versetzung von Herrn Mayer nicht aufgeben. Der „Standort“ ist optimal, da die Gegend ansprechend ist, das Paar sich dort wohl fühlt, in Freundeskreise integriert ist und der Erwerb einer vergleichbaren Immobilie am neuen Arbeitsort von Friedrich Mayer mit einer großen finanziellen Belastung verbunden wäre.

Die „Standortfrage“ ist eigentlich kein Terminus aus dem Alltagsbereich, sondern stammt aus dem wirtschaftlichen Kontext. Ein Standort beschreibt die Lage eines Firmensitzes, aber nicht den Wohnort einer Familie. Die Verwendung des Begriffes Standort im privaten Kontext verweist auf eine starke strategische und berufliche Orientierung. Sowohl Friedrich Mayer als auch Klaus Berghaus sind stark beruflich engagiert und der Beruf bestimmt zu großen Teilen auch die Gestaltung des Privatlebens. Dies ist ein Indiz dafür, dass Fernbeziehungen vor allem von Personen

geführt werden, die dem Beruf einen großen Stellenwert zubilligen, zumal gerade Friedrich Mayer und Klaus Berghaus aus eigener Sicht und im Vergleich zu allen anderen Befragten dieser Studie sehr gut mit der Fernbeziehungssituation zurecht kommen bzw. gekommen sind. Andererseits zeigt diese Diskussion der Standortfrage aber auch, dass eine ähnliche Überlegung einmal zu getrenntem Wohnen und ein anderes Mal zur Gründung eines gemeinsamen Haushaltes führen kann. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass sich Fernbeziehungen evt. nicht allzu sehr von anderen Beziehungen unterscheiden.